Gesundheit erlangen - Frühling 2025

42 | Kopfsache Ein Jugendlicher mit Tics erzählt Der 14-jährige Tom (Name geändert) ist Patient der Tagesklinik der Kinderpsychiatrie des Uniklinikums Erlangen. „Ich hatte schon sehr viele Tics, ich erinnere mich gar nicht mehr an alle“, berichtet er. Beim Gehen musste er zeitweise einen Fuß an den anderen schlagen, immer wieder dieselben Wörter sagen, am Esstisch mit dem Stuhl vor und zurück rutschen, sich schütteln, kratzen oder den Kopf nach vorn kippen. „So mit elf, zwölf Jahren war es am schlimmsten“, erinnert sich Tom, der auch ADHS und eine Zwangsstörung hat. „In der Schule haben mich die Tics sehr gestört. Ich finde, die Lehrer müssen von den Therapeuten über die Tics informiert werden, damit sie sie verstehen. Mir würde es zum Beispiel schon helfen, wenn ich im Unterricht kurz aufstehen oder in den Nebenraum gehen dürfte. Was auch hilft, ist, wenn ich etwas trinke, weil der Tic eher hochkommt, wenn ich einen trockenen Hals habe. Auch gut ist, mir das Gesicht mit kaltem Wasser zu waschen.“ Lehrkräfte sollten Toms Meinung nach mehr eingreifen, wenn Schülerinnen oder Schüler wegen ihrer Tics gehänselt werden. Mit Psychologinnen und Ärzten zu sprechen, habe Tom gutgetan. „Es ist besser, mal mit anderen Personen darüber zu reden als mit den Eltern“, findet er. Nach einer weniger schönen Therapieerfahrung in einer anderen Klinik ist er jetzt zufrieden. „Hier geht es mir super“, sagt er über die Erlanger Tagesklinik, in die er seit zwei Monaten von Montag bis Freitag kommt. Nachmittags und an den Wochenenden kann er nach Hause. „Anderen Jugendlichen mit Tics würde ich raten, nicht die Motivation zu verlieren, ihre Skills (s. S. 43) zu nutzen und auch daran zu glauben, dass die Tics irgendwann wieder aufhören.“ Fortsetzung von S. 41 neurologische Prozesse ab, die gesellschaftliche Normen und Tabus in den Mittelpunkt rücken. Es gibt eine Art Hyperfokussierung auf die unerwünschte Handlung und dieser Prozess verstärkt sich selbst. Es gibt dabei auch eine starke genetische Komponente. Gehen Tics mit anderen Störungen einher? Häufig treten Ticstörungen zusammen mit an- deren Diagnosen auf, beispielsweise mit ADHS oder Zwängen. Zwangs- und Ticstörungen können leicht verwechselt werden, hier muss man genau differenzieren. Während Tics ja keinen Zweck haben und einfach ausgeführt werden müssen, erfolgen Zwangshandlungen deshalb, weil Betroffene Angst vor Konsequenzen haben – dass sie krank werden, wenn sie sich nicht ständig die Hände waschen, oder dass jemand einbricht, wenn sie nicht regelmäßig die Haustür kontrollieren. Auch Ängste oder Depressionen können sich begleitend zu Tics entwickeln – weil es eben wiederholt Schwierigkeiten in sozialen Konstellationen gibt, die Kinder oder Jugendlichen immer wieder negative Erfahrungen machen und sich auch irgendwann zurückziehen. Der Ausschluss aus einer Gruppe ist für Heranwachsende die Höchststrafe. Hier ist es unsere große Aufgabe, das emotional aufzufangen und therapeutisch zu bearbeiten. Wie können Sie Betroffenen in der Kinderpsychia- trie konkret helfen? In der Behandlung einer Ticstörung gibt es drei Schritte. Der erste ist immer die Psychoedukation: Wir informieren das Kind, die Eltern, Lehrerinnen und Lehrer darüber, was es heißt, eine Ticstörung Ein Tic ist erst dann eine Störung, wenn er stört. Prof. Dr. Oliver Kratz

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