Gesundheit erlangen - Herbst 2021

50 Gefühle sind eine weltumspannende Sache. Erinnern wir uns an das weinende Mäd- chen im vergangenen Fußball-EM-Achtelfi- nalspiel Deutschland gegen England. Als die Mannschaft des kleinen Fans mit 0:2 früh- zeitig ausschied, gingen die Tränen des Kin- des um die Welt. Auch bei erwachsenen Fußballfans und -spielern zittern bei Nieder- lagen regelmäßig die Unterlippen, und die Augen werden feucht. So weint Portugals Kicker Cristiano Ronaldo, 36 Jahre alt, ja ge- fühlt jedes Mal, wenn er ein wichtiges Spiel verliert. Indes auf der Gewinnerseite: frene- tische Euphorie, singende Fans im Freuden- rausch. Im Fußball gilt der starke, direkte Ausdruck von Emotionen als erwartbar und akzeptiert – ebenso bei Kindern. Jene la- chen sich manchmal grundlos minutenlang kaputt. Sie freuen sich im Wald über jeden Ast und jeden Stein und lassen so manche Mutter mit Anschlussterminen vor einem Kieshaufen verzweifeln. Dreijährige kriegen einen Nervenzusammenbruch, wenn je- mand die Würstchen auf ihrem Teller für sie durchschneidet, obwohl sie das selbst hat- ten tun wollen. Und sie geraten in Rage, wenn sie mitten imWinter nicht mit Taucher- brille und Badesachen in den Kindergar- ten gehen dürfen. Ihre Argumentationswei- se hat dabei nichts mit Erwachsenenlogik zu tun und ist oft einfach falsch, wird aber überzeugend vorgetragen bzw. -geschrien. Stellen wir uns jetzt einen Angestellten Mit- te 40 in einem Meeting vor: Als seine Chefin arbeitsreiche Wochen ankündigt, rollen Trä- nen über seine Wangen und er wimmert: „Ich will aber nachmittags wieder öfter Fahr- Kleine Sp(r)itze Gefühlsausbrüche. Oder: Warum fliegende Kugelschreiber keine Lösung sind Kleine Sp(r)itze rad fahren!“ Die Kollegin neben ihm wirft schließlich mit einem Kugelschreiber nach der Chefin und brüllt: „Immer sind Sie so gemein zu uns! Ich habe seit drei Stunden Hunger und will jetzt endlich Pommes!“ Dass solche Szenen eher selten sind, liegt wohl daran, dass Erwachsene gelernt ha- ben, ihre Emotionen zu regulieren. Für das (schmerzfreie) gesellschaftliche Zusam- menleben ist das auch durchaus hilfreich. Doch: Oft machen Menschen ihrer Enttäu- schung, Angst oder Wut jahrelang keine Luft – bis sie irgendwann selbst in die Luft gehen, Migräne, Bluthochdruck oder Ma- genschmerzen bekommen. Besser wäre wohl: tief durchatmen, Unbehagliches an- sprechen, Empathie für die Gegenseite ent- wickeln, Situationen mit Abstand betrach- ten und die Energie negativer Gefühle um- münzen. Nicht in fliegende Kugelschreiber, sondern z. B. in eine Veränderung des Ar- beitsalltags. Oder des eigenen Lebens. Nicht kinderleicht – aber lernbar. fm Wut hat kein gutes Image und wird deshalb oft unter- drückt. Dabei kann sie auch eine sehr positive Kraft entfalten.

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