8 | Titel PFLEGENDE AN- UND ZUGEHÖRIGE Sie sind viele und doch oft unsichtbar: Pflegende An- und Zugehörige stemmen in Deutschland die Hauptlast der häuslichen Pflege – mit allen Herausforderungen, die das mit sich bringt. Prof. Dr. Elmar Gräßel gibt Einblicke in ihre Lebensrealität und zeigt, was ihnen Entlastung schenken kann. VON MAGDALENA HÖGNER „Es ist nicht nur der Pflegeaufwand, der belastet – sondern auch die ständige Präsenz, die von mir gefordert wird. Aber: Wir haben uns noch!“, sagt Bärbel Krämer*. Sie ist eine von rund fünf Millionen Menschen in Deutschland, die regelmäßig einen pflegebedürftigen Angehörigen oder eine nahestehende Person betreuen – sei es den Vater nach einem Schlaganfall, den demenzerkrankten Partner oder die betagte Nachbarin. Die Aufgaben in der häuslichen Betreuung sind vielfältig, die Anforderungen an die pflegenden An- und Zugehörigen oft hoch: Körperpflege, Hilfe beim Essen und bei der Medikamentengabe, Unterstützung beim Aufstehen und beim Umlagern im Bett, Einkaufen, Kochen und Putzen – bis hin zur emotionalen Begleitung, Terminorganisation und zu Behördengängen. „Pflege findet in acht von zehn Fällen in Privathaushalten statt. Und über 90 Prozent dieser pflegebedürftigen Menschen werden von Nahestehenden versorgt – also von Angehörigen, Nachbarinnen, Freunden oder Bekannten“, erklärt Prof. Dr. Elmar Gräßel, Leiter des Zentrums für Medizinische Versorgungsforschung und des Bereichs Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie der Psychiatrischen und Psychotherapeutischen Klinik des Uniklinikums Erlangen. „Das macht An- und Zugehörige zum ‚größten Pflegedienst‘ Deutschlands.“ Seit mehr als 30 Jahren forscht ElDeutschlands größter Pflegedienst mar Gräßel zur Situation von pflegenden An- und Zugehörigen. Er weiß, wie ihre Lebensrealität aussieht und mit welchen Herausforderungen sie konfrontiert sind. „Rund 40 Prozent aller, die für eine nahestehende Person sorgen, sind dadurch mehr als zehn Stunden pro Tag eingebunden. Bei 30 Prozent sind es sogar mehr als fünfzehn Stunden pro Tag“, schildert er. „Zieht man von den 24 Stunden, die jeder und jedem pro Tag zur Verfügung stehen, sechs Stunden zum Schlafen und zwei Stunden zur ‚Selbstpflege‘ ab, bleibt nicht viel übrig.“ Wenn die Zeit nicht reicht Für Pflegende ist Zeit tatsächlich ein knappes Gut: Freie Minuten für Familie, Partnerschaft, Freundschaften, Hobbys oder einfach zum Durchatmen finden viele kaum noch. So berichtet es etwa auch Reinhold Bauer*, der seine Partnerin pflegt: „Ich habe mich nicht getraut, zum Frisör zu gehen. Ich hatte Angst, dass meine Frau in der Zwischenzeit stürzt.“ Besonders herausfordernd wird es dann, wenn zusätzlich auch noch das eigene Kind versorgt oder einer Erwerbstätigkeit nachgegangen werden muss – die Doppel- oder Dreifachbelastung ist dann oft kaum zu stemmen: „Etwa ein Viertel aller erwerbstätigen pflegenden An- und Zugehörigen reduziert die Arbeitszeit im Beruf zugunsten der Pflege. Weitere elf Prozent geben ihre Erwerbstätigkeit vollständig auf“, ordnet Prof.
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