Gesundheit Bamberg - Herbst 2021
13 Titel „Ich hatte Angst und Wut.“ Während des Coro- na-Lockdowns 2020 verlor Marion Neuhaus (Name geändert) die Struktur in ihrem Leben und damit ihren äußeren und auch ihren inne- ren Halt. Zuvor hatte die 57-Jährige Hausaufga- benbetreuung für Schülerinnen und Schüler an- geboten, ging schwimmen, in eine Feldenkrais- gruppe und mit ihrem Hund regelmäßig in einen Hundesportverein. Dann kam die Pandemie. „Und mir brach alles weg“, sagt die Nürnberge- rin. Dazu kam die Furcht vor einer Corona-Infek- tion. „Ich hatte Angst um mich, aber auch um andere. Ich habe Asthma, meine Schwester ei- ne Autoimmunerkrankung. Ich habe regelmäßig Sachen für sie besorgt und wollte ihr das Virus nicht mit nach Hause bringen.“ Dazu kam die Wut. „Weil wir am Anfang keine FFP2-Masken bekamen in der Schule. Weil es immer neue Än- derungen gab. Und weil ich mit dem Essen nicht mehr zurecht kam. Noch dazu war ich Single.“ Bereits 2015 hatte Marion Neuhaus in der Psy- chosomatischen und Psychotherapeutischen Abteilung des Uni-Klinikums Erlangen eine Psy- chotherapie gemacht – wegen einer Binge-Ea- ting-Störung, einer Esssucht. „Danach war ich stabil und hatte sogar mein Wohlfühlgewicht“, berichtet sie. Bis 2020 alles wieder anfing: Ess- anfälle, die außer Kontrolle gerieten. „Ich esse manchmal, bis mir schlecht wird. Erst mal bin ich dann satt und zufrieden. Aber dann kom- men schnell die Schuldgefühle und Gedanken wie: ‚Du hast es wieder nicht geschafft.‘“ Binge-Eating-Betroffene versuchen durch Es- sen Stress, Frustration, Traurigkeit und andere negative Emotionen zu regulieren. Marion Neu- Emotionales Essen Binge Eating. Betroffene schlucken schlechte Gefühle einfach runter. Übergewicht und noch mehr negative Emotionen sind die Folge. haus hat nun zum zweiten Mal eine stationäre Therapie am Uni-Klinikum Erlangen begonnen. „Ich lerne, am gemeinsamen Esstisch unter therapeutischer Begleitung drei große und drei Zwischenmahlzeiten zu essen; mittlerweile geht das auch wieder allein.“ Und sie ergründet, was sie tun kann, wenn schlechte Gefühle in ihr auf- steigen. „Ein Hörbuch hören, mit dem Hund rausgehen – das sind gute Methoden für mich.“ Auch ein kleines Gummiband am Arm, das sie bei akutem Stress kurz gegen ihr Handgelenk schnipsen lässt, hilft ihr, im Moment zu bleiben und sich nicht von ihren Impulsen überwältigen zu lassen. „Die Gespräche mit den Mitpatienten sind sehr wertvoll für mich. In der Gruppe kann ich auch üben, meine Ängstlichkeit gegenüber anderen abzubauen.“ Nach der Therapie möch- te sich Marion Neuhaus eine ambulante Psy- chotherapeutin suchen, mit der sie künftig über ihre Gedanken und Gefühle sprechen kann. Am- bulantes Vorgespräch am Uni-Klinikum Erlan- gen: 09131 85-34899 fm Menschen mit Binge-Eating-Störung zeigen ein Vermeidungsverhalten: Indem sie im Übermaß essen, wollen sie negative Gefühle unterdrücken.
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