32 | Medizin Fortsetzung von S. 31 Prof. Sticherling. „Die Ärzte behandelten damit mit mäßigem bis schlechtem Erfolg und großen Nebenwirkungen.“ So kam es etwa zu inneren Verätzungen. Ein Tierdarm als Schutz „Schon im Mittelalter vermutete man ungeschützten Sex als Übertragungsweg für Infektionskrankheiten, auch wenn man die Erreger und die genauen medizinischen Vorgänge noch nicht kannte“, erklärt Michael Sticherling. In der Folge wurden die ersten Kondome aus Stoffgewebe, Tierdärmen oder -harnblasen hergestellt – mit eingeschränkter Schutzwirkung. Bekannt ist das Verhütungsmittel mindestens seit dem 16. Jahrhundert. Gummi ließ sich erst ab Mitte des 19. Jahrhunderts herstellen – damit war der Prototyp des heutigen Latexkondoms geboren. Die Rückkehr der Syphilis Die Zahl derjenigen, die an Syphilis, Gonorrhö (Tripper) und anderen sexuell übertragbaren Erkrankungen leiden, nimmt seit einigen Jahren wieder zu. „Und zwar deutlich und in beunruhigendem Ausmaß“, kommentiert Prof. Sticherling. „Das hat nicht etwa mit der Migration, sondern mit unserem Reiseverhalten zu tun, mit dem Sextourismus nach Asien, mit mehr sexuellen Kontakten durch Onlineplattformen und Ähnlichem. Zwei Drittel der Infektionen passieren durch Oral- oder Analverkehr, aber viele wissen gar nicht, dass dabei ein Risiko besteht. Ein Grund ist sicher, dass es nicht mehr diese Vorsicht gibt, die etwa in den 80er- und 90er-Jahren während der AIDS-Zeit herrschte.“ Das Team der Erlanger Hautklinik beobachtet Steigerungsraten von jährlich zehn Prozent und mehr. „Standardisierte Syphilistestungen bei allen Hautklinikpatientinnen und -patienten gab es noch in meinen dermatologischen Anfängen und dann lange nicht mehr“, sagt Michael Sticherling. „Heute überlegen wir ernsthaft, diese Blutuntersuchungen wieder einzuführen, weil die Zahlen zunehmen und wir bei Hautsymptomen auch wieder an die Syphilis denken müssen.“ Mitte des 20. Jahrhunderts bekamen Patientinnen und Patienten mit bakteriellen Infektionen die ersten Antibiotika. „Heute gibt es viele verschiedene dieser Mittel und sie sind ein Segen für die Medizin – ähnlich wie Impfungen“, betont der stellvertretende Klinikdirektor. „Bis dato sind Antibiotika die bedeutsamste Therapie gegen Geschlechts- und andere Infektionskrankheiten. Anfang des letzten Jahrhunderts basierte noch vieles auf Erfahrungsmedizin. Man hat zum Beispiel sporadisch die Heilwirkung bestimmter Pflanzen beobachtet – ohne genau zu wissen, was da eigentlich wie wirkte. Heutzutage haben wir signifikante Beweise für den Nutzen und die Nebenwirkungen von Therapeutika – erbracht in wissenschaftlichen Studien.“ Sensibel und empathisch Patientinnen und Patienten mit intimen Problemen müssen im 21. Jahrhundert jedenfalls nicht mehr fürchten, mit Gips übergossen, in einem Hörsaal vorgestellt oder Opfer medizinischer Experimente zu werden. „Wie man damals mit Erkrankten umging, ist nicht mit heute zu vergleichen, wo wir individuell auf Bedürfnisse und Ängste eingehen“, Prof. Dr. Michael Sticherling vor der Erlanger Moulagensammlung im Internistischen Zentrum. Hier ist die Hautklinik seit 2011 untergebracht.
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