Das kostenlose Magazin des Uniklinikums Erlangen | www.gesundheit-erlangen.com | Frühling 2025 ■ Darmkrebs: alles Wichtige – von Vorsorge bis OP ■ Divertikel: gesunde Ernährung und Bewegung nehmen Druck raus ■ Verstopfung bei Kindern: nicht alles auf die Psyche schieben Gesunder Darm Der Stinkefinger stört Wenn Kinder Tics entwickeln Boulder dich stark! Psychotherapie an der Kletterwand Eine Gruppe fürs Herz Training für Menschen mit Herzinsuffizienz
„MAN KANN EINFACH NICHT IN DIESE MENSCHEN REINSCHAUEN.“ „ DOCH: DARMSPIEGELUNG.“ Egal ob Stuhltest oder Darmspiegelung – es ist immer eine tierisch gute Wahl. #TIERISCHGUTEWAHL Damit du gesund bleibst und keinen Darmkrebs bekommst. Der kostenlose Darmcheck. Für alle ab 50 Jahren.
| 3 Editorial Haben Sie schon mal eine Ministerin eine Wand hochklettern sehen? Ich denke, das ist eher unwahrscheinlich. Auch ich kann diese Frage erst seit ein paar Tagen mit Ja beantworten. Denn ich wurde kürzlich Zeugin, als Judith Gerlach, Bayerns Staatsministerin für Gesundheit, Pflege und Prävention, in der Nürnberger Boulderhalle „der steinbock“ die Wand erklomm. Lässig an den Bouldergriffen hängend, übergab die Politikerin zunächst einen Förderscheck: über 800.000 Euro für das neue Jugendprojekt „BooSt – Boulder dich stark“, initiiert von der Psychiatrischen und Psychotherapeutischen Klinik des Uniklinikums Erlangen. „BooSt“ beginnt im Mai 2025 und soll Jugendliche stark machen – körperlich, aber vor allem psychisch. An Boulderwänden in Erlangen, Nürnberg, Bamberg und Regensburg sollen die jungen Menschen ihre eigenen Grenzen erforschen, über sich selbst hinauswachsen, Achtsamkeit lernen, ihre Stimmung verbessern und zu neuem Selbstvertrauen finden. Judith Gerlach machte es vor und ließ sich prompt von Studienleiterin Prof. Dr. Katharina Luttenberger die Augen verbinden, um eine einfache Boulderroute komplett blind zu begehen. „Links kommt ein guter Tritt, höher, noch höher“, unterstützte Katharina Luttenberger mit einigen Kommandos – bis die Gesundheitsministerin schließlich ganz oben ankam. Sich etwas zutrauen, mutig sein – das hatte sich auch das 17-jährige MädHochgesteckte Ziele Chefredakteurin von „Gesundheit erlangen“ chen vorgenommen, das ich für diese Ausgabe unseres Magazins bei den Erlanger „Blockhelden“ getroffen habe. Die Teenagerin leidet unter anderem unter sozialer Phobie und einer Depression. Sie nahm 2024 an der Pilotstudie zu „BooSt“ teil. Im Gespräch schildert sie, wie sie sich der Herausforderung Boulderpsychotherapie gestellt und was ihr das Konzept gebracht hat (s. S. 30). Bouldern – das ungesicherte Klettern in Absprunghöhe – schult darin, trotz des wiederholten Scheiterns (Fallens) immer wieder von vorn zu beginnen. Und von Neuanfängen können auch die Patientinnen und Patienten berichten, mit denen wir für unseren Schwerpunkt zur Darmgesundheit gesprochen haben: Ob Darmkrebs, entzündete Divertikel oder eine angeborene Fehlbildung – alle Betroffenen fanden letztlich am Uniklinikum Erlangen die für sie geeignete Therapie (ab S. 8). Ich wünsche Ihnen nun viel Freude beim Lesen dieser Berichte. Dem „BooSt“-Projekt wünsche ich, dass sich viele junge Menschen anmelden und davon profitieren werden. Ich bin nach vielen Jahren Boulderpause jetzt auch wieder auf den Geschmack gekommen. Ich gehe mal meine Kletterschuhe suchen ... Was fürs Herz Auch Wochen nach unserem Besuch bei der neuen Erlanger Herzinsuffizienzgruppe müssen meine Kollegin und ich noch immer schmunzeln. So viel Humor, Zusammenhalt und Herzlichkeit trotz schwerer Erkrankungen haben uns wirklich beeindruckt! Den Beitrag lesen Sie auf S. 48.
4 | Themen dieser Ausgabe BOULDER DICH STARK! Die 17-jährige Emilia hat erlebt, wie gut eine Bouldergruppe ihrer Psyche tat. Dank der neuen „BooSt“-Studie sollen jetzt auch andere Jugendliche von dem Konzept profitieren. 3 Editorial NEUES AUS DEM UNIKLINIKUM 6 Heil- und Pflegeanstalt als Gedenk- und Lernort 7 Special Olympics 2025 in Erlangen | Offene Palliativstation TITEL 8 „Man muss an Darmkrebs nicht sterben“ Prävention, Diagnostik und Therapie 12 Darm unter Druck Hilfe bei Divertikulitis 16 Gemeinsam gegen Entzündungen Interdisziplinäres Board am Uniklinikum 18 Stau im Bauch Was chronische Verstopfung bei Kindern und Jugendlichen lindern kann MEDIZIN 22 Sprechstunde Kortison: Wunderwaffe oder Risiko? 26 Medizin gestern und heute Magnetismus trifft Medizin – die Entwicklung der MRT 28 Mittel der Wahl Propofol: klimafreundlicher Tiefschlaf 29 Kleine Sp[r]itze – Kolumne Aufstiegschancen nutzen MENSCHEN 30 Meine Geschichte Emilia fand beim Bouldern neue Kraft 34 Zwei Seiten von Neurochirurg Prof. Dr. Dieter Henrik Heiland 36 Aus dem Medizinkästchen Gleichstellungsbeauftragte Gisela Zapf STAU IM BAUCH Kleiner Helfer, große Veränderung: Wie ein sakraler Schrittmacher das Leben des heute 15-jährigen Aaron komplett veränderte. 18 30
| 5 Themen dieser Ausgabe Video Weiterführende Informationen Kontaktaufnahme Persönlicher Kontakt zur Redaktion ERNÄHRUNG 38 Frühlingsbote Bärlauch Wie man ihn erkennt und verwendet KOPFSACHE 40 Der Stinkefinger stört Wie sollte man mit Tics bei Kindern umgehen? ERFORSCHT UND ENTDECKT 37 Besser hören dank Hörgerät und CI 45 Pflege zu Hause: Kümmern um die Kümmerer 46 Gesundheitsmesse in Bamberg 47 Blutspenden dringend gesucht! AKTIV LEBEN 48 Eine Gruppe fürs Herz Bewegung trotz Herzschwäche ZUM SCHLUSS 52 Hört ihr das Bärenherz schlagen? 53 Rätsel | Gewinnspiel 54 Vorschau | Impressum HERZINSUFFIZIENZSPORT Auch bei schwerer Herzschwäche tun Bewegung und Sport dem Herzen gut. In einer neuen Übungsgruppe am Uniklinikum Erlangen werden Patientinnen und Patienten bestens betreut. TICS UND TOURETTE Meist fangen sie zwischen dem fünften und siebten Lebensjahr an. Aber ab wann werden Tics wie Klatschen, Zucken, Wippen oder Gestikulieren zur Störung? 48 40
6 | Neues aus dem Uniklinikum Anfang 2025 wurde die Machbarkeitsstudie für einen künftigen Gedenk- und Lernort zur Erinnerung an die Opfer der NS-„Euthanasie“ auf dem Gelände der ehemaligen Heil- und Pflegeanstalt Erlangen vorgestellt. Gemeinsam mit dem Berliner Agenturbüro chezweitz hat eine Steuerungsgruppe, bestehend aus Expertinnen und Experten des Uniklinikums Erlangen, der FAU Erlangen-Nürnberg und der Stadt Erlangen, ein Konzept erarbeitet. Es skizziert einen Ort, der der Opfer gedenken und die Aufarbeitung der NS-Verbrechen thematisieren soll. In Erlangen kamen zwischen 1939 und 1945 schätzungsweise 1.900 Menschen ums Leben, viele von ihnen auf den „Hungerstationen“ der ehemaligen Heil- und Pflegeanstalt. Die Machbarkeitsstudie sieht die Einrichtung eines „Gedenkparcours“ vor. Dieser beginnt in einem Besucherzentrum am Maximiliansplatz 2 – in der heutigen Kaufmännischen Direktion des Uniklinikums Erlangen Machbarkeitsstudie zur ehemaligen Heil- und Pflegeanstalt Erlangen vorgestellt Historische Verantwortung übernehmen – und führt weiter über einen „Pfad der Behindertenrechte“, vorbei an einem neu gebauten inklusiven Café bis in das Gebäude an der Schwabachanlage. Auf dem Außengelände soll die Struktur der ehemaligen Anlage sichtbar gemacht werden; wichtig ist dafür die noch bestehende Außenmauer des Areals. Das verbliebene Gebäude an der Schwabachanlage wird im Bereich der ehemaligen Seitenflügel um einen Anbau sowie einen offenen Außengedenkort erweitert. Für den Innenraum sind ein stiller Gedenkraum am Ort einer ehemaligen „Hungerstation“, eine Basisausstellung mit interaktiven Elementen und pädagogische Angebote vorgesehen. In einem „Lebenden Archiv“ wird den ermordeten Patientinnen und Patienten eine Stimme gegeben. Die Machbarkeitsstudie sieht als nächsten Schritt eine Vertiefungs- und Auswahlphase vor, bevor ab 2027 konkret geplant wird. Der Gedenk- und Lernort soll 2030 öffnen. Das Gebäude an der Schwabachanlage mit neuem Anbau, inklusivem Café und offenem Gedenkort
| 7 Neues aus dem Uniklinikum Von Montag, 14. Juli, bis Freitag, 18. Juli 2025, finden in Erlangen die Special Olympics Landesspiele Bayern (SOBY) für Menschen mit geistiger Beeinträchtigung statt. Die Veranstaltung setzt ein starkes Zeichen für Inklusion und Teilhabe. Das Uniklinikum Erlangen gewährleistet bei dem Multisportevent die Notfallversorgung bei Unfällen oder Verletzungen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Medizinstudierende engagieren sich als ehrenamtliche Helferinnen und Helfer. Wer auch unterstützen möchte, kann sich noch bis zum 13. April melden. Eine Anmeldung für Sportlerinnen und Sportler ist noch bis zum 16. März möglich. Seit August 2023 ist die Palliativstation des Uniklinikums Erlangen vorübergehend im Klinikum am Europakanal (Am Europakanal 71) untergebracht. Dort findet am Dienstag, 27. Mai 2025, von 12.00 bis 17. 00 Uhr ein Tag der offenen Tür statt. Er präsentiert die Station sowie Interessantes zu Palliativmedizin, Forschung und Lehre. Auf dem Programm stehen u. a. Vorträge, Führungen durch die Station und den neu gestalteten Garten, Musik-, Kunst- und Physiotherapie, Musikdarbietungen, Spiele für Kinder sowie Kaffee und Kuchen. Zeichen für Inklusion und Teilhabe – Medizinstudierende unterstützen Event Tag der offenen Tür am 27. Mai 2025 Special Olympics 2025 in Erlangen Offene Palliativstation Special Olympics verhilft Menschen mit geistiger Behinderung durch den Sport zu mehr Anerkennung, Selbstbewusstsein und gesellschaftlicher Teilhabe. SOBY Landesspiele 2025 www.specialolympics.de/landesverbaende/bayern Tag der offenen Tür in der Palliativmedizin Telefon: 09131 85-34064 Seit 15 Jahren ermöglicht die Palliativmedizinische Abteilung des Uniklinikums Erlangen ein lebenswertes Leben bis zuletzt.
8 | Titel DARMKREBS Prof. Dr. Robert Grützmann verrät, was die beste Vorsorge gegen Darmkrebs ist und worauf es bei der Therapie ankommt. Eine Patientin schildert, wie es ihr mit der Diagnose erging. VON FRANZISKA MÄNNEL „Man muss an Darmkrebs nicht sterben“ „Die Lebensweise ist das A und O“, betont Prof. Dr. Robert Grützmann. „Trotz allem gibt es Schicksal, und wir haben auch hin und wieder Patientinnen oder Patienten unter 40, die gesund gelebt haben, denen wir aber trotzdem einen Tumor entfernen müssen.“ Darmkrebs ist eine Erkrankung, die einen aber meist erst im Alter zwischen 70 und 80 Jahren ereilt, erklärt der Direktor der Chirurgischen Klinik des Uniklinikums Erlangen und Sprecher des hiesigen Darmkrebszentrums. So ging es auch der 71-jährigen Gertrud H. aus dem Landkreis Forchheim. Ihre Frauenärztin hatte bei einer Kontrolluntersuchung okkultes, also mit dem Auge nicht sichtbares Blut in ihrem Stuhl gefunden. Zweieinhalb Wochen später bekam sie eine Darmspiegelung und die Diagnose Enddarmkrebs. „Ich habe das erst einmal beiseitegeschoben und gedacht: Ich merke ja nichts, mir gehts doch gut“, berichtet Gertrud H. Sie ging schwimmen, machte Sport und Gartenarbeit, war für die Enkel da. Ihre letzte Darmspiegelung lag lange zurück – zu lange. „Eigentlich ist die Koloskopie alle zehn Jahre dran“, mahnt Prof. Grützmann. Die Vorsorge sei ein „echter Segen“, wie er sagt. „Ab 50 sollte jede und jeder zur Darmspiegelung, bei familiärer Vorbelastung oder anderen Risikofaktoren auch schon früher“, erklärt er und verrät: „Ich selbst habe nicht gewartet, bis ich 50 war.“ Laut dem Experten verhindert der besagte vorteilhafte Lebensstil, dass der Krebs im Darm überhaupt entsteht: regelmäßig bewegen, nicht rauchen, ausgewogene Ernährung, viele Ballaststoffe, nur wenig rotes und verarbeitetes Fleisch, kein oder nur wenig Alkohol, Normalgewicht. „Ich rate meinen Patientinnen und Patienten vor allem zu Muskelaufbautraining“, führt der Chirurg aus. „Das tut grundsätzlich der Gesundheit gut, hilft aber auch, eine Erkrankung besser zu überstehen. Auch Fastenkuren tragen neuesten Studien zufolge dazu bei, dass wir länger gesünder leben.“ Doch trotz allem: Der Risikofaktor Alter bleibt. Darmspiegelung ist ein Muss Werden bei einer Darmspiegelung Polypen oder Adenome, also potenzielle Krebsvorstufen, entdeckt, werden sie umgehend entfernt. „Das Gute an dieser Untersuchung ist: Wir können nicht nur den ganzen Darm perfekt einsehen, sondern auch gleich Proben entnehmen oder direkt behandeln“, sagt Robert Grützmann. Die Koloskopie bleibe deshalb das diagnostische Mittel der Wahl. „Wer da mitmacht, dem kann ich die Angst nehmen“, betont der Chirurg. →
| 9 Titel Die OP ist die wichtigste Therapie bei Darmkrebs. Neben der äußeren Narbe kommt es vor allem darauf an, dass der Eingriff auch innen gut gemacht ist. Prof. Dr. Robert Grützmann Prof. Grützmann und sein Team behandeln ca. 150 Darmkrebspatientinnen und -patienten jährlich. Darmkrebs wird heute immer öfter minimalinvasiv mit dem Da-Vinci-OP-Roboter operiert.
10 | Titel Fortsetzung von S. 8 „Darmkrebs ist heute kein Todesurteil mehr und kann, vor allem wenn er früh erkannt wird, sehr gut behandelt werden.“ Im Durchschnitt einmal pro Monat operieren Robert Grützmann und sein Team jemanden mit Darmverschluss infolge eines Tumors – so weit müsse es aber nicht kommen: „Wenn wir das Frühstadium erwischen, dann leben diejenigen Darmkrebspatientinnen und -patienten, die am Uniklinikum Erlangen operiert wurden, länger als gleichal- trige Gesunde“, sagt der Experte. Diese gute Prognose hat nun auch Gertrud H., denn auch ihr Karzinom im Enddarm wurde rechtzeitig entdeckt; Lymphknoten waren noch nicht befallen. „Gemeinsam haben wir uns deshalb dafür entschieden, ihren Tumor nur zu operieren, ohne eine vorbereitende Strahlen- oder Chemotherapie“, erklärt Robert Grützmann. Er hat die 71-Jährige mit Unterstützung des Da-VinciOP-Roboters operiert – minimalinvasiv, also mit sehr kleinen Schnitten. „So heilen die Wunden besser und die Genesung geht schneller – gerade, wenn man nicht mehr 20 ist“, ergänzt der Chirurg. „Da Vinci ist zudem von Vorteil, wenn der Tumor schwer zugänglich ist, zum Beispiel bei stark übergewichtigen Patientinnen und Patienten.“ Während früher noch alle Erkrankten eine ähnliche Therapie bekamen, werden Behandlungen heute immer individueller. In großen interdisziplinären Tumorboards entscheiden Angehörige verschiedener Fachrichtungen, darunter Chirurgie, Strahlentherapie, Gastroenterologie, Radiologie und Pathologie, gemeinsam, was das Beste für eine Patientin wie Gertrud H. ist: Braucht sie eine Vorbehandlung? Wird sie nur operiert oder anschließend noch mit einer Chemotherapie oder Bestrahlung weiterbehandelt? „Sieht alles super aus“, befindet Prof. Grützmann zwei Wochen nach der OP. Die beste Wahl Die 2023 im Deutschen Ärzteblatt veröffentlichte WiZen-Studie zeigt: Wer in einem zertifizierten Krebszentrum operiert wird, lebt signifikant länger.
| 11 Titel Darmkrebszentrum Telefon: 09131 85-33201 www.darmkrebszentrum.uk-erlangen.de Könnte sie von einer Immuntherapie profitieren? „Entscheidungen sind heute viel komplexer, aber eben auch viel besser auf den Einzelfall abgestimmt“, so Robert Grützmann. „Unser Ziel ist es ja nicht allein, das Überleben der Betroffenen zu sichern, sondern auch die bestmögliche Lebensqualität für sie zu erreichen.“ Fit für die OP In der OP-Vorbereitung werde deshalb auch die Präha, also die Prähabilitation, immer bedeutsamer. Das heißt, Patientinnen und Patienten werden heute nicht nur hinterher in der Reha, sondern schon vor einem Eingriff fit gemacht: etwa mit Bewegung und Muskelaufbau, guter Ernährung und psychologischer Unterstützung bei Stress oder Ängsten. „Das minimiert postoperative Komplikationen und lässt die Patientinnen und Patienten schneller in ihren Alltag zurückkehren“, erklärt Prof. Grützmann. Keine Angst vorm Stoma Sitzt ein Tumor wie bei Gertrud H. im Enddarm und muss dort herausoperiert werden, bekommen Betroffene mitunter vorübergehend oder auch dauerhaft einen künstlichen Darmausgang, ein Stoma. „Manche Erkrankte sind da skeptisch, aber wenn das gut gemacht wird, hat man damit eine sehr gute Lebensqualität“, verspricht Prof. Grützmann. „Man sieht es unter der Kleidung nicht, man riecht nichts, man kann ein ganz normales Leben führen. Und wenn die Alternative ist, zu sterben, kann ich das eigentlich nicht ablehnen. Wir haben am Uniklinikum speziell ausgebildete Stomatherapeutinnen, die Bücher zum Thema schreiben und tolle pflegerische Arbeit leisten, um Betroffene im Umgang mit dem künstlichen Darmausgang anzuleiten.“ Bei Getrud H. war letztlich gar kein Stoma nötig. Seit ihrer Diagnose rät sie anderen zur Darmkrebsvorsorge. „Es gibt keinen Grund, es nicht zu machen“, findet sie. „Ihre Söhne sollten sich jetzt auch anmelden“, gibt Prof. Grützmann ihr noch mit auf den Weg. „Ich bin wirklich froh über den Eingriff“, sagt Patientin Gertrud H. Video: Darmkrebs vorbeugen und behandeln www.gesundheit-erlangen.com Darmkrebsmonat März Am 12. März 2025 lädt das Darmkrebszentrum des Uniklinikums Erlangen zu einer Patientenveranstaltung ein (17.00–18.00 Uhr, Konferenzraum des Chirurgischen Zentrums, 00.354, Krankenhausstr. 12). Der Eintritt ist frei, eine Anmeldung ist nicht nötig.
12 |Titel DIVERTIKULITIS Eine ungünstige Lebensweise führt zu Ausstülpungen im Dickdarm. Wenn sich diese Divertikel entzünden, kann das sehr schmerzhaft und mitunter gefährlich werden. VON FRANZISKA MÄNNEL Darm unter Druck Im linken Unterbauch liegt ein „Hochdruckgebiet“. So nennt Chirurg PD Dr. Christian Krautz das S-förmige Ende des Dickdarms – das Sigma. „Ein großer Teil der Bevölkerung bekommt dort Probleme, meistens ab 60 Jahren, wenn das Bindegewebe schwächer wird“, erklärt der geschäftsführende Oberarzt der Chirurgischen Klinik des Uniklinikums Erlangen. Das Problem: Ernährt sich jemand ballaststoffarm und bewegt sich kaum, wird der Stuhl fest und kommt im Darm weniger gut voran. Das Sigma gerät unter Druck, es bilden sich Ausstülpungen in der Darmwand. „Diese Divertikulose macht noch keine Beschwerden“, sagt Dr. Krautz. „Aber PD Dr. Christian Krautz zeigt das CT-Schnittbild einer Divertikulitis.
| 13 Titel Risikofaktoren für Darmdivertikel ■ ballaststoffarme Ernährung, zu viel Fett und Fleisch ■ zu geringe Flüssigkeitsaufnahme ■ zu wenig Bewegung ■ zu viel Bauchfett ■ höheres Lebensalter ■ schwaches Bindegewebe wenn sich in den Divertikeln Stuhl festsetzt, können sie sich entzünden. Dann sprechen wir von einer Divertikulitis.“ Wie der Blinddarm, nur links Die entzündeten Aussackungen machen sich durch punktuellen Druckschmerz im Bauch bemerkbar; auch Unwohlsein, Blähungen, Durchfall, Verstopfung und Fieber können auftreten, seltener Erbrechen. „Weil die Beschwerden ähnlich sind, nennen wir die Sigma-Divertikulitis auch den Blinddarm des älteren Menschen. Nur, dass die Schmerzen bei einer Divertikulitis eben meistens links auftreten, nicht rechts wie beim Blinddarm“, erklärt Christian Krautz und fährt fort: „Es vergeht kein Tag und keine Nacht, in der sich hier am Uniklinikum nicht mindestens ein bis zwei Patientinnen oder Patienten mit einer Sigma-Divertikulitis vorstellen. Das ist ein sehr verbreitetes Krankheitsbild.“ Vor allem gelte das für westliche Gesellschaften, viel seltener für asiatische oder afrikanische. Denn: In anderen Kulturen ernähren sich die Menschen oft Im „Colon sigmoideum“ kommt es häufiger zu Stau. ballaststoffreicher. Eine Ernährung aus Fast Food, viel Fleisch und Fett, aber wenig Gemüse, Vollkorn und Hülsenfrüchten setzt den Darm hingegen unter Druck. „Im Normalfall sollte jegliche Nahrung den Körper nach spätestens 48 Stunden wieder verlassen haben“, erklärt Dr. Krautz. „Bei vielen bleibt sie aber 72 Stunden und länger drin. Dann steigt das Risiko für Ausstülpungen.“ Kommen Übergewicht und ein erhöhter Bauchfettanteil hinzu, hemmt das die Darmbewegungen noch zusätzlich. Konservative Therapie reicht oft Diagnostiziert wird eine Divertikulitis mittels Ultraschall oder einer Computertomografie, während der Darm mit Kontrastmittel gefüllt ist. „Eine Darmspiegelung verbietet sich bei einem akuten Verdacht, weil dabei die Gefahr bestünde, dass stark entzündete Bereiche perforieren“, erläutert Christian Krautz. Auf dem CTBild sehen die Ärztinnen und Ärzte, wo genau der entzündete Abschnitt liegt, ob es bereits Abszesse – also abgekapselte Eiteransammlungen – oder gar schon einen Darmdurchbruch gibt. „Auch ein Tumor kann zu einer →
14 | Titel Trinken Sie morgens zu Ihrem Kaffee auch noch eine Tasse Tee. Gerade ältere Menschen trinken oft viel zu wenig. PD Dr. Christian Krautz Fortsetzung von S. 13 Divertikulitis führen, indem er den Darm verengt und so den Druck erhöht“, sagt Dr. Krautz. Grundsätzlich können entzündete Divertikel von allein, also unbehandelt, wieder abheilen. Tun sie das jedoch nicht und verursachen sie größere Beschwerden, etwa starke Schmerzen oder sogar Fieber, ist fachärztliche Hilfe nötig. Standardmäßig wird ein Antibiotikum verschrieben. Zusätzlich können Medikamente den Stuhl regulieren, ihn also dünnflüssiger machen. „Viel trinken ist sehr wichtig und in der Akutphase leicht verdauliche Kost, um den Darm nicht weiter zu reizen und die Entzündung ein paar Tage lang abklingen zu lassen. Hier sind die ansonsten so wichtigen Ballaststoffe ausnahmsweise nicht so ratsam“, gibt Dr. Krautz zu bedenken. In bestimmten Fällen könne auch eine stationäre Versorgung sinnvoll sein, „weil wir das Antibiotikum dann inPatientin Ingrid Lieb am Tag nach ihrer Darm-OP im Gespräch mit Operateur PD Dr. Krautz
| 15 Titel Video: Divertikel – Prävention, Symptome und Behandlung www.gesundheit-erlangen.com travenös verabreichen und sicherstellen können, dass die Entzündung nicht auf den Rest des Körpers übergreift“, so der Experte. „Viele Studien belegen, dass diese konservative, nicht-operative Behandlung das Beste für die Betroffenen ist – also immer dann, wenn lediglich eine Entzündung vorliegt und keine oder nur kleine Abszesse. Bei größeren oder bereits geöffneten Abszessen oder gar einem offenen Durchbruch des Darms in die Bauchhöhle operieren wir – im letzten Fall muss das notfallmäßig innerhalb von zwei Stunden passieren“, erklärt der Chirurg. Das betroffene Darmstück wird dabei entfernt, die gesunden Teile werden wieder miteinander verbunden. Dass die Divertikel danach wiederkommen, ist laut Dr. Krautz sehr unwahrscheinlich, weil das Sigma mit der Kürzung auch entlastet werde. Seiner Erfahrung nach birgt die erste Divertikulitis immer das höchste Risiko für Komplikationen. „Hatte man aber schon fünf Entzündungen, muss man keine Angst mehr vor der sechsten haben“, konstatiert er. Mehr als nur der Darm Keine Angst hatte auch Ingrid Lieb. Die Divertikulitis der 62-Jährigen aus Oberfranken ließ sich nicht mehr konservativ behandeln. Denn die Entzündung hatte bei Ingrid Lieb zu einer Fistel geführt – einer röhrenartigen Verbindung, die in den Vaginaltrakt hineinwuchs. „Meine Gynäkologin stellte das bei ihrer Tastuntersuchung fest und riet mir, das abklären zu lassen“, berichtet die Patientin. Nach einem eindeutigen MRT- und CT-Befund war sie sofort bereit für eine OP – am liebsten in Erlangen. „Ich hätte es mir wirklich schlimmer vorgestellt“, sagt sie nur einen Tag nach dem Eingriff, den Christian Krautz minimalinvasiv durchführte. „Ich fühle mich hier sehr gut aufgehoben“, fügt Ingrid Lieb gut gelaunt hinzu. „Ihr Befund war eher ein komplizierter“, erläutert Dr. Krautz, „weil eben nicht nur der Darm, sondern auch noch ein weiteres Organsystem betroffen war. Für solche komplexen Fälle sind wir am Uniklinikum sehr gut aufgestellt und haben bei Bedarf auch alle anderen Fachrichtungen vor Ort.“ Der Chirurg hat seiner Patientin 20 Zentimeter Darm entfernt. „Nach einer Woche ist die innerliche Naht fest verheilt, nach zwei Wochen können Sie langsam wieder mit Sport anfangen. Schwer heben aber bitte erst nach drei Monaten. Nach der Genesung können Sie wieder genauso leben wie vorher“, informiert er seine Patientin. „Sie kriegen jetzt noch eine Ernährungsberatung, damit Sie auch wissen, wie das mit der Schonkost läuft.“ Ingrid Lieb ist optimistisch. Am meisten freut sie sich darauf, bald wieder auf ihrem Pferd zu sitzen. Chirurgische Klinik Telefon: 09131 85-33296 www.chirurgie.uk-erlangen.de Werden Divertikel zu Krebs? Das Darmkrebsrisiko ist durch Divertikel nicht erhöht. Tumoren entstehen vielmehr aus Darmpolypen, weshalb diese in jedem Fall entfernt werden sollten (s. S. 8).
16 | Titel Gemeinsam gegen Entzündungen Man könnte sagen: Eine Entzündung kommt selten allein. Hat eine Patientin beispielsweise eine chronisch-entzündliche Darmerkrankung (CED), ist es nicht unwahrscheinlich, dass sie z. B. auch an ihrem Muskel-Skelett-System, an Haut oder Augen Beschwerden bekommt – etwa eine Psoriasis-Ar- thritis mit Schuppenflechte und entzündeten Gelenken. Prof. Dr. Raja Atreya, Leiter des Schwerpunkts CED am Uniklinikum Erlangen, spricht hier von „zusammen auftretenden immunvermittelten ENTZÜNDUNGSBOARD Die optimale Behandlung bei chronischen Entzündungen findet sich am besten im Team. Denn oft ist mehr als nur ein Bereich des Körpers betroffen. VON FRANZISKA MÄNNEL entzündlichen Erkrankungen“ und erläutert: „In der Therapie stellen wir uns dann zum Beispiel die Frage: Können wir mit einem Medikament mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen? Es kann aber auch sein, dass das Darmmedikament schon gut wirkt, die Haut aber überreagiert. Oder dass wir ein weiteres Mittel gegen Gelenkschmerzen geben müssen.“ Um Neben- und Wechselwirkungen im Blick zu behalten und die aussichtsreichste Behandlung für jede und jeden Einzelnen zu finden, Im Entzündungsboard werden Patientenfälle interdisziplinär besprochen.
| 17 Titel Entzündungsboard Telefon: 09131 85-44944 E-Mail: dzi-leitung@uk-erlangen.de gibt es am Uniklinikum Erlangen ein interdisziplinäres Entzündungsboard. Dessen Kernteam besteht aus Oberärztinnen und -ärzten der Medizinischen Klinik 1 – Gastroenterologie, Pneumologie und Endokrinologie, der Hautklinik und der Medizinischen Klinik 3 – Rheumatologie und Immunologie. Ebenfalls dabei sind Expertinnen und Experten der Kinderrheumatologie und Kindergastroenterologie sowie der Neurologischen Klinik. Das Gremium gehört dem Deutschen Zentrum Immuntherapie (DZI) des Uniklinikums Erlangen an. Zur Abklärung ans Uniklinikum In großer Runde werden Fälle besprochen wie der einer jungen Patientin mit der Darmerkrankung Morbus Crohn. Die Frau hat zusätzlich eine virusbedingte chronische Leberentzündung und Schuppenflechte. Eine zuweisende Ärztin bittet das Entzündungsboard um eine Einschätzung. Die Patientin hat bereits sehr viele Medikamente bekommen, klagt aber dennoch über starke und auffällige Hautsymptome, vor allem am Kopf. Im Board werden Fotos davon präsentiert. „Wir nehmen sie stationär auf und klären das mit einer Biopsie noch mal genau ab. Die Papeln im Gesicht sind meines Erachtens keine Psoriasis“, beurteilt Prof. Dr. Michael Sticherling den Fall. Der stellvertetende Direktor der Hautklinik hat das Entzündungsboard 2016 mit ins Leben gerufen. Zusammen mit Prof. Atreya und PD Dr. Jürgen Rech von der Medizin 3 gehört er zur „Hauptbesetzung“. Nach der erneuten Untersuchung der Patientin soll nun laut dem Dermatologen entschieden werden, ob bei ihr noch einmal eine systemische Therapie versucht wird – also etwas, das auf den ganzen Körper wirkt anstatt nur lokal auf die Haut. Anderer Fall: eine Patientin mit Dermatomyositis. Die Autoimmunerkrankung befällt Muskeln, Haut und innere Organe. Ein niedergelassener Arzt hatte das Medikament Rituximab empfohlen, nun ist eine Meinung des Entzündungsboards gewünscht. „Rituximab ist okay für sie“, urteilt Dr. Rech, nachdem er alle Informationen über die Betroffene gehört hat. „Ich würde bei der Patientin auch noch ein Organscreening machen“, schlägt eine Kollegin vor. Und so diskutiert das Entzündungsboard nach und nach Fall für Fall. Soll der Patient mit Multi- pler Sklerose und Schuppenflechte eine systemische Therapie bekommen? Was spricht für oder gegen ein bestimmtes Arzneimittel? Was bedeuten die plötzlich stark erhöhten Leberwerte bei einer Frau mit atopischem Ekzem? Soll man wie bisher weiterbehandeln und den Verlauf beobachten oder die Therapie grundsätzlich anpassen? Für komplexe Fälle „Das alles gemeinsam auszuloten, ist sehr gewinnbringend – vor allem bei komplexen Krankheitsbildern, die schwer behandelbar sind“, sagt Raja Atreya. „Gerade auch der Austausch zwischen den Erwachsenen- und den Kindermedizinerinnen und -medizinern ist aufschlussreich.“ Alle bringen das Wissen und die Erfahrungen aus ihrem jeweiligen Fachgebiet ein, „und jeder von uns geht aus dem Board auch etwas schlauer raus, als er oder sie reingekommen ist“, so Prof. Atreya. „Kinderfachärztinnen und -ärzte können zum Beispiel eine neuartige Therapie unter Umständen auch bei Kindern oder Jugendlichen versuchen, wenn es in der Erwachsenenmedizin damit Erfolge gab.“ Was bei einer Erkrankung hilft, könnte eventuell eine andere verschlimmern. Hier braucht es den fachübergreifenden Ansatz. Prof. Dr. Raja Atreya
Stau im Bauch MORBUS HIRSCHSPRUNG Wenn Nervenzellen im Darm fehlen, kann er seinen Inhalt nicht normal weitertransportieren. Es kommt zu einem gefährlichen Stau. Die Erlanger Kinderchirurgie bietet Betroffenen eine deutschlandweit einzigartige Therapie an. VON FRANZISKA MÄNNEL 18 |Titel
| 19 Titel „Oft werden Kinder mit chronischen Bauchschmerzen auf die Psychoschiene geschoben“, sagt Prof. Dr. Manuel Besendörfer. „Dann heißt es: Da gibt es Probleme in der Familie und die projizie- ren sich aufs Kind. Irgendwann glauben das die Eltern und die Betroffenen selbst. Dabei gibt es vielleicht eine organische Ursache, die aber einfach nicht entdeckt wird.“ Der Leiter der Kinderchi- rurgischen Abteilung des Uniklinikums Erlangen hat schon viele verzweifelte Eltern erlebt; er berichtet von unermüdlichen Müttern, die ihn weinend baten, ihrem Kind zu helfen, weil sie sicher waren, dass da etwas nicht stimmte. „Wir müssen diese Patientinnen und Patienten ernst nehmen, wir müssen ihnen irgendetwas anbieten“, betont Prof. Besendörfer. Auch der heute 15-jährige Aaron hat Eltern, die nicht lockerließen. „Er hat als Baby Tag und Nacht durchgeschrien“, erinnert sich seine Mutter Doreen K. „Heute denken wir, dass er höchstwahrscheinlich Schmerzen hatte.“ Aaron hatte nie einen normalen Stuhlgang, musste abführen, konnte nicht normal essen. Jahrelang pilgerten die Eltern von Ärzten zu Naturmedizinerinnen zu Osteopathen und wieder zurück. Viermal wechselten sie den Kinderarzt. Erst im Alter von sechs Jahren bekam Aaron die Dia- gnose Morbus Hirschsprung. Harmlos oder ernst? „Das Schwierige ist, diese seltene Erkrankung von chronischer Verstopfung zu unterscheiden, unter der ja insgesamt 10 bis 20 Prozent aller Kinder leiden, die aber keine organische Ursache hat und sich irgendwann auswächst“, erklärt Oberärztin PD Dr. Sonja Diez von der Erlanger Kinderchirurgie. „Die Symptome sind sehr ähnlich.“ Eines von 5.000 Babys hat Morbus Hirschsprung – eine angeborene Fehlbildung des Dickdarms, bei der bestimmte Nervenzellen in der Darmwand fehlen. → Glückliche Patientenfamilie, glückliches Behandlungsteam: Aaron mit Mutter Doreen K., Prof. Dr. Manuel Besendörfer und PD Dr. Sonja Diez (r.). Heute geht es dem Teenager endlich wieder gut.
20 | Titel Fortsetzung von S. 19 Dadurch ist das Verdauungsorgan in seiner Beweglichkeit beeinträchtigt. Stuhl wird nicht normal weitertransportiert und staut sich. Dies führt dazu, dass sich der gesunde Darmabschnitt oberhalb des betroffenen Segments extrem aufbläht. Erkrankte Kinder leiden unter Verstopfung, sehr festem Stuhl und starken Bauchschmerzen. Dadurch haben sie wiederum wenig Antrieb und Lebensfreude. Wird Morbus Hirschsprung direkt nach der Geburt dia- gnostiziert, kommen die betroffenen Kinder oft auf die Intensivstation. Denn: Durch den angestauten Stuhl siedeln sich Bakterien an und es kann eine lebensbedrohliche Infektion entstehen. Eine enorme Belastung „Bei weniger schweren Formen kommen die Familien irgendwie über die Runden. Phasenweise geht es, dann wird es wieder schlechter“, erklärt Manuel Besendörfer. So war es auch bei Aaron. „Wir haben uns so durchgehechelt“, beschreibt es die Mutter. Sie habe aber immer gewusst, dass ihr Sohn ernsthaft krank sei. Nur, was er hatte, konnte den Eltern niemand sagen. Wenn der Teenager früher zu Geburtstagen eingeladen war, hatte er oft seine eigene Brotdose dabei. Er verzichtete auf Zucker, His- tamin, Milcheiweiß, Laktose, Hefe. Schon immer war er zu dünn. Mit Leinsamen und homöopathischen Mitteln versuchten die Eltern, seine Verdauung anzuregen. „Es war eine Odyssee“, erinnert sich Doreen K., „und eine enorme familiäre Belastung. Denn wenn sich der ganze Alltag nur noch um Essen, Toilettengänge, Bauchschmerzen, Arztbesuche, Trost- und Durchhaltegespräche dreht, gibt es kein normales Familienleben mehr.“ Erst, als Aaron wegen einer anderen Erkrankung in der Kinderurologie des Uniklinikums Erlangen behandelt wurde, äußerten die dortigen Ärztinnen und Ärzte den entscheidenden Verdacht, dass die Bauchbeschwerden des Jungen von einer Darmerkrankung herrühren könnten, und vermittelten ihn an die Kinderchirurgie weiter. Dass dort nach Jahren Aarons Krankheit endlich erkannt wurde, bezeichnet Doreen K. als die größte Erleichterung ihres Lebens. Sich jeden Tag selbst den Darm spülen - das ist nicht das Leben, das sich ein Neunjähriger wünscht. PD Dr. Sonja Diez Oben: Alles, was Aaron braucht: Handy mit App (l.), Kommunikationsgerät (Mitte) und Schrittmacher (auf der Hand). Unten: Um eine Verbindung zwischen Kommunikationsgerät und Schrittmacher herzustellen, hält sich der Patient das flache weiße Kästchen an den unteren Rücken. PD Dr. Sonja Diez überprüft die aktuelle Stimulationsstärke in der App.
| 21 Titel Sprechstunde für Koloproktologie Telefon: 09131 85-32923 E-Mail: kinderchirurgie@uk-erlangen.de „Ich habe jetzt ein normales Leben“ In der Kinderchirurgie nahmen Manuel Besendörfer und Sonja Diez 2019 schließlich einen bei Kindern ungewöhnlichen Eingriff vor: Sie setzten Aaron im Alter von nur neun Jahren am Kreuzbein (Sacrum) einen kleinen Schrittmacher ein (s. Bild S. 20). Eine Elektrode stimuliert seitdem mit leichten Stromimpulsen die Nerven am unteren Ende der Wirbelsäule. Das beeinflusst die Kommunikation zwischen Gehirn und Darm und normalisiert so die Darmtätigkeit. Die Stärke der Stimulation regelt Aaron über eine Smartphone-App. „Den Strom spüre ich eigentlich so gut wie nicht mehr. Ich habe jetzt ein komplett normales Leben“, berichtet der Schüler. Prof. Besendörfer entgegnet, er habe genau diesen Satz schon einmal gehört – von einem anderen Kind mit sakralem Schrittmacher. „Diese Worte aus dem Mund eines Acht- oder Neunjährigen, der noch gar nicht so viel Leben hinter sich hat – sie zeigen, wie unzumutbar die Situation vorher war und wie viel Verbesserung diese Therapie bringt“, verdeutlicht der Kinderchirurg. Nur in Erlangen möglich 25 Patientinnen und Patienten haben die Erlanger Kinderchirurginnen und -chirurgen bisher einen sakralen Schrittmacher eingesetzt. Bei Erwachsenen ist das Verfahren bei chronischer Verstopfung bereits zugelassen, bei Minderjährigen ist es nur als Off-Label-Therapie im Rahmen von klinischen Studien möglich. „Es gibt die Universitätsmedizin, damit wir genau so etwas machen können“, freut sich Sonja Diez, und fügt an: „Wir sind immer noch deutschlandweit das einzige Zentrum, das die sa- krale Neuromodulation für Kinder anbietet. Und wir sind froh, einem Neunjährigen nicht sagen zu müssen, dass er selbst jeden Tag Darmspülungen machen soll. Das ist nicht das Leben, das sich ein Kind wünscht.“ Bei langwierigen, unklaren Bauchbeschwerden können kinderärztliche Praxen ihre Patientinnen und Patienten jederzeit zur Abklärung ans Uniklinikum Erlangen überweisen. „In unserem inter- disziplinären kinderchirurgisch-kindergastroente- rologischen Board prüfen wir dann, wo genau das Problem liegt und was wir der jeweiligen Familie anbieten können“, schildert Prof. Besendörfer. Für die Diagnose Morbus Hirschsprung ist zum Beispiel eine Biopsie aus dem Darm die zuverlässigste Methode, denn sie weist die fehlenden Nervenzellen zweifelsfrei nach. Dann wird u. a. besprochen, ob der betroffene Darmabschnitt entfernt werden kann oder ob eventuell auch ein Schrittmacher sinnvoll ist. „Würde die Neuromodulation nicht den gewünschten Erfolg bringen, könnten wir das Implantat einfach wieder entfernen, ohne Nachteile für den Patienten“, erläutert Manuel Besendörfer. Auch Aarons Familie hatte der Kinderchirurg erklärt, dass die Chancen für einen Erfolg „50 zu 50“ stehen. „Wir haben damals alle sofort gesagt: ,Das probieren wir!‘“, so Doreen K. „Seitdem ist so viel Ruhe und Normalität eingekehrt. Aaron spielt Tennis, kann an Klassenfahrten teilnehmen und fährt jetzt sogar zum Schüleraustausch nach Frankreich. Das wäre früher undenkbar gewesen!“ Die dankbarsten Eltern sind die, die nach Jahren der Suche bei uns endlich eine Diagnose und eine Therapie bekommen. Prof. Dr. Manuel Besendörfer Video: Hilfe bei Morbus Hirschsprung www.gesundheit-erlangen.com
22 | Medizin Wunderwaffe oder unterschätztes Risiko? SPRECHSTUNDE Seine hohe Wirksamkeit macht Kortison zu einem wichtigen Medikament gegen akute und chronische Entzündungen. Wie genau es wirkt, welche Vorteile es bietet und welche Risiken dennoch zu beachten sind, erläutern Hautarzt Prof. Dr. Michael Sticherling und Internist Dr. Jochen Wacker. INTERVIEW VON MARIE BÖHM KORTISON
| 23 Medizin Prof. Dr. Michael Sticherling, stellvertretender Direktor der Hautklinik des Uniklinikums Erlangen Dr. Jochen Wacker, Funktionsoberarzt der Medizinischen Klinik 3 – Rheumatologie und Immunologie des Uniklinikums Erlangen Wie wirkt Kortison im Körper? Prof. Sticherling: Kortison ist ein körpereigenes lebenswichtiges Hormon, das in der Nebennierenrinde gebildet wird und essenzielle Stoffwechselvorgänge im Körper reguliert. Es ist für die Stressreaktion, die Regulation des Blutdrucks und Funktionen wie Fett- und Proteinstoffwechsel, für die Zuckerneubildung und den Wasser- und Elektrolythaushalt wichtig. Und inwiefern hilft es als Medikament bei entzündlichen Erkrankungen? Dr. Wacker: Indem Kortison effektiv auf die unterschiedlichen Zellarten des Immunsystems wirkt und deren Aktivierung verhindert oder reduziert, sorgt es dafür, dass Entzündungen abklingen. In welchen konkreten Fällen ist Kortison das Mittel der Wahl? Dr. Wacker: Kortison wirkt innerhalb von wenigen Stunden bis Tagen. Entsprechend wird es vor allem dann eingesetzt, wenn Entzündungsreaktionen schnell beendet werden sollen. Nach Organtransplantationen, bei Nebenniereninsuffizienz und schweren Autoimmunerkrankungen wäre eine Therapie ohne Kortison kaum möglich. Es wird vor allem dann verwendet, wenn eine Krankheit neu diagnostiziert wurde und ein schneller Wirkeintritt wichtig ist, um Schmerzen zu lindern, eine Schädigung von Organen und manchmal auch eine Gefahr für das Leben der Patientin beziehungsweise des Patienten zu vermeiden. Prof. Sticherling: Auch bei zahlreichen entzündlichen Hauterkrankungen im akuten Stadium – beispielsweise bei Schuppenflechte, Neurodermitis, Knötchenflechte oder Nesselsucht – wird künstlich hergestelltes Kortison eingesetzt. Welche Formen der Kortisontherapie werden jeweils wann angewendet? Dr. Wacker: Am häufigsten ist die orale Anwendung in Tablettenform. Bei hohen Dosierungen erfolgt die Gabe als Infusion, damit die Substanz ausreichend aufgenommen wird. Wenn lokale Entzündungen – beispielsweise von einzelnen Gelenken – den Einsatz von Kortison erfordern, kann es auch direkt in das betroffene Gelenk injiziert werden, sodass das Präparat nur örtlich und wenig bis gar nicht auf den gesamten Körper wirkt. Prof. Sticherling: Gerade bei Hauterkrankungen ist vorrangig die lokale Anwendung von Kortison geeignet. Dafür sind verschiedene Creme- und Salbengrundlagen in breiter Auswahl und verschiedenen Wirkstärken verfügbar. Orale und injizierbare Kortisonpräparate werden bei schweren und ausgedehnten Hauterkrankungen, insbesondere auch bei der Mitbeteiligung von anderen Organen, eingesetzt. Welche Faktoren bestimmen die optimale Dosierung von Kortison? Prof. Sticherling: In der Dermatologie kommt es vor allem auf die Körperstelle an. Die Gesichtshaut und das Dekolleté sind beispielsweise besonders empfindlich, während Kopfhaut und Hand- sowie Fußflächen eher weniger sensibel sind. Bei Kindern muss die noch junge und dünne Haut in die Entscheidung zur Kortisongabe einbezogen werden. Sie bekommen deshalb maximal Kortisonpräparate der Wirkstärkeklasse 1 oder 2. Dr. Wacker: Oft wird die Anfangsdosis nach →
24 | Medizin Fortsetzung von S. 23 dem Körpergewicht von Patientinnen und Patienten berechnet. Entscheidender ist aber meist zunächst die Einschätzung, ob eine Krankheit aktiv ist und ob Organe bedroht sind oder im schlimmsten Fall das Leben. Bei Kindern sind neben den bei Erwachsenen auftretenden Nebenwirkungen auch die Folgen für das Wachstum zu beachten, besonders, was die Knochen betrifft. Stichwort Nebenwirkungen: Womit ist bei einer Kortisontherapie zu rechnen? Dr. Wacker: Bei einer oralen Therapie kommt es nach einigen Wochen zu einer Umverteilung des Körperfetts mit typischen Merkmalen wie Mondgesicht, Fetteinlagerungen an Oberkörper, Bauch und Hüfte und dünnen Armen und Beinen – dem sogenannten Cushing-Syndrom. Zudem kann Kortison den Blutzuckerspiegel ansteigen lassen und das Risiko für Diabetes steigern. Osteoporose und Muskelschwäche sind häufige Folgen, die das Sturz- und Frakturrisiko erhöhen. Das HerzKreislauf-System kann ebenfalls leiden, da Bluthochdruck und Thrombosen auftreten können. Darüber hinaus führt die Unterdrückung des Immunsystems zu einer gesteigerten Infektanfälligkeit. Auch die Psyche bleibt nicht unbeeinflusst – einige Patientinnen und Patienten entwickeln Schlafstörungen oder depressive Verstimmungen. Prof. Sticherling: Aus dermatologischer Sicht sind Dehnungsstreifen, eine verzögerte Wundheilung, eine erhöhte Infektionsrate und das Dünnwerden der Haut typische Nebenwirkungen nach mehreren Wochen der Kortisonanwendung. Von einer Verdünnung kann sich die Haut meist nur dann erholen, wenn sie noch nicht sehr ausgeprägt ist und die Haut nach ärztlicher Absprache entsprechend gepflegt wird. Wie lassen sich diese Risiken minimieren? Prof. Sticherling: Entscheidend ist, die Kortisondosis schrittweise zu reduzieren – natürlich immer unter ärztlicher Aufsicht. Grundsätzlich gilt: Je länger Kortison eingenommen wurde, desto langsamer sollte es ausgeschlichen werden. Wird es nämlich zu abrupt abgesetzt, kann es zu Müdigkeit, Kreislaufproblemen und selten sogar zu lebensgefährlichen Komplikationen kommen, insbesondere, wenn das Kortison über einen längeren Zeitraum oder in hoher Dosis eingenommen wurde. Darüber hinaus kann die behandelte Krankheit durch schlagartiges Absetzen erneut ausbrechen. Dr. Wacker: Eine gesunde Lebensweise kann vie- le Nebenwirkungen von Kortison abschwächen. Grundsätzlich sind eine kalziumreiche Ernährung, Bewegung, wenig Zucker und wenig Salz zu empfehlen. Existieren gute Kortisonalternativen? Dr. Wacker: Ja, ein Beispiel sind sogenannte Biologika – speziell entwickelte Eiweißstoffe, die unter anderem bei Rheuma, Asthma, Neurodermitis und Morbus Crohn entzündungsfördernde Botenstoffe blockieren können. Da Biologika gezielt auf das Immunsystem wirken, ist das Risiko für Nebenwirkungen verglichen mit einer Kortisonbehandlung deutlich reduziert. Prof. Sticherling: Trotzdem ist Kortison wegen seiner schnellen Wirksamkeit im akuten Fall noch immer sinnvoll, sollte aber im Behandlungsverlauf bestenfalls von Alternativen abgelöst werden. Möglich ist das, wenn die Krankheit gut kontrollierbar und die Kortisontherapie nicht lebensnotwendig ist. Gibt es Entwicklungen, die eine verbesserte Anwendung von Kortison versprechen? Prof. Sticherling: Kürzlich wurden synthetische Kortisonabkömmlinge entwickelt, die bei der derMerksatz Für Kortison gilt: So viel wie nötig, aber so wenig wie möglich. Eine kurzzeitige Einnahme ist in der Regel unbedenklich.
| 25 Medizin Anzeige Wissenswertes zu Kortison ■ Kortison ist die inaktive Vorstufe des Hormons Kortisol (bekannt als Stresshormon) und wird in der Leber in das aktive Kortisol umgewandelt. In Medikamenten wird daher oft synthetisches Kortison verwendet, das erst im Körper aktiviert wird. ■ Die Entdeckung von Kortison wurde 1950 mit dem Nobelpreis für Medizin ausgezeichnet. ■ Sportlerinnen und Sportler aufgepasst! Kortison steht auf der Dopingliste, weil es Schmerzen lindern und die Leistungsfähigkeit steigern kann. matologischen Anwendung bereits in der Oberhaut abgebaut werden und daher nicht mehr in relevanten Mengen ins Körperinnere gelangen. Dies ist bei älteren Kortisonpräparaten durchaus noch möglich. Außerdem können moderne Cremegrundlagen die Kortisonaufnahme und -wirkung günstig beeinflussen. Dr. Wacker: Da Kortison eine gut erforschte Sub- stanz ist, sind kaum neue bahnbrechende Studien zur Wirkung an sich zu erwarten. Wichtig sind vielmehr Untersuchungen dazu, in welcher Dosis und über welchen Zeitraum Kortison in der Kombination mit anderen, neu entwickelten Behandlungen eingesetzt werden sollte. Diese neuen Forschungsergebnisse werden helfen, die Kortisontherapie bei bestimmten Krankheitsbildern besser zu steuern oder im besten Fall zu ersetzen. Wie bewerten Sie den Einsatz von Kortison bei Schwangeren oder älteren Personen? Dr. Wacker: Schwangere können mit Kortison behandelt werden, ohne dass es zu einer Schädigung von Embryo oder Fötus kommt. Bei älteren Menschen muss besonders auf die Osteoporose, den Muskelabbau und die Infektgefährdung geachtet werden, da diese typischen Kortisonnebenwirkungen im höheren Alter ohnehin vermehrt auftreten. Prof. Sticherling: Auch an der Haut können Schwangere in der Regel bei kurzfristiger und begrenzter Anwendung mit Kortisonderivaten behandelt werden. Bei längerer und großflächiger Anwendung ist es jedoch möglich, dass das Körperinnere der Mutter und damit auch das ungeborene Kind beeinflusst werden. Auch die Haut älterer Menschen ist anfälliger für Nebenwirkungen, da sie deutlich dünner ist und Reparaturmechanismen eingeschränkt sind.
26 | Medizin Magnetismus trifft Medizin Die Magnetresonanztomografie (MRT) wird genutzt, um Weichteilgewebe und das zentrale Nervensystem sichtbar zu machen. Ihre Geschichte begann in den 1940er-Jahren, als die Physiker Felix Bloch und Edward Purcell die Grundlagen der Kernspinresonanz (Nuclear Magnetic Resonance, NMR) beschrieben. Beide erhielten dafür 1952 den Nobelpreis für Physik. Ihre Arbeiten basierten auf dem, was andere bereits zuvor erkannt hatten, etwa Nikola Tesla, der darstellte, wie Magnetfelder entstehen, oder Otto Stern, der das magnetische Moment des Protons entdeckte. Anfangs diente die NMR allein der chemischen Analyse molekularer Strukturen. Die Anfänge in Erlangen In Erlangen trieb Alexander Ganssen die Entwicklung voran. 1965 übernahm er bei Siemens die Leitung des neuen Elektronenspin- und Kernresonanzlabors und MEDIZIN GESTERN UND HEUTE In das Innere eines Menschen schauen, ohne das Skalpell anzusetzen – das ermöglicht die Magnetresonanztomografie. Sie basiert auf wissenschaftlichem Pioniergeist und jahrzehntelanger Forschung. VON LUISE LAUFER meldete 1967 das weltweit erste Patent für ein Ganzkörper-NMR-Gerät an, das den Blutfluss messen konnte. Schon früh war er davon überzeugt, dass sich die Kernspinresonanz neben dem Röntgen und der Computertomografie in der medizinischen Diagnostik etablieren würde. Auch mit seinem Patent zur Beschreibung von Kontrastmitteln und seiner These, dass die Kernspinresonanz zur Früherkennung von Krebs geeignet ist, war Alexander Ganssen seiner Zeit weit voraus. Bis zur klinischen Anwendung sollte es aber noch einige Zeit dauern. In den 1970er-Jahren entwickelten die späteren Medizin-Nobelpreisträger Paul Lauterbur und Peter Mansfield die Technologie weiter, indem sie Gradienten einführten, die das Magnetfeld änderten. So ebneten sie schließlich den Weg für die klinische Anwendung in den 1980er-Jahren – im deutschsprachigen Raum hatte sich inzwischen der Name Magnetresonanztomografie etabliert. Links: Das Innere von Alexander Ganssens Kopf, aufgenommen Anfang der 1980er-Jahre. Rechts: Prof. Dr. Michael Uder im Jahr 2024 vor einem sehr detaillierten MRT-Bild eines Schädels.
| 27 Medizin Im Keller klopfts In vielen Krankenhäusern befindet sich die Radiologie im Untergeschoss, da ein MRT-Gerät mehrere Tonnen wiegt und damit die Statik eines Gebäudes belasten kann. Eines der schwersten MRTs am Uniklinikum Erlangen ist der „Magnetom Terra“ von Siemens mit 25 Tonnen. Kompaktere Geräte wiegen „nur“ etwa 3 Tonnen. Im Takt Wer schon einmal im MRT lag, kennt die teils lauten Klopf- und Brummgeräusche, die das Gerät erzeugt. Diese entstehen, weil Magnetspulen blitzschnell ein- und ausgeschaltet werden, um die genaue Protonenposition zu bestimmen. Die durch die Bewegung der Spulen erzeugten Vibrationen werden durch die geschlossene Bauweise eines MRTs verstärkt – ähnlich wie beim Resonanzkörper einer Gitarre. Die MRT nutzt die Protonen in den Wasserstoffatomen unseres Körpers. Diese haben einen sogenannten Spin und drehen sich permanent um ihre eigene Achse (deshalb auch Kernspintomografie). In ihrem Grundzustand weisen die Kernachsen in alle mögliche Richtungen. Durch das starke Magnetfeld eines MRTs lassen sich die Protonen dann zunächst in eine bestimmte Position bringen. Sobald das Gerät zusätzlich über Gradientenspulen kurze, hochfrequente Wellen aussendet, werden die Protonen wiederum gezielt gestört. Nach dem Abschalten der Radiowellen kehren die Protonen in ihren Grundzustand zurück und geben dabei Energie in Form von Signalen ab. Diese fallen je nach Art des umliegenden Gewebes – Fett, Muskeln, Flüssigkeiten oder andere Strukturen – unterschiedlich aus. Ein Computer verarbeitet die Daten zu hochaufgelösten Schnittbildern. Heute unverzichtbar Die MRT ist aus Klinik und Wissenschaft nicht mehr wegzudenken. Sie dient u. a. der Diagnose und Verlaufsbeobachtung von Tumoren, Schlaganfällen, Herzkrankheiten und Gelenkproblemen. Da sie ohne ionisierende Strahlung auskommt, gilt sie als besonders schonend. Moderne MRT-Systeme bieten eine beeindruckende Bildauflösung und erlauben nicht nur die Darstellung anatomischer Strukturen, sondern auch die Analyse von Gewebefunktionen. So kann mit der funktionellen MRT Gehirnaktivität in Echtzeit beobachtet werden. Auch in der Forschung spielt die MRT weiterhin eine zentrale Rolle. So hat sie etwa in der Neurowissenschaft wesentlich dazu beigetragen, dass wir heute besser nachvollziehen können, wie das Gehirn funktioniert und wie es aufgebaut ist. Und sie hilft, komplexe Netzwerke im Gehirn zu kartieren und neurodegenerative Erkrankungen wie Alzheimer besser zu verstehen. Fortschritte in der Hardware, etwa durch leistungsstärkere Magneten und empfindlichere Detektoren, könnten die Bildqualität in Zukunft weiter steigern. Gleichzeitig erlaubt künstliche Intelligenz eine immer schnellere und präzisere Auswertung der Daten. Auch die Entwicklung mobiler MRTs könnte die Einsatzmöglichkeiten erweitern. Eine von Siemens Healthineers und einem Team um Prof. Dr. Michael Uder, Direktor des Radiologischen Instituts des Uniklinikums Erlangen, entwickelte Niedrigfeld-MRT-Plattform wurde 2023 mit dem Deutschen Zukunftspreis prämiert. Ein Exemplar des Magnetom Free.Star spendeten die Gewinner an ein Krankenhaus in Peru, um auch für die Menschen dort moderne Bildgebungstechnologien zugänglich zu machen. Der mit dem Deutschen Zukunftspreis prämierte Magnetom Free.Star erlaubt eine einfache Installation und Handhabung.
RkJQdWJsaXNoZXIy ODIyMTAw