Gesundheit erlangen - Sommer 2025

Das kostenlose Magazin des Uniklinikums Erlangen | www.gesundheit-erlangen.com | Sommer 2025 ■ Transplantationsbeauftragte: warum ihre Arbeit so wichtig ist ■ Nierenspende: Josef Zach lebt mit der Niere seiner Frau ■ In der Warteschleife: der lange Weg zum Spenderorgan Mein Organ – dein Leben Der Schweiß fließt Expertentipps gegen starkes Schwitzen Pflege, die verbindet Unterschiede sehen, Gemeinsames stärken Blut ist Leben Warum ein Dreijähriger Blutspenden braucht

| 3 Editorial „Eigentlich wollte ich mir auch einen Organspendeausweis holen“, sagte eine Freundin neulich. „Aber dann habe ich auf Facebook ein paar Sachen gelesen. Zum Beispiel, dass Ärztinnen und Ärzte vielleicht nicht mehr alles für mich geben, wenn ich Organspenderin bin. Das hat mich total verunsichert.“ Sie schaute mich fragend an. Mit ihren Zweifeln ist sie nicht allein. Gerade in sozialen Netzwerken kursieren viele Mythen. Erzählungen, die Misstrauen schüren, wo es Klarheit und Vertrauen braucht. Die Wahrheit: Die Organspende ist in Deutschland streng geregelt. Kein Organ wird entnommen, solange nicht zweifelsfrei der irreversible Hirnfunktionsausfall festgestellt wurde. Dieser Zustand ist unumkehrbar. Er ist das Ende des Lebens. Doch: Organspende ist kein leichtes Thema. Es berührt existenzielle Fragen – über Leben, Tod und Menschlichkeit. Viele derjenigen, die sich diese Fragen stellen, möchten instinktiv helfen, stimmen einer Organentnahme nach ihrem Tod also grundsätzlich zu. Doch die Wenigsten haben diesen Willen dokumentiert. Dieses Magazin soll Sie daran erinnern, sich zu entscheiden – falls Sie es noch nicht getan haben. Ganz gleich, ob Ihre Antwort Ja oder Nein lautet: Halten Sie Ihren Wunsch fest, zum Beispiel auf einem Organspendeausweis oder im Organspenderegister, und sprechen Sie darüber mit Ihren Angehörigen – damit diese am Ende nicht mit einer Entscheidung allein sind, die Sie selbst nicht mehr äußern können. Entscheiden Sie sich jetzt Chefredakteurin von „Gesundheit erlangen“ Unsere Artikel zeigen, welche Fragen, Ängste und Hürden mit einer Organspende einhergehen – aber auch welche Hoffnungen und welches neue Lebensglück. So erklärt der Transplantationsbeauftragte Prof. Dr. Carsten Willam, wie er potenzielle Organspenderinnen und -spender auf der Intensivstation erkennt, wie er mit Angehörigen spricht und gemeinsam mit ihnen ermittelt, was sich die verstorbene Person gewünscht hätte (S. 10). Ein Ehepaar berichtet vom großen Glück einer erfolgreichen Lebendnierenspende im Rentenalter (S. 14) und ein Wartelistenpatient davon, wie er fast sein halbes Leben an der Dialyse verbrachte. Nun steht die unausweichliche Transplantation kurz bevor (S. 18). Meiner Freundin werde ich ein Exemplar dieser Ausgabe mitbringen. Vielleicht können zu ihrer Entscheidung auch die folgenden Worte beitragen, die ein dankbarer Empfänger eines Spenderherzens anonym an die Familie des Spenders richtete: „Niemand kann immer ein Held sein, aber er kann immer ein Mensch sein. Dieses Bild beschreibt so treffend, wie Ihr Angehöriger noch in seiner letzten Stunde ein unvergleichlich strahlendes Zeichen von Menschlichkeit setzte. Er ist auch in diesem Moment ein ganz besonderer Mensch. […] nicht nur für mich!“ Blut rettet Leben … auch das des kleinen Felix. Jede Woche bekommt der Drei- jährige, der an einer seltenen Knochenmarkserkrankung leidet, Bluttransfusionen. Doch gerade im Sommer sinken regelmäßig die Blutspendezahlen. Ein Appell an alle gesunden Erwachsenen, sich in der Blutspende des Uniklinikums Erlangen zu melden (S. 38).

4 | Themen dieser Ausgabe SOMMER, SONNE, SCHWEIß Was tun, wenn der Körper nicht aufhört zu schwitzen? Eine Dermatologin und ein Thoraxchirurg erklären, welche Therapien das Uniklinikum Erlangen bei Hyperhidrose anbietet. 3 Editorial NEUES AUS DEM UNIKLINIKUM 6 Hauptamtlicher Ärztlicher Direktor | Neue Leitung der HNO-Klinik 7 Krisenintervention in der Psychiatrie | Uniklinikum unter Top-Kliniken TITEL 8 Perfect Match Rund um Organspende und -transplantation 10 Postmortale Organspende Wie Transplantationsbeauftragte arbeiten 14 Lebendnierenspende Josef Zach lebt mit der Niere seiner Frau 18 „Dann schließt sich der Kreis“ Das Warten auf ein Spenderorgan FEATURE 22 Pflege, die verbindet Wie kulturell diverse Teams gemeinsam funktionieren MEDIZIN 28 Sprechstunde Hilfe bei Hyperhidrose 32 Medizin gestern und heute Von Pest bis Pandemie: Hygiene ist überall 36 Mittel der Wahl Zitrone: ein Spritzer Gesundheit 37 Kleine Sp[r]itze – Kolumne I want it that way MENSCHEN 38 Meine Geschichte Warum der dreijährige Felix dringend Blutspenden braucht – und bald eine Knochenmarktransplantation MEINE NIERE – DEINE NIERE Eva Zach hat ihrem Mann Josef eine Niere gespendet. Warum dieses Geschenk für das Ehepaar aus Allersberg die beste Entscheidung war. 14 28

| 5 Themen dieser Ausgabe Video Weiterführende Informationen Kontaktaufnahme Persönlicher Kontakt zur Redaktion 42 Zwei Seiten des angehenden Kinder- und Jugendlichen- psychotherapeuten Maximilian Schulle-Hermann 44 Aus dem Medizinkästchen Medizinethikerin Dr. Caroline Hack ERNÄHRUNG 46 Göttlich grün Trendfood: Green-Goddess-Salat KOPFSACHE 48 Wenn seelische Wunden Schichten haben kPTBS – ein neues Krankheitsbild ERFORSCHT UND ENTDECKT 45 Neues Selbsthilfeangebot bei Hirntumoren 53 „Boulder dich stark“ sucht Teilnehmende 54 Telefonaktion: starker Beckenboden 55 Mako-Roboter jetzt auch bei Hüft-OPs AKTIV LEBEN 56 Starker Auftritt Kräftigende Übungen für die Füße ZUM SCHLUSS 60 RTL-Dreh am Uniklinikum Erlangen 61 Rätsel | Gewinnspiel 62 Vorschau | Impressum ENDLICH WIEDER KIND SEIN Der dreijährige Felix leidet an schwerer aplastischer Anämie – nur dank regelmäßiger Bluttransfusionen ist er noch am Leben. Weshalb seine Familie dennoch Hoffnung hat. PFLEGE, DIE VERBINDET Ob von den Philippinen, aus Indien oder Deutschland – Pflegefachkräfte aus aller Welt haben dasselbe Ziel: Menschen begleiten und Fürsorge geben. 38 22

6 | Neues aus dem Uniklinikum Der erste hauptamtliche Ärztliche Direktor des Uniklinikums Erlangen heißt Prof. Dr. Dr. h. c. Heinrich Iro. Er wurde vom Bayerischen Staatsminister für Wissenschaft und Kunst und Aufsichtsratsvorsitzenden des Uniklinikums Erlangen, Markus Blume, zum 1. April 2025 für zunächst fünf Jahre ernannt. Gleichzeitig wurde Prof. Iro von seinem Amt als Direktor der HalsNasen-Ohren-Klinik Prof. Dr. Dr. h. c. Heinrich Iro zum 1. April 2025 erneut ernannt Hauptamtlicher Ärztlicher Direktor – Kopf- und Halschirurgie emeritiert. Seit 2009 hatte er das Amt des Ärztlichen Direktors nebenamtlich ausgeübt. Prof. Iro freut sich nun auf den neuen Aufgabenschwerpunkt: „Wer sich die aktuellen Entwicklungen in Gesellschaft und Gesundheitswesen anschaut, sieht schnell, dass es in unserer Kliniklandschaft einiges zu tun gibt. Das gilt natürlich auch für das Uniklinikum Erlangen, das laut Nachrichtenmagazin Newsweek zu den Top Ten 2025 in Deutschland zählt. Damit das in den kommenden Jahren so bleibt, müssen wir unsere Strukturen an die neuen Anforderungen anpassen“, sagte er. Der Ärztliche Direktor Prof. Dr. Dr. h. c. Heinrich Iro ist Dienstvorgesetzter der über 1.200 wissenschaftlichen, ärztlichen und zahnärztlichen Mitarbeitenden des Uniklinikums Erlangen und Vorsitzender des Klinikumsvorstands. Prof. Dr. Sarina Müller leitet seit 1. April 2025 die Hals-Nasen-Ohren-Klinik – Kopf- und Halschirurgie des Uniklinikums Erlangen. Sie ist die zehnte Direktorin der 1889 gegründeten Klinik – und die erste Frau in dieser Position. Außerdem ist die 38-Jährige eine der jüngsten Klinikleitungen des Uniklinikums Erlangen. Prof. Müller folgt auf Prof. Dr. Dr. h. c. Heinrich Iro, der die HNO-Klinik 25 Jahre lang leitete. Zuletzt arbeitete Sarina Müller als geschäftsführende Oberärztin der HNO-Klinik und als Koordinatorin des Kopf-Hals-Tumorzentrums des Uniklinikums Erlangen. Sie bringt umProf. Dr. Sarina Müller löst Prof. Dr. Dr. h. c. Heinrich Iro ab Neue Leitung der Erlanger HNO-Klinik Prof. Dr. Sarina Müller leitet seit 1. April 2025 die Erlanger HNO-Klinik. fassende Erfahrungen mit, insbesondere in der Onkologie, der Speicheldrüsenchirurgie, der Schädelbasischirurgie, der Otologie, der pädiatrischen Chirurgie im Kopf-Hals-Bereich, der medikamentösen Tumortherapie, der Allergologie sowie der Plastischen Chirurgie. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Rhinologie, Immunologie, Onkologie und Laryngologie.

| 7 Neues aus dem Uniklinikum Innere Anspannung, Reizüberflutung, Impulsivität oder Wahnvorstellungen sind häufige Begleiterscheinungen psychischer Erkrankungen. Doch wie kann Betroffenen in akuten Krisensituationen – etwa bei Eigen- oder Fremdgefährdung – geholfen werden? Auf diese Frage gibt die beschützende Station 12 der Psychiatrischen und Psychotherapeutischen Klinik des Uniklinikums Erlangen eine innovative Antwort: Ein speziell konzipierter, rundum gepolsterter und schallgedämmter Rückzugsraum bietet Patientinnen und Patienten die Möglichkeit, sich in Krisensituationen von äußeren Reizen abzuschotten oder körperlich abzureagieren. Darin neu installiert: ein Medienmodul, auf dessen etwa DIN-A3-großem Display Patientinnen und Patienten interaktive Anwendungen auswählen können, etwa Spiele wie Schach oder „Fang den Maulwurf“, beruhigende Musik oder audiovisuelle Entspannungsprogramme. „Das Medienmodul erweitert unser therapeutisches Konzept um eine moderne, Welches Krankenhaus ist das beste für mich oder meine Angehörigen? Diese Frage stellt sich oft in gesundheitlichen Ausnahmesituationen. Verlässliche Informationen über die Qualität der medizinischen Versorgung sind in solchen Fällen besonders wichtig. Deshalb hat das US-amerikanische Nachrichtenmagazin „Newsweek“ mit dem Statistikportal „Statista“ auch für 2025 wieder die Liste der World’s Best Hospitals herausgegeben. Das Uniklinikum Erlangen belegt darin Platz 113 und zählt damit erneut zu den Top-Kliniken weltweit. In Deutschland Innovatives Medienmodul auf der beschützenden Station World’s Best Hospitals 2025: Uniklinikum Erlangen überzeugt im globalen Vergleich Krisenintervention in der Psychiatrie Uniklinikum Erlangen unter Top-Kliniken gehört es jetzt zu den Top Ten und hat sich damit gegenüber dem Vorjahr (Platz 12) um zwei Plätze verbessert. Für das diesjährige Ranking wurden über 2.400 Kliniken in 30 Staaten bewertet. Die Rangliste beruht auf einem umfangreichen Bewertungsverfahren, in das sowohl Empfehlungen medizinischer Expertinnen und Experten sowie Umfragen zur Patientenzufriedenheit als auch Leistungskennzahlen, etwa zu Hygienemaßnahmen oder zur Behandlungsqualität, einfließen. interaktive Komponente zur Beruhigung und Deeskalation“, erklärt Stationsleiter Frank Schwarmat. „Es verbessert das Patientenwohl nachhaltig und steht – wie das Uniklinikum Erlangen – für eine zeitgemäße psychiatrische Versorgung.“ Stationsleiter Frank Schwarmat (Mitte) sowie die Pflegefachkräfte Daniel Palese und Antonia Saffer demonstrieren, welche Möglichkeiten das neue Medienmodul bietet.

8 | Titel ORGANSPENDE Dr. Katharina Heller spricht über Organspende und -transplantation in Deutschland, über Besonderheiten in Erlangen und darüber, warum elf Menschen einen Unterschied machen könnten. VON FRANZISKA MÄNNEL Es gibt zu wenig Organspenden, um den Bedarf zu decken – vor allem in Deutschland. „Auf eine Million Menschen kommen bei uns nur etwa elf Spendende“, erklärt Dr. Katharina Heller, die die Geschäftsstelle des Transplantationszentums Erlangen-Nürnberg leitet. „Um alle Menschen von der Warteliste ,wegzutransplantieren‘, bräuchten wir aber doppelt so viele.“ Jährlich elf Spenderinnen und Spender mehr pro eine Million Einwohner – das klingt nicht viel. Trotzdem scheint es unerreichbar. In Spanien, wo alle, die nicht ausdrücklich widersprechen, potenzielle Organspenderinnen und -spender sind, liegt die Zahl bei 53 pro Jahr – und ist damit fast fünfmal so hoch wie hierzulande. Die Chancen erhöhen Um vorhandene Spenderorgane gerecht, effizient und medizinisch sinnvoll zu verteilen, hat sich Deutschland mit sieben anderen europäischen Ländern in der Stiftung Eurotransplant zusammengeschlossen. Auf der zentralen Warteliste der Organisation standen Ende 2024 13.570 Patientinnen und Patienten, davon 8.260 in Deutschland. „In den acht Eurotransplant-Ländern leben knapp 140 Millionen Menschen“, sagt Dr. Heller. „Dieser große Pool erhöht für potenzielle Organempfängerinnen und -empfänger die Chance, dass ein exakt passendes Organ für sie gefunden wird, das nicht abgestoßen wird – ein Perfect Match. Wichtig ist das vor allem für Menschen mit seltenen Gewebemerkmalen oder einem sehr ‚wählerischen‘ Immunsystem, das nicht alle Organe akzeptieren würde“, erklärt die Oberärztin. Dank Eurotransplant ist die Organvermittlung länderübergreifend möglich. Doch weil es zu Perfect Match Was kann gespendet werden? Am häufigsten werden Nieren gespendet, meist beide. Weiterhin möglich sind Leber (ganz oder teilweise), Herz, Lunge (einseitig oder beidseitig), Bauchspeicheldrüse und Dünndarm (selten). Dazu kommen Gewebespenden: Hornhaut der Augen, Herzklappen, Haut, Blutgefäße, Knochen und Sehnen. Nieren und Teile der Leber können in Deutschland auch von lebenden Personen gespendet werden. wenig postmortale Spenden gibt, warten potenzielle Empfängerinnen und Empfänger bis zu zehn Jahre auf ein Organ. Am größten ist der Bedarf bei Nieren. Für Menschen ab 65 Jahren bietet EurotransDr. Katharina Heller von der Medizinischen Klinik 4 – Nephrologie und Hypertensiologie des Uniklinikums Erlangen besucht eine Lebendspenderin.

| 9 Titel Was wird transplantiert? Am Transplantationszentrum ErlangenNürnberg (Sprecher: Prof. Dr. Robert Grützmann) bzw. am Uniklinikum Erlangen werden Kindern und Erwachsenen folgende Organe und Gewebe transplantiert: ■ Niere ■ Bauchspeicheldrüse ■ Herz ■ Niere und Bauchspeicheldrüse kombiniert ■ Hornhaut der Augen ■ Knochenmark/Stammzellen Auf der Erlanger Warteliste für ein Spenderorgan stehen aktuell (April 2025): ■ Niere: 331 Personen (davon 3 Kinder) ■ Bauchspeicheldrüse: 15 Personen ■ Herz: 24 Personen (davon 5 Kinder) plant ein spezielles Senior-Programm an. „Weil Ältere die lange Wartezeit oft gar nicht überleben würden“, begründet Katharina Heller. Nach dem „Old-for-old“-Prinzip werden die Nieren älterer Spenderinnen und Spender gezielt an ältere Empfängerinnen und Empfänger vermittelt. Dies geschieht möglichst schnell und überwiegend regional, statt wie sonst länderübergreifend. Lebendspende schließt Lücke „Da wir alle zwei Nieren haben, sind bei diesem Organ auch Lebendspenden an nahestehende Personen möglich“, erklärt Dr. Heller. „Wir beobachten, dass diese Form der Organspende zunimmt. Vielleicht auch, weil die Menschen durch die Coronapandemie enger zusammengerückt sind. Am Uniklinikum Erlangen macht der Anteil an Lebendnierenspenden mittlerweile rund 40 Prozent aller Nierenspenden aus.“ Die erste Nierentransplantation am Uniklinikum Erlangen feiert 2026 ihr 60-jähriges Jubiläum. Auch sie war eine Lebendspende. Von der Spende zur Transplantation Menschen, die am Uniklinikum Erlangen ein gespendetes Organ erhalten, werden interdisziplinär betreut – u. a. von Expertinnen und Experten aus Innerer Medizin, Transplantationsmedizin, Chirurgie, Urologie und Anästhesiologie. Die OPs von Organspender und -empfänger laufen beinahe zeitgleich ab, sodass sich das entnommene Organ nur kurz außerhalb des Körpers befindet. Passen die Blutgruppen der beiden Menschen nicht zusammen, gibt es spezielle Lösungen: „Bei einer blutgruppeninkompatiblen Nierenspende bereiten wir das Immunsystem der Empfängerin oder des Empfängers zuerst gezielt mit Medikamenten vor. Außerdem werden die Antikörper gegen die Blutgruppe der spendenden Person aus dem Empfängerblut entfernt. So kann der Körper das neue Organ trotzdem tolerieren“, erklärt Dr. Heller. Auch für Doppelnieren-Transplantationen gibt es am Uniklinikum Erlangen ein besonderes Know-how: Eine Empfängerin bekommt zwei Nieren statt nur einer, wenn zwei schwächere Nieren zusammen ihr mehr nützen, als sie dies einzeln für zwei Menschen tun würden. Transplantationszentrum Erlangen-Nürnberg Telefon: 09131 85-36025 www.transplantation.uk-erlangen.de Schülerseminare zur Organspende Anmeldung: tx-geschaeftsstelle@uk-erlangen.de Das Organ gut pflegen Durch Bewegungs- und Ernährungsprogramme vor der Transplantation und eine engmaschige Nachsorge stellt das Team der Medizin 4 unter Leitung von Prof. Dr. Mario Schiffer sicher, dass die Transplantierten möglichst lange gut mit ihrem neuen Organ leben können. „Auch nach der OP bleiben sie Nierenpatientinnen und -patienten, die auf ihre Gesundheit achten müssen“, betont Dr. Heller. „Gemeinsam mit den niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten unterstützen wir sie dabei.“

10 | Titel „Es kann uns alle betreffen“ Herr Prof. Willam, Sie sind einer von drei Transplantationsbeauftragten am Uniklinikum Erlangen. Welche Aufgaben und Verantwortlichkeiten bringt diese Rolle mit sich? Als Transplantationsbeauftragter sorge ich gemeinsam mit meiner Kollegin und meinem Kollegen dafür, dass das Uniklinikum Erlangen seiner gesetzlichen Pflicht zur Meldung möglicher Organspenderinnen und -spender an die Deutsche Stiftung Organtransplantation, die DSO, nachkommt. Unsere Aufgabe beginnt damit, auf den Intensivstationen potenzielle Spenderinnen und Spender zu erkennen und alle weiteren Schritte zu koordinieren – von der Begleitung der Angehörigen bis zur Abstimmung aller innerklinischen Abläufe. Ein weiterer wichtiger Teil unserer Arbeit ist es, die Organspende im Klinikalltag zu verankern POSTMORTALE ORGANSPENDE „Was, wenn er doch noch etwas spürt?“ – Diese Frage beschäftigt viele Angehörige, wenn es um die mögliche Organspende einer nahestehenden Person geht. Transplantationsbeauftragter Prof. Dr. Carsten Willam erklärt, warum diese Sorge verständlich, aber medizinisch unbegründet ist. INTERVIEW VON MAGDALENA HÖGNER Prof. Dr. Carsten Willam ist leitender Oberarzt auf der Intensivstation der Medizinischen Klinik 4 – Nephrologie und Hypertensiologie.

| 11 Titel Der irreversible Hirnfunktionsausfall ist eindeutig feststellbar. Er markiert das Ende des Lebens. Prof. Dr. Carsten Willam und das medizinische Personal dafür zu sensibilisieren. Wir kümmern uns also eigentlich nicht um die Transplantation, sondern um die Organspende. Genau genommen müssten wir also „Organspendebeauftragte“ heißen. Welche Abläufe greifen im Hintergrund, wenn sich eine mögliche Spende abzeichnet? Die Frage nach einer Organspende stellt sich immer dann, wenn bei einer Patientin oder einem Patienten ein sogenannter irreversibler Hirnfunktionsausfall festgestellt wird. Dieser ist die medizinische Voraussetzung für eine Organspende. Sie meinen, wenn der sogenannte Hirntod vorliegt? Genau. Was früher als „Hirntod“ bezeichnet wurde, nennen wir heute „irreversibler Hirnfunktionsausfall“ – es liegt keine Hirnfunktion mehr vor. Alle Steuerungsfunktionen des Gehirns und das Bewusstsein sind also dauerhaft und unwiederbringlich erloschen. Wie wird dieser Zustand eindeutig festgestellt? Wenn eine Organspende infrage kommt, weil es zum Beispiel einen Organspendeausweis gibt, ist das Diagnoseverfahren gesetzlich geregelt: Zwei speziell qualifizierte Intensivmedizinerinnen oder -mediziner – mindestens eine oder einer davon Fachärztin oder Facharzt für Neurologie oder Neurochirurgie – müssen unabhängig voneinander und nach einem standardisierten Protokoll die Diagnose stellen. Hierfür überprüfen sie unter anderem, ob die Hirnstammreflexe noch auslösen – etwa die Pupillenreaktion –, und ob sich noch ein Atemreflex hervorrufen lässt. Wichtig dabei: Diese Ärztinnen und Ärzte sind nicht an der Organentnahme oder der späteren Transplantation beteiligt – so ist sichergestellt, dass keine Interessenkonflikte bestehen. Eine Organspende ist nur möglich, wenn die verstorbene Person das so gewollt hätte. Wie ermitteln Sie diesen Willen? Zunächst suchen wir das Gespräch mit den Angehörigen. In vielen Fällen wissen sie, wie die oder der Verstorbene zur Organspende stand, und können eine Entscheidung in ihrem oder seinem Sinne treffen. Gleichzeitig klären wir, ob eine Patientenverfügung oder ein Organspendeausweis → Gesetzliche Pflicht Jedes Krankenhaus mit einer Intensivstation ist gesetzlich dazu verpflichtet, Transplantationsbeauftragte zu benennen. Die Anzahl richtet sich nach der Zahl der Intensivbetten. Transplantationsbeauftragte – in der Regel Fachärztinnen und Fachärzte für Intensivmedizin, Neurologie oder verwandte Fachbereiche – absolvieren eine spezielle Weiterbildung zu den medizinischen, rechtlichen und ethischen Aspekten der Organspende.

12 |Titel Besteht die Möglichkeit einer Organspende, sucht Prof. Dr. Carsten Willam gemeinsam mit seinem Team das Gespräch mit den Angehörigen. Dabei geht es darum, den mutmaßlichen Willen der oder des Verstorbenen zu klären und die Hinterbliebenen in dieser schweren Situation einfühlsam zu begleiten. Wir alle sollten uns fragen: Würde ich in einer lebensbedrohlichen Situation ein Organ annehmen wollen? Prof. Dr. Carsten Willam Fortsetzung von S. 11 vorliegt, in dem der Wille dokumentiert wurde. Seit 2024 prüfen wir zusätzlich, ob eine entsprechende Erklärung im neuen Online-Organspenderegister hinterlegt ist. Angenommen, es liegt eine schriftliche Einwilligung der oder des Verstorbenen vor, die Angehörigen sind jedoch dagegen – wessen Wille zählt dann? Ein Organspendeausweis oder ein Eintrag im Register sind deutliche Hinweise für den mutmaßlichen Willen der verstorbenen Person. Dennoch suchen wir immer das Gespräch mit den Angehörigen. Denn manchmal ist der Ausweis schon viele Jahre alt oder der Eintrag im Register wurde unter besonderen Umständen gemacht, die heute vielleicht anders zu bewerten wären. Die Hinterbliebenen kennen die Lebensgeschichte der oder des Verstorbenen und können ihre oder seine Entscheidung einordnen. Also haben die Angehörigen immer das letzte Wort? Wir führen eine Organspende niemals gegen den ausdrücklichen Wunsch der Angehörigen durch. Denn wir gehen davon aus, dass sie im Sinne der verstorbenen Person entscheiden. Wie erleben Sie Angehörige, wenn kein Wille bekundet wurde? Wir erleben dann häufig eine ablehnende Haltung gegenüber der Organspende. Da spielen verschiedene Gründe hinein: persönliche Lebenserfahrungen, religiöse Ansichten, aber auch Ängste. Welche Ängste sind das konkret? Zum Beispiel die Sorge, dass wir einen Patienten möglicherweise zu früh aufgeben oder dass die verstorbene Person doch noch am Leben sein könnte. Viele Angehörige fragen sich außerdem: Was ist, wenn wir eine Entscheidung treffen, die der oder die Verstorbene so nicht gewollt hätte? Aus Angst, etwas „falsch“ zu machen, entscheiden sie sich daher oft gegen eine Organspende. Was sagen Sie den Angehörigen dann? Diese Sorgen sind absolut nachvollziehbar – sie sind zutiefst menschlich. Dennoch sind sie unbegründet. Erstens: Wir geben niemanden einfach auf – unser Ziel ist es immer, Menschenleben zu retten. Zweitens ist der irreversible Hirnfunktionsausfall eindeutig feststellbar. Auf ihn folgen zwangsläufig der Atem- und der Herzstillstand sowie der Ausfall aller anderen Organe. Natürlich existieren spirituelle oder religiöse Vorstellungen vom Tod – doch

| 13 Titel Video: Wie läuft eigentlich eine Organspende ab? www.gesundheit-erlangen.com rein medizinisch markiert der irreversible Hirnfunktionsausfall das Ende des Lebens. Wie geht es danach weiter? Nach der Zustimmung zur Organspende bleibt die oder der Verstorbene weiterhin beatmet, um die Sauerstoffversorgung der Organe bis zur Entnahme aufrechtzuerhalten. Parallel dazu informieren wir die DSO. Sie schickt dann Koordinatorinnen und Koordinatoren in die Klinik, die gemeinsam mit dem medizinischen Team vor Ort das weitere Vorgehen organisieren. Hierzu zählen verschiedene Untersuchungen, etwa um sicherzustellen, dass keine Erkrankungen vorliegen, die dem potenziellen Empfänger oder der potenziellen Empfängerin schaden könnten. Falls die Befunde unbedenklich sind, leitet die DSO alle relevanten Daten an die Stiftung Eurotransplant weiter, die dann eine geeignete Empfängerin oder einen Empfänger ermittelt. Die oder der Verstorbene erhält also bis zur Organentnahme lebensverlängernde Maßnahmen? Viele schließen diese mittels Patientenverfügung aus – ist eine Organspende trotzdem möglich? Wenn in der Patientenverfügung festgelegt ist, dass keine lebensverlängernden Maßnahmen gewünscht sind, steht das im Widerspruch zur Organspende. Allerdings müssen sich beide Wünsche nicht zwangsläufig ausschließen: Man kann in der Patientenverfügung vermerken, dass solche Maßnahmen nur dann erwünscht sind, wenn sie der Organspende dienen. Gibt es keinen solchen Vermerk, suche ich aber immer noch mal das Gespräch mit den Angehörigen, um zu klären, ob der mutmaßliche Wille der verstorbenen Person möglicherweise doch eine Organspende umfasst. Wichtig ist: Bei Unklarheit erfolgt keine Organentnahme. Wie läuft die Organentnahme letztlich ab? Die Organentnahme wird von Ärztinnen und Ärzten durchgeführt, die explizit dafür qualifiziert sind. Die Reihenfolge der Organentnahmen ist dabei streng geregelt. Das Herz ist beispielsweise ein besonders empfindliches Organ, dessen Transplantation möglichst zeitnah erfolgen muss. Daher wird es in der Regel auch als Erstes entnommen. Anschließend werden die Organe an die jeweiligen Transplantationszentren weitergeleitet. Ist Ihre Tätigkeit damit abgeschlossen? Nein. Nach der Entnahme kümmern wir uns um das behandelnde Team vor Ort. Eine derartige Ausnahmesituation ist auch für das medizinische Fachpersonal belastend. Zudem fallen administrative Aufgaben an. Erhalten Sie Kenntnis darüber, ob eine Transplantation erfolgreich war? Wenn uns die DSO anonymisiert darüber informiert, wie vielen Menschen die Organspende ein neues Leben geschenkt hat, sind das mit die schönsten Momente meiner Tätigkeit. Diese teile ich immer gern auch mit meinem Team. Gibt es einen Fall, der Sie nachhaltig beschäftigt? Ich begleite etwa fünf bis fünfzehn Organspenden pro Jahr, potenzielle Spenderinnen und Spender gibt es aber viel mehr. Ich erinnere mich an alle – jede einzelne Geschichte hat mich berührt. Was möchten Sie unseren Leserinnen und Lesern noch mit auf den Weg geben? Wir alle sollten uns bewusst mit dem Thema Organspende auseinandersetzen und unseren Willen ausdrücklich bekunden. Denn niemand ist davor geschützt, selbst einmal auf ein Spenderorgan angewiesen zu sein. Man sollte sich also fragen: Würde ich in einer lebensbedrohlichen Situation ein Organ annehmen wollen? Oder wäre es mir wichtig, dass ein nahestehender Mensch ein Spenderorgan bekommt? Wer diese Fragen für sich beantwortet, dem fällt die Entscheidung zur Organspende leichter – egal, wie sie letztlich ausfällt.

14 | Titel LEBENDNIERENSPENDE Eva Zach war Projektmanagerin von Beruf. Ihre Hauptaufgabe: Risiken abwägen. Das tat die Rentnerin schließlich auch beim Thema Organspende. Heute können sie und ihr Mann Josef kaum glauben, wie dieses „Projekt“ gelaufen ist. VON FRANZISKA MÄNNEL Viel zu spät wurde Josef Zachs Autoimmunerkrankung erkannt – eine schwere Gefäßentzündung, die seine Nieren rapide schädigte. An Silvester 2020/2021 kam der heute 70-Jährige aus Allersberg deshalb notfallmäßig ins Klinikum Neumarkt. „Meine Nierenfunktion war da schon so schlecht, dass ich erst mal drei Wochen jeden Tag an die Dialyse musste, um meinen Körper zu entgiften“, sagt er. Drei Jahre lang nahm er daraufhin Medikamente. Seine Nierenwerte besserten sich zeitweise, wurden wieder schlechter, besserten sich. „Jeder kleine Infekt verschlimmerte die Situation wieder“, berichtet seine Frau Eva Zach, „bis er dann im Januar 2024 eine schwere Bronchitis bekam. Seine Nierenleistung ist dadurch auf unter zehn Prozent gesunken. Er musste wieder an die Dialyse und wir dachten an die Zeit, als er drei Jahre zuvor schon einmal um sein Leben kämpfte.“ Zwei Augenpaare füllen sich mit Tränen. 50 Jahre waren Josef und Eva Zach im März 2024 verheiratet. Ton in Ton – beide in Blau – sind sie heute zum Interview erschienen. Eine Einheit, auch optisch. Projekt „Glückliches Leben“ Anfang 2024 führt kein Weg mehr an der Dialyse vorbei. „Für uns war das so ein großer Einschnitt in unsere Lebensqualität“, betont Eva Zach. „Wir machen leidenschaftlich gern Sport, gehen normalerweise jeden Tag mindestens fünf Kilometer laufen, mögen Skifahren, Schwimmen, Radfahren“ – „und Tanzen!“, fügt ihr Mann an und lacht. Das Paar erhielt am Klinikum Neumarkt nach eigener Aussage „eine sehr gute Beratung“, und man legte den beiden dort die Bauchfelldialyse nahe: Dabei dient die dünne Haut, die die Bauchorgane auskleidet, als Filtermembran. Über einen Katheter fließt sterile Dialyseflüssigkeit in die Bauchhöhle. Dort hinein wandern dann – über das Bauchfell – Giftstoffe und überschüssiges Wasser. Alle vier Stunden muss die Flüssigkeit manuell erneuert werden. „Wir haben viele Prospekte gelesen und alles hörte sich so positiv an“, schildert Eva Zach. „Aber was uns Betroffene erzählten, klang oft ganz anders.“ Josef und Eva Zach wurden unsicher: „Schaffen wir das allein? Kommen wir mit so viel Verantwortung klar? Können wir weiterhin Sport machen und reisen?“ Ein riesiger Aufwand Das Paar hatte sich noch nicht entschieden, da bot ihnen eine Ärztin in Neumarkt an, mit einem Patienten mit Bauchfelldialyse zu sprechen. „Er kam rein – Rentner, in unserem Alter, sportlich – und hat gesagt: ‚Macht euch keine Gedanken. Das schafft ihr!‘“, berichtet Eva Zach. „Mit seinen Erfahrungen hat er uns letztlich überzeugt.“ Ein Jahr lang führte Josef Zach mit Unterstützung seiner Frau die Bauchfelldialyse selbst durch. „Ein riesiLebendspenden in Erlangen Das Transplantationszentrum Erlangen-Nürnberg ist eines von 37 deutschen Zentren, die Lebend- nierenspenden anbieten.

| 15 Titel „Wir haben uns nach der erfolgreichen Transplantation angeschaut und uns einfach nur gefreut“, sagt Eva Zach, die ihrem Mann Josef eine Niere gespendet hat. ger Organisationsaufwand“ sei das gewesen, etwa in der Ferienwohnung in Frankreich, wenn sämtliches medizinisches Material bereitgehalten und die Beutel mit Dialyseflüssigkeit regelmäßig und hygienisch gewechselt werden mussten. „Wir wussten, dass sich das Bauchfell auch entzünden kann, dass es vielleicht nicht für immer so weitergeht“, berichtet der Patient. Da sprach er mit seiner Frau das erste Mal über eine Nierenspende. Zusammen und zufrieden „Für mich war es selbstverständlich, ihm ein Organ zu spenden“, sagt Eva Zach entschlossen. „Wir haben wirklich schon sehr viele Höhen und Tiefen gemeinsam erlebt und ich wollte, dass wir auch die nächsten Jahre noch glücklich und zufrieden verbringen können. Ich wollte es für meinen Mann machen, aber am Ende profitiere ich ja auch.“ Diese enge emotionale Bindung ist entscheidend für eine sogenannte Lebendspende, wie Dr. Katharina Heller von der Medizinischen Klinik 4 – Nephrologie und Hyptertensiologie des Uniklinikums Erlangen erklärt: „Rein altruistische Lebendspenden ohne Verbindung zwischen Spenderin und Empfänger sind in Deutschland verboten. So etwas ist nur bei einer Organspende nach dem Tod möglich“, betont die Oberärztin. Informationen gegen die Angst Dr. Heller leitet die Geschäftsstelle des Transplantationszentrums Erlangen-Nürnberg. Den ersten Kontakt zu ihr hatte das Ehepaar Zach im Juni 2024. Wichtig für die beiden: eine aufgeklärte Entscheidung. „In meinem früheren Beruf habe ich Projekte für große Firmen geleitet. Meine Aufgabe war es, Risiken zu analysieren und zu managen. →

16 | Titel Oberärztin Dr. Katharina Heller (r.) hat schon viele Lebendspendepaare aufgeklärt und begleitet. Mit Josef und Eva Zach entstand spontan dieser besondere Schnappschuss. Alter kein Ausschlusskriterium Auch die Nieren älterer Menschen können – lebend oder postmortal – gespendet werden. Was zählt, ist die Qualität der Organe. „Dass ihr euch das in eurem Alter zutraut“ hörte das Ehepaar Zach mit 69 und 70 Jahren öfter. „Alles hängt immer auch vom Patienten und seiner Einstellung ab. Man darf sich nicht hängen lassen“, findet die Spenderin. Die gute Kondition des Paares trug dazu bei, dass beide ihre OPs gut überstanden. Die älteste Organspenderin überhaupt war 98 Jahre alt. Fortsetzung von S. 15 Ich habe auch die Nierenspende als Projekt gesehen“, schildert Eva Zach. Bei jedem neuen Termin mit den Erlanger Ärztinnen und Ärzten brachte die 69-Jährige einen neuen „Fragenkatalog“ mit, wie sie sagt. Außerdem nahm das Ehepaar an drei Seminaren zu Organspende und -transplantation am Uniklinikum Erlangen teil. Katharina Heller klärte das Ehepaar auf: über die Möglichkeit, dass Josef Zach das Organ seiner Frau abstoßen könnte, dass er lebenslang Medikamente nehmen muss, die sein Immunsystem unterdrücken; dass sich die Spenderin nach der OP vielleicht müde und weniger leistungsfähig fühlt, dass sie Bluthochdruck bekommen könnte. „Ich dachte mir: Das kann sein – muss aber nicht“, so Eva Zach. „Wir hatten uns so viel informiert. Wir wussten, es wird anspruchsvoll und vielleicht schwierig, aber wir können es bewältigen – so oder so, und damit schwanden die Ängste. Sollte irgendeins dieser Risiken eintreten, haben wir trotzdem noch Optionen. Dann machen wir schlimmstenfalls weiter mit der Dialyse. Umso mehr waren wir beide von dem Projekt überzeugt!“ Sie und ihr Mann wurden bei sämtlichen niedergelassenen Fachärztinnen und -ärzten von Kopf bis Fuß untersucht. Zusätzlich erfolgte eine Dia- gnostik am Uniklinikum Erlangen, darunter Blut- und Gewebeanalysen, MRT-, Ultraschall- und Röntgenaufnahmen, nuklearmedizinische Nierenfunktionstests und eine Katheteruntersuchung der Nierenarterien. „Nicht alles davon war angenehm“, erinnert sich Eva Zach. Dazu kamen psychologische Gespräche über ihre Beweggründe. Kurz vor Weihnachten 2024 dann die Nachricht: Sie ist geeignet, sie darf spenden. Auch die Ethikkommission des Uniklinikums Erlangen, die jedem solchen Wir kannten die Risiken und haben sie angenommen. Eva Zach

| 17 Titel Die Ultraschallkontrolle zeigt: Die verbliebene Niere der Spenderin arbeitet noch sehr gut. Eva Zach spürt körperlich keine nennenswerte Veränderung zu vorher. Gemeinsam geht es für das Ehe- und Lebendspendepaar weiter. Wer einen ähnlichen Weg vor sich hat, mit dem teilen die beiden gern ihre Erfahrungen. Video: Lebendnierenspende im höheren Alter www.gesundheit-erlangen.com Eingriff zustimmen muss, äußerte keine Bedenken. „Das war für uns so ein riesen Erfolg“, sagt Eva Zach. Und wieder bekommen beide feuchte Augen. „Zwei Stunden lang geweint“ Bei der Transplantation im März 2025 ging schließlich alles gut – so gut, dass Josef Zachs Kreatininwert, der die Filterleistung der Niere anzeigt, bereits drei Tage nach der OP von 6,8 auf 1,5 gesunken war. Heute liegt er bei 1,1 und entspricht damit dem eines gesunden Menschen. „Als Prof. Schiffer und Dr. Heller uns die ersten Werte mitteilten, haben wir erst mal zwei Stunden lang nur geweint“, erinnert sich Josef Zach, und seine Frau ergänzt: „Die Schwester, die ins Zimmer kam, dachte, wir hätten Schmerzen. Aber wir haben uns einfach so gefreut.“ Josef und Eva Zach freuen sich jetzt auf eine Woche Wandern in Garmisch und dann auf die gemeinsame Reha im Juni. Sie sind nun tatsächlich eines dieser Paare aus den Informationsbroschüren, bei denen alles nach Plan lief. Ein „extrem positiver Fall“, wie es Eva Zach nennt. „Vielleicht sind wir das aber gerade deshalb, weil wir auch einen weniger erfolgreichen Ausgang zusammen bewältigt hätten. Wir sind dem Erlanger Ärzte- und Pflegeteam unendlich dankbar für die kompetente und einfühlsame Betreuung, für ein großes Stück neue Lebensqualität.“ Und ihr Mann fügt an: „Ich fühle mich wie ein Vogel, der seinen Käfig verlassen hat und wieder frei fliegen kann.“ Drei Nieren Der Empfänger einer Nierenspende behält seine eigenen Nieren. Nach und nach stellen sie ihre Arbeit ganz ein, wenn das neue Organ diese übernimmt.

18 |Titel WARTELISTE Seit über 16 Jahren ist Stefan W. an die Dialyse gebunden – fast sein halbes Leben lang. Die Hoffnung auf eine Spenderniere begleitet ihn schon lange. Nun könnte es jeden Tag so weit sein. Bis dahin hängt alles an einer einzigen Lebensader. VON MAGDALENA HÖGNER „Dann schließt sich der Kreis“ Dr. Katharina Heller und Prof. Dr. Mario Schiffer (r.), Direktor der Medizin 4, sind zuversichtlich, dass ihr Patient schon bald eine Organspende erhalten wird.

| 19 Titel Gedämpfte Gespräche im Hintergrund, leise Schritte auf dem Boden. Ab und an durchschneidet ein Piepsen die Luft – kurz und präzise, mechanisch. Die Menschen im Dialysebereich der Medizinischen Klinik 4 – Nephrologie und Hypertensiologie des Uniklinikums Erlangen kommen regelmäßig hierher – viele von ihnen bereits seit Jahren. Die meisten teilen einen gemeinsamen Wunsch: Sie hoffen darauf, dass irgendwo eine neue Niere für sie gefunden wird. Ein Spenderorgan, das sie vom Dialysegerät befreit und zurück ins Leben bringt. Einer von ihnen ist Stefan W. aus der Nähe von Bayreuth. Im Alter von sechs Jahren bekam Stefan W. erstmals Probleme mit den Nieren; mit 20 Jahren versagten sie vollständig: Sie befreiten das Blut nicht mehr ausreichend von Schadstoffen und körperfremden Substanzen. Sein Körper drohte zu vergiften. Seine einzige Rettung: die Dialyse. „An Weihnachten 2008 haben sie mich am Uniklinikum in Erlangen zum ersten Mal an die Dialyse angeschlossen. Das ist jetzt über 16 Jahre her“, erinnert sich der heute 36-Jährige. Während Gleichaltrige das Nachtleben erkundeten, fuhr Stefan W. ins Dialysezentrum – erst nach Erlangen, später zum KfH-Nierenzentrum in Bayreuth, wo er bis heute in Behandlung ist. Etwa dreimal die Woche übernahm ein Gerät in der Nacht die Funktion seiner Nieren, leitete das Blut über einen Shunt – einen chirurgisch angelegten, dauerhaften Zugang zum Blutkreislauf – aus dem Körper, filterte es mittels einer Membran und beförderte es anschließend zurück in die Blutbahn. 40-Stunden-Woche für die Dialyse Die Dialyse sicherte das Überleben des Patienten. Sie bedeutete aber auch: Dreimal die Woche in einem fremden Bett schlafen und am nächsten Morgen körperlich erschöpft sein. „Dialyse ist wie Ausdauersport“, zieht der Oberfranke eine Parallele. „An manchen Tagen merkst du nichts, an anderen bist du völlig geplättet. Das ist tagesformabhängig.“ Viel Zeit für anderes blieb nicht: „Dreimal die Woche war ich für sieben bis acht Stunden an der Dialyse. Davor und danach musste ich zusätzlich eine Stunde für die An- und Rückfahrt einplanen. Das macht etwa 30 Stunden pro Woche. Morgens war ich erschöpft und musste mich ausruhen, oft habe ich deshalb erst ab Mittag gearbeitet. Das kostete mich noch mal um die zehn Stunden“, rechnet der 36-Jährige vor. „Alles in allem nimmt die Blutwäsche wöchentlich also etwa 40 Stunden in Anspruch.“ Die Dialyse als Fulltime-Job, und das obwohl Stefan W. eigentlich Vollzeit als Fahrlehrer arbeitet. „Sie können es sich vorstellen wie einen Hund an der Leine. Er kann sich bewegen, aber ganz frei ist er nicht“, beschreibt der Patient. →

20 | Titel Fortsetzung von S. 19 Fast sein halbes Leben lang funktionierte die Blutwäsche. Doch es kam auch immer wieder zu Komplikationen: Mehrmals thrombosierte der Shunt. Das heißt, geronnenes Blut verstopfte den Dialysezugang, weshalb das Blut nicht mehr zur überlebensnotwendigen Blutreinigung ausgeleitet werden konnte. „Das ist nicht ungewöhnlich“, erklärt Dr. Katharina Heller, Oberärztin in der Medizin 4 des Uniklinikums Erlangen und Leiterin der Geschäftsstelle des Transplantationszentrums Erlangen-Nürnberg. „Der Shunt muss dann unverzüglich gesäubert werden. Falls das nicht möglich ist, benötigt der Patient einen neuen Zugang.“ Auf die Frage, wo er bereits Zugänge hatte, antwortet der Patient schmunzelnd: „Links, rechts. Im Unterarm, im Oberarm. Eigentlich überall.“ Letzte Lebensader Anfang dieses Jahres verschärfte sich die Situation plötzlich: „Ich war wie gewohnt zur Kontrolle im Krankenhaus in Neumarkt. Da war alles wunderbar. Am Freitag war der Shunt aber plötzlich dicht, nichts ging mehr. Das medizinische Personal versuchte daher, den Zugang zu revidieren. Erfolglos“, erinnert sich Stefan W. „Wir waren in einer Zwickmühle: Weil das Gewebe an meinen Ober- und Unterarmen durch die Shunts, die ich bisher hatte, so vernarbt ist, konnte dort kein neuer Zugang mehr gelegt werden. Gleichzeitig stand fest, dass ich ohne Dialyse nicht überleben würde“, schildert er weiter. „Also legten mir die Ärztinnen und Ärzte einen Vorhofkatheter.“ Der dünne Schlauch, der über eine Vene am Hals bis zum rechten Vorhof des Herzens reicht, ist seitdem die „Lebensader“ des Höchste Infektionsgefahr: Gesundheits- und Krankenpfleger Lazar Davidovic schließt den Vorhofkatheter von Stefan W. an das Dialysegerät an. Eine Entzündung hätte schwerwiegende Folgen – die Dialyse wäre dann nicht mehr möglich. Seit 16 Jahren ist das Dialysegerät für Stefan W. lebenswichtig – es übernimmt die Arbeit seiner Nieren und filtert Schadstoffe sowie körperfremde Substanzen aus seinem Blut. Wer kommt auf die Warteliste? Ob jemand auf die Warteliste aufgenommen wird, entscheidet das zuständige Transplantationszentrum – und zwar nach klar festgelegten Richtlinien. Dafür wird in körperlichen und psychologischen Untersuchungen geprüft, ob die Transplantation medizinisch notwendig ist und gute Erfolgsaussichten hat. Auch die Bereitschaft, sich an die therapeutischen Vorgaben zu halten, spielt eine wichtige Rolle. Erfüllt eine Person alle Voraussetzungen, übermittelt das Transplantationszentrum die Daten an die Stiftung Eurotransplant. Diese koordiniert und vermittelt die verfügbaren Spenderorgane in acht europäischen Ländern.

| 21 Titel Patienten, wie Katharina Heller es ausdrückt. Er ist die einzige verbleibende Möglichkeit, Stefan W. an das Dialysegerät anzuschließen. Würde dieser Zugang verstopfen oder sich entzünden, wäre keine Dialyse mehr möglich. Endlich auf der Warteliste Von da an ging alles sehr schnell: „Die Ärztinnen und Ärzte in Neumarkt haben mich ans Transplantationszentrum Erlangen-Nürnberg verwiesen. Dort sollte geklärt werden, ob ich auf die Warteliste für eine Nierentransplantation komme.“ Dr. Heller erklärt: „Die Aufnahme auf die Warteliste zur Organtransplantation ist streng geregelt. Sie erfolgt nur, wenn eine große Wahrscheinlichkeit zur Lebensverlängerung oder zur Verbesserung der Lebensqualität vorliegt. Daher muss der körperliche und seelische Gesamtzustand des Patienten oder der Patientin vorab durch zahlreiche Voruntersuchungen beurteilt werden.“ Für Stefan W. war es nicht der erste Anlauf. „Das Thema Transplantation begleitet mich schon lange – schließlich bin ich seit 16 Jahren an der Dialyse“, sagt er. „Bisher habe ich allerdings nicht alle medizinischen Voraussetzungen erfüllt, die für die erfolgreiche Transplantation eines Spenderorgans nötig wären. Die OP soll ja für mich eine Verbesserung bringen und kein zu hohes Risiko.“ Diesmal ist Transplantationszentrum Erlangen-Nürnberg Telefon: 09131 85-36025 www.transplantation.uk-erlangen.de Warten in Zahlen Ende 2024 standen in Deutschland rund 6.400 Patientinnen und Patienten auf der Eurotransplant-Warteliste für eine Nierentransplantation. Im selben Jahr konnten nur 2.075 Nieren transplantiert werden. Die Wartezeit für eine Niere beträgt aktuell etwa acht bis zehn Jahre. Gerechnet wird bei Erwachsenen ab der ersten Dialysebehandlung. Am Transplantationszentrum Erlangen-Nürnberg hoffen derzeit 331 Patientinnen und Patienten auf eine Nierenspende, darunter drei Kinder. Ein Leben an der Dialyse ist wie das eines Hundes an der Leine. Er kann sich bewegen, aber ganz frei ist er nicht. Stefan W. es anders: „Wir konnten Stefan W. jetzt auf die Warteliste aufnehmen und an Eurotransplant melden“, berichtet Katharina Heller erfreut. „Angesichts seiner langen Krankheitsgeschichte und der aktuellen Notsituation bin ich sehr zuversichtlich, dass er schon bald ein passendes Organ erhalten wird!“ Die Aussicht auf eine mögliche Transplantation in naher Zukunft kann der Fahrlehrer kaum in Worte fassen: „Es ist bisher nur schwer greifbar. Ich glaube es erst, wenn es so weit ist.“ Doch wenn der langersehnte Anruf kommt, eine Spenderniere da ist und die Transplantation gelingt, dann heißt es: „Leine durchschneiden – und endlich wieder frei sein!“ Noch ist Stefan W. auf die Dialyse angewiesen. Noch bleibt ihm nur das Warten. Doch er ist vorsichtig optimistisch: „Hier in Erlangen wurde ich das erste Mal an die Dialyse angeschlossen. Vielleicht werde ich hier auch wieder abgekoppelt – dann schließt sich der Kreis.“

22 | Feature Pflege, die verbindet

| 23 Feature „Ich nehme die Menschen, wie sie sind. Anders kriege ich sie nicht“, sagt Marc Reinhold. Der Gesundheits- und Krankenpfleger in der Neurochi- rurgischen Klinik des Uniklinikums Erlangen hat im Lauf eines Jahres 17 neue internationale Kolleginnen und Kollegen bekommen – u. a. von den Philippinen, aus Indien, Tunesien, Serbien und Somalia. Sie verteilen sich auf die neurochirurgischen Normalstationen 32 und 22 sowie die Privatstation 31. „Die Zusammenarbeit klappt gut“, findet Marc Reinhold. Kürzlich hat er gemeinsam mit anderen Pflegefachkräften des Uniklinikums Erlangen ein Seminar zur interkulturellen Teamentwicklung besucht. Seine Motivation: „Ich möchte wissen, was ich noch nicht weiß. Ich möchte niemanden vor den Kopf stoßen, indem ich Fehler mache, die vermeidbar wären“, erklärt er. Das gelte für Kolleginnen und Kollegen, aber auch für Patientinnen und Patienten mit anderem kulturellen Hintergrund. Welt-Schmerz Marc Reinholds Team versorgt Menschen u. a. nach Schädel-, Hirn- oder Rückenmarksverletzungen sowie nach Operationen an Gehirn oder Wirbelsäule. Dass solche Patientinnen und Patienten Schmerzen äußern oder Angehörige mitunter schlechte Nachrichten verarbeiten müssen, ist für die Mitarbeitenden der Neurochirurgie nicht ungewöhnlich. „Gerade Schmerzen und auch Trauer werden kulturell aber ganz unterschiedlich ausgedrückt“, erklärt Silke Ettling, Expertin für interkulturelle Kommunikation im Gesundheitswesen. Sie leitete den Workshop, an dem auch Marc Reinhold teilnahm. Werden körperliche Beschwerden in Deutschland tendenziell gefasst kommuniziert, so geschieht das KULTURSENSIBLES KRANKENHAUS Unterschiede wahrnehmen, Gemeinsamkeiten finden und wegkommen von „richtig“ und „falsch“: Das tun die Mitarbeitenden kultursensibler Krankenhäuser. Warum es sich lohnt, den Weg der Integration zu gehen – und wie er gelingen kann. Ein Bericht aus dem Uniklinikum Erlangen. VON FRANZISKA MÄNNEL in anderen Kulturen mitunter noch weniger emotional, aber manchmal auch deutlich gefühlsbetonter. Ärztliches und pflegerisches Personal hat bei Patientinnen und Patienten mit Migrationshintergrund dann die Aufgabe, gesteigerte Emotionalität nicht als Hysterie abzutun, sondern als kulturelle Eigenheit zu erkennen und körperliche Ursachen dennoch gründlich zu erforschen. Auch bei der Trauerbewältigung gibt es Unterschiede: Für deutsche Angehörige ist es normal, sich gegenüber einer Ärztin noch zu beherrschen, bevor sie später emotional zusammenbrechen. Bei Menschen anderer Kulturen kann es passieren, dass sie Trauer oder Verzweiflung schon im Krankenhaus viel stärker nach außen tragen – etwa in Südosteuropa oder im Nahen Osten. → Diverse Gesellschaft – diverses Gesundheitssystem 30 Prozent der Menschen in Deutschland haben einen Migrationshintergrund. Damit werden auch Kliniken – ihre Beschäftigten und ihre Patientenklientel – immer diverser. Häuser, die sich dem öffnen, sind zukunftsfähiger, flexibler und finden bessere Lösungen für alle. Sie sind als Arbeitgeber für (internationale) Fachkräfte attraktiver und können gleichzeitig besser auf Patientinnen und Patienten unterschiedlicher Herkunft und Kultur eingehen. In kultursensiblen Krankenhäusern gibt es weniger Missverständnisse. Sie gewinnen eher das Vertrauen von Patientinnen und Patienten und Therapien lassen sich erfolgreicher umsetzen.

24 | Feature Fortsetzung von S. 23 „Ich erinnere mich an eine Patientenfamilie aus dem Balkan“, berichtet Marc Reinhold. „Mehrere Personen kamen zu uns auf Station. Sie hatten einen richtigen Trauerausbruch, rissen die Arme hoch, stöhnten und waren einfach sehr laut. Ich fand das total eindrücklich.“ Das Wir und das Ich Die Workshopleiterin ordnet ein: „Für den Großteil der Weltbevölkerung hat die Gemeinschaft einen viel höheren Stellenwert als bei uns. In diesen kollektivistischen, beziehungsorientierten Gesellschaften ist es üblich, im Krankenhaus von vielen Menschen gleichzeitig besucht zu werden. Man möchte der kranken Person Zuwendung und menschliche Wärme schenken – allein kann sie, aus Sicht vieler Kulturen, nicht gesund werden.“ Völlig anders die deutsche Perspektive: Hier sollen Kranke Ruhe bekommen und lieber weniger Besuch als zu viel. „Andersherum fragt man sich hier, wie sich jemand bei so einem Trubel erholen soll“, so die Expertin. Und was, wenn beide Überzeugungen am Krankenbett kollidieren? „In Einzelzimmern lassen wir große Gruppen zu“, erklärt Pflegefachkraft Marc Reinhold. „In Zweibettzimmern begrenzen wir es auf zwei Besuchende pro Patient. Dafür dürfen sie abends aber auch mal zwei Stunden länger bleiben als üblich.“ Die Lösung einer anderen Teilnehmerin des interkulturellen Seminars: Wenn eine Patientin schon mobil ist, könne man sie auch bitten, sich mit ihren Angehörigen in die Sitzecke der Station zu setzen – so habe sie Gesellschaft und die deutsche Patientin im Zimmer ihre Ruhe. „Das wird beiden gerecht, das ist kultursensibel“, urteilt Silke Ettling. Die direkten Deutschen Empathie ist in interkulturellen Kontexten auch dann gefragt, wenn es um deutliche Meinungsäußerungen geht. Unverblümte Kritik ist etwa in Südostasien sehr unüblich, ebenso direktes Neinsagen. Die Menschen dort versuchen tendenziell, Konflikte zu vermeiden – niemand soll bloßgestellt oder enttäuscht werden. „Ich musste erst lernen, dass ich in Deutschland offen und direkt kommunizieren soll“, erklärt die Philippinerin Margarette Bernales, die im Herbst 2023 als Pflegefachkraft auf der neurochirurgischen Station 32 begann. „Anfangs war ich sehr schüchtern, wollte nichts falsch machen und musste erst mal Selbstvertrauen aufbauen“, gesteht sie. Marc Reinhold erklärt: „Immer wieder ermuntere ich unsere zugewanderten Kolleginnen und Kollegen, mich anzusprechen, wenn sie Fragen haben. Ich nehme sie immer ernst, erkläre alles sehr ruhig und langsam. Und ich mache ihnen klar, dass es hier etwas Gutes ist, wenn man aktiv nachfragt und Feedback gibt. Ich weiß aber auch, dass das anfangs schwierig ist und vielleicht erst ein paar Mal Ja gesagt wird, obwohl Nein gemeint ist.“ Nach und nach wuchs Margarette Bernales’ Vertrauen, sodass sie heute „frei und ehrlich“ spricht, wie sie sagt. Mach (nicht) dein Ding! Neben dem direkten Kommunizieren geht es an deutschen Arbeitsplätzen oft auch um Selbstständigkeit. Wer hier beruflich ankommen möchte, sollShency Mol Baby aus Indien bereitet Antibiotika-Infusionen vor, Marc Reinhold schaut ihr über die Schulter.

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