Gesundheit erlangen - Sommer 2025

| 25 Feature te zuverlässig und vor allem eigenverantwortlich arbeiten. Was jedoch in Deutschland als hoher Wert gilt, ist in anderen Teilen der Welt gar nicht erstrebenswert. „In Asien einfach sein eigenes Ding zu machen, ist weniger gern gesehen“, weiß Silke Ettling. „Dort erwartet man Anweisungen von jemandem, der eine Hierarchieebene höher steht“, erklärt die Ethnologin, die von längeren Reisen und Forschungsaufenthalten im Ausland einen großen Erfahrungsschatz mitgebracht hat. Geduld und fortwährendes Ermutigen der „Neuen“ sei die beste Strategie, denn Kultur sei tief verankert und Verhalten verändere sich nicht von heute auf morgen. Mit Worten und Blicken „Auch wir lernen von den internationalen Pflegefachkräften“, berichtet Marc Reinhold und hebt hervor: „Sie haben ein enormes Fachwissen, egal ob in Anatomie, Pharmakologie oder Therapie. Sie haben alle studiert, in Deutschland machen wir stattdessen eine Berufsausbildung. Wir arbeiten dafür sehr nah am Patienten, waschen, beobachten, lagern und mobilisieren, wechseln Verbände – das machen in vielen anderen Ländern die Angehörigen.“ Es ist spürbar, dass das Team der Station 32 einen angstfreien, offenen Raum geschaffen hat, → Öfter mal die Perspektive wechseln Unsere Interpretation der Realität ruft immer bestimmte Gefühle hervor. Diese wiederum bringen uns zum Handeln. Laut Kulturexpertinnen wie Silke Ettling geht es darum, immer wieder die eigene Perspektive zu wechseln: Ist dieses aufbrausende Verhalten der Patientenfamilie wirklich Wut oder einfach nur Verzweiflung, aus Sorge um einen Angehörigen? Signalisiert der fehlende Blickkontakt der zugewanderten Mitarbeiterin tatsächlich Desinteresse oder könnte es auch ein Ausdruck gelernter Höflichkeit sein? Ist es eine unverschämte Lüge, wenn eine Person sagt „Ja, mache ich“ und dann eine Aufgabe nicht erledigt? Oder zeigt diese Rückmeldung Respekt gegenüber einer Autoritätsperson, der nicht widersprochen werden sollte? Ist es unverantwortlich, wenn Angehörige einem Patienten seine schwere Diagnose verschweigen und stellvertretend für ihn alles regeln wollen, oder gilt das in anderen Kulturen eventuell als fürsorglich? Lehnt eine Frau eine bestimmte Untersuchung grundsätzlich ab oder könnte sie diese kulturbedingt tolerieren, wenn eine weibliche Person sie durchführt? „Wenn wir unsere Sichtweise ändern, verändern sich unsere Gefühle gegenüber anderen und es eröffnen sich neue Möglichkeiten“, sagt Silke Ettling. „Es gibt eigentlich nie richtig oder falsch, immer nur anders.“ Kultur ist ein ungeschriebenes, unbewusstes Regelwerk, das unser Denken, Fühlen und Handeln lenkt. Wir denken darüber nicht mehr nach – es ist unsere Normalität. Silke Ettling „Herzlich willkommen“ in den Sprachen der zugewanderten Pflegefachkräfte – so hängt es am Stützpunkt der Station 32.

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