Gesundheit erlangen - Winter 2021/22

KOLUMNE Ist es zu laut oder bin ich zu empfindlich? VON FRANZISKA MÄNNEL Warum bin eigentlich immer ich es, die ihr ei- genes Wort nicht mehr versteht, weil der Res - taurantchef am Nebentisch lautstark über die Herkunft jeder einzelnen Weintraube seines edlen Gesöffs schwadroniert? Warum bin ich es, die in Griechenland erst einen menschen- leeren kleinen Strand findet, um sich kurz da- rauf von den Technobässen des Strandbarkee - pers in die Flucht schlagen zu lassen? Warum bin ich es, die – am Seeufer liegend und Ruhe suchend – von frenetischen Gänsefotografen umringt und fast ertrampelt wird, bis mal einer sagt: „Huch, Vorsicht, da liegt ja jemand.“ An - ders gefragt: Wird die Welt, werden die Men- schen eigentlich immer lauter? Oder werde ich einfach nur empfindlicher? Die Vereinzelung im zeitweiligen Homeoffice bringt ja – zumin - dest für Kinderlose und die ohne Baustelle vorm Haus – eine gewisse Ruhe mit sich. Ruhe vor klingelnden Telefonen und vor Menschen, die spontan klopfen und „nur mal kurz ’ne Fra- ge haben“. Im Video-Call kann man die Laut- stärke der anderen herunterregeln, wenn es zu viel wird. Hat die Coronapandemie also viel - leicht die Lärmtoleranz gesenkt, weil es in den letzten zwei Jahren oft so still war? Ich lese, dass sich Lärmexpertinnen einig sind: Jedes hörende Wesen nimmt laute Geräusche wahr, doch die Reaktionen darauf sind unter- schiedlich. Manche Menschen fühlen sich durch Lärm schneller gestresst, können sich schlechter konzentrieren, verlieren eher die Nerven. Andere können Umgebungsgeräusche besser ausblenden. Ist es zu laut, bist du zu schwach also. Wer gestresst ist, empfindet Lärm stärker. Gleichzeitig verursachen Störge - räusche auch Stress. Kleine Sp[r]itze | 39 Kleine Sp[r]itze Als ich mich im Herbst 2021 auf einer kleinen ionischen Insel über die leeren Apartments ne- benan freute (Keine Gäste! Weit und breit nichts los! Einöde! Juhu!), erfuhr ich, dass das wohl auch typisch deutsch sei. „Germans don’t like tourists“, sagte Gastgeber Kostas. Aha. Sind wir uns also selbst genug? Ist dieser Wunsch, allein zu sein, nun irgendwie sympathisch oder ein- fach nur sehr, sehr merkwürdig? Zumindest komme ich mir dank Kostas’ Feststellung etwas weniger sonderbar vor. Ich ziehe jedenfalls meinen Hut vor Lehrerin - nen und Erziehern, vor Straßenbauarbeitern, Gastro-Beschäftigten und Flughafenpersonal. Ich könnte das nicht – diese Dauerbeschallung. Ich hätte gern mehr leise Orte. Mehr Cafés oh - ne laute Hintergrundmusik. Saunen ohne Par - tyevents. Silvester ohne Kriegsgeböller. Wenn man sich überlegt, dass angeblich schon Frauen ihre Männer im Schlaf erstickt haben, weil die zu laut geatmet haben – dann doch lieber Böl- lerverbot. Und jeder atmet, so laut er will. Ich habe mal von einem Mantra gehört, das man sich in lauten oder hektischen Phasen vorsagen soll: „Je lauter es um mich herum wird, desto stiller wird es in mir.“ Manchmal klappt das er- staunlich gut. Es gibt Menschen, die machen Schweigeseminare – und werden während der 14 Tage, in denen sie nicht und mit niemandem sprechen dürfen, fast verrückt. Denn: Auch Stille kann unerträglich laut werden. Das ist wohl auch der Grund, warum so vie - le sie oft zu übertönen versuchen. Wie laut erleben Sie Ihre Umwelt? E-Mail: franziska.maennel@uk-erlangen.de

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