Gesundheit Bamberg - Herbst 2020

43 Medizin-Report Wahrnehmen von Emotionen darstellt. „Wer beim Reden die Gefühle des anderen erfassen will, ori- entiert sich stark an dessen Mundpartie“, weiß der Gesichtsforscher. „Am Mund können wir z. B. erkennen, wie stark ein Lächeln ausgeprägt ist. Jetzt bleiben uns vom Gesicht nur noch die Augen. Da ist es schwierig, die Emotionen des anderen richtig einzuordnen.“ Emotionen falsch gelesen Das geht oft daneben, wie Prof. Carbon mit seiner Studie belegen konnte: Darin bewerteten 41 Teil- nehmer zwischen 18 und 87 Jahren den emotio- nalen Ausdruck auf Fotos von zwölf verschiedenen Gesichtern. Jedes wurde per Zufalls- prinzip mit sechs Gefühlsregungen dar- gestellt, z. B. wütend, ängstlich, traurig, glücklich, angewidert oder neutral. Da- bei waren die Gesichter entweder voll- ständig sichtbar oder aber teilweise von einer Maske bedeckt. Die Ergeb- nisse belegen, dass die Studienteilnehmer bei Ge- sichtern mit einer Mund-Nasen-Bedeckung große Probleme hatten, die mimisch ausgedrückten Emotionen zu erkennen. Prof. Carbon: „Trug das Gesicht eine Maske, erkannten die Studienteilneh- mer Gefühle weniger genau und vertrauten selte- ner ihrer eigenen Einschätzung. Darüber hinaus kam es zu charakteristischen Fehlinterpretationen von einzelnen Emotionen. Beispielsweise wurde ein deutlich angewiderter Gesichtsausdruck mit Maske als wütend eingeschätzt, während Emotio- nen wie Freude, Trauer und Wut als neutral bewer- tet wurden.“ Jedoch: „Auch vor Corona war die Ausdrucksstärke unserer Mimik nicht perfekt“, be- tont der Wissenschaftler. „Wie in vielen anderen Bereichen auch zeigt uns das Virus hier einmal mehr, wo wir uns ein bisschen mehr anstrengen dürfen.“ Mehr als Lächeln Der Gesichtsforscher verweist auf die hohe menschliche Anpassungsfähigkeit, auf die es jetzt ankomme, um handlungsfähig zu bleiben. „Auch vor Corona haben wir nicht viel mehr als das Lä- cheln in einem Gesicht ablesen können. Jetzt kön- nen wir lernen, unsere Gefühle nicht nur deutlicher durch Worte auszudrücken, sondern auch durch eine stärkere Gestik mit unseren Armen und Hän- den oder indem wir mit den Fingern zeigen. Auch unsere Körperhaltung hat einen hohen Informati- onsgehalt, z. B. wenn wir mit dem ganzen Körper zurückweichen. Es ist auch ein Unterschied im emotionalen Ausdruck, ob wir uns jemandem sehr forsch oder nur zögerlich nähern.“ Prof. Carbon plädiert dafür, dass sich die Menschen angewöhnen, mehr und deutlicher über ihre Gefüh- le zu reden und diese wirklich verbal mitzutei- len, statt sie nur über WhatsApp- Emojis zu versenden. Claus-Christian Carbon: „Die Pandemie zeigt uns den hohen Wert von emotionaler Nähe und gegenseitiger Zuwendung. Wir spüren gerade besonders, dass es sich lohnt, unsere Gefühle deutlich zu zeigen. Eine Kultur wächst an Krisen, und wir können davon ausgehen, dass uns diese Krise und auch die Mas- kenpflicht noch länger begleiten wird. Damit bietet sich uns die Chance, zu einer anderen, deutliche- ren Kommunikation zu finden und miteinander eine neue Sprache der Nähe zu entwickeln.“ kb „Wir spüren gerade besonders, dass es sich lohnt, unsere Gefühle deutlich zu zeigen.“ Prof. Dr. Claus-Christian Carbon Schaut mich jemand freundlich an oder ist er verärgert? Wenn der Mund von einer Maske verdeckt wird, ist das nicht so leicht zu erkennen. Über Prof. Carbon Claus-Christian Carbon lehrt seit 2008 als Pro- fessor für Allgemeine Psychologie und Metho- denlehre an der Universität Bamberg. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen die Wahr- nehmungs- und die Gedächtnispsychologie.

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