| 39 Medizin kungseintritt und -dauer unterscheiden, ebenso sind andere Neben- und Wechselwirkungen möglich. Auch ob ein Medikament bei Frauen überhaupt hilft, lässt sich nicht immer eindeutig sagen: „Viele ältere Personen nehmen nach einem Herzinfarkt täglich Aspirin zur Prävention. Die Wirksamkeit ist wissenschaftlich belegt – aber nur für Männer“, erläutert Alina Depardon. Eine Datenlücke entsteht Dass Frauen lange Zeit in wissenschaftlichen Studien oftmals ausgeschlossen wurden, diente vor allem dem Schutz des ungeborenen Lebens. „Nach dem Contergan-Skandal in den 1960er-Jahren, bei dem ein Beruhigungsmittel schwere Fehlbildungen bei Neugeborenen verursacht hatte, hatten viele Forschende Angst, dass derartige Nebenwirkungen auch bei Medikamententests auftreten könnten. Die US-Arzneimittelbehörde FDA sprach daher 1977 die Empfehlung aus, Frauen im gebärfähigen Alter nicht in frühe Studienphasen einzubeziehen“, erklärt Dr. Deloch. Zugleich spielte auch der weibliche Zyklus eine Rolle: „Hormonelle Schwankungen erschweren standardisierte Studien, weil die erhobenen Daten schlechter vergleichbar sind.“ Auch soziokulturelle Ursachen könnten das Ungleichgewicht begünstigt haben, denn: Die Medizin wurde lange von Männern dominiert. Demnach war die weibliche Perspektive womöglich weniger präsent. „Die Folge ist eine riesige Datenlücke, die bis heute nachwirkt“, fasst Lisa Deloch zusammen. Das Umdenken beginnt Ende des 20. Jahrhunderts setzte letztlich ein Umdenken ein: Erste Pionierinnen der Gendermedizin schlossen Frauen in ihre Studien ein. Doch das Bewusstsein wächst nur langsam – bis heute ist die Berücksichtigung geschlechtlicher Unterschiede bei präklinischen und klinischen Studien eher die Ausnahme. „Es reicht nicht aus, wenn Frauen teilnehmen. Die Daten müssen auch geschlechtsspezifisch ausgewertet werden – nur dann ist ein Erkenntnisgewinn für Frauen möglich“, betont Alina Depardon. Die Nachwuchsgruppe um Dr. Deloch zählt zu denjenigen, die diese Herangehensweise konsequent verfolgen: Im Rahmen des vom Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt geförderten Projekts „TOGETHER“ Auch Schmerz hat ein Geschlecht Frauen und Männer verarbeiten Schmerzen unterschiedlich: Insgesamt erleben Frauen Schmerzen intensiver als Männer und greifen häufiger zu Schmerzmitteln. Auch Schmerzsyndrome wie Migräne (s. S. 48), Rheuma und Reizdarm treten bei Frauen häufiger auf. untersuchen sie, wie Alter, Gesundheitszustand und vor allem das Geschlecht die Wirkungen und Nebenwirkungen von Strahlung auf den Körper beeinflussen. „Unser Ziel ist es, einen Beitrag zum Strahlenschutz in der medizinischen Diagnostik und Therapie zu leisten – und zwar für Männer und Frauen gleichermaßen“, erklärt Lisa Deloch. In Zukunft weiblich? In der Forschungsgemeinschaft stoßen die Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler immer wieder auf Skepsis: „Manche fragen provokativ, ob jetzt nur noch an Frauen geforscht werden soll“, erzählt Lisa Deloch. Das sei natürlich nicht das Ziel. Ganz im Gegenteil: Die Gendermedizin komme letztlich allen zugute. „Brustkrebs ist die häufigste Krebsart bei Frauen, aber auch Männer können daran erkranken. Während Frauen deshalb regelmäßig Vorsorgeuntersuchungen wahrnehmen, bleibt der Krebs bei Männern oft lange unerkannt. Er ist bei ihnen außerdem meist aggressiver und muss anders behandelt werden. Auch hier wären geschlechtsspezifische Studien sehr hilfreich“, schildert Alina Depardon. „Insgesamt können wir also durch die Berücksichtigung geschlechtsspezifischer Unterschiede das Bewusstsein für bestimmte Erkrankungen stärken und Therapien, Diagnostik und Präventionsprogramme besser an das jeweilige Geschlecht anpassen. Davon profitieren beide: Frauen und Männer!“, hält Dr. Deloch fest. Strahlenklinik Nachwuchsgruppe Strahlen-Osteoimmunologie/ Translationale Strahlenbiologie www.uker.de/st-osteo-immun
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