Gesundheit Bamberg - Winter 2019/2020
45 Interview lung oder beim Start an einer weiterführen- den Schule – es geht also um Schwierigkei- ten bei der Anpassung an eine (neue) Situa - tion. Von ängstlichem Verhalten bis zu körperlichen Beschwerden ist hier alles möglich. Bei Letzteren reagiert der Körper stressbedingt z. B. mit Bauch- oder Kopf- schmerzen, für die sich keine körperliche Ursache finden lässt. Wir helfen den Kin - dern, eine neue Stärke für den Schulbesuch zu entwickeln, und üben mit ihnen, sich schrittweise den Belastungen zu stellen. Und wie äußern sich schwerwiegende Beeinträchtigungen? In diesem Fall ist der typische Alltag eines Kindes kaum noch möglich: Schule, Famili- enleben, Freunde, Freizeitgestaltung – über allem liegt ein Schatten. Oft sehen wir bei den Betroffenen Lustlosigkeit, Trauer, Schulvermeidung, Wutausbrüche, Selbst- verletzung oder auch lebensmüde Gedan- ken – Symptome, die z. B. auf eine schwere depressive Störung hinweisen. Oft ist es für Eltern und Pädagogen schwer zu erkennen, dass solche Verhaltensweisen nicht ein- fach pubertätsbedingt sind. Bei manchen Kindern liegt eine Traumatisierung, z. B. durch Übergriffe, Gewalterleben oder Ver- nachlässigung, vor, die das Kind hilflos zu - rücklassen kann. Ein Versuch der „Kom- Prof. Dr. Oliver Kratz ist seit 2005 stellvertretender Leiter der Erlanger Kinderpsychiatrie. pensation“ durch eine exzessive Medien - nutzung, Rauschmittelkonsum oder den Rückzug aus sozialen Beziehungen trägt eher noch zur Verschlechterung der Le- benssituation bei. Hier besteht dringender Behandlungs- und Unterstützungsbedarf! Gibt es Fälle, die Sie besonders glück- lich machen? Ein neunjähriges Mädchen litt unter selekti - vem Mutismus. Das bedeutet, es schwieg, obwohl es sprechen konnte. Zu Hause hat das Kind geredet, aber außerhalb kein Wort gesprochen, sondern es wurde durch ag- gressives Verhalten auffällig. Irgendwann im Laufe unserer Behandlung begann das Mädchen, mit anderen Kindern zu sprechen, zunächst nur flüsternd. Die Störung war wirklich sehr ausgeprägt. Dieses Mädchen schrieb mir vor Jahren, dass sie Germanistik studiert, sich also jetzt sogar beruflich ganz der Sprache zuwenden konnte. Das waren für mich tiefe Glücksmomente. kb INFO Kinderpsychiatrie des Uni-Klinikums Erlangen Telefon: 09131 85-39123
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