50 | Kopfsache Fortsetzung von S. 49 sozialen Medien vermittelt wird, spielen auch biologische Faktoren, etwa die Genetik und der Stoffwechsel, eine Rolle. Ebenso können bestimmte Persönlichkeitsmerkmale die Entstehung des Störungsbilds begünstigen, etwa ein niedriger Selbstwert, Perfektionismus und Leistungsorientierung. Kommt dann noch ein belastendes Ereignis hinzu, beispielsweise die Trennung der Eltern oder eben die Pandemie, kann dies eine Essstörung auslösen. Die Pubertät ist ohnehin eine sensible Phase im Leben eines Kindes – Aussehen und Figur spielen eine immer größere Rolle. Jugendliche machen sich viele Gedanken darüber, wie sie bei anderen ankommen – das erhöht die Anfälligkeit. Es gibt neben den verschiedenen Faktoren, die eine Essstörung begünstigen, also meist einen konkreten Auslöser? Häufig schon. Die Essstörung ist eine Strategie der Psyche, um auf ein problematisches Ereignis zu reagieren. Gerade Binge-Eating und Bulimie dienen häufig der Emotionsregulation; Betroffene essen übermäßig, um ihre eigentlichen Gefühle nicht spüren zu müssen. Doch auch die Stabilisierung des Selbstwerts über kontrolliertes Essen oder einen schlanken Körper kann eine Rolle spielen. Grundsätzlich „möchte“ die Essstörung den Kindern und Jugendlichen helfen, bestimmte Probleme zu lösen. Doch dieser Lösungsversuch ist offensichtlich dysfunktional. Wie können Essstörungen behandelt werden? Es gibt drei zentrale Säulen. Zum einen ist es das Ziel, das Essverhalten zu normalisieren: Die Kinder und Jugendlichen müssen erst wieder lernen, „normal“ zu essen, was eine angemessene Portion ist und dass bestimmte Lebensmittel nicht gefährlich sind. Bei Magersucht ist auch eine Gewichtsstabilisierung nötig. Hinzukommt die klassische Psychotherapie: In Einzel- und Gruppensitzungen erarbeiten wir mit den Patientinnen und Patienten ein Erklärungsmodell, um zu verstehen, welche Ursachen die Erkrankung hat. Anschließend bearbeiten wir die zugrunde liegenden Probleme und entwickeln gemeinsam gesunde Verhaltensstrategien, die die Jugendlichen anstelle der Essstörung nutzen können. Drittens ist es wichtig, die Eltern einzubeziehen. Für viele von ihnen ist die Erkrankung des Kindes sehr belastend. Die Eltern werden darin unterstützt, die Situation zu verstehen und ihr Kind zu begleiten. Wie lange dauert die Behandlung? Essstörungen sind ernste Erkrankungen. Die Behandlung kann – je nach Schweregrad – ambulant, teilstationär oder stationär erfolgen. Sie nimmt je nach Setting meist mehrere Monate oder Jahre in Anspruch. Welche Rolle spielt der Einfluss von Social Media in der Therapie? Wir greifen das Thema beispielsweise in der Gruppentherapie auf. Dort können die Jugendlichen sich austauschen und lernen, Inhalte kritisch zu hinterfragen. Wir versuchen, die Medienkompetenz zu stärken, schauen uns gemeinsam Profile an, sprechen über Beauty-Filter, Photoshop, KI und die emotionale Wirkung solcher Beiträge. Viele wissen zwar, dass ihnen bestimmte Inhalte nicht guttun – trotzdem fällt es ihnen schwer, sich davon abzugrenzen oder den Accounts zu entfolgen. Die emotionale Bindung ist zu stark. Können Inhalte in den sozialen Medien auch einen positiven Einfluss haben? Es gibt Hinweise, dass Recovery-Accounts, also solche, auf denen Betroffene ihren Heilungsweg teilen, motivierend wirken können. Aber auch hier ist Vorsicht geboten: Manchmal verschieben sich Probleme einfach – etwa von der Essstörung hin zu exzessivem Sport. Deshalb ist ein kritischer Blick immer notwendig. Welche Wirkung hätte ein vielfältigeres Körperbild auf Social Media? Die Präsenz unterschiedlichster Körperformen in den sozialen Medien könnte durchaus einen positiven Einfluss auf das Körperbild der Kinder und Jugendlichen haben. Es gibt in den sozialen Medien auch bereits Trends, etwa die Body-Positivity-Bewegung, die sich für die Abschaffung unrealistischer und diskriminierender Schönheitsideale einsetzen. Das Problem ist jedoch, dass die Algorithmen der Plattformen da- rauf ausgerichtet sind, den Nutzerinnen und Nutzern immer extremere Inhalte anzuzeigen. Es ist daher
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