| 17 Titel res. Aber wenn man tatsächlich selbst in dieser Lage gewesen wäre, hätte man nicht so souverän gehandelt. Man sollte sein eigenes Urteilsvermögen und seine Fähigkeiten in Stresssituationen nie überschätzen.“ Sullys Szenario wurde mehrfach im Flugsimulator nachgestellt. Obwohl die Piloten wussten, was gleich passieren würde, gelang es ihnen in nur 8 von 15 Fällen, an einem Ausweichflughafen zu landen. Dies zeigt die außergewöhnliche Leistung von Chesley Sullenberger und seinem CoPiloten, die unter Zeitdruck bestmöglich handelten. Genau wie in der Luftfahrt werden auch im Simulations- und Trainingszentrum (STZ) der Anästhesiologischen Klinik des Uniklinikums Erlangen brenzlige Situationen geübt. Doch statt Vogelschlag lautet das Szenario hier Stromschlag, statt der Triebwerke fällt hier der Kreislauf eines Menschen aus. Die Palette lebensbedrohlicher Notfälle, die Oberarzt Björn Lütcke und das STZ-Team bereithalten, ist groß. „Pilotinnen und Piloten müssen regelmäßig in den Flugsimulator. Bei uns sollte analog jede Mitarbeiterin und jeder Mitarbeiter der Anästhesiologie einmal im Jahr an einem speziellen Simulatorkurs teilnehmen“, erklärt Dr. Lütcke. Bei diesem Projekt namens „1-1-1“ (ein Mitarbeiter, einmal im Jahr, einen Tag lang) trainieren ärztlichpflegerische Teams gemeinsam für anästhesiologische Zwischenfälle wie diese: Der Rachenraum des Patienten schwillt während einer OP plötzlich bedrohlich an. Er reagiert allergisch auf ein Medikament, es zeigen sich Atemnot und Herzrasen. Er erbricht während der Narkoseeinleitung und Mageninhalt gelangt in die Lunge. Der Blutdruck fällt drastisch ab. Die Atmung wird so flach, dass der Körper nicht mehr gut mit Sauerstoff versorgt wird. Die Liste ließe sich noch lang fortführen. Neben den Anästhesiologie-Beschäftigten können sich auch Ärztinnen und Ärzte anderer Fachrichtungen, Pflegekräfte und Medizinstudierende in den Bereichen Anästhesie, Intensivmedizin und Notfallmanagement im STZ aus- und weiterbilden lassen. „Wir passen die Settings immer an die Zielgruppe an. Je nach Erfahrung der Teilnehmenden steigern wir die Herausforderung. So wird das Lernen hochindividuell“, sagt Björn Lütcke, der Fachkoordinator für die studentische Lehre ist. Vom kritisch kranken Kind über den Bergunfall bis hin zum Fahrradsturz – Björn Lütckes Fallordner ist mehr als gut gefüllt „und sehr oft inspiriert von tatsächlichen Notfällen, die wir selbst miterlebt haben“, erklärt der Facharzt, der aufgrund seiner Tätigkeit in der Erlanger Anästhesiologie auch bei der DRFLuftrettung als Notarzt mitwirkt. Das A und O neben allem Fachwissen sei immer die Kommunikation. Über Berufsgruppen, Hierarchien und Kulturen hinweg müsse die bei einem Notfall optimal laufen. „Hier gibt es oft das meiste Verbesserungspoten- zial“, weiß Björn Lütcke. „Wir schocken. Alle weg vom Bett!“ Im STZ trainiert heute eine Gruppe von vier Medizinstudierenden im zehnten Semester. Erstes Szenario: Herr Müller, stationärer Patient am Uniklinikum Erlangen, klagt plötzlich über Atemnot und Brustschmerzen. Eine Stationsmitarbeiterin alarmiert die Studierenden, die kurz darauf das Patientenzimmer betreten. Farbige Westen kennzeichnen die unterschiedlichen Rollen der Helfenden: Gelb für Teamleader Paul*, Blau für Atemwegsmanager Jonas*, Rot für Kreislaufmanagerin Jule* und Grün für Medikamentenmanagerin Marie*. „Hallo, Herr Müller“, nähert sich der Teamleader mit schnellen Schritten der Simulationspuppe im Bett. „Haben wir eine Atmung?“, fragt er und hält sein Ohr dicht an den Mund des Patienten. Instruktor Dr. Florian Kern, der die Gruppe vom Rand aus beobachtet, gibt die fehlende Info: „Nein, der Patient atmet nicht.“ Jule beginnt sofort mit der Herzdruckmassage – 30 Kompressionen in schnellem Rhythmus –, dann beatmet Jonas je zweimal mit einem Beatmungsbeutel. Marie bringt Kabel und Elektroden, die „Herrn Müller“ auf die Brust geklebt werden, um seinen Herzrhythmus per EKG zu überwachen. Teamleader Paul wählt die interne Notrufnummer und bittet das Reanimationsteam um Unterstützung. Dann weist er Marie an, „Herrn Müller“ Adrenalin zu spritzen. „Warum ist der Patient am Uniklinikum?“, fragt Paul. →
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