Das kostenlose Magazin des Uniklinikums Erlangen | www.gesundheit-erlangen.com | Winter 2025/26 ■ Unterstützung für pflegende An- und Zugehörige ■ Neues Alterstraumazentrum reagiert auf demografischen Wandel ■ Tipps rund um Medikamente, Ernährung, Bewegung und Psyche Im Alter gut versorgt Hilfe für Peru Ein MRT aus Erlangen steht jetzt mitten in den Anden Die Nase vorn Ein HNO-Arzt klärt über Riechstörungen auf Kopfschmerzen? Wann und warum eine Schmerztherapie ratsam ist
| 3 Editorial Meine Oma ist kürzlich 97 geworden. Nachdem sie lange kein Hörgerät wollte, hat sie sich nun feierlich und ganz offiziell doch für eines entschieden. Denn sie würde schon gern noch mitreden und vor allem -hören, was in ihrem Beisein so gesprochen wird. Außerdem will sie die Kommentatorinnen und Kommentatoren beim Fußball besser verstehen. Und Andy Borg. Mit ihrer über 18 Jahre alten künstlichen Hüfte und den neuen, klaren Linsen schlägt sie sich aber ansonsten noch wirklich beeindruckend gut, und ich frage mich, was ihr Geheimnis ist. Sie hat nie geraucht, kaum Alkohol getrunken, ist immer Treppen gestiegen, hat im Garten gearbeitet, gut gekocht und oft Besuch gehabt. Sie fand Sinn im einfachen Leben, in ihrer Familie und darin, sich um Haus, Hof und Enkelkinder zu kümmern. Meine Oma hatte immer Humor und hat ihn bis heute behalten. Mit ihren gesundheitlichen Problemen hat sie eigentlich nie gehadert. Nicht, dass sie nicht auch hin und wieder welche gehabt hätte. Meine Oma hat den Zweiten Weltkrieg überlebt, eine schwere Blinddarmentzündung als junge Frau und unzählige Abende mit Florian Silbereisen. Gesundheit ist ein Geschenk – manchmal eines, das wir einfach so vom Leben bekommen; aber manchmal auch eines, das wir uns durch unsere Lebensweise selbst machen können. Vor allem aber ist Gesundheit auch eine Frage der Einstellung: Fokussiere ich mich auf all das, was Über das Alter Chefredakteurin von „Gesundheit erlangen“ mit zunehmendem Alter nicht mehr geht – oder auf das, was immer noch möglich ist? Trotz Einschränkungen. Welche Ressourcen habe ich, um mit Stress, Krisen oder Krankheiten umzugehen? Und warum hat mein Leben (trotzdem) einen Sinn? Mit diesen Gedanken zum Thema Alter lade ich Sie jetzt ein, die folgenden Seiten durchzublättern. Sie werden unter anderem erfahren, was Menschen entlastet, die An- und Zugehörige pflegen (S. 8), wie das neue Alterstraumazentrum des Uniklinikums Erlangen Seniorinnen und Senioren nach Oberschenkel- und Beckenbrüchen schnell wieder auf die Beine hilft (S. 12) und wie Sie in den Bereichen Medikamente, Ernährung, Bewegung und Psyche etwas mehr für ein gesundes Älterwerden tun können (S. 16). Ich bin übrigens noch nicht mal 40 und stelle bereits einige gesundheitliche Veränderungen an mir fest (S. 41). Ich habe die künstliche Intelligenz gefragt, ab wann man eigentlich als alt gilt. Ihre Antwort: „Biologisch beginnt das Altern früh, gesellschaftlich mit 60 plus und gefühlt oft erst viel später. ,Alt‘ ist also weniger eine Zahl – sondern vielmehr eine Frage der Haltung.“ Gut – da sind wir uns ja einig. Hilfe für Peru Ein Team des Radiologischen Instituts des Uniklinikums Erlangen und der Siemens Healthineers AG spendete 2025 ein gemeinsam entwickeltes, neuartiges MRT-System an ein Krankenhaus in den peruanischen Anden. Über eine Erfolgsgeschichte, die Hoffnung macht (S. 24).
4 | Themen dieser Ausgabe NASE VORN Ein HNO-Arzt des Uniklinikums Erlangen klärt über Riechstörungen auf und verrät, warum wir alle unseren Geruchssinn trainieren sollten. 3 Editorial NEUES AUS DEM UNIKLINIKUM 6 Erlanger Virologie mit neuem Namen | Das Uniklinikum im Blick der OB-Kandidaten 7 Neue (bekannte) Gesichter am Uniklinikum TITEL 8 Deutschlands größter Pflegedienst Was pflegende An- und Zugehörige entlastet 12 Schnell wieder auf den Beinen Neues Alterstraumazentrum eingerichtet 16 Das Alter MEIStern Tipps für Medikamente, Ernährung, Bewegung und seelische Gesundheit FEATURE 24 Mit Hightech hoch hinaus Wie ein Team aus Erlangen ein innovatives MRT-Gerät in die peruanischen Anden brachte MEDIZIN 30 Jetzt beginnt das Leben – und die Nachsorge Krebsnachsorge für junge Erwachsene 34 Sprechstunde Was bei Riechstörungen helfen kann 38 Medizin gestern und heute Am Anfang war der Mann: Gendermedizin in der Erlanger Strahlenklinik 40 Mittel der Wahl Weihrauch: Mehr als Schall und Rauch? 41 Kolumne – Kleine Sp[r]itze Mücken mit Weitsicht 42 Mensch und Maschine Was tun Perfusionistinnen und Perfusionisten? IM ALTER GUT VERSORGT Ob Pflegebedürftigkeit, Sturzgefahr und Operationen, Medikamente oder Psyche: Wir geben Tipps für ein gesünderes Älterwerden. 34 8–23
| 5 Themen dieser Ausgabe Video Weiterführende Informationen Kontaktaufnahme Persönlicher Kontakt zur Redaktion MENSCHEN 44 Zwei Seiten von Naturwissenschaftlerin Dr. Katharina Pracht 46 Aus dem Medizinkästchen Erzieherin Marion Müller KOPFSACHE 48 „Es geht darum, Trigger sinnvoll zu managen“ Multimodale Schmerztherapie in der Erlanger Kopfschmerzgruppe ERFORSCHT UND ENTDECKT 47 Gipfelstürmerinnen der Herzen 53 Modellvorhaben Genomsequenzierung 54 Neue Therapie bei Colitis ulcerosa 55 Hilfe bei verzögerter Sprachentwicklung AKTIV LEBEN 56 Stabilität kommt von innen Übungen für Rücken und Beckenboden ZUM SCHLUSS 60 Happy End für Lena 61 Rätsel | Gewinnspiel 62 Vorschau | Impressum KOPFSCHMERZEN? Dr. Britta Fraunberger erklärt, welche Hauptursache es für Migräne und Spannungskopfschmerzen gibt und wie Betroffene von einer Schmerztherapie profitieren. MIT HIGHTECH HOCH HINAUS Ein MRT-Gerät für Menschen in infrastrukturschwachen Regionen: von einem Traum, der in einem Krankenhaus in Peru Realität wurde. 24 48
6 | Neues aus dem Uniklinikum Am 8. März 2026 ist Kommunalwahl in Bayern und damit auch in Erlangen. Im Vorfeld des Wahltages lädt der Ärztliche Direktor des Uniklinikums Erlangen, Prof. Dr. Dr. h. c. Heinrich Iro, alle Interessierten am Montag, 9. Februar 2026, zu einer politischen Diskussionsrunde mit den Erlanger Oberbürgermeister-Kandidatinnen und -Kandidaten ein. Sie findet ab 18.15 Uhr im Hörsaal Östliche StadtmauerDiskussion über die Zukunft des Gesundheitsstandorts Erlangen Das Uniklinikum im Blick der OB-Kandidaten straße 11 statt. Das Thema: „Weiterhin innovativ, erreichbar, wettbewerbsfähig? Das Uniklinikum Erlangen im Blick der OB-Kandidatinnen und -Kandidaten. Eine Diskussion über Mobilität, Patientenfreundlichkeit und die Zukunft des Gesundheitsstandorts Erlangen“. Das Virologische Institut des Uniklinikums Erlangen trägt seit September 2025 den Namen „Virologisches Institut – Harald-zur-Hausen-Institut für Virologie“ und ehrt damit seinen 2023 verstorbenen Gründer. Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Harald zur Hausen, 1936 in Gelsenkirchen geboren, wurde 1972 auf den neu geschaffenen Lehrstuhl für Klinische Virologie an der FAU Erlangen-Nürnberg berufen. Er erforschte den Zusammenhang von Virusinfektionen und Krebs und fand heraus, dass humane Papillomviren (HPV) Gebärmutterhalskrebs auslösen können. Damit trug er zur Entwicklung der HPVImpfung gegen Gebärmutterhalskrebs bei und erhielt für seine Entdeckung 2008 den Medizin-Nobelpreis. Harald zur Hausen leitete das Erlanger Institut fünf Jahre lang und blieb der FAU eng verbunden – unter anderem als UniversiInstitutsgründer und Medizin-Nobelpreisträger Harald zur Hausen posthum geehrt Erlanger Virologie mit neuem Namen tätsrat, Ehrensenator und Ehrendoktor. Seine Erlanger Zeit bezeichnete Harald zur Hausen als seine wissenschaftlich schönste. Seit 2015 ist Prof. Dr. Klaus Überla Direktor der Erlanger Virologie. V. l. n. r.: Prof. Dr. Klaus Überla, Dr. Jan zur Hausen (Sohn Harald zur Hausens), Prof. Dr. Joachim Hornegger (Präsident der FAU) und Prof. Dr. Ethel-Michele de Villiers (Ehefrau Harald zur Hausens) vor dem neuen Gebäudeschild. am 8. März 2026
| 7 Neues aus dem Uniklinikum Auch die zweite Hälfte des Jahres 2025 brachte wieder einige neue, aber auch altbekannte Köpfe in Führungspositionen am Uniklinikum Erlangen: Prof. Dr. Stefanie Corradini übernahm am 1. Oktober 2025 die Leitung der Strahlenklinik und trat damit die Nachfolge von Prof. Dr. Rainer Fietkau an, der die Klinik seit 2008 leitete. SteEbenfalls zum 1. Oktober 2025 wechselte die Leitung der Gefäßchirurgischen Abteilung des Uniklinikums Erlangen: Prof. Dr. Ulrich Rother übernahm das Amt von Prof. Dr. Werner Lang. Dieser hatte die Gefäßchi- rurgie 28 Jahre lang geführt. Ulrich Rother, geboren in Nürnberg, studierte ab 2006 Medizin an der FAU Erlangen-Nürnberg. Von 2012 bis 2014 war er als Arzt in der Chirurgischen Klinik und anschließend bis 2018 in der Gefäßchirurgie tätig. Im Jahr 2019 wurde Ulrich Rother zum Oberarzt und 2022 zum leitenden Oberarzt ernannt. Einer seiner Schwerpunkte ist die Entwicklung Prof. Dr. Robert Cesnjevar kehrte am 1. November 2025 ans Uniklinikum Erlangen zurück – als neuer Direktor der Herzchirurgischen Klinik. Von 2008 bis 2021 leitete er bereits die Kinderherzchirurgische Abteilung. Nun löst er Prof. Dr. Oliver Dewald in der Herzchirurgie ab. Auch Robert Cesnjevar studierte Medizin an der FAU Erlangen-Nürnberg Strahlenklinik, Gefäßchirurgie und Herzchirurgie unter neuer Leitung Neue (bekannte) Gesichter am Uniklinikum fanie Corradini, die in Bozen geboren wurde, begann ihre medizinische Laufbahn 2003 mit dem Medizinstudium an der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität in Salzburg. Ihre Facharztausbildung absolvierte sie am Universitätsklinikum Tübingen und am LMU Klinikum München, wo sie 2023 zur stellvertretenden Direktorin der Klinik und Poliklinik für Strahlentherapie und Radioonkologie ernannt wurde. Prof. Corradinis Fokus liegt auf innovativen Krebsbehandlungen, der Brachytherapie und der magnetresonanzgestützten Strahlentherapie. und Etablierung neuer Technologien im Bereich der Aortenversorgung und der peripheren Gefäßchirurgie. Im Mittelpunkt seiner Forschung stehen unter anderem die fluoreszenzangiografische Bildgebung, die während Operationen stattfinden kann, und optoakustische Verfahren zur Diagnostik der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit. und begann seine Laufbahn in der Erlanger Herzchi- rurgie. Von 2005 bis 2008 leitete er die Klinik für Kinderherzchirurgie des Universitären Herz- und Gefäßzentrums Hamburg am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf und ging anschließend zurück nach Franken. Ab Juli 2021 war er Chefarzt der Herzchirurgie am Kinder-Herzzentrum des Universitäts-Kinderspitals Zürich. Als erfahrener Operateur wird Prof. Cesnjevar künftig unter anderem das Erlanger Herztransplantationsprogramm für Kinder und Erwachsene in den Fokus nehmen.
8 | Titel PFLEGENDE AN- UND ZUGEHÖRIGE Sie sind viele und doch oft unsichtbar: Pflegende An- und Zugehörige stemmen in Deutschland die Hauptlast der häuslichen Pflege – mit allen Herausforderungen, die das mit sich bringt. Prof. Dr. Elmar Gräßel gibt Einblicke in ihre Lebensrealität und zeigt, was ihnen Entlastung schenken kann. VON MAGDALENA HÖGNER „Es ist nicht nur der Pflegeaufwand, der belastet – sondern auch die ständige Präsenz, die von mir gefordert wird. Aber: Wir haben uns noch!“, sagt Bärbel Krämer*. Sie ist eine von rund fünf Millionen Menschen in Deutschland, die regelmäßig einen pflegebedürftigen Angehörigen oder eine nahestehende Person betreuen – sei es den Vater nach einem Schlaganfall, den demenzerkrankten Partner oder die betagte Nachbarin. Die Aufgaben in der häuslichen Betreuung sind vielfältig, die Anforderungen an die pflegenden An- und Zugehörigen oft hoch: Körperpflege, Hilfe beim Essen und bei der Medikamentengabe, Unterstützung beim Aufstehen und beim Umlagern im Bett, Einkaufen, Kochen und Putzen – bis hin zur emotionalen Begleitung, Terminorganisation und zu Behördengängen. „Pflege findet in acht von zehn Fällen in Privathaushalten statt. Und über 90 Prozent dieser pflegebedürftigen Menschen werden von Nahestehenden versorgt – also von Angehörigen, Nachbarinnen, Freunden oder Bekannten“, erklärt Prof. Dr. Elmar Gräßel, Leiter des Zentrums für Medizinische Versorgungsforschung und des Bereichs Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie der Psychiatrischen und Psychotherapeutischen Klinik des Uniklinikums Erlangen. „Das macht An- und Zugehörige zum ‚größten Pflegedienst‘ Deutschlands.“ Seit mehr als 30 Jahren forscht ElDeutschlands größter Pflegedienst mar Gräßel zur Situation von pflegenden An- und Zugehörigen. Er weiß, wie ihre Lebensrealität aussieht und mit welchen Herausforderungen sie konfrontiert sind. „Rund 40 Prozent aller, die für eine nahestehende Person sorgen, sind dadurch mehr als zehn Stunden pro Tag eingebunden. Bei 30 Prozent sind es sogar mehr als fünfzehn Stunden pro Tag“, schildert er. „Zieht man von den 24 Stunden, die jeder und jedem pro Tag zur Verfügung stehen, sechs Stunden zum Schlafen und zwei Stunden zur ‚Selbstpflege‘ ab, bleibt nicht viel übrig.“ Wenn die Zeit nicht reicht Für Pflegende ist Zeit tatsächlich ein knappes Gut: Freie Minuten für Familie, Partnerschaft, Freundschaften, Hobbys oder einfach zum Durchatmen finden viele kaum noch. So berichtet es etwa auch Reinhold Bauer*, der seine Partnerin pflegt: „Ich habe mich nicht getraut, zum Frisör zu gehen. Ich hatte Angst, dass meine Frau in der Zwischenzeit stürzt.“ Besonders herausfordernd wird es dann, wenn zusätzlich auch noch das eigene Kind versorgt oder einer Erwerbstätigkeit nachgegangen werden muss – die Doppel- oder Dreifachbelastung ist dann oft kaum zu stemmen: „Etwa ein Viertel aller erwerbstätigen pflegenden An- und Zugehörigen reduziert die Arbeitszeit im Beruf zugunsten der Pflege. Weitere elf Prozent geben ihre Erwerbstätigkeit vollständig auf“, ordnet Prof.
| 9 Titel Gräßel ein. „Wenn man bedenkt, dass pflegende An- und Zugehörige im Durchschnitt 60 Jahre alt sind – viele sogar jünger –, hat das erhebliche Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt. Das sind Arbeitskräfte, die fehlen.“ Doch auch für jede Einzelne und jeden Einzelnen sind die Folgen oft gravierend, denn: Die finanzielle Unterstützung durch die Pflegeversicherung reicht nicht immer aus. „Viele Pflegeprodukte, die ich für meine Mutter benötige, werden nicht übernommen. Wie soll man das finanziell bewältigen?“, fragt sich beispielsweise Tanja Schuster*. Der Ausblick auf ihren bevorstehenden Renteneintritt bereitet ihr schon jetzt große Sorgen. Mama, wer bist du? Neben den zeitlichen und finanziellen Belastungen erleben pflegende An- und Zugehörige oft einen weiteren, meist viel tiefgreifenderen Verlust: den schleichenden Abschied von einem geliebten Menschen. „Gerade bei Demenzerkrankungen ist es für An- und Zugehörige schmerzlich, zu beobachten, wie sich die pflegebedürftige Person → Häusliche Pflege in Zahlen ■ Pflegende An- und Zugehörige sind überwiegend weiblich: 74,9 Prozent sind Frauen. ■ Wer pflegt wen? In über der Hälfte der Fälle sind es erwachsene (Schwieger-)Töchter und Söhne, die einen Elternteil betreuen. Rund ein Viertel pflegt die Partnerin oder den Partner, neun Prozent entferntere Verwandte. Acht Prozent sind Zugehörige: Sie stehen in keinem verwandtschaftlichen Verhältnis. ■ Alter der Pflegebedürftigen: Im Schnitt sind sie 76 Jahre alt – die Altersspanne reicht von minderjährigen Kindern bis hin zu Hochbetagten. ■ Häufigste Gründe für einen Pflegegrad: Altersgebrechlichkeit (52 Prozent), Demenz (29 Prozent), Krebs (14 Prozent) und Schlaganfälle (13 Prozent). 46 Prozent haben sonstige Erkrankungen, beispielsweise Parkinson, Multiple Sklerose oder chronisch-entzündliche Darmerkrankungen. Hinweis: Mehrere Ursachen können gleichzeitig vorliegen. An- und Zugehörige sind der ‚größte Pflegedienst‘ in Deutschland. Prof. Dr. Elmar Gräßel
10 | Titel Fortsetzung von S. 9 verändert“, erklärt Prof. Gräßel. „Eine Frau, die ihren Ehemann pflegt, muss erkennen, dass dieser nicht mehr der Partner ist, der sie über Jahrzehnte begleitet hat. Ein Sohn, der seine Mutter bis ins hohe Alter versorgt, merkt langsam, dass die Frau, die ihn einst umsorgt hat, nicht mehr da ist. Im Gegenteil: Plötzlich ist er es, der die Verantwortung trägt. Diese Erfahrung ist äußerst schmerzhaft.“ Dein Schmerz ist mein Schmerz Die häusliche Pflege hinterlässt bei den An- und Zugehörigen deshalb oft tiefe Spuren: „Mehr als die Hälfte von ihnen gibt an, sich stark oder sehr stark belastet zu fühlen. Bei denjenigen, die eine demenzerkrankte Person betreuen, sind es sogar rund 70 Prozent“, berichtet Elmar Gräßel. „Das kann weitreichende Folgen haben – sowohl für die Pflegenden als auch für die Menschen, die sie versorgen.“ Denn der Dauerstress macht langfristig krank: Je größer die empfundene Belastung, desto höher ist das Risiko für Depressionen oder andere psychische Erkrankungen. Auch die körperliche Gesundheit büßt ein. So nehmen etwa Kopf-, Bauch- oder Rückenschmerzen zu, und sogar das eigene Sterblichkeitsrisiko steigt. „Wenn sich eine Betreuungsperson sehr stark überfordert fühlt, wirkt sich das außerdem auf den Pflegestil aus – der Umgang mit dem erkrankten Menschen wird dann ruppiger. Das kann bis zur Vernachlässigung gehen – nicht aus böser Absicht, sondern aus dem eigenen Leidensdruck heraus“, erläutert Prof. Gräßel. „Nicht zuletzt steigt die Wahrscheinlichkeit dafür, dass die pflegebedürftige Person in ein Pflegeheim abgegeben wird.“ Pflege ist nicht gleich Pflege Trotz aller Widrigkeiten erfahren nicht alle An- und Zugehörigen die Pflegetätigkeit als Belastung. Wie die Betreuung erlebt wird, ist individuell unterschiedlich. Das bestätigt auch Elmar Gräßel: „Es gibt Pflegende, die rein objektiv sehr hohen Anforderungen ausgesetzt sind – etwa, weil sie täglich mehr als zehn Stunden pflegen oder in erheblichen finanziellen Nöten stecken. Wenn sie jedoch ein starkes soziales Umfeld haben, kann es sein, dass sie die Situation gut meistern.“ Umgekehrt könne eine geringere Arbeitslast auch als sehr anstrengend empfunden werden, etwa wenn unterstützende Strukturen fehlen. Das Risiko, selbst zu erkranken oder anderweitig negative Auswirkungen zu erfahren, steigt dann deutlich an. „Ob pflegende An- und Zugehörige überlastet sind und selbst gesundheitlich leiden, hängt also weniger von den objektiven Anforderungen ab – entscheidend ist vielmehr, wie belastend sie die Situation wahrnehmen“, fasst der Experte zusammen. Andere pflegen – und daran wachsen Zugleich steht aber auch fest: Pflegende An- und Zugehörige können aus der Betreuung des nahesteWie belastet bin ich? Die Häusliche-Pflege-Skala (HPS) hilft pflegenden An- und Zugehörigen, das eigene Belastungsempfinden einzuordnen – kostenlos und anonym. www.kurzlinks.de/jxba Neues Entlastungsangebot Die Arbeitsgruppe „Angehörigenforschung“ am Zentrum für Medizinische Versorgungsforschung des Uniklinikums Erlangen hat ein neues Entlastungsangebot ins Leben gerufen: Im Frühjahr 2026 soll erstmals eine Kurmaßnahme stattfinden, die speziell auf die Bedürfnisse pflegender An- und Zugehöriger ausgerichtet ist. Interessierte können sich schon jetzt informieren und anmelden. Eine Teilnahme ist möglich, wenn die Betreuung der pflegebedürftigen Person während der Kur gesichert ist – z. B. durch Verhinderungspflege. Das Angebot richtet sich vorrangig an berufstätige pflegende An- und Zugehörige. Zudem werden ein PC oder Tablet sowie ein Internetzugang benötigt. E-Mail: pakur.ps@uk-erlangen.de www.uker.de/pspakur
| 11 Titel Psychiatrische und Psychotherapeutische Klinik Zentrum für Medizinische Versorgungsforschung Telefon: 09131 85-34142 www.uker.de/ps-zmf Hilfe zu suchen, ist keine Schwäche, sondern eine Stärke! Prof. Dr. Elmar Gräßel Erste Anlaufstelle Pflegende An- und Zugehörige haben einen rechtlichen Anspruch auf eine Pflegeberatung. Diese ist kostenlos und kann persönlich, telefonisch oder online erfolgen – zum Beispiel über Pflegestützpunkte, ambulante Angebote oder kommunale Stellen. ► 86 Prozent der Ratsuchenden sagen: Die Pflegeberatung hat geholfen! Beratungsstellen in Erlangen Dreycedern e. V. Telefon: 09131 9076800 www.dreycedern.de Pflegestützpunkt der Stadt Erlangen Telefon: 09131 862329 www.kurzlinks.de/ pflegepunkt-erlangen henden Menschen auch Kraft schöpfen und persönlich daran wachsen. So berichtet mehr als die Hälfte der Pflegenden, dass ihnen durch ihren Einsatz bewusster geworden ist, welche Werte ihnen im eigenen Leben wichtig sind. Andere geben an, verantwortungsbewusster, geduldiger oder verständnisvoller geworden zu sein. „Häusliche Pflege ist nicht schwarz oder weiß – sie hat negative wie positive Seiten“, betont Prof. Gräßel. Unterstützung durch das soziale Umfeld, der Austausch in Angehörigengruppen und eine bewusste Auseinandersetzung mit der eigenen Situation fördern ein positives Erleben. Allerdings zeigt die Forschung auch: „Stärkende Erfahrungen können die subjektive Belastung leider nicht ausgleichen“, ordnet Elmar Gräßel ein. „Um das Wohlbefinden von pflegenden An- und Zugehörigen zu verbessern, gilt es daher vor allem, die empfundene Belastung zu reduzieren.“ Hilfe annehmen – eine wahre Stärke Doch Unterstützung zu suchen und anzunehmen, ist für viele kein einfacher Schritt: Angebote wie ambulante Pflegedienste oder externe Haushaltshilfen werden von weniger als der Hälfte der Betroffenen genutzt; Tagespflege, Betreuungs- und Fahrdienste oder „Essen auf Rädern“ noch viel seltener. Und auch niedrigschwellige, kostenlose Beratungsangebote aufzusuchen und das soziale Umfeld in die Pflege einzubeziehen, fällt oft schwer. „Das Gros der Pflegenden sagt, es hätte keinen Bedarf. Doch das ist eine Selbsttäuschung!“, sagt Elmar Gräßel. „Sobald ein Pflegegrad gegeben ist – und meistens schon davor –, ist unterstützende Beratung sinnvoll. Nur so kann man für sich selbst sorgen und für die zu betreuende Person auch langfristig da sein.“ Sein Rat an Betroffene: „Machen Sie sich frühzeitig Gedanken über Ihre Situation und seien Sie ehrlich zu sich selbst. Hilfe zu suchen, ist keine Schwäche, sondern eine Stärke!“ Und auch all jene, die eine pflegende Person im Familien-, Freundes- oder Bekanntenkreis unterstützen möchten, ermutigt er: „Manchmal braucht es jemanden, der einfach nur zuhört. Fragen Sie nach, wie die Situation erlebt wird und wie Sie konkret helfen können. Diese Unterstützung ist äußerst wertvoll!“ *Aussage einer an- oder zugehörigen Pflegeperson im Rahmen einer Umfrage des Zentrums für Medizinische Versorgungsforschung; Name von der Redaktion geändert
12 |Titel Schnell wieder auf den Beinen ALTERSTRAUMAZENTRUM Ein Sturz kann alles verändern: Der Oberschenkel bricht, das Becken wird verletzt. Jetzt muss schnell operiert werden, damit alles bestmöglich heilt. Dank der geriatrischen Versorgung am Uniklinikum Erlangen sind die meisten Patientinnen und Patienten schon kurz darauf wieder mobil. VON FRANZISKA MÄNNEL „Wir wollten in den Garten“, erzählt Horst L., während er im Gemeinschaftsraum bei gemütlichem Licht sein Frühstücksbrötchen isst. Draußen dämmert der Morgen. „Ich bin mit meiner Frau die Straße entlanggelaufen und dann auf dem Gehweg gestürzt. Ich weiß gar nicht, wie das genau passiert ist“, berichtet der 88-Jährige. Vor zwei Tagen wurde er in der Unfallchirurgischen und Orthopädischen Klinik des Uniklinikums Erlangen wegen seines Oberschenkelhalsbruchs operiert. Am Tag darauf stand er, unterstützt von einer Physiotherapeutin, das erste Mal aus dem Bett auf. Auch heute hat Horst L. Gangtraining – erst mal mit Rollator. Wer gehört in die Alterstraumatologie? Schon wenn ein Notfall, wie auch Horst L. einer war, im Uniklinikum Erlangen eingeliefert wird, entscheiden Ärztinnen und Ärzte, ob der Betroffene als alterstraumatologisch gilt. „Das trifft dann zu, wenn jemand 70 Jahre oder älter ist, einen oder mehrere Brüche hat, immobil, gebrechlich oder desorientiert wirkt oder wenn ein schlechter Ernährungszustand vorliegt. Bei diesen Kriterien durchläuft die Person dann ein standardisiertes Behandlungsschema in unserem Alterstraumazentrum“, erklärt Dr. Stefan Tiefenböck. Der Unfallchirurg ist aktuell im Rahmen einer Geriatrie-Weiterbildung in der Psychiatrischen und Psychotherapeutischen Klinik beschäftigt und wird nach einem weiteren „Zwischenstopp“ in der Inneren Medizin wieder ganz in die Unfallchirurgische und Orthopädische Klinik zurückkehren. Die Einrichtung hat 2023 begonnen, strukturiert Geriaterinnen und Geriater auszubilden. Das Gelenk rasch voll belasten Anfang 2025 wurde die Unfallchirurgie-Orthopädie als Alterstraumazentrum der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie e. V. zertifiziert. „Wenn man sich die Alterspyramide in Deutschland ansieht, war das ein absolut notwendiger Schritt. Den haben wir in einer großen Kraftanstrengung drei Jahre lang vorbereitet“, sagt Klinikdirektor Prof. Dr. Mario Perl. „Jede Nacht werden bei uns durchschnittlich zwei bis drei ältere Personen eingeliefert, die zu Hause oder im Pflegeheim gestürzt sind. Meistens haben sie Oberschenkel- oder Beckenfrakturen. Wir operieren sie, wenn es ihr Allgemeinzustand zulässt, immer innerhalb von 24 Stunden. Sonst steigt das Risiko für Komplikationen – Lungenentzündung, Thrombose, Muskelabbau.“ Das Credo von Prof. Perls Team: Früh operieren, früh mobilisieren, früh in die Reha. „Unser Ziel ist es, dass mindestens 50 Prozent der älteren Patientinnen und Patienten wieder das Niveau von vorher erreichen. Im besten Fall bleiben sie selbstständig.“ Entscheidend seien dabei auch die OP-Verfahren und -Materialien. „Es geht bei Hochaltrigen nicht darum, filigrane chirurgische Schräubchen zu set-
| 13 Titel Das Zwischenmenschliche und eine empathische Fürsorge sind uns besonders wichtig. Dr. Stefan Tiefenböck zen. Oberste Priorität ist, sie schnellstmöglich wieder mobil zu machen. 24 Stunden nach dem Eingriff sollen sie voll belasten. Wir nutzen hochwertige Implantate, und den Zugang zur Fraktur gestalten wir minimalinvasiv, sodass Wunden schneller heilen.“ Viele Ältere haben auch Osteoporose – ihre Knochen sind porös und brechen leichter. „Gelenkersatz zementieren wir deshalb ein“, erklärt der Klinikdirektor. Im Nachgang erfolgt eine ausführliche Knochendichtemessung. „So haben auch die weiterbehandelnden Ärztinnen und Ärzte etwas an der Hand und müssen nicht erst Untersuchungen veranlassen“, erklärt Stefan Tiefenböck. Nahezu alle älteren Patientinnen und Patienten mit Frakturen bekommen Vitamin D für die Knochenstabilität und eine bessere Heilung, bei Bedarf auch spezielle Osteoporosemedikamente. „Dann fördern wir vor allem die Sturzprävention“, so der Unfallchirurg. Blumen und feste Bezugspersonen Auch Begleiterkrankungen wie Herz- oder Niereninsuffizienz müssen bei Seniorinnen und Senioren immer mitbedacht werden. Eine häufige Komplikation nach einer Operation ist zudem das Delir – eine vorübergehende Störung von Aufmerksamkeit, Bewusstsein und Denken. „Ein Delir kann unter anderem durch die Narkose oder durch bestimmte Medikamente ausgelöst werden, zum Beispiel durch Opiate, die Schmerzen lindern sollen“, erklärt Dr. Tiefenböck. Betroffene sind oft desorientiert, unruhig oder lethargisch. Sie können halluzinieren, ängstlich und laut werden oder ganz still und schläfrig. „Es ist wichtig, sie gut im Blick zu behalten, für Ruhe und Struktur zu sorgen und ihnen die Orientierung zu erleichtern. Dabei helfen Wanduhren und Kalender, Fotos von Angehörigen, gleiche Bezugspersonen, angenehmes Licht und eine gute Beschilderung der Station“, zählt Stefan Tiefenböck auf. „Wir haben →
14 | Links: interdisziplinäre und berufsgruppenübergreifende Visite. Rechts: Prof. Perl legt dem Patienten seinen Notfallknopf bereit. Tulpe, Rose, Sonnenblume: Die Zimmertüren im Alterstraumazentrum sind mit Bildern versehen – für eine bessere Orientierung. Titel Die Patientinnen und Patienten sollen 24 Stunden nach der OP wieder voll belasten. Prof. Dr. Mario Perl Fortsetzung von S. 13 beispielsweise die Zimmer mit Pflanzenbildern gekennzeichnet“, ergänzt Mario Perl. „Denn Osterglocke und Sonnenblume kann ein älterer Mensch viel besser behalten als Zimmernummer 01.227.“ Im Gemeinschaftsraum der Station können sich die Patientinnen und Patienten unterhalten; es gibt Radio, Fernsehen, Spiele und etwas zu lesen. „Besonders gut kommen die Kochbücher an“, sagt die stellvertretende Stationsleitung Theresa Hagendorf. „Wir haben gemerkt, dass sich die älteren Leute gern über Rezepte austauschen.“ Essen ist grundsätzlich ein zentrales Thema im Alter – gerade, wenn jemand gebrechlich ist: „Wir vermeiden lange Nüchternzeiten vor OPs, versorgen die Patientinnen und Patienten mit protein- und energiereicher Kost, unterstützen sie bei der Nahrungsaufnahme und bieten ihnen bei Bedarf auch hochkalorische Trinknahrung an“, erklärt Dr. Tiefenböck. Viele Akteure – ein Ziel Verschiedene Fachdisziplinen und Berufsgruppen tragen im Alterstraumazentrum gemeinschaftlich zur Genesung der oft hochbetagten Patientinnen
| 15 Titel Die stellvertretende Stationsleitung Theresa Hagendorf bespricht sich mit Tamer Hijazi, ebenfalls aus der Pflege, und Unfallchirurg Dr. Stefan Tiefenböck (r.). Vortrag zum Alterstraumazentrum „Gut versorgt im Alter – das Alterstraumazentrum am Uniklinikum stellt sich vor“ lautet der Titel der Bürgervorlesung am Montag, 19. Januar 2026. Sie findet ab 18.15 Uhr in den Hörsälen Medizin im Ulmenweg 18 statt und ist kostenfrei. Eine Woche später steht der Vortrag online zur Verfügung: www.forschungsstiftung.uk-erlangen.de Was heißt hier Trauma? Ein Trauma, im chirurgischen Kontext, ist eine körperliche Verletzung, die meist durch einen Unfall entsteht, etwa einen Sturz. und Patienten bei. Beteiligt sind geriatrisch weitergebildete Fachärztinnen und -ärzte für Unfallchirurgie und Orthopädie, Innere Medizin, Psychiatrie und Psychotherapie, speziell ausgebildete Pflegefachkräfte, Physio- und Ergotherapeutinnen und -therapeuten sowie Logopädinnen und Logopäden. „Wir achten darauf, dass die Patientinnen und Patienten möglichst immer mit denselben Therapeutinnen und Therapeuten zu tun haben. Das gibt Sicherheit“, erklärt Theresa Hagendorf. „Die Pflege am Bett gestalten wir aktivierend oder beruhigend – je nachdem, was die Person gerade braucht.“ Therapeutische Bausteine sind unter anderem Gedächtnis-, Ankleide- und Waschtraining, Aromatherapie, Logopädie – etwa zur geistigen Aktivierung oder wenn das Schlucken schwerfällt –, Mobilisation und Gangtraining. Gemeinsame Visiten des ärztlichen, pflegerischen und therapeutischen Teams verschaffen allen einen Überblick: Wie erholt sich der Patient? Was braucht er noch? Gibt es spezifische Probleme? Der Klinische Sozialdienst unterstützt schließlich beim Übergang in die geriatrische Rehabilitation, die meist in Herzogenaurach stattfindet, und berät zu Pflegestufen und Hilfsmitteln. „Wir arbeiten aktuell auch daran, dass sehr labile, mehrfach Erkrankte künftig eine 14-tägige geriatrische Frühreha direkt bei uns bekommen“, sagt Stefan Tiefenböck. Horst L., der mittlerweile sein Frühstück beendet hat, findet das Personal auf Station „spitze“ und vor allem „sehr aufmerksam“. Eine Physiotherapeutin ist gekommen, um ihn abzuholen. Zu ihm heruntergebeugt, eine Hand auf seiner Schulter, fragt sie freundlich: „Wollen wir ein paar Schritte gehen? Wie fänden Sie das?“ Sie stellt den Rollator bereit, hilft dem Patienten aus seinem Rollstuhl und begleitet ihn Schritt für Schritt hinaus auf den Gang. „Es ist alles noch ein bisschen unsicher. Man hat noch Angst, dass wieder was passiert“, sagt Horst L. Er wünscht sich, weiter selbstständig zu Hause zu leben. Dass das gelingt – dafür stellt das Alterstraumazentrum des Uniklinikums Erlangen die Weichen.
16 | Titel Ältere Menschen nehmen mehr Medikamente ein – entsprechend häufiger kann es zu unerwünschten Wechselwirkungen kommen. „Für Seniorinnen und Senioren gilt: Es sollte das Arzneimittel mit der besten Verträglichkeit für Ältere gewählt werden, in der niedrigsten wirksamen Dosis, und schädliche Wechselwirkungen sollten vermie- den werden“, erklärt Leonie Hirschmann, Apothekerin am Uniklinikum Erlangen. Ein wichtiger Rat: Schmerzmittel wie IbuproDas Alter MEIStern GESUND ÄLTER WERDEN Medikamente prüfen, die Ernährung optimieren, in Bewegung bleiben und Sinn erleben – unsere MEISter-Formel bringt auf den folgenden Seiten vier Punkte eines gesunden Älterwerdens zusammen. VON FRANZISKA MÄNNEL M wie Medikamente richtig einnehmen fen, Diclofenac und Naproxen sollten grundsätzlich nicht mit Diuretika („Wassertabletten“) und ACE-Hemmern bzw. AT1-Rezeptor-Antagonisten (Blutdrucksenker) kombiniert werden. „Zwei dieser Substanzklassen sind okay; das Problem ist die Einnahme aller drei Mittel zusammen“, erläutert die Expertin. „Denn die Dreierkombination kann besonders bei älteren Menschen oder bei bestehenden Nierenproblemen ein akutes Nierenversagen auslösen.“ Alternative Schmerzmittel sind Paracetamol und Metamizol. Ebenfalls bedenklich ist der gleichzeitige Konsum von Grapefruitsaft und Cholesterinsenkern wie Simvastatin. Denn: „Das Flavonoid Naringin, das in der Frucht steckt, hemmt den Abbau bestimmter Arzneistoffe und erhöht bei Simvastatin das Risiko für eine Muskelschwäche“, erklärt Leonie Hirschmann. Schlafen Sie gut! Wer schlecht schläft – und das kommt im Alter öfter vor –, greift eventuell hin und wieder zu Schlafmitteln. Um die Bettschwere noch zu unterstützen, wird vielleicht zusätzlich auch ein Bier oder ein Glas Wein getrunken. „Gerade Ältere sollten Schlafmittel und Alkohol aber niemals kombinieren“, betont die Apothekerin. „Alkohol dämpft das zentrale Nervensystem und kann die sedierende Wirkung von Schlafmitteln verstärken. Daraus resultieren Benommenheit und eine eingeschränkte Reaktionsfähigkeit.“ Für schlaflose Über-65-Jährige sind zudem Benzodiazepine und Z-Substanzen Bitte beachten Unsere Beispiele dienen der Veranschaulichung. Halten Sie bezüglich Ihrer Medikation immer Rücksprache mit Ihrer Ärztin bzw. Ihrem Arzt oder fragen Sie in Ihrer Apotheke nach! Werden fünf Arzneimittel oder mehr eingenommen, sprechen Fachleute von Polypharmazie oder Polymedikation.
| 17 Titel PRISCUS-Liste 2.0 In dieser Übersicht sind 187 Wirkstoffe aufgeführt, die für Personen über 65 Jahren potenziell ungeeignet sind. Ein „Klassiker“ ist Pantoprazol: Wird der „Magenschutz“ im Alter langfristig eingenommen und z. B. nach einem Krankenhausaufenthalt nicht langsam wieder abgesetzt, sinkt die Aufnahme von Kalzium und Vitamin B12 ins Blut. Das kann u. a. das Risiko für kognitive Störungen und Osteoporose erhöhen. Liste online abrufen: www.priscus2-0.de Außerdem gibt es die FORTA-LISTE: Diese teilt die Alterstauglichkeit von 299 Substanzen für 30 alterstypische Erkrankungen nach Wirksamkeit und Verträglichkeit ein. Liste online abrufen: forta.umm.uni-heidelberg.de Nicht zu viele Schmerzmittel Ibuprofen, Diclofenac und Naproxen können bei einer Dauereinnahme zu inneren Blutungen, Bluthochdruck, Leber- und Nierenschäden führen. Tipps für die Medikamenteneinnahme ■ Gehen Sie regelmäßig zur Kontrolle in Ihre hausärztliche Praxis. ■ Kommunizieren Sie neu aufgetretene Symptome, denn sie könnten Neben- oder Wechselwirkungen von eingenommenen Medikamenten sein. ■ Fragen Sie nach, ob Dosierung und Einnahmehäufigkeit bei Ihren aktuellen Medikamenten noch stimmen. ■ Nehmen Sie eine kostenlose Medikationsberatung bei Polymedikation in Ihrer Apotheke wahr. Diese steht Ihnen bei fünf oder mehr eingenommenen Arzneimitteln einmal jährlich zu. ■ Nutzen Sie den Bundeseinheitlichen Medikationsplan (BMP), um Übertragungsfehler zu vermeiden – etwa, wenn Sie ins Krankenhaus müssen. Den BMP sollten Sie immer mitführen und regelmäßig aktualisieren lassen. Sie bekommen ihn in Ihrer hausärztlichen Praxis. (Zopiclon/Zolpidem) keineswegs zu empfehlen, denn die Mittel machen tagsüber schläfrig, lösen Schwindel, Muskelschwäche, Verwirrtheit und Gedächtnisstörungen aus und können abhängig machen. Gute, natürliche Alternativen bei Schlafproblemen sind etwa Entspannungsverfahren, eine gesunde Schlafhygiene, Baldrian und Lavendel. Naturheilmittel mit Bedacht wählen Wer Johanniskraut zur Beruhigung oder Stimmungsaufhellung nimmt, sollte bedenken, dass die Heilpflanze u. a. die Wirkung des Blutverdünners Marcumar abschwächt, was Thrombosen begünstigen kann. Bei Immunsuppressiva wie Ciclosporin und Tacrolimus kann das Kraut im schlimmsten Fall sogar zu Organabstoßungen führen. Auch Ginkgo-Produkte sind bei Seniorinnen und Senioren beliebt, weil die Präparate die geistige Leistungsfähigkeit erhöhen sollen. Aber: „Ginkgo wirkt blutverdünnend, sollte nicht zusammen mit Gerinnungshemmern genommen und auch vor Operationen gegebenenfalls pausiert werden“, erinnert Leonie Hirschmann. Nur nicht hinfallen! Unpassend gewählte Arzneimittel können die Sturzgefahr erhöhen (s. S. 20). Diesen Effekt haben bei älteren Menschen vor allem Psychopharmaka – einschließlich Opioide und Schlafmittel (Benzodiazepine) –, Blutdruckmedikamente und Anticholinergika, mit denen etwa Asthma, die Lungenerkrankung COPD, Reizdarm, Parkinson, eine überaktive Blase und Übelkeit behandelt werden. „Neben einem Gang-, Balance- und Muskeltraining gehört deshalb zur Sturzprophylaxe auch unbedingt dazu, dass psychoaktive Medikamente nach ärztlicher Rücksprache reduziert oder, wenn möglich, ganz abgesetzt werden“, rät die Apothekerin. →
18 |Titel E wie Ernährung: „Essen soll Spaß machen“ Laut einer 2022 erschienenen Leitlinie der European Society for Clinical Nutrition and Metabolism sollten möglichst alle Frauen und Männer ab 65 Jahren auf eine Mangelernährung hin untersucht werden – vor allem dann, wenn sie länger in einer Pflegeeinrichtung oder im Krankenhaus verbringen, chronische Erkrankungen haben oder ungewollt Gewicht oder den Appetit verlieren. Die Gefahr: Eine unzureichende Nährstoff- und Energiezufuhr schwächt den Körper und macht ihn gebrechlicher und anfälliger für Krankheiten. Wunden heilen schlechter, Operationen führen eher zu Komplikationen. Was ist Mangelernährung? Ein Mensch ist mangelernährt, wenn sein BodyMass-Index (BMI = Körpergewicht : [Körpergröße]²) unter 20 (jünger als 70 Jahre) bzw. unter 22 (älter als 70 Jahre) sinkt und er parallel dazu nennenswert abgenommen hat. Das heißt: Das Körpergewicht ist entweder innerhalb von sechs Monaten um fünf Prozent gesunken oder über längere Zeit um zehn Prozent. Auch der Abbau von Muskelmasse und Kraft ist entscheidend. Denn oft verändert sich im Alter die Körperzusammensetzung so, dass der Muskelanteil ab- und der Fettanteil zunimmt. Demnach können auch Normal- oder Übergewichtige mangelernährt sein. Muskelaufbau ist deshalb auch im Alter noch sehr wichtig. Essen als Genuss „Entscheidender als Kalorienzählen ist, dass Essen Spaß macht – erst recht im Alter“, betont PD Dr. Moritz Leppkes von der Medizinischen Klinik 1 – Gastroenterologie, Pneumologie und Endokrinologie des Uniklinikums Erlangen. „Das wird aber schwieriger, wenn Geruchs- und Geschmackssinn nachlassen oder wenn neurodegenerative Erkrankungen dazukommen. Parkinson kann zum Beispiel zu Magenentleerungsstörungen führen und diese wiederum zu Völlegefühl und fehlendem Appetit“, erklärt der Experte. „Hier ist dann manchmal eine kontrollierte Ernährungstherapie sinnvoll, um eine Mangelernährung zu vermeiden – zum Beispiel mit Trinknahrung. Die ist auch dann hilfreich, wenn die Kraft fehlt, ganze Mahlzeiten zu sich zu nehmen, oder wenn jemand wegen einer Operation länger in einer Klinik liegt.“ Übergewicht: nicht zwingend senken Übergewichtige über 65 Jahren müssen in der Regel nicht zwingend abnehmen. Denn damit geht das Risiko einher, hauptsächlich Muskeln zu verlieren und damit schwächer und gebrechlicher zu werden. Stattdessen geht es darum, das Gewicht möglichst zu halten. Müssen dennoch einige Kilos runter, sollte die Kalorienzufuhr nur moderat gesenkt und begleitend Muskeltraining betrieben werden. Eiweiß im Alter Empfohlen wird die Aufnahme von einem Gramm Eiweiß pro Kilogramm Körpergewicht täglich – etwa aus Fisch, Milch- oder Getreideprodukten. Bei schweren Erkrankungen oder deutlicher Mangelernährung können auch bis zu zwei Gramm sinnvoll sein. Trinken – aber richtig Ältere Menschen leiden zudem öfter unter Mundtrockenheit. Diese wird etwa durch Diuretika (auch „Wassertabletten“ genannt) noch gefördert. „Tee mit Zitrone regt den Speichelfluss an, auch Bonbonlutschen ist erlaubt“, sagt Dr. Leppkes. „Auf das Durstgefühl allein kann man sich im Alter nicht mehr verlassen. Denn einerseits nimmt es ab, andererseits trinken manche Menschen aufgrund der Mundtrockenheit übermäßig viel. Das kann bei ei-
| 19 Titel Was sollte ich essen? Eine 80-jährige Frau (1,60 m, 65 kg) braucht täglich ca. 2.000 Kilokalorien. Das erreicht sie z. B. so: zum Frühstück eine Scheibe Vollkornbrot mit Butter und Käse, ein Ei, ein Glas Saft und ein Stück Obst, vormittags eine Handvoll Nüsse oder Joghurt mit Obst, zum Mittagessen Fisch mit Kartoffeln, Gemüse und Soße und einem Quarkdessert, nachmittags ein Grießbrei oder auch mal ein Stück Kuchen und abends ein bis zwei Scheiben Brot mit Aufstrich oder Käse, dazu Rohkost oder eine Suppe, ein Glas Buttermilch oder eine Saftschorle. Als später Snack eignen sich z. B. Zwieback, Studentenfutter oder ein Knäckebrot mit Frischkäse. Diabetes: nicht zu streng handhaben Menschen mit Diabetes mellitus befolgen oft strenge Diätvorschriften. Doch zu strikte Regeln können bei Älteren zu einer unzureichenden Energieversorgung führen. Deshalb gilt: Die Verhinderung einer Mangelernährung hat Vorrang vor allzu strengen Blutzuckeridealen. Diabetikerinnen und Diabetiker ab 65 Jahren wird daher dieselbe Energiezufuhr empfohlen wie gesunden älteren Menschen: täglich 30 Kilokalorien pro Kilogramm Körpergewicht. ner Herz- oder Nierenschwäche problematisch sein. Es ist also ratsam, sich seine tägliche Trinkmenge zu portionieren – zum Beispiel zwei bis drei Flaschen Wasser pro Tag – und sie unabhängig vom Durstgefühl zu trinken.“ Zu wenig Flüssigkeit kann bei Älteren unter anderem Schwindel, Schwäche, niedrigen Blutdruck, Verwirrtheit, Verstopfung und Harnwegsinfekte begünstigen. Vitamin B12: Mangel vermeiden Abschließend weist Dr. Leppkes noch auf die Bedeutung von Vitamin B12 hin: „Ein Mangel kann zu Blutarmut führen, aber auch zu kognitiven Störungen, die dann auch oft schon unumkehrbar sind. Im Alter nimmt zum einen die B12-Aufnahme aus dem Darm ab, zum anderen können auch Medikamente wie Metformin oder Pantoprazol die Aufnahme weiter reduzieren. Letztere sollten deshalb nur kurzfristig eingenommen werden. Den Vitaminstatus sollte die Hausärztin oder der Hausarzt regelmäßig kontrollieren.“ →
20 | Titel I wie In Bewegung bleiben: Stürze vermeiden „Gerade wenn wir älter werden, ist es wichtig, in Bewegung zu bleiben und möglichst jeden Tag einen wirksamen Reiz zu setzen“, sagt PD Dr. Heiko Gaßner, Arbeitsgruppenleiter für Bewegungsanalyse und digitale Medizin in der Molekular-Neurologischen Abteilung des Uniklinikums Erlangen. Konkret erklärt er: „Wenn die Bewegung leicht bis mittelmäßig anstrengend ist, stimmt die Dosis. Zu leicht und zu schwer sind eher kontraproduktiv.“ Das heißt: Wird der Spaziergang immer nur als lockeres Schlendern wahrgenommen, kann ruhig etwas mehr Anstrengung eingebaut werden, zum Beispiel ein kurzer Abschnitt bergauf. „Sie dürfen und sollten bei Ihren Bewegungen auch mal etwas ins Schwitzen kommen und währenddessen eine leichte Anstrengung in den Muskeln spüren“, rät der Experte. Vor allem Gangunsicherheiten können mit den Jahren zunehmen. Die zwei Hauptgründe dafür sind laut Dr. Gaßner das höhere Alter und ein Mangel an Bewegung. Wer immer seltener körperlich aktiv ist, bei dem nehmen Kraft, Koordination und Gleichgewicht ab – das Sturzrisiko hingegen steigt. „Dazu kommen Stolperfallen in der Wohnung, wie aufstehende Teppichecken, Unebenheiten, Engstellen, herumliegende Gegenstände und Kabel, oder Schuhe, die nicht richtig passen oder rutschen“, führt Heiko Gaßner aus, der unter anderem ein spezielles Bewegungsprogramm für Parkinsonpatientinnen und -patienten entwickelt hat (s. Übungsvideos, S. 21). Auch wichtig: Sehen, Hören und Gleichgewicht ärztlich untersuchen lassen, denn wenn diese Sinne nachlassen, kann auch dies das Hinfallen begünstigen. Erste Anlaufstelle für eine solche Diagnostik sind augen- und HNO-ärztliche Praxen. „Außerdem sollten eingenommene Medikamente dahinge-
| 21 Titel Trinken nicht vergessen Zu wenig Flüssigkeit kann Schwindel hervorrufen und damit auch Stürze provozieren! Übung im Video (ab Min. 18:53) www.kurzlinks.de/w4je Übung im Video (ab Min. 18:30) www.kurzlinks.de/wty2 Einbeinstand (Gleichgewicht) Aufrechter Stand, Standbein leicht gebeugt; dann den anderen Fuß leicht anheben und halten; anfangs ggf. eine Stuhllehne zum Festhalten nutzen, später möglichst frei stehen. Steigerung: den gehobenen Fuß in einer liegenden Acht über dem Boden kreisen Ziel: 10 bis 30 Sekunden pro Seite Bein und Arm heben (Kräftigung und Aufrichtung) Wie im Bild (r.): Aufrechter Stand. Mit einer Hand z. B. an einem Baum oder Türrahmen abstützen; dann Bein und Arm der anderen Seite gleichzeitig seitlich ausgestreckt anheben (ca. 30 Grad) und wieder senken; den Fuß dazwischen möglichst nicht absetzen Ziel: 3 x 10 Wiederholungen pro Seite Kniebeugen (Kräftigung) Schulterbreiter Stand, die Beinachsen sind gerade ausgerichtet, Füße parallel oder ganz leicht nach außen gedreht; dann die Knie beugen und das Gesäß Richtung Fersen senken, dabei die Knie nicht über die Zehenspitzen hinausschieben; Arme ggf. als „Gegengewicht“ mit nach vorn nehmen Ziel: 3 x 10 Wiederholungen Drei Übungen für jeden Tag 1 2 3 hend überprüft werden, ob sie die Sturzgefahr beeinflussen – zum Beispiel, indem sie den Blutdruck senken, Schwindel hervorrufen oder die Sehfähigkeit beeinträchtigen“, betont Dr. Gaßner (s. S. 16). Mit Kissen, gefalteten Handtüchern oder Balance Pads kann man zu Hause ungleichmäßige Untergründe simulieren und so auch auf unebenem Waldboden oder Kopfsteinpflaster wieder mehr Gangsicherheit erlangen. Egal, welche Übung es am Ende wird, Heiko Gaßners wichtigster Tipp lautet: Keep on moving – bleiben Sie in Bewegung! →
22 | S wie Sinn finden Einsamkeit überwinden „Einsamkeit ist unter älteren Menschen häufig, und sie ist ungesund“, sagt Prof. Dr. Johannes Kornhuber, Direktor der Psychiatrischen und Psychotherapeutischen Klinik des Uniklinikums Erlangen. In Deutschland lebt jede fünfte Person über 65 Jahren allein, etwa 30 Prozent der älteren Menschen fühlen sich einsam. „Wenn Geschwister, die Partnerin oder gleichaltrige Freunde sterben, wenn die Kinder weit weg wohnen oder es gar keine gibt, kann Einsamkeit aufkommen. Aber: Es entsteht dann ein sozialer ,Hunger‘, die Sehnsucht nach Kontakt“, erklärt Prof. Kornhuber. „Und wenn dieser Hunger groß genug ist, wird er gestillt: Die Menschen greifen zum Telefon, verabreden sich, werden aktiv.“ Dieses Aktivwerden setzt allerdings voraus, dass man dazu noch in der Lage ist. „Denn natürlich sind Ältere oft nicht mehr so mobil und haben diverse Einschränkungen“, räumt der Psychiater ein. Wer einsam ist, hat ein höheres Risiko für Depression, Demenz, HerzKreislauf-Erkrankungen und kognitive Störungen sowie ein höheres Sterberisiko. Abhilfe schaffen laut Prof. Kornhuber kognitive Verhaltenstherapie, Bewegung und Aktivitäten in der Gruppe. Sinn macht resilient Essenziell für die geistige Gesundheit ist zudem das Erleben von Sinn. „Werden Sie sich Ihrer eigenen Werte bewusst – fokussieren Sie sich auf das, was Ihnen wirklich wichtig ist. Geben Sie Ihre Fähigkeiten an Jüngere weiter. Engagieren Sie sich in Je älter, desto eher depressiv? Im Alter nehmen Erkrankungen zu, ebenso persönliche Verluste, Sorgen um die Kinder oder andere Angehörige, finanzielle Nöte, Probleme mit der Wohnsituation und anderes. Deshalb kommen auch Depressionen im Alter öfter vor: 10 bis 15 Prozent der Über-65-Jährigen sind betroffen; in Pflegeeinrichtungen ist eher von über 20 Prozent auszugehen. Frauen erkranken deutlich häufiger. Bei Älteren ist eine Depression oft schwieriger zu diagnostizieren, denn Schlafstörungen und Antriebsmangel können auch normale Alterserscheinungen sein. Manchmal werden Depressionssymptome auch als Nebenwirkungen von Medikamenten gedeutet oder aus Scham verheimlicht. Es hilft daher, Angehörige zu Stimmungsveränderungen zu befragen. Essen für die Stimmung Nachlassender Appetit sowie eine auffallende Gewichtsab- oder -zunahme sind typische Kennzeichen einer Depression. Die beste Ernährung gegen oder bei depressiven Symptomen: medi- terrane Kost und kein (oder nur wenig) Alkohol! Erstaunlich, aber wahr Sport lindert Einsamkeitsgefühle! der Nachbarschaft, zum Beispiel als Lesepate, in der Kirche oder in einem Verein. Machen Sie regelmäßige Telefontermine mit Ihren Kindern oder einer Freundin aus“, rät der Experte. Dabei wichtig: „Seien Sie proaktiv und warten Sie nicht immer nur darauf, dass die anderen sich melden.“ Dankbarkeit empfinden Ein weiterer Rat von Johannes Kornhuber: „Schreiben Sie jeden Abend drei Dinge auf, die gut waren, aber denken Sie auch einmal an das, was Sie vielleicht geärgert hat. Lassen Sie unbestimmte dumpfe Gefühle – von Wut oder Verletztheit – klarer werden, indem Sie Erlebtes aufschreiben und aus einem anderen Blickwinkel betrachten. Was ist da eigentlich passiert? Was hat die Situation in mir ausgelöst? Durch diese Reflexion erscheint manches in einem anderen Licht und Sie können Dingen doch noch eine positive Wendung geben.“ Titel
| 23 Hadern Sie nicht mit vergangenen Entscheidungen, denn damals hatten Sie gute Gründe dafür. Akzeptieren Sie Ihr Leben und Ihr Älterwerden. Ich möchte reale Probleme nicht kleinreden, aber: Sehen Sie sich das Weltall an. Was sind wir in diesen unendlichen Weiten? Oft nehmen wir uns viel zu wichtig. Prof. Dr. Johannes Kornhuber In Kontakt bleiben Eine adäquate Versorgung mit Seh- und Hörhilfen senkt das Risiko für Demenz und Depression. Depression behandeln „Es widerspricht vielleicht dem, was man im ersten Moment denkt, aber: Ältere depressive Menschen reagieren genauso gut auf eine Psychotherapie wie jüngere. Seniorinnen und Senioren sind also keineswegs ,festgefahren im Kopf‘“, betont Prof. Kornhuber. Ergänzend setzt er in seiner Klinik auf Medikamente sowie auf begleitende Verfahren wie Entspannung, Kälte- und Lichttherapie und vor allem Bewegung. „Das kann auch Stuhlgymnastik sein, wenn man im Alter nicht mehr gut zu Fuß ist“, erläutert er. „Jede Bewegung hilft.“ In der Erlanger Psychiatrie nehmen deshalb alle Patientinnen und Patienten mit einer Depression an einer „Morgenaktivierung“ oder an Walking teil. Hinsichtlich Medikamenten gibt Johannes Kornhuber noch zu bedenken: „Betagteren Patientinnen und Patienten können wir Antidepressiva meist nicht in der üblichen Dosis verordnen, weil sonst zu starke Neben- oder Wechselwirkungen zu erwarten wären. Deshalb ist für sie die Elektrokonvulsionstherapie, EKT, bei der das Gehirn unter Narkose kurz elektrisch stimuliert wird, eine gute Alternative, falls andere Therapieverfahren nicht ausreichend wirken.“ Psychiatrische und Psychotherapeutische Klinik Telefon: 09131 85-34166 www.psychiatrie.uk-erlangen.de Titel
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