32 | Medizin Vom Schilfrohr zur modernen Intubation Die erste Aufzeichnung zu künstlicher Beatmung stammt aus dem 16. Jahrhundert, als der Anatom und Chirurg Andreas Vesalius ein Schilfrohr in die Luftröhre von Schweinen einführte und sie anschließend beatmete. „Ihre erste Blütezeit erlebte die Beatmung dann bei der Polio-Epidemie in den 1950er-Jahren“, sagt Niklas Carbon, Facharzt in der Anästhesiologischen Klinik des Uniklinikums Erlangen. „Damals hat man die sogenannte Eiserne Lunge benutzt. Dabei wird die Person in einen metallenen Zylinder geschoben, nur der Kopf bleibt draußen. Eine Pumpe verändert dann kontinuierlich den Luftdruck im Inneren. Dadurch wird die Funktion der menschlichen Atemmuskulatur sozusagen übernommen.“ Das heißt: Das Gerät erzeugt zunächst einen Unterdruck im Inneren, sodass über Mund und Nase Luft in die Lungen des Patienten gesogen wird (Einatmung). Die Ausatmung wird entsprechend durch einen Überdruck im Metallgehäuse herbeigeführt. „Mit der Eisernen Lunge konnten vor allem Krankheitsbilder behandelt werden, bei denen allein die Atemmuskulatur beeinträchtigt ist. Das kommt in der modernen Medizin aber eher selten vor“, sagt der Facharzt. Eine Beatmung sei heute eher bei Lungenentzündungen, einer Sepsis oder im Rahmen von schweren COVID-19-Fällen notwendig. „Da brauchen wir deutlich mehr Druck, um die Lunge offen zu halten, als eine Eiserne Lunge hergeben würde.“ Heute wird die sogenannte endotracheale Intubation angewendet. Niklas Carbon erklärt: „Dabei platzieren wir einen Beatmungsschlauch durch den Mund oder MEDIZIN GESTERN UND HEUTE Die Geschichte der künstlichen Beatmung reicht bis zur Renaissance zurück. Die „Eiserne Lunge“ gab Polio-Erkrankten in den 1950er-Jahren den Atem, nahm ihnen aber ihre Freiheit. Moderne Beatmungssysteme sind deutlich vielseitiger. VON ALESSA SAILER Eine Eiserne Lunge für Kinder steht heute noch vor der Direktion der Erlanger Anästhesiologie. Sie war ab 1957 in Betrieb und verfügte über eine eingebaute Wärmequelle. Der Gummi zwischen Hals und Eiserner Lunge musste ständig straff sitzen, damit er luftdicht abschloss und der Druck im Inneren aufrechterhalten blieb.
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