| 37 Medizin KOLUMNE – KLEINE SP[R]ITZE Die Backstreet Boys, die Boygroup der 90er-Jahre, haben zuletzt viel für die Gesundheit einer Gruppe von Enddreißigerinnen getan. Aber wie? VON FRANZISKA MÄNNEL I want it that way „US-Mediziner empfehlen das tägliche, laute Singen des Liedes ,Amazing Grace‘ zur Verbesserung der Herzgesundheit“, schrieb Autor Martin Zieps 2024 in der SZ-Kolumne „Bester Dinge“. Nun sind ja die Geschmäcker verschieden. Und während den Ersten schon beim Gedanken an diese weltbekannte Ballade Tränen der Rührung in die Augen schießen, rollen sich selbige bei den anderen ganz ungesund gen Himmel. Wie dem auch sei – wenn man einen Song findet, den man mag und der einen erhebt, kann es durchaus viele Vorteile haben, ihn mitzusingen, und zwar möglichst oft, möglichst laut und am besten in Gesellschaft. Denn: Singen erfordert eine tiefe und kontrollierte Atmung, was die Lungenfunktion verbessert und die Atemmuskulatur stärkt. Besonders Menschen mit chronischen Atemwegserkrankungen wie Asthma oder COPD tut das Trällern also sehr gut. Herz-Kreislauf- und Immunsystem profitieren und diverse Studien belegen zudem, dass Singen auch die psychische Gesundheit fördert, das Stresslevel senkt und die Stimmung hebt, ergo: glücklich macht. Am Uniklinikum Erlangen wird die Musiktherapie u. a. in der Onkologie, bei der Behandlung von Schmerzen, in der Psychiatrie und der Palliativmedizin eingesetzt. Singen und Musizieren kann die Patientinnen und Patienten entspannen, ihre Beschwerden lindern und ihnen Ausdrucksmöglichkeiten bieten, die sie vielleicht auf anderem Wege nicht (mehr) haben. Singen wir mit anderen zusammen, stärkt das unsere sozialen Beziehungen und wir fühlen uns verbundener. Am eigenen (Resonanz-)Körper habe ich das zuletzt in einer kleinen Nürnberger Kneipe erfahren, bei einer Veranstaltungsreihe namens „Sip and Sing“, zu Deutsch Bei welchem Lied schwelgen Sie am liebsten in Erinnerungen? Und wann haben Sie es zuletzt mitgesungen? franziska.maennel@uk-erlangen.de sozusagen „Nipp und sing“. Von „Amazing Grace“ wollte hier allerdings niemand etwas hören. An diesen Ort waren die mehrheitlich weiblichen Hobbysängerinnen nur aus einem einzigen Grund gekommen: wegen „I want it that way“ (deutsch: „Ich möchte es so“), einem Hit der Backstreet Boys aus dem Jahr 1999. „You aaaaaaaaaaaaaaaaare my fiiiiiiiiiiiiiiiiiire, the ooooooooooooooooooone desiiiiiiiiiiiiiiiiiiiire“ hallte es folglich drei Stunden lang laut und dreistimmig aus rund 30 Kehlen, die in den Singpausen regelmäßig mit kalten Getränken benetzt wurden. Auch wenn die Mehrheit das Lied wohl seit geschätzt 20 Jahren nicht mehr aktiv gehört oder artikuliert hatte – Text und Melodie saßen, für immer und ewig ins Langzeitgedächtnis eingraviert. Musikalische Erinnerungen bleiben ja nachweislich länger erhalten als sprachliche, das gilt auch für Menschen mit Demenz. Bei ihnen können bekannte Melodien sogar längst verloren geglaubte Erinnerungen wieder wachrufen – Szenen, Orte oder Emotionen aus der Vergangenheit. Und auch bei uns Sip-and-Sing-Sängerinnen und -Sängern kam bei „I want it that way“ so einiges wieder hoch: das Musikvideo mit den fünf Backstreet-Jungs am Flughafenhangar, das heute 1,5 Milliarden Klicks auf YouTube hat; BRAVO-Starposter, Schwärmereien für Nick, Brian, Kevin, AJ oder Howie, hypnotisches VIVA- und MTVGucken, Fan-Kritzeleien im Hausaufgabenheft, thea- tralische Wohnzimmer-Performances. An diesem Nachmittag in der kleinen Bar wurden Erwachsene wieder zu Teenies, verbunden durch gemeinsames Singen. Und obwohl sich die meisten nicht kannten, waren doch alle im Einklang. Auf dem Heimweg fühlte ich mich entspannt und beseelt und erkannte: Musik wirkt!
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