| 37 Medizin KOLUMNE – KLEINE SP[R]ITZE Smalltalk-Schweiß, Türklingel-Schock, CC-vs.-BCCParanoia – die Liste scheinbar banaler Alltagssituationen, die Unbehagen auslösen, ist lang. Auch mein Puls schießt in solchen Momenten nach oben. Doch nichts jagt mir mehr Angst ein als: Telefonieren. VON MAGDALENA HÖGNER Ich bin dann mal im Flugmodus Szz … Szz. Das Handy auf dem Tisch vibriert. Eine Nummer erscheint auf dem Bildschirm, darunter ein grüner Hörer – Anruf von Unbekannt. Panik steigt in mir hoch. Wer könnte das bloß sein? Und vor allem: Was möchte die Person von mir? Meine Handflächen beginnen zu schwitzen. Telefonangst – so könnte man das Gefühl nennen, das mich ereilt, sobald ich zum Hörer greife. Egal, ob ich angerufen werde oder selbst irgendwo durchklingeln muss: pure Panik. Sogar Freundinnen jagen mir einen Schrecken ein, wenn sie meine Nummer wählen. Dass ich die Person am anderen Ende der Leitung seit Jahren kenne, dass wir gemeinsam durch dick und dünn gegangen sind und uns unsere größten Geheimnisse anvertrauen? All das ist vergessen, sobald ihr Name unangekündigt auf dem Display erscheint. Kampf, Flucht oder einfach Handy auf Flugmodus? Meine Überlebensinstinkte sind geweckt. Natürlich weiß ich, dass die Angst, zum Hörer zu greifen, unbegründet ist. Ich kann mich schließlich nicht daran erinnern, jemals durch das Telefon angegriffen worden zu sein. Doch meine Gefühlswelt sieht das anders. Letztens habe ich zwei Freundinnen von meinem inneren Kampf mit dem Hörer erzählt – eine tröstliche Erfahrung. Denn: Beide gestanden mir, dass sie diese Angst nur zu gut kennen. So berichtete die eine, dass sie nur noch in Frisörsalons geht, bei denen man Termine über ein Online-Buchungstool vereinbaren kann – egal, wie schlecht die Google-Rezensionen sind! Die andere versicherte mir, dass schon viele Stunden ihrer Arbeitszeit in das Tippen langer E-Mails geflossen sind, deren Inhalt auch ein kurzer Anruf hätte vermitHaben Sie auch Ängste? Falls ja – wann haben Sie sich zuletzt einer von ihnen gestellt? magdalena.hoegner@uk-erlangen.de teln können. Wir sind uns einig: Mitarbeitende in CallCentern, an Empfangstresen oder im Verkauf – für uns sind sie wahre Heldinnen und Helden am Hörer! Tatsächlich sind wir mit unserer Telefonangst nicht allein. Während sich unsere Eltern und Großeltern noch über jedes unerwartete Klingeln freuen – besonders, wenn die verschollen geglaubte Tochter oder der lange abgetauchte Enkel mal wieder von sich hören lassen –, sieht das bei uns in der Generation Z anders aus: Laut dem Digitalverband Bitkom schreibt über die Hälfte der 16- bis 29-Jährigen lieber eine Nachricht, als anzurufen. 44 Prozent haben schon einmal einen wichtigen Anruf aus Angst aufgeschoben. Und selbst im engsten Kreis greift die „Gen Z“ selten spontan zum Hörer: Rund ein Drittel kündigt Gespräche mit Freunden oder Familie vorher an oder hofft umgekehrt auf eine Vorwarnung – per Textnachricht, versteht sich. Und weshalb? Wir drei sind überzeugt: Unsere Generation hat sich einfach an die bequeme Kommunikation per WhatsApp, Signal und Co. gewöhnt; wir fürchten Anrufe, weil sie uns zwingen, sofort zu reagieren – ganz ohne Emojis, Edit-Funktion oder Denkpause. Doch dann erzählt meine Freundin plötzlich von einem tollkühnen Wagnis: Bei der Wohnungssuche hatte sie ihre Traumwohnung entdeckt – Altbau, zentrale Lage, ruhiger Innenhof. Einziger Haken: keine E-MailAdresse. Nur eine Telefonnummer. Ihr blieb keine Wahl – sie rief an. Heute wohnt meine Freundin in ihrer Traumwohnung. Und ist, ganz nebenbei, über sich hinausgewachsen. Ihr Beispiel zeigt: Es lohnt sich, seinen Ängsten ab und zu den Kampf anzusagen. Ich atme also einmal tief ein – und berühre den grünen Hörer auf dem Display.
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