38 | Medizin Am Anfang war der Mann Stechende Schmerzen im Arm, ein Engegefühl in der Brust. Klassische Anzeichen eines Herzinfarkts – zumindest bei Männern. Bei Frauen treten häufig andere Vorboten auf: Atemnot, Schmerzen im Oberbauch oder Übelkeit. Symptome, die oft mit einer Magen-DarmInfektion oder anderen harmlosen Ursachen verwechselt werden. Statt schnell den Notruf zu wählen, wird in vielen Fällen Bettruhe verordnet – dabei zählt jetzt jede Sekunde. Auch viele andere Krankheitsbilder äußern sich bei Männern und Frauen unterschiedlich, Erkrankungsrisiken variieren, und auch die Wirkung von Medikamenten ist bei beiden Geschlechtern oft nicht vergleichbar. Der Grund: Frauen und Männer unterscheiden sich – etwa in Hinblick auf Anatomie, Physiologie, Genetik und Hormone. Das Problem: Der Stand der aktuellen medizinischen Forschung und Praxis beruht auf Studien, die den „durchschnittlichen Mann“ als Maßstab haben. Frauen hingegen wurden lange Zeit in medizinischen Studien stark vernachlässigt. „Man ist davon ausgegangen, dass die Erkenntnisse aus Studien mit männlichen Probanden problemlos auf Frauen übertragbar sind“, erGESCHLECHTSSPEZIFISCHE MEDIZIN Er ist 1,75 Meter groß, 75 Kilogramm schwer und 35 Jahre alt: der „Standardpatient“ der Medizin. Doch die Erkenntnis wächst: Frauen reagieren anders auf Erkrankungen, Medikamente und Therapien als Männer. Weshalb Gendermedizin erforderlich ist – und warum auch Männer davon profitieren. VON MAGDALENA HÖGNER klärt Dr. Lisa Deloch, Strahlenbiologin an der Strahlenklinik des Uniklinikums Erlangen. Sie leitet die Nachwuchsgruppe „Strahlen-Osteoimmunologie/Translatio- nale Strahlenbiologie“ und forscht gemeinsam mit drei naturwissenschaftlichen Doktorandinnen und Doktoranden auch im Bereich Gendermedizin. „Das Ziel der geschlechtsspezifischen Medizin ist es, zu verstehen, wie Männer und Frauen auf Krankheiten reagieren, welche Risikofaktoren es für das jeweilige Geschlecht gibt und wie sich die Behandlung unterscheiden sollte.“ Geschlecht spielt (k)eine Rolle Wie wichtig ein geschlechtsspezifischer Ansatz etwa in der Krebsmedizin ist, erklärt Alina Depardon, Ärztin der Strahlenklinik: „Bei der Chemotherapie werden Medikamente standardmäßig nach Körpergröße und Gewicht dosiert. Doch die Körperzusammensetzung bei Frauen und Männern unterscheidet sich: Frauen haben mehr Körperfett und weniger Muskelmasse. Viele Medikamente reichern sich im Fettgewebe an, was dann zu intensiveren und länger anhaltenden Nebenwirkungen führt.“ Deshalb leiden Frauen während einer Chemotherapie meist unter stärkeren Beeinträchtigungen. Auch bei Schlaf- und Schmerzmitteln sowie anderen Medikamenten reagieren Frauen und Männer häufig unterschiedlich. So können sich WirKeine reine Herzenssache Bei einem Schlaganfall ist es bei Frauen zu 25 Prozent wahrscheinlicher, eine Fehldiagnose zu erhalten, als bei Männern. Denn – ähnlich wie beim Herzinfarkt – zeigen Frauen meist andere Symptome, etwa Kopf- oder Gliederschmerzen, Übelkeit, Verwirrtheit, aber auch Harninkontinenz oder Schluckbeschwerden.
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