Gesundheit erlangen - Winter 2018/2019
39 Medizin-Report schwankungen, und manche entwickeln so- gar eine Depression“, weiß Markus Prinz, Stationsleitung auf der Neurointensivstati- on der Neurologischen Klinik und der Neu- rochirurgischen Klinik des Universitätsklini- kums Erlangen. „Das Koma hat einen gro- ßen Einfluss auf den Körper. Nicht nur phy- sisch durch die starken Medikamente, son- dern auch psychisch, weil der Patient das plötzliche Aufwachen als traumatisch emp- findet und er nicht weiß, was mit ihm und in seinem Leben während der verlorenen Zeit geschehen ist.“ Erinnerungen einordnen Um Betroffenen bei der Komaverarbeitung zu helfen, gibt es das Intensivtagebuch. In Skandinavien und in den USA ist es bereits auf zahlreichen Intensivstationen zu fin- den, in Deutschland etabliert es sich erst seit Kurzem – wie jetzt auch auf der Neu- rointensivstation des Uni-Klinikums Erlan- gen. Hier haben es Lisa Dietmar, Tobias Heckelsmüller und Markus Prinz, Fach- krankenpfleger für Anästhesie und Inten- sivmedizin, eingeführt. Das Prinzip: Die Gesundheits- und Kranken- pfleger dokumentieren all das, was der Pati- ent während seines Komas verpasst – ehr- lich, beschreibend und direkt an ihn gerich- tet. Das beginnt schon mit dem Grund für seinen Klinikaufenthalt, denn meist können sich die Betroffenen auch daran nicht erin- nern. Die folgenden Seiten füllen die Pflege- kräfte mit ihren Beobachtungen und den Fortschritten des Patienten, berichten vom täglichen Zustand, von Besuchen und ers- ten Kommunikationsanzeichen. „Wir versu- chen auch, Geräuschen und möglichen Empfindungen einen Sinn zu geben“, sagt Markus Prinz. „Manche Patienten schre- cken später zum Beispiel bei bestimmten Klingelgeräuschen zusammen oder können sich an kurze Wachmomente erinnern, in denen ihre Beine stark gekribbelt haben. Wenn der Betroffene dann in seinem Inten- sivtagebuch liest, dass das Läuten von den Infusionspumpen stammt, oder dass wahr- scheinlich ein neues Medikament für das unangenehme Gefühl in seinen Füßen ver- antwortlich war, dann bekommen die Erin- nerungsfetzen einen Sinn. Diese Rekons- truktion ist sehr wichtig, um die Akutsituati- on ‚Intensivstation‘ zu verarbeiten.“ → Sie haben heute Nacht sehr unruhig ge- schlafen und wohl einige Albträume gehabt. Das liegt wahrscheinlich an Ihrem neuen Narkosemedikament. Machen Sie sich keine Sorgen, es ist immer jemand da. Ich habe mehrmals nach Ihnen gesehen und mit Ihnen gesprochen, das hat Sie wieder beruhigt. Tobias Heckelsmüller (l.), Lisa Dietmar und Markus Prinz haben das Intensivtagebuch auf der Neurointensivstation des Uni-Klinikums Erlangen eingeführt. Jetzt stellen sie es auch auf weiteren Intensivstationen vor.
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