Gesundheit erlangen - Herbst 2025

Das kostenlose Magazin des Uniklinikums Erlangen | www.gesundheit-erlangen.com | Herbst 2025 ■ Sportmedizin für Kinder und Jugendliche ■ Diabetes im Kindesalter: worauf es bei der Therapie ankommt ■ Wachstumsstörungen: Ursachen und Behandlungsmöglichkeiten Gesund groß werden Klinik-Besuchsdienst Ein offenes Ohr für Patientinnen und Patienten Wechseljahre Um- und Aufbruch in der Mitte des Lebens #SkinnyTok Gefährlicher Schlankheitstrend unter Jugendlichen

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| 3 Editorial Mein letzter Besuch bei der Kinderärztin ist schon ein paar Jahrzehnte her. Aber ich erinnere mich noch an die Kiste mit den kleinen Spielsachen, Aufklebern und Flummis, in die ich greifen durfte – genau in dem Moment, in dem die Ärztin die Nadel der Schutzimpfung an meinem Oberarm ansetzte. Eine Ablenkung, ein Lob – für so viel Tapferkeit. Dann ein Pflaster mit bunten Monstern drauf – und der unangenehme Pieks war gleich vergessen. Auch die zehnjährige Sophia durfte in eine solche „Schatzkiste“ greifen, nach einer anstrengenden Laufbanddia- gnostik in der sportärztlichen Unter- suchungsstelle der Kinderkardiologischen Abteilung. „Ich würde an deiner Stelle gut mit der Ärztin verhandeln“, hatte ihr der Sportwissenschaftler geraten, der diese Untersuchung durchführte. „Damit du dir was Schönes aussuchen darfst.“ Sophia fasste sich ein Herz und fragte. Und natürlich versprach ihr Kinderkardiologin PD Dr. Dr. Isabelle Schöffl, gleich mal nach ihrer „Spezialkiste“ zu schauen. Zu Sophias Mutter sagte die Ärztin: „Schauen Sie sich die Ultraschallbilder an – wie gut die aussehen. Sie können mich jederzeit anrufen, wenn noch etwas sein sollte.“ Das Herz der zehnjährigen Patientin, die Tanzen, Schwimmen und Tauchen liebt, ist seit einer starken Entzündung beeinträchtigt. Deshalb begleitet das sportmedizinische Team der Kinderkardiologie Sophia dabei, wieder sicher in Bewegung zu kommen. „Mama ist imDamit Sophia wieder tanzen kann Chefredakteurin von „Gesundheit erlangen“ mer ziemlich aufgeregt, wenn es um mein Herz geht“, sagt das Mädchen. „Ich bin es eigentlich nicht.“ Kind und Kardiologin sehen sich an wie Verbündete: Zu viele Sorgen sind aktuell nicht angebracht. So wie Dr. Schöffl müssen alle Kinderärztinnen und -ärzte immer auf zwei Ebenen kommunizieren: kindgerecht und beruhigend mit ihren Patientinnen und Patienten – und gleichzeitig sachlich, aufklärend und empathisch mit den Eltern. Sie müssen Vertrauen aufbauen zu den Kindern und Jugendlichen und ihnen auf Augenhöhe begegnen. Das braucht oft viel mehr Zeit als bei Erwachsenen. Wir haben für diese Ausgabe mit Medizinerinnen und Medizinern gesprochen, die sich diese Zeit gern nehmen – u. a. im Bereich Herz- und Sportmedizin (S. 8), Diabetes (S. 12) und Wachstumsstörungen (S. 16). Sie alle sind innerhalb der Kinder- und Jugendklinik des Uniklinikums Erlangen eng vernetzt und haben gemeinsam die gesunde Entwicklung ihrer jungen Patientinnen und Patienten im Blick. Ich wünsche Ihnen nun viel Freude beim Lesen der Geschichten von Sophia, Jette und Moritz – und der vielen anderen Beiträge, die wir wieder für Sie zusammengetragen haben. Bleiben Sie gesund und bewahren Sie das Kind in sich – egal, wie alt Sie sind! Ein beeindruckendes Talent … hat Direktionsassistentin Claudia Ehrhardt, die in ihrer Freizeit ehrenamtlich Para-Kletterinnen und -Kletterer trainiert. Die 61-Jährige bringt Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen dazu, über sich hinauszuwachsen. „Geht nicht“ gibts nicht in der Welt von Claudia Ehrhardt, die mit ihrem Team „Unmögliches“ möglich macht (S. 42).

4 | Themen dieser Ausgabe PRIMA KLIMA Zwischen Hitzewallungen und Stimmungsschwankungen gibt es so viel Leben, das gelebt werden will. Wie das gelingt? Eine Gynäkologin gibt Tipps. 3 Editorial NEUES AUS DEM UNIKLINIKUM 6 Erste roboterassistierte Nierentransplantation | Bundesverdienstkreuz für Prof. Gräßel 7 Mitfühlende Stadt: „Gemeinsam endlich“ | Patientenveranstaltungen des Uniklinikums TITEL 8 „Diese Ärztin ist ein Sechser im Lotto!“ Nach langer Krankheit zurück zum Sport 12 Jettes kleiner Supercomputer Diabetestherapie im Kindesalter 16 „Du bist aber groß geworden!“ Wachstumsstörungen adäquat behandeln FEATURE 20 „Wir können nicht heilen, aber wir können da sein“ Die wichtige Rolle des Klinik-Besuchsdiensts am Uniklinikum Erlangen MEDIZIN 26 Sprechstunde Selbstbestimmt durch die Wechseljahre 30 Die Welt dreht sich weiter, nur ich stehe still Neues aus Post-COVID-Forschung und -Therapie 34 Medizin gestern und heute Herzkatheter: vom Selbstversuch zur klinischen Routine 36 Mittel der Wahl Zellschutz dank Antioxidantien 37 Kolumne – Kleine Sp[r]itze Ich bin dann mal im Flugmodus 38 So klingt die Zukunft Weltweit erstes smartes CI in Erlangen implantiert 40 Das große Flattern Fledermäuse können Viren übertragen KINDER IN BEWEGUNG Das neue Kompetenznetz für Kinder- und Jugendsportmedizin Nordbayern unterstützt Heranwachsende dabei, sicher Sport zu treiben. 26 8

| 5 Themen dieser Ausgabe Video Weiterführende Informationen Kontaktaufnahme Persönlicher Kontakt zur Redaktion MENSCHEN 42 Zwei Seiten der Direktionsassistentin der Zahnärztlichen Prothetik Claudia Ehrhardt 44 Aus dem Medizinkästchen Palliativmediziner Prof. Dr. Christoph Ostgathe ERNÄHRUNG 46 Knallrote Knolle Was steckt in Roter Bete? KOPFSACHE 48 „Ich esse nichts, weil sie es auch nicht tun“ #SkinnyTok – Gefahren eines extremen Schlankheitstrends in sozialen Medien ERFORSCHT UND ENTDECKT 45 Long COVID: Hoffnung für Betroffene 53 Lauf gegen Krebs | Welt-Pankreaskrebstag 54 Lange Nacht der Wissenschaften am Uniklinikum Erlangen: Reise durch den Körper AKTIV LEBEN 56 Wenn Trends wehtun Von Yoga Wrist bis Indoor-Cycling-Knie ZUM SCHLUSS 60 Hausbesuch auf vier Pfoten 61 Rätsel | Gewinnspiel 62 Vorschau | Impressum GEFÄHRLICHER TREND Der Social-Media-Trend #SkinnyTok verherrlicht ein ungesundes Schlankheitsideal – und begünstigt die Entstehung von Essstörungen bei Kindern und Jugendlichen. IMMER EIN OFFENES OHR Der Klinik-Besuchsdienst schenkt kranken Menschen Zeit, ein offenes Ohr und menschliche Wärme – und das auf vielfältige Weise. 20 48

6 | Neues aus dem Uniklinikum Prof. Dr. Elmar Gräßel wurde für seine herausragenden Leistungen in der Demenzforschung, insbesondere zu nicht-medikamentösen Therapien, sowie seinen ehrenamtlichen Einsatz für Menschen mit Demenz und deren Angehörige mit dem Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland geehrt. Der Leiter des Zentrums für Medizinische Pionier der Demenzversorgung und Angehörigenforschung geehrt Bundesverdienstkreuz für Prof. Gräßel Versorgungsforschung und des Bereichs Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie der Psychiatrischen und Psychotherapeutischen Klinik des Uniklinikums Erlangen nahm die Auszeichnung im Juni 2025 aus den Händen des Bayerischen Ministerpräsidenten Dr. Markus Söder entgegen. „Das Bundesverdienstkreuz ist für mich eine große Anerkennung“, sagte Prof. Gräßel. „Ich danke allen, die mich auf meinem Weg empathisch begleiten und tatkräftig unterstützen.“ Ein Meilenstein seiner Arbeit ist die mehrfach ausgezeichnete MAKS®-Therapie – eine nicht-medikamentöse Aktivierungstherapie, deren Wirksamkeit in Studien belegt wurde und die sich in der Praxis einfach umsetzen lässt. Das Transplantationszentrum Erlangen-Nürnberg hat sein Behandlungsspektrum erweitert: Im Juli 2025 fand dort die erste roboterassistierte Lebendnierentransplantation mit dem Da-Vinci-Operationssystem statt. Dabei handelt es sich um ein OP-Verfahren, bei dem die Operateurin oder der Operateur die chirurgischen Ins- trumente von einer Konsole aus steuert – hochpräzise und millimetergenau. Für Patientinnen und Patien- ten bedeutet das: eine noch schnellere Genesung. „Wir verfügen über jahrelange Erfahrung mit dem OP-Roboter und setzen ihn etwa bei der operativen Entnahme der Prostata jährlich rund 100mal ein“, erklärte PD Dr. Hendrik Apel, leitender Oberarzt der Urologischen und Kinderurologischen Klinik des Uniklinikums Erlangen, der die Maximal schonendes OP-Verfahren am Uniklinikum Erlangen erstmals eingesetzt Premiere: Nierentransplantation mit Roboter erste Transplantation dieser Art in Erlangen durchführte. „Es lag deshalb nahe, diese Expertise auch auf die Nierentransplantation zu übertragen.“ Prof. Dr. Bernd Wullich, Direktor der Urologie, betonte: „DaVinci-OPs sind die Zukunft in den chirurgischen Fachbereichen. Es freut mich, dass wir die schonende Technik am Uniklinikum Erlangen nun auch Lebendnierenempfängerinnen und -empfängern anbieten können.“ PD Dr. Hendrik Apel steuert das Da-Vinci-Operationssystem mithilfe einer Konsole. Seine Handbewegungen werden extrem genau auf die chirurgischen Instrumente übertragen. Im Neuen Museum in Nürnberg überreichte Dr. Markus Söder das Bundesverdienstkreuz an Prof. Dr. Elmar Gräßel.

| 7 Neues aus dem Uniklinikum Unheilbare Krankheiten, Sterben und Verlust werden gesellschaftlich noch immer wenig thematisiert. Dies verstärkt die Einsamkeit und soziale Isolation Betroffener. „Sterben, Tod und Trauer gehen uns aber alle an. Deshalb wollen wir auch alle Bereiche der Gesellschaft, etwa Pflege, Vereine, Unternehmen und Politik, noch stärker auf die Bedürfnisse Schwerkranker und Sterbender aufmerksam machen“, erklärt Prof. Die Medizinische Klinik 1 – Gastroenterologie, Pneumologie und Endokrinologie veranstaltet am Samstag, 27. September 2025, von 9.00 bis 14.00 Uhr in den Hörsälen Medizin im Ulmenweg 18 ein Arzt-Patienten-Seminar zu chronisch-entzündlichen Darm- erkrankungen. Die Teilnahme ist auch online möglich (Infos und Anmeldung: www.aps-ced.com). Am Dienstag, 14. Oktober 2025, 16.00 bis 17.00 Uhr, lädt die Chirurgische Klinik Patientinnen und Patienten zur Veranstaltung „Diagnostik und Therapie von Lebertumoren“ in den Konferenzraum (EG, 00.354) des Chirurgischen Zentrums, Krankenhausstraße 12 (Zugang über Maximiliansplatz), ein. Eine Anmeldung ist nicht erforderlich (Infos: www.uker.de/ch-va). Neue Initiative will Tod und Trauer einen festen Platz in der Gesellschaft geben Informationen zu CED, Leberkrebs und Herzgesundheit Mitfühlende Stadt: „Gemeinsam endlich“ Patientenveranstaltungen des Uniklinikums Darm Leber Herz Am Dienstag, 25. November 2025, 18.00 bis 20.00 Uhr, findet im Rahmen der Herzwochen eine Telefonaktion mit Prof. Dr. Stephan Achenbach und Dr. Lars Anneken von der Medizinischen Klinik 2 – Kardiologie und Angiologie statt. Thema: „Gesunde Gefäße – gesundes Herz. Den Herzinfarkt vermeiden“. Dazu gibt es am Donnerstag, 27. November, 17.00 bis 19.00 Uhr, auch einen Patientenkongress (Hörsäle Medizin, Ulmenweg 18). Mehr Infos im November: www.medizin2.uk-erlangen.de Dr. Christoph Ostgathe, Leiter der Palliativmedizinischen Abteilung des Uniklinikums Erlangen. Am 1. September 2025 beginnt deshalb das Projekt „Gemeinsam endlich – Mitfühlende Stadt Erlangen und Umland“ für Betroffene, Angehörige und Interessierte. Es sollen spezielle Veranstaltungen, ein runder Tisch und eine neue regelmäßige Anlaufstelle eta- bliert werden. Beteiligung ist ausdrücklich erwünscht. Unterstützt wird das Projekt durch den Verein zur Förderung der Palliativmedizin am Universitätsklinikum Erlangen e. V., die Deutsche Fernsehlotterie/ Stiftung Deutsches Hilfswerk, die ALIVIA-Stiftung für Palliativversorgung, die Palliativmedizin des Uniklinikums Erlangen und deren Forschungsbeirat. Mitwirkung ist beim Projekt „Gemeinsam endlich – Mitfühlende Stadt Erlangen und Umland“ ausdrücklich erwünscht. PD Dr. Dr. Maria Heckel Telefon: 09131 85-37972 E-Mail: palliativmedizin@uk-erlangen.de

8 | Titel SPORTMEDIZIN Was, wenn ein Herzfehler, eine chronische Erkrankung oder ein orthopädisches Problem sportbegeisterte Kinder und Jugendliche ausbremst? Ein neues Kompetenznetz gibt Kindern wie Sophia Sicherheit. VON FRANZISKA MÄNNEL Sophia kann Räder schlagen – mit einer Hand. Sie kann Flickflack und Spagat „und hat Bauchmuskeln, die uns alle neidisch machen“, sagt ihre Mutter Christina A. Sophia liebt das Gardetanzen. „Ich mag es, auf der Bühne zu stehen“, erklärt die Zehnjährige mit Euphorie in den Augen. „Ich trete zum Beispiel gern in Seniorenzentren auf. Wenn die älteren Leute sich so freuen – das gefällt mir besonders gut.“ Das Mädchen hat Kraft und Ausdauer. Sophia ist fit – eigentlich. Denn: „In der Faschingssaison 2025 saßen wir hier in der Klinik. Statt zu tanzen, hing Sophia am Tropf“, erzählt ihre Mutter und bekommt feuchte Augen. „Das war ganz schön schlimm.“ „Ein Sechser im Pech-Lotto“ Ihre Tochter hatte eine bakterielle Infektion mit Streptokokken, die konsequent antibiotisch behandelt wurde. „Nach zwei, drei Wochen fielen mir aber ihre unruhigen Bewegungen und Sprachstörungen auf“, berichtet Christina A. Sophia wurde stationär in der Kinder- und Jugendklinik des Uniklinikums Erlangen aufgenommen. „Sie bekam infolge der Streptokokkeninfektion ein hierzulande extrem seltenes rheumatisches Fieber – als Überreaktion des Immunsystems“, erklärt Oberärztin und Kinderkardiologin PD Dr. Dr. Isabelle Schöffl. Das Risiko, als Kind daran zu erkranken, liegt bei unter 2 zu „Diese Ärztin ist ein Sechser im Lotto!“ Sophia mit Mama Christina A.

| 9 Titel 100.000. „Die Entzündung griff das Bewegungszentrum im Gehirn an und das Herz. Wir haben bei ihr eine mittelgradige Aortenklappeninsuffizienz festgestellt: Ihre Herzklappe schließt seitdem nicht mehr richtig.“ Die damals Neunjährige, die sonst ihre Beine in die Luft warf, konnte plötzlich keinen Schritt mehr gehen. Sie konnte nicht mehr richtig stehen, sitzen, atmen, sprechen und schlucken. „Ich habe Sophia im Rollstuhl durch die Klinik geschoben“, erinnert sich Christina A. „So eine Krankheit ist ein Sechser im Pech-Lotto.“ Wird Sophia mit ihrem Herzfehler je wieder tanzen können? „Gib alles!“ Nicolas Müller lotet heute mit Sophia die Grenzen des Möglichen aus. Der Sportwissenschaftler bereitet sie für eine Spiroergometrie auf dem Laufband In der Faschingssaison 2025 saßen wir hier in der Klinik. Statt zu tanzen, hing Sophia am Tropf. Mutter Christina A. vor – eine sportmedizinische Untersuchung von Herz, Lunge und Kreislauf. Er legt dem Mädchen eine spezielle Atemmaske an, EKG-Elektroden, ein Blutdruck- und ein Sauerstoffmessgerät. Ausführlich erklärt er Sophia alles, was gleich auf sie zukommt: „Du läufst ungefähr zwölf Minuten. Dabei wird das Laufband immer steiler, das Tempo schneller. Du gibst einfach alles. Es kann nichts passieren.“ Ein Sicherungsseil hält Sophia, sollte sie straucheln. Langsam läuft sie los, beschleunigt, zeigt zwischendurch auf einer farbigen Zahlenskala mehrfach an, wie fordernd es gerade für sie ist. 11 – leicht. 15 – anstrengend. 17 – sehr anstrengend. „Das sieht so professionell aus! Du machst das super“, lobt Mutter Christina, die hinter Sophia auf den Kanten des Laufbands steht. Das Mädchen geht ins Joggen über. Das Laufband zeigt steil bergauf. „Noch eine Minute, komm, halte durch!“, ermutigt Nicolas Müller. Geschafft! Sophia darf sich langsam „ausschlendern“. Die Kurven auf Nicolas Müllers Monitoren beweisen: Das Zusammenspiel zwischen Herz und Lunge funktioniert gut, der Kreislauf ist belastbar. „Sie liegt in ihrer Altersklasse über der Norm. Zwar ist sie noch nicht auf dem hohen Niveau von früher, aber sie ist sehr gut“, urteilt der Sportwissenschaftler und rät der Mutter: „Bauen Sie mit ihr intensive 30-sekündige Trainingseinheiten in den Alltag ein – Trampolinspringen, → Die zehnjährige Patientin und ihre Kinderkardiologin PD Dr. Dr. Isabelle Schöffl schlagen ein.

10 | Titel Fortsetzung von S. 9 Seilhüpfen, Treppenläufe. Danach eine Minute Pause und noch zwei, drei Durchgänge. Das Ganze zwei- bis dreimal die Woche. Ich gebe Ihnen einen Trainingsplan mit.“ Kindern Zugang zu Sport ermöglichen „Wir möchten noch viel mehr Kinder und Jugendliche wie Sophia in Bewegung bringen – egal, ob sie schon länger vorerkrankt sind, erst neuerdings gesundheitliche Beschwerden haben oder einfach unsicher sind, wie sie trainieren sollen“, erklärt Dr. Schöffl, die selbst sehr ambitioniert klettert, läuft und Ski fährt. „Kinder, die sich gern und viel bewegen, legen den Grundstein für eine gesunde Entwicklung und ein insgesamt aktives Leben. Sport stärkt zum Beispiel das Herz – deshalb sollen auch Patientinnen und Patienten mit einem Herzfehler unbedingt aktiv sein, natürlich nach einer eingehenden sportmedizinischen Diagnostik, Risikoabschätzung und Empfehlung. Das alles können wir hier anbieten.“ Termine in Erlangen und Bamberg Das neue Kompetenznetz für Kinder- und Jugendsportmedizin Nordbayern ist am Uniklinikum Erlangen und am Klinikum Bamberg zu Hause. Das hat den Vorteil, dass Patientinnen und Patienten schneller Termine bekommen und ihre Anlaufstelle je nach Wohnort auswählen können. „Wir sind eine offizielle Untersuchungs- und Beratungsstelle des Bayerischen Landes-Sportverbands und sowohl für Hobby- als auch für Leistungssportlerinnen und -sportler da. Dazu gehören auch Kader und Vereine“, erklärt Isabelle Schöffl. Während Erlangen den Fokus u. a. auf Herzerkrankungen, orthopädische Beeinträchtigungen bzw. Behinderungen, Laufsport und Fußball legt, konzentriert sich das Bamberger Team insbesondere auf Klettern, Skitouren und anderen Bergsport. „Wir ergänzen uns gut, können uns gegenseitig Patientinnen und Patienten zuweisen und durch die insgesamt größere Zahl an betreuten Kindern und Jugendlichen auch aussagekräftigere Forschung betreiben“, erklärt die Kinderherzexpertin. Verkabelt, gesichert – und los! Sophia zeigt auf dem Laufband, was nach mehreren Monaten Sportpause noch bzw. schon wieder in ihr steckt. Sportwissenschaftler Nicolas Müller (o.) stellt währenddessen sicher, dass sie sich in gesundem Maß belastet.

| 11 Titel Kinderkardiologie des Uniklinikums Erlangen Telefon: 09131 85-33721 E-Mail: ke-ambulanzanmeldung@uk-erlangen.de Zentrum für interdisziplinäre Sportmedizin des Klinikums Bamberg Telefon: 0951 503-12241 E-Mail: sporttraumatologie@sozialstiftung-bamberg.de Video: Nach langer Auszeit wieder bereit für Sport! www.gesundheit-erlangen.com Wenn Eltern bei uns sehen, was ihr Kind eigentlich kann, gibt ihnen das oft den Glauben zurück. Das Kind ist selbstwirksam, es kann und darf sich bewegen. PD Dr. Dr. Isabelle Schöffl Hör auf dein Herz Nach Sophias Laufbandanalyse geht es für sie anschließend noch zum Herz-Ultraschall bei Dr. Schöffl. Auch hier sieht alles den Umständen entsprechend gut aus; die Ärztin stellt heute, verglichen mit vorherigen Untersuchungen, sogar Verbesserungen fest. Als sie Sophia abhört, legt die Ärztin ihr spontan das Stethoskop an die Ohren. „Hörst du dein Herz?“ – Zögern. Lauschen. „Ja, ich höre es!“, sagt Sophia und strahlt. Auch ihre Mutter ist nun beruhigter. „Das war für mich heute extrem interessant – dieses Ausloten der Grenze zwischen Fordern und Überfordern. Dass sie das Laufen so durchgezogen hat – unglaublich, wenn ich an die Zeit im Rollstuhl denke. Sie hat einen unheimlichen Ehrgeiz, und der hat uns in der ganzen Zeit auch sehr geholfen.“ So groß das Pech mit dem rheumatischen Fieber gewesen sei, so dankbar sei Christina A. jetzt für Isabelle Schöffl, die ihr so viele Ängste genommen habe. „Diese Ärztin ist ein Sechser im Lotto!“ Die Kinderkardiologin richtet sich abschließend noch einmal an ihre PatiSophia hört ihren eigenen Herzschlag durch das Stethoskop. entin, die mittlerweile auf dem Schoß ihrer Mutter sitzt. In der kommenden Woche will Sophia das erste Mal wieder zum Gardetraining. „Was sollst du der Mama sagen, wenn sie sich Sorgen macht?“ – „Ich bin ein gesundes Kind!“, ruft die Zehnjährige, und gibt ihrer Ärztin ein High five.

12 |Titel Jettes kleiner Supercomputer DIABETES BEI KINDERN Im November 2022 stellt eine Typ-1-Diabetes-Diagnose das Leben von Jette und ihrer Familie auf den Kopf. Doch die Zehnjährige verliert weder Mut noch Lebensfreude. Eine Insulinpumpe ist seitdem ihre treue Begleiterin. VON MAGDALENA HÖGNER „Ein Brötchen hat 32 Gramm Kohlehydrate, ein Laugenhörnchen 47, ein Wassereis fünf“, zählt Jette auf. Sie könnte die Liste noch stundenlang fortführen. Mit nur zehn Jahren kennt das Mädchen den Kohlehydratgehalt sehr vieler Lebensmittel auswendig. Denn: Jette hat Typ-1-Diabetes und muss darauf achten, dass ihr Blutzuckerspiegel auf einem einigermaßen konstanten Niveau bleibt. Und zwar jeden Tag, rund um die Uhr. „Diabetes wird oft mit älteren Menschen in Verbindung gebracht, dabei erkranken hierzulande auch immer mehr Kinder und Jugendliche daran“, erklärt PD Dr. Johanna Hammersen, Oberärztin im Fachbereich Pädiatrische Endokrinologie, Diabetologie und Stoffwechselmedizin der Kinder- und Jugendklinik des Uniklinikums Erlangen. „Während bei Erwachsenen oft ein Typ-2-Diabetes vorliegt, ist bei Kindern und Jugendlichen der Typ-1-Diabetes die häufigste Form des Diabetes mellitus. Etwa eine von 250 Personen ist im Lauf des Lebens von Typ-1-Diabetes betroffen – Tendenz steigend.“ Der Schlüssel schließt nicht mehr Sowohl bei Diabetes Typ 1 als auch bei Typ 2 ist der Blutzuckerspiegel dauerhaft erhöht, weil dessen körpereigene Regulation durch das Hormon Insulin gestört ist; die Körperzellen werden nicht mehr ausreichend mit dem Einfachzucker Glukose – also Energie – versorgt. „Insulin funktioniert wie ein Schlüssel, der die Türen im Gewebe öffnet, also beispielsweise Muskelzellen, damit der Zucker aus dem Blut in das Zellinnere gelangen kann“, beschreibt die Kinderärztin. „Bei Typ-2-Diabetes sind diese Körperzellen aber gegenüber dem körpereigenen Insulin resistent geworden – der Schlüssel passt nicht mehr ins Schloss. Beim Typ-1-Diabetes handelt es sich hingegen um eine Autoimmunerkrankung, aufgrund derer die Inselzellen der Bauchspeicheldrüse kein Insulin mehr produzieren können – der Körper ist folglich nicht mehr in der Lage, den Schlüssel herzustellen. Und auch die Blutzuckermessung funktioniert nicht mehr regelhaft.“ Auch Jettes Körper stellte die Insulinbildung plötzlich ein: Bei einer Vorsorgeuntersuchung im November 2022 bemerkte der Kinderarzt, dass der Zuckerwert im Urin der damals Siebenjährigen deutlich erhöht war. Daher überwies er Jette an die Kinderklinik in Erlangen. Der Verdacht: Typ1-Diabetes. „Die Ärzte haben mich in den Finger gepiekst“, erinnert sich das Mädchen. „Dann haben sie Blut abgenommen und ich musste zehn Tage auf Station bleiben.“ Glück im Unglück „Jette hatte Glück – denn oft bleibt die Krankheit unentdeckt, bis Betroffene eine sogenannte Keto- azidose erleiden. Das heißt, der Stoffwechsel ent-

| 13 Titel Immer cool: Jette lässt sich von ihrer Erkrankung nicht unterkriegen. Stolz berichtet sie: „Ich bouldere – trotz Diabetes!“ Unsere Patientinnen und Patienten sollen ihr Leben ganz normal weiter- führen können – nur eben mit Insulin. PD Dr. Johanna Hammersen gleist wegen des fehlenden Insulins so stark, dass der Körper infolge des Energiemangels unkontrolliert Fett abbaut. Dabei entstehen Stoffwechselprodukte, die zu einer lebensgefährlichen Übersäuerung führen und Übelkeit, Erbrechen und Bauchschmerzen hervorrufen. In solchen Fällen zählt jede Stunde“, erläutert Dr. Hammersen. Um akute Komplikationen wie diese zu vermeiden, müssen Betroffene ein Leben lang darauf achten, ihren Blutzuckerspiegel konstant zu halten; das heißt: rechtzeitig etwas essen, wenn der Blutzuckerspiegel sinkt, und zusätzliches Insulin zuführen, wenn er steigt. „Typ1-Diabetes ist nicht heilbar, aber wir können die Symptome behandeln – und zwar sehr gut!“, betont die Diabetologin. „Die Diagnose war natürlich erst mal ein Schock“, erinnert sich Jettes Mama. „Gemeinsam mit dem Ärzteteam haben wir uns für eine Behandlung mit Insulinpumpe entschieden. Dabei überwacht ein Sensor den Blutzuckerspiegel und eine Pumpe führt dem Körper kontinuierlich kleine, für die jeweilige Situation passgenaue Mengen Insulin zu.“ Obwohl die Pumpe automatisch arbeitet, erfordert der Alltag mit Typ-1-Diabetes viel Aufmerksamkeit: Alles, was Jette isst, muss sie dem kleinen Computer mitteilen – die Brotzeit in der Schulpause, das Mittagessen mit den Eltern und die Naschereien auf dem Kindergeburtstag. Auch wenn Jette Sport macht – sie hat vor Kurzem das Bouldern für sich entdeckt –, muss sie das erfassen. Nur so kann die Pumpe auf die zu erwartende Veränderung des Blutzuckerspiegels reagieren und die passende Insulinmenge abgeben. Hinzukommt: Das Infusionsset – also Kanüle und Schlauch – müssen alle zwei bis drei Tage gewechselt werden. Die Behandlung mit der Insulinpumpe ist deshalb echte Teamarbeit zwischen Jette und ihren Eltern. „Wir machen die Familien startklar“ Um Familien auf den Alltag mit Diabetes vorzubereiten, bietet die Kinderklinik in Erlangen eine sieben- bis vierzehntägige Schulung an. Ein interdisziplinäres Team – bestehend aus Ärztinnen →

14 | Katrin Alanocak (l.) und PD Dr. Johanna Hammersen erklären Jette, wie die Insulinpumpe aufgebaut ist – der Spaß darf dabei nicht fehlen. Mit viel Empathie und Feingefühl begleiten Katrin Alanocak, PD Dr. Johanna Hammersen und Alexandra Schriefer (v. l. n. r.) sowie das gesamte Team des Fachbereichs Pädiatrische Endokrinologie, Diabetologie und Stoffwechselmedizin ihre Schützlinge – oft bis ins junge Erwachsenenalter. Titel Die Kinder sind nicht nur unsere Patientinnen und Patienten – sie sind unsere Schützlinge! Katrin Alanocak Fortsetzung von S. 13 und Ärzten, Diabetes- und Ernährungsberaterinnen und -beratern, Psychologinnen und Psychologen, Physiotherapeutinnen und -therapeuten sowie Mitarbeitenden aus Pflege und Sozialdienst – macht die Eltern und das Kind startklar für ein Leben mit der Insulintherapie. Auch das Lehr- und Betreuungspersonal in Kindergarten oder Schule wird einbezogen: Es erhält Informationen über die Erkrankung und lernt, wie im Notfall richtig reagiert werden muss. „Es ist ganz wichtig, dass die Therapie zum individuellen Tagesablauf passt. Jede Familie hat andere Bedürfnisse und Fragen – und wir möchten darauf eingehen“, erklärt Katrin Alanocak, Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerin und Diabetesberaterin in der Kinderklinik. Dr. Hammersen ergänzt: „Unsere Patientinnen und Patienten sollen ihr Leben ganz normal weiterführen können – nur eben mit Insulin.“ Gemeinsam durch dick und dünn Nach der stationären Schulung bleiben die jungen Patientinnen und Patienten weiter in enger Betreuung: Etwa alle drei Monate kommen sie zu Kontrollterminen in die Kinderklinik. „Dabei besprechen wir

Diabetes: 1, 2 oder 3? Typ 1 Typ-1-Diabetes ist eine Autoimmunerkrankung, bei der das körpereigene Abwehrsystem die insulinproduzierenden Zellen in der Bauchspeicheldrüse zerstört. Betroffene müssen sich lebenslang Insulin zuführen, um ihren Blutzuckerspiegel zu regulieren. Die genauen Ursachen sind bisher ungeklärt. Typ-1-Diabetes tritt häufig schon im Kindesalter auf. Typ 2 Bei einem Typ-2-Diabetes handelt es sich um eine chronische Stoffwechselerkrankung, bei der der Körper anfangs zwar noch Insulin produziert, es aber nicht mehr richtig wirkt; die Zellen haben eine Insulinresistenz entwickelt. Sie tritt meist erst bei Erwachsenen auf – vor allem bei Menschen mit Übergewicht, Bewegungsmangel oder genetischer Veranlagung. Inzwischen sind jedoch auch immer mehr Jugendliche betroffen. Durch gesunde Ernährung, Bewegung und Medikamente lässt sich der Krankheitsverlauf oft gut kontrollieren. Typ 3 Seltener auftretende Formen von Diabetes mellitus werden unter dem Sammelbegriff Typ-3-Diabetes zusammengefasst. Hierzu gehören zum Beispiel seltene genetische Formen des Diabetes mellitus, bei denen der Regelkreis der Glukosemessung und Insulinausschüttung gestört sein kann. Sie bedürfen einer individuellen Behandlung, abhängig von der jeweiligen Ursache. | 15 Titel Kinderklinik Sprechstunde für Diabetes Telefon: 09131 85-33136 www.uker.de/ki-endo-diabetes Die Insulinpumpe, ein kleiner Supercomputer, übernimmt die Aufgabe von Jettes Bauchspeicheldrüse: Sie versorgt ihren Körper kontinuierlich mit Insulin. den Verlauf, passen die Insulindosis an und helfen bei Fragen und Problemen“, erläutert Dr. Hammersen. Die Kinder und Jugendlichen werden in Erlangen bis zum Alter von 21 Jahren begleitet – oft über einen langen Zeitraum. „Wenn wir sie schließlich verabschieden, ist das oft sehr emotional“, erzählt Alexandra Schriefer, ebenfalls Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerin und Diabetesberaterin. „Wir kennen viele von ihnen seit dem Kleinkindalter und haben alle Entwicklungsphasen mit ihnen durchlebt – auch die Höhen und Tiefen der Pubertät.“ Katrin Alanocak nickt: „Die Kinder sind nicht nur unsere Patientinnen und Patienten – sie sind unsere Schützlinge!“ Das Leben soll gelebt werden Auch Jette und ihre Eltern kommen regelmäßig zu Kontrollterminen – oder wie die Zehnjährige es nennt: „zum Pieksen“. Sie wird lebenslang auf die Unterstützung durch die Insulinpumpe angewiesen sein. Doch Jette bleibt cool – sie weiß inzwischen, was ihr guttut: „Man darf sich das Leben nicht verderben lassen, indem man immer nur einem Diätplan oder den perfekten Blutwerten hinterherläuft! Es ist auch wichtig, Spaß zu haben, stimmts?“, sagt Jettes Mutter und sieht ihre Tochter an. Jette nickt und lächelt.

16 | Titel „Drei Prozent aller Kinder sind auffällig klein oder auffällig groß. Das allein muss aber nicht krankhaft sein“, erklärt Prof. Dr. Joachim Wölfle, Direktor der Kinder- und Jugendklinik des Uniklinikums Er- langen. „Wachstumsstörungen fallen vor allem dann auf, wenn wir uns den zeitlichen Verlauf ansehen. Dass ein Kind verlangsamt wächst, ist gar nicht so selten. Dabei spielen viele Faktoren eine Rolle – zum Beispiel eine zu geringe Kalorienzufuhr, eine schlechte Kalorienaufnahme im Darm, chronische Entzündungen oder andere Erkrankungen, für die der Körper einfach mehr Energie aufwenden muss.“ Hier sei es vor allem die Aufgabe niedergelassener Kinderärztinnen und -ärzte, bei den Vorsorgeuntersuchungen verschiedene Grunderkrankungen auszuschließen. „Mukoviszidose oder Zöliakie sind zum Beispiel typische Ursachen dafür, dass betroffene Kinder oft erst im Gewicht abfallen und später auch verlangsamt wachsen“, erklärt der „Du bist aber groß geworden!“ WACHSTUMSSTÖRUNGEN Wenn Kinder für ihr Alter zu klein sind, steckt oft eine Grunderkrankung dahinter, die behandelt werden muss. Seltener kann auch eine primäre Wachstumsstörung die Ursache sein. Dann kommen die Expertinnen und Experten der Erlanger Kinderklinik ins Spiel. VON FRANZISKA MÄNNEL Während der zwölfjährige Moritz gemessen wird, achtet Prof. Dr. Joachim Wölfle darauf, dass der Kopf – gemäß der sogenannten Frankfurter Horizontalen – gerade ausgerichtet ist.

| 17 Titel Experte. „Wachstumsstörungen im eigentlichen Sinn, die genetisch oder hormonell bedingt sind, kommen aber viel seltener vor. Zum Beispiel kann es da sein, dass die Hirnanhangsdrüse oder die Schilddrüse nicht genügend Hormone produzieren. Sehr selten können auch Knochenerkrankungen ursächlich sein“, fährt Prof. Wölfle fort. Die Gesellschaft verändert sich „Es war lange so, dass Kleinwuchs vor allem bei Jungen auffiel und Hochwuchs bei Mädchen“, erläutert der Pädiater. „Das lag vor allem daran, dass Jungen nicht so gern klein und Mädchen nicht so gern groß sein wollten. Wir beobachten, dass sich das verändert, weil die Gesellschaft dazugelernt hat und die Akzeptanz auffälliger, unter- oder überdurchschnittlicher Körpergrößen allgemein gestiegen ist.“ Bekommen Mädchen mit Hochwuchs dennoch hoch dosierte weibliche Geschlechtshormone, um ihr Wachstum zu bremsen, kann das nennenswerte Nebenwirkungen haben, wie der Kinderarzt einräumt: „Studien belegen, dass diese Therapie die weibliche Fruchtbarkeit negativ beeinflussen kann. Auch Hautprobleme und Gewichtszunahme kommen vor. Deshalb sind wir bei der hormonellen Behandlung des Hochwuchses mittlerweile deutlich zurückhaltender. Der Ansatz ist heute eher der, die Wachstumsfugen zwischen Ober- und Unterschenkel chirurgisch zu behandeln, sodass sich diese schneller schließen und das Längenwachstum früher aufhört. Das gilt auch für Jungs mit Hochwuchs.“ Fehlt das Wachstumshormon? In der endokrinologischen Sprechstunde sehen Prof. Wölfle und seine ärztlichen Kolleginnen und Kollegen ohnehin überwiegend Kinder und Jugendliche mit Kleinwuchs. Sie werden von kinderärztlichen Praxen weitervermittelt, wenn diese eine auffällige Wachstumsentwicklung im Verlauf oder auffällige Blutwerte feststellen. „Wird ein Wachstumshormonmangel vermutet, schauen wir uns das hier genauer an“, erklärt Joachim Wölfle. Seine Klinik verfügt über ein eigenes klinisches Labor für solche Fragestellungen. Kinderendokrinologie, -orthopädie und -radiologie arbeiten Hand in Hand, wenn Jungen oder Mädchen ungewöhnliche Wachstumskurven zeigen. „Einen Mangel an Wachstumshormon festzustellen, ist nicht leicht, weil es nicht konstant ins Blut abgegeben wird, sondern in sogenannten Pulsen – und das vor allem nachts. Wenn alle Kriterien für eine erweiterte Diagnostik erfüllt sind, machen wir deshalb Stimulationstests mit den Kindern: Sie bekommen ein Medikament, das das Wachstumshormon im Blut normalerweise ansteigen lässt. Passiert das in zwei unabhängigen Tests nicht, besteht ein Mangel.“ Ist dieser bestätigt, werden mittels MRT zunächst Auffälligkeiten im Gehirn, insbesondere in der Hirnanhangsdrüse, ausgeschlossen, denn das Wachstumshormon wird eigentlich in dieser Drüse gebildet – ein Tumor könnte das verhindern. Wenn die Bildgebung unauffällig ist, können Ärztinnen und Ärzte das Hormon medikamentös ersetzen. Mit einem Injektions-Pen spritzen es die Eltern oder das Kind dann täglich oder wöchentlich selbst. Beim Start ins Leben zu klein Auch der heute zwölfjährige Moritz ist seit einigen Jahren Patient der Erlanger Kinderklinik. Er kam → Einen Mangel an Wachstumshormon festzustellen, ist nicht ganz leicht, weil es nicht konstant ins Blut abgegeben wird. Prof. Dr. Joachim Wölfle

18 |Titel Fortsetzung von S. 17 bereits mit einer unterdurchschnittlichen Größe zur Welt und war das, was in der Pädiatrie SGA genannt wird: Small for Gestational Age – zu klein für das Schwangerschaftsalter. „Die meisten Kinder holen diesen schlechten Start in den ersten zwei Lebensjahren wieder auf. Etwa zehn Prozent – dazu gehörte auch Moritz – tun das allerdings nicht“, erklärt Joachim Wölfle. „Wir beobachten dann das Wachstum bis zum vierten Lebensjahr. Erst ab diesem Zeitpunkt können wir überhaupt über eine unterstützende Hormontherapie nachdenken.“ Weil Moritz’ Körpergröße bis zum Grundschulalter deutlich unter der Norm blieb, entschieden sich seine Eltern für die Behandlung mit einem sogenannten rekombinanten Wachstumshormon. Bei Therapiestart war Moritz sieben Jahre alt. „Laut Prognose hätte er ohne das Medikament nur 1,60 m erreicht. Wir wollten ihm ermöglichen, gröProf. Wölfle erklärt Moritz und seinem Vater Sven Feilner, wie sich am Handgelenk das Wachstum vorhersagen lässt. Alle sechs Monate ist der Junge am Uniklinikum Erlangen zur Kontrolle. Folgen von Kleinwuchs Neben psychosozialen Problemen kann Kleinwuchs auch eine verminderte Muskel- oder Knochenmasse sowie eine verringerte körperliche Leistungsfähigkeit mit sich bringen. Außerdem sind gestörte Körperproportionen sowie orthopädische oder stoffwechselbezogene Beschwerden möglich.

| 19 Titel Vernachlässigung oder Misshandlungen erfahren oder schwer traumatisiert werden, kann sich das auf ihre Größe auswirken“, weiß Prof. Wölfle. „Wir sprechen dann von psychosozialen Wachstumsstörungen. Es ist oft gar nicht so leicht, diese von hormonellen oder anderen Wachstumsstörungen abzugrenzen. Ich bin überzeugt, dass wir Kinderärzte und -ärztinnen dahingehend noch aufmerksamer sein müssen.“ Am Uniklinikum Erlangen ist u. a. eine Kinderschutzgruppe speziell dafür geschult, Kindeswohlgefährdungen zu erkennen. An das Ullrich-Turner-Syndrom denken Seit Jahren sensibilisiert der Endokrinologe zudem für das seltene Ullrich-Turner-Syndrom. Mädchen fehlt bei diesem Krankheitsbild ein X-Chromosom teilweise oder vollständig. „Bei ihnen macht sich dann in der Regel vor der Einschulung eine Wachstumsstörung bemerkbar. Dazu kommen später nicht selten Auffälligkeiten beim Hören, häufige Mittelohrentzündungen, Probleme mit den Eierstöcken oder dem Herzen. Kinderärztinnen und -ärzte sollten also hellhörig werden, wenn diese Dinge zusammenkommen. Das durchschnittliche Diagnosealter von acht Jahren ist noch immer zu hoch“, findet der Experte. Eine Therapie mit Wachstumshormon, wie sie Moritz wohl noch bis zum 16. Lebensjahr bekommt, ist meist sehr gut verträglich. „Eine ausführliche Beratung zu möglichen Nebenwirkungen und zu einer realistisch erreichbaren Endlänge ist für uns immer essenziell. Die Größe der Eltern gibt dabei maßgeblich den Korridor vor, in dem sich das Kind später bewegen wird“, betont Prof. Wölfle. Aktuell sieht es so aus, als ob Moritz 1,79 m werden könnte – und damit sogar noch etwas größer als sein Vater. ßer zu werden – vorausgesetzt, er spürt keine Nebenwirkungen und kommt mit dem Spritzen gut zurecht“, erklärt sein Vater Sven Feilner. Bis heute verabreicht er seinem Sohn das Hormon jeden Abend vor dem Schlafengehen. „Das dauert nicht mal eine halbe Minute und ist für mich ganz normal“, sagt der Junge gelassen. Mittlerweile misst der Sechstklässler über 1,40 m und ist damit ähnlich groß wie Gleichaltrige. „Zur Einschulung war das noch anders“, erinnert sich Sven Feilner. „Da kam eine Reihe Schülerinnen und Schüler auf einer Höhe, und dann gab es einen steilen Knick nach unten – da stand Moritz.“ Der Junge erfuhr Zuspruch von seinen Eltern und war mental stark genug, um zu verarbeiten, dass er beim Schulfußball öfter von größeren Mitspielern zur Seite gedrängt wurde. Den Umständen nicht gewachsen Doch weniger selbstbewusste Kinder kann ihr Kleinwuchs seelisch stärker belasten. „Deshalb ziehen wir in der Regel auch psychologische Unterstützung hinzu“, betont Prof. Wölfle. Aber der Zusammenhang besteht auch umgekehrt, denn: Den Umständen im wahrsten Sinne nicht gewachsen sind Kinder, die unter sehr schwierigen Bedingungen leben. „Wenn sie emotionale oder körperliche Endlängenprognose Mithilfe einer Röntgenaufnahme der linken Hand berechnen Kinderärztinnen und -ärzte, „wo die Reise der Körpergröße hingeht“, wie Prof. Wölfle sagt. Besonders im Fokus: die Handwurzelknochen und die Wachstumsfugen der Finger. An ihnen lässt sich das Knochenalter ablesen. Liegt es hinter dem Lebensalter, bleibt – vereinfacht gesagt – noch Zeit zum Wachsen; ist das Knochenalter voraus, ist das Längenwachstum früher beendet. Kinderklinik Sprechstunde für Endokrinologie Telefon: 09131 85-33735 www.uker.de/ki-endo-diabetes

20 | Feature „Wir können nicht heilen, aber wir können da sein“ KLINIK-BESUCHSDIENST Zeit, ein offenes Ohr und menschliche Wärme – die ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer des Klinik-Besuchsdiensts Erlangen e. V. schenken Kraft, wo eine medizinische Behandlung allein nicht ausreicht. Und das auf vielfältige Weise. VON MAGDALENA HÖGNER „I ess dann amol a Stückla Kuucha“ – „Das ganze oder die Hälfte?“ – „Freilich das ganze!“ – Ein Stück Erdbeerkuchen landet auf dem Teller von Renate Werner*. Dazu gibt es Kaffee – mit einem „Schlückla“ Milch und einem Stück Zucker. Mit fünf Mitpatientinnen und -patienten sitzt Renate Werner im Aufenthaltsbereich der Station D2 der Medizinischen Klinik 5 – Hämatologie und Internistische Onkologie. Rotes Sofa, helle Holztische, Tageslicht. Die Atmosphäre ist freundlich, die Stimmung gelöst. Hier beim Patientencafé im Internistischen Zentrum des Uniklinikums Erlangen spenden nicht nur warme Getränke und süße Leckereien Kraft: Es sind vor allem die Gespräche und der Austausch untereinander, die neue Energie geben. Vor rund zehn Jahren wurde das offene Angebot von der Medizin 5 ins Leben gerufen. Seitdem findet es jeden Montag um 15.00 Uhr statt – eine Anlaufstelle für Menschen, die mit einer schweren Diagnose leben müssen und damit nicht allein bleiben wollen. Verein gegen die Einsamkeit „Einsamkeit macht krank. Zwischenmenschlicher Kontakt hingegen ist – ergänzend zur medizinischen Behandlung – eine wichtige Zutat für Gesundheit“, sagt Elisabeth Preuß, Erste Vorsitzende des Klinik-Besuchsdiensts Erlangen e. V. „Deshalb möchten wir den Patientinnen und Patienten auf ihrem Weg zur Heilung beistehen.“ Seit mittlerweile mehr als 50 Jahren setzen sich die Mitglieder des Vereins mit viel Herz, Leidenschaft und Empathie für Patientinnen und Patienten des Uniklinikums Erlangen und weiterer Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen in der Hugenottenstadt ein – und zwar auf unterschiedliche Weise: Sie machen kleinere Besorgungen, etwa in der Apotheke, vermitteln günstige Übernachtungsmöglichkeiten für Angehörige oder unterstützen Menschen ohne ausreichende Deutschkenntnisse mit Übersetzungen. Vor allem aber schenken sie Patientinnen und Patienten Zeit und Nähe – durch persönliche Besuche am Krankenbett und das wöchentliche Patientencafé im Internistischen Zentrum des Uniklinikums Erlangen: „Es sind immer wieder Menschen in Behandlung, deren Angehörige weiter weg wohnen, die selbst nicht mehr mobil sind oder die niemanden mehr in ihrem Leben haben, der sie besuchen könnte. An sie richtet sich unser kostenloses →

| 21 Feature Bei unseren Besuchen geht es um die Patientinnen und Patienten. Wir möchten ihnen den Raum geben, den sie gerade brauchen. Dorothee Wolf

22 | Feature Herzensorte Die Ehrenamtlichen des Klinik-Besuchsdiensts e. V. sind am Uniklinikum Erlangen in der Kinder- und Jugendklinik, der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirur- gischen Klinik, der Strahlenklinik, der Frauenklinik und der Medizinischen Klinik 5 – Hämatologie und Internistische Onkologie im Einsatz. Fortsetzung von S. 20 Angebot – aber auch an alle, die einfach mal mit einer anderen Person über ihre Erkrankung, ihre Sorgen, aber auch ganz alltägliche, leichte Themen sprechen möchten“, erläutert Elisabeth Preuß. „Patientinnen und Patienten, die sich Kontakt wünschen, können sich direkt in unserer Geschäftsstelle, über das Pflegepersonal oder Ärztinnen und Ärzte bei uns melden oder zum Patientencafé kommen“, erklärt Brigitta Läger, Geschäftsführerin des Vereins. Einfach da sein „Wir können die Erkrankungen nicht heilen, aber wir können für die Betroffenen da sein“, sagt Dorothee Wolf, eine von rund 70 Ehrenamtlichen des Klinik-Besuchsdiensts. Sie und zwei Kolleginnen begleiten gemeinsam mit dem Psychoonkologischen Dienst des Uniklinikums Erlangen und mit Unterstützung der Klinikseelsorge das Patientencafé im Internistischen Zentrum. Zusätzlich besucht Dorothee Wolf seit mehr als zehn Jahren regelmäßig Patientinnen und Patienten in ihren Zimmern. Sie weiß, worauf es im Gespräch mit einer schwer kranken Person ankommt: zuhören können ist essenziell. „Bei unseren Besuchen soll es nicht um uns gehen, sondern um die Patientinnen und Patienten. Wir möchten ihnen den Raum geben, den sie gerade brauchen“, erklärt die 63-Jährige. Den Menschen als Ganzes sehen – darum geht es. Zugewandt sein, spüren, welches Bedürfnis gerade da ist: Möchte jemand weinen, sprechen, lachen oder einfach nur gemeinsam schweigen? Das Ehrenamt beim Klinik-Besuchsdienst erfordert viel Feingefühl und Menschenkenntnis. Geben und Nehmen „Viele unserer Ehrenamtlichen waren zuvor in der Pflege tätig – sie haben ein Gespür für das, was gerade wichtig ist“, weiß Brigitta Läger. „Wir bieten ihnen auch regelmäßig Kommunikationsseminare an, in denen sie auf verschiedene Gesprächssituationen vorbereitet werden.“ Doch Fachwissen ist nicht entscheidend – davon ist Dorothee Wolf überzeugt: „Niemand muss bei uns medizinische Expertin oder medizinischer Experte sein. Von Herzen das aufrichtige Bedürfnis zu haben, helfen zu wollen – das ist eigentlich die beste Voraussetzung.“ Und: Das Ehrenamt beim Klinik-Besuchsdienst ist Die Ehrenamtlichen des Klinik-Besuchsdiensts sowie Dr. Martina Madl und ihre Kolleginnen und Kollegen vom Psychoonkologischen Dienst leiten gemeinsam das wöchentliche Patientencafé.

| 23 Feature Wie alles begann Der Klinik-Besuchsdienst Erlangen e. V. entstand aus einer kleinen Gruppe engagierter Erlangerinnen, die einsamen Patientinnen und Patienten beistehen wollten. Aus ersten Besuchen wurde ein fester Zusammenschluss – 1974 wurde der Verein gegründet, der heute unter dem Dach des Diakonischen Werks Bayern aktiv ist. Patientin Yadikar I. und Dorothee Wolf (l.) sind einander vertraut – sie tauschen sich nicht nur über Fortschritte in der Therapie und den Umgang mit der Erkrankung, sondern auch über Privates aus. auch für die Besuchenden erfüllend. „Viele unserer Mitglieder sagen, dass sie aus den Besuchen viel für sich selbst und ihr weiteres Leben mitnehmen können – sie zehren regelrecht davon“, berichtet Elisabeth Preuß. Dies durfte auch Margita Müller schon mehrfach erfahren. Die 73-Jährige ist seit beinahe 20 Jahren für den Klinik-Besuchsdienst im Einsatz. Zu Beginn begleitete sie Patientinnen und Patienten in der Psychiatrischen und Psychotherapeutischen Klinik, heute widmet sie ihre Zeit vor allem der Kinder- und Jugendklinik sowie der Frauenklinik. Eine Patientin ist ihr besonders im Gedächtnis geblieben: eine junge Frau, die wegen ihres Suizidversuchs in der Psychiatrie in Behandlung war. „Man konnte richtig beobachten, wie schlecht es ihr anfangs ging, wie düster ihre Gedanken waren – und wie gestärkt sie nach all den Wochen auf der Station nach Hause gehen konnte. Dazu konnte ich auch ein Stück beitragen. Das hat mich sehr gefreut!“ Mehrere Monate nach ihrer Entlassung fand Margita Müller dann plötzlich eine Nachricht auf ihrem Anrufbeantworter: Die junge Patientin hatte versucht, sie zu erreichen. In der Sprachnachricht bedankte sie sich für die Besuche – und erzählte, dass es ihr inzwischen sehr viel besser gehe. „Das hat mich damals wie heute zutiefst berührt“, erinnert sich Margita Müller und lächelt sanft. Reden hilft Auch wenn viele Begegnungen positiv und stärkend sind, können die teils sehr schweren Schicksalsschläge der Patientinnen und Patienten emotional belasten. „Man nimmt schon mal die eine oder andere Geschichte mit nach Hause“, berichtet Dorothee Wolf. „Dann ist es wichtig, das Erlebte gut zu verarbeiten.“ Auch hier ist keines der Vereinsmitglieder auf sich allein gestellt; regelmäßige vereinsinterne Gespräche sowie Supervisionen durch eine externe Fachperson geben den Ehrenamtlichen einen geschützten Raum, um sich auszutauschen – und gemeinsam einen Weg zu finden, mit belastenden Ereignissen und Emotionen umzugehen. „Mit anderen darüber zu reden, hilft!“, weiß Margita Müller aus jahrelanger Erfahrung. Und auch Brigitta Läger betont: „Das Wohl unserer Ehrenamtlichen liegt uns sehr am Herzen. Sie sollen sich selbst stabil fühlen und unbedingt auch ihre eigenen Grenzen achten. Nur so können sie für andere da sein.“ →

24 | Feature Einsamkeit macht krank. Zwischenmenschlicher Kontakt hingegen ist – ergänzend zur medizinischen Behandlung – eine wichtige Zutat für Gesundheit. Elisabeth Preuß Fortsetzung von S. 23 Aus Fremden werden Bekannte Das Gespräch im Patientencafé ist in vollem Gang: Es geht ums Wetter, das Spiel der Frauenfußballnationalmannschaft am Vorabend und die Parkplatzsituation in Erlangen. „Es ist zwar nur ein Nachmittag pro Woche. Aber eben ein Nachmittag, an dem man ein bisschen Kurzweiligkeit erleben und auf andere Gedanken kommen kann“, sagt Dr. Martina Madl, leitende Psychologin des Psychoonkologischen Diensts, eines Bereichs der Psychosomatischen und Psychotherapeutischen Abteilung. Gemeinsam mit ihren Kolleginnen und Kollegen begleitet sie jedes Jahr rund 2.500 Krebspatientinnen und -patienten sowie Angehörige bei der Krankheitsbewältigung. Auch der Psychoonkologische Dienst steht Betroffenen beim Patientencafé zur Seite – denn auch Ängste und Sorgen sollen hier Raum haben dürfen: „Wenn wir merken, dass einer Patientin oder einem Patienten etwas auf der Seele liegt, ziehen wir uns in eine ruhige Ecke zurück und sprechen mit ihr oder ihm unter vier Augen – so können wir individuell auf die Bedürfnisse der Anwesenden eingehen“, erklärt Dr. Madl. Plötzlich stößt eine Frau zur Runde hinzu. Dorothee Wolf, die auch heute wieder vor Ort ist, erkennt das Gesicht: „Hallo, Frau I., wie schön, Sie wiederzusehen!“, begrüßt sie die Patientin. „Setzen Sie sich doch, möchten Sie ein Stück Kuchen?“ Yadikar I. nickt freudig: „Hallo, Frau Wolf! Ja, sehr gern! Wie war Ihr Urlaub?“ Beide wirken vertraut – sie haben sich vor mehreren Wochen im Patientencafé kennengelernt. Zwischenzeitlich war Yadikar I. zu Hause. Seit heute ist sie für den nächsten Zyklus ihrer Chemotherapie zurück auf der Station D2. „Manche Gäste sehen wir nur ein Mal, andere kommen öfter“, erzählt Dorothee Wolf. „Dann werden aus Begegnungen Bekanntschaften – und manchmal aus Bekanntschaften sogar Freundschaften.“ Diese Erfahrung machte auch Margita Müller: Über ein Jahr begleitete sie eine Patientin der Frauenklinik – alleinstehend, Ehemann und Sohn bereits verstorben. „Ich besuchte sie jede Woche. Während ihrer Chemotherapie verbrachten wir viele Stunden zusammen. Inzwischen ist sie nur noch ambulant ans Uniklinikum angebunden – aber wir stehen bis heute in Kontakt!“ Neue Mitglieder herzlich willkommen „Es ist wirklich beeindruckend, was die Ehrenamtlichen leisten. Viele sind schon 10, 15, 20 oder sogar 30 Jahre dabei. Das ist wirklich bemerkenswert“, betont Elisabeth Preuß. „Allein im vergangenen Jahr haben unsere Mitglieder rund 500 Patientinnen und Patienten am Uniklinikum Erlangen besucht, 66-mal kamen unsere Dolmetsche- rinnen und Dolmetscher zum Einsatz. Und: Wir Elisabeth Preuß (r.), Erste Vorsitzende des Klinik-Besuchsdiensts Erlangen e. V., und Brigitta Läger, Geschäftsführerin des Vereins, blicken mit Stolz auf das zurück, was die Ehrenamtlichen seit über 50 Jahren leisten.

Das ALIVIA-Café öffnet 2-mal pro Monat in der VHS Erlangen, Friedrichstr. 17. Termine unter www.alivia-stiftung.de/cafe NEU: Das Alivia-Online-Begegnungscafé in einer privaten Facebookgruppe (s. QR-Code) | 25 Feature Advertorial Die palliative Behandlungstherapie zielt auf die Linderung der Symptome ab. Palliativ ist für die meisten Menschen gleichbedeutend mit den letzten Lebenstagen. Doch palliativ beginnt mit der Diagnose „unheilbar“ und kann mehrere Jahre andauern. In dieser Zeit bietet das ALIVIA-Café Unterstützung als Begegnungscafé für unheilbar kranke Menschen (nicht chronisch Erkrankte). Gemeinschaft in schwerer Zeit Das ALIVIA-Café bietet in emotionalem Ausnahmezustand und in einer Phase tiefer Verunsicherung einen geschützten Raum, der weit mehr bietet als einen Ort zum Austausch, nämlich Begegnung, offene Kommunikation und gegenseitige Unterstützung. Im Begegnungscafé können Betroffene andere Menschen treffen, die ähnliche Erfahrungen mitbringen. Dies ermöglicht offene Gespräche, z. B. über Sorgen, Therapien oder die Endlichkeit des Lebens. In dieser Atmosphäre fällt es leichter, Unsicherheiten abzubauen und in der Gemeinschaft auch ungewollte Gefühle zuzulassen. Zwischen dem Moment, in dem die Diagnose „unheilbar“ ausgesprochen wird, und dem tatsächlichen Lebensende kann eine lange und intensive Zeitspanne liegen. Das ALIVIA-Café ist ein Begegnungscafé Eigenverantwortung stärken Erkrankte können hier offen ihre Wünsche äußern und gemeinsam Wege finden, wie sie ihre verbleibende Zeit nach eigenen Vorstellungen gestalten. Die Möglichkeit, Entscheidungen aktiv zu treffen, stärkt das Selbstwertgefühl und gibt ein Stück Kontrolle über das eigene Leben zurück. Zugehörig statt einsam Das ALIVIA-Café bietet die Chance, Kontakte zu knüpfen, neue Freundschaften zu schließen und Angehörige einzubeziehen. Gemeinschaftliche Aktivitäten fördern das Gefühl der Zugehörigkeit und lindern die Einsamkeit. Orientierung und Begleitung Das ALIVIA-Café ist Drehscheibe für Informationen, Kontakt zu professionellen Beratungsstellen und für den Austausch über palliative Angebote. Auch Gespräche über Patientenverfügungen, Wünsche zur Versorgung oder spirituelle Themen finden hier Platz – immer mit dem Ziel, den eigenen Weg bewusst zu gestalten. Klinik-Besuchsdienst Erlangen e. V. Brigitta Läger Telefon: 09131 85-33338 E-Mail: kontakt@klinikbesuchsdienst-erlangen.de www.klinikbesuchsdienst-erlangen.de konnten etwa 300 Übernachtungen ermöglichen.“ Auf die Frage, was sie sich für die Zukunft des Klinik-Besuchsdiensts wünschen, sind sich Elisabeth Preuß und Brigitta Läger einig: „Wir freuen uns immer über neue Mitglieder – ob jung oder alt, Mann oder Frau, Medizinbezug oder nicht – alle sind herzlich willkommen. Auch wenn jemand eine Wohnung oder ein einzelnes Zimmer an Angehörige vermieten möchte – wir suchen immer nach neuen Übernachtungsquartieren.“ Der Nachmittag im Patientencafé neigt sich langsam dem Ende zu. „Mei, die Zeit is ja davongerannt!“ – Renate Werner blickt erschrocken auf die Uhr; sie muss zurück in ihr Zimmer – die nächste Untersuchung steht an. Doch bevor sie geht, bedankt sie sich herzlich fränkisch: „Na, meine Damen, des ham S’ fei wirklich schee gmacht!“ Und so bleiben am Ende des Nachmittags ein paar Krümel auf dem Kuchenteller – und ein warmes Gefühl im Herzen. *Name von der Redaktion geändert Foto: Jacob Lund/stock.adobe.com

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