Gesundheit erlangen - Sommer 2025

24 | Feature Fortsetzung von S. 23 „Ich erinnere mich an eine Patientenfamilie aus dem Balkan“, berichtet Marc Reinhold. „Mehrere Personen kamen zu uns auf Station. Sie hatten einen richtigen Trauerausbruch, rissen die Arme hoch, stöhnten und waren einfach sehr laut. Ich fand das total eindrücklich.“ Das Wir und das Ich Die Workshopleiterin ordnet ein: „Für den Großteil der Weltbevölkerung hat die Gemeinschaft einen viel höheren Stellenwert als bei uns. In diesen kollektivistischen, beziehungsorientierten Gesellschaften ist es üblich, im Krankenhaus von vielen Menschen gleichzeitig besucht zu werden. Man möchte der kranken Person Zuwendung und menschliche Wärme schenken – allein kann sie, aus Sicht vieler Kulturen, nicht gesund werden.“ Völlig anders die deutsche Perspektive: Hier sollen Kranke Ruhe bekommen und lieber weniger Besuch als zu viel. „Andersherum fragt man sich hier, wie sich jemand bei so einem Trubel erholen soll“, so die Expertin. Und was, wenn beide Überzeugungen am Krankenbett kollidieren? „In Einzelzimmern lassen wir große Gruppen zu“, erklärt Pflegefachkraft Marc Reinhold. „In Zweibettzimmern begrenzen wir es auf zwei Besuchende pro Patient. Dafür dürfen sie abends aber auch mal zwei Stunden länger bleiben als üblich.“ Die Lösung einer anderen Teilnehmerin des interkulturellen Seminars: Wenn eine Patientin schon mobil ist, könne man sie auch bitten, sich mit ihren Angehörigen in die Sitzecke der Station zu setzen – so habe sie Gesellschaft und die deutsche Patientin im Zimmer ihre Ruhe. „Das wird beiden gerecht, das ist kultursensibel“, urteilt Silke Ettling. Die direkten Deutschen Empathie ist in interkulturellen Kontexten auch dann gefragt, wenn es um deutliche Meinungsäußerungen geht. Unverblümte Kritik ist etwa in Südostasien sehr unüblich, ebenso direktes Neinsagen. Die Menschen dort versuchen tendenziell, Konflikte zu vermeiden – niemand soll bloßgestellt oder enttäuscht werden. „Ich musste erst lernen, dass ich in Deutschland offen und direkt kommunizieren soll“, erklärt die Philippinerin Margarette Bernales, die im Herbst 2023 als Pflegefachkraft auf der neurochirurgischen Station 32 begann. „Anfangs war ich sehr schüchtern, wollte nichts falsch machen und musste erst mal Selbstvertrauen aufbauen“, gesteht sie. Marc Reinhold erklärt: „Immer wieder ermuntere ich unsere zugewanderten Kolleginnen und Kollegen, mich anzusprechen, wenn sie Fragen haben. Ich nehme sie immer ernst, erkläre alles sehr ruhig und langsam. Und ich mache ihnen klar, dass es hier etwas Gutes ist, wenn man aktiv nachfragt und Feedback gibt. Ich weiß aber auch, dass das anfangs schwierig ist und vielleicht erst ein paar Mal Ja gesagt wird, obwohl Nein gemeint ist.“ Nach und nach wuchs Margarette Bernales’ Vertrauen, sodass sie heute „frei und ehrlich“ spricht, wie sie sagt. Mach (nicht) dein Ding! Neben dem direkten Kommunizieren geht es an deutschen Arbeitsplätzen oft auch um Selbstständigkeit. Wer hier beruflich ankommen möchte, sollShency Mol Baby aus Indien bereitet Antibiotika-Infusionen vor, Marc Reinhold schaut ihr über die Schulter.

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