Gesundheit erlangen - Frühling 2022

Cannabis ist keine harte Droge, aber Sie raten den- noch vom Kiffen ab: warum? Dr. Lins: Weil der Konsum negative Auswirkungen auf die Gesundheit, insbesondere das Gehirn, hat. Auch wer nur gelegentlich kifft, tut seinem Körper damit nichts Gutes. Es kommt zu Konzentrations- schwierigkeiten, der IQ sinkt, die Stimmung und das Wohlbefinden leiden und im schlimmsten Fall ent - wickelt sich eine Psychose. Bei Heranwachsenden sind die Folgen besonders schwerwiegend und las- sen sich teils auch nicht mehr rückgängig machen. Das heißt: Diese Kinder und Jugendlichen werden ihr geistiges Potenzial nie voll ausschöpfen können. Daher sollte im Zuge der Legalisierung der Jugend- schutz gestärkt werden. Ein starker Anstieg von Cannabis-Konsumunter Jugendlichen wäre für mich das stärkste Argument gegen eine Legalisierung. Aber Cannabis wird doch auch verschrieben? Dr. Lins: Cannabis kann seit 2017 eingesetzt wer- den, wenn „eine allgemein anerkannte, dem medi- zinischen Standard entsprechende Leistung im Einzelfall nicht zur Verfügung steht“ oder wenn der Nutzen die Risiken überwiegt. Der Gesetzgeber definiert keine Anwendungsgebiete. Als etablierte Indikationen für Cannabis-basierte Medikamente gelten chronische Schmerzen, Spastik bei MS, Ap- petitlosigkeit und Übelkeit. Zudem gibt es Hinwei- se auf positive Wirkungen bei Depressionen, Angststörungen, PTBS und ADHS. Deshalb wurden in den vergangenen Jahren bereits über 50 unter- schiedliche Erkrankungen mit Cannabis behan- delt, auch wenn hierfür teils eine klare wissen- schaftliche Datenlage fehlt. Dr. Stephan Lins ist Facharzt für Neurologie und Psychiatrie und leitet die Substitutionstherapie der Psychiatrischen und Psychotherapeutischen Klinik des Uni-Klinikums Erlangen. Könnte eine Legalisierung nicht auch dazu führen, dass mehr Studien durchgeführt werden? Dr. Lins: Sicherlich, denn die Legalisierung erleich- tert allein schon die Durchführung solcher Stu- dien. Bei der beforschten Substanz handelt es sich dann nämlich nicht mehr um ein illegales Rausch- mittel, bei dessen Anwendung strafrechtliche Kon- sequenzen drohen. Gelegentliches Kiffen – dauerhafter Konsum: Was ist unbedenklich und wo beginnt die Sucht? Dr. Lins: Unbedenklich ist der Konsum von Drogen – egal welcher – nie. Sucht definiert sich in unserer Fachdisziplin so, dass sich mindestens drei der fol- genden Kennzeichen in den vergangenen zwölf Mo- naten beobachten ließen: Entzugserscheinungen, Dosissteigerung, Kontrollverlust, starker Wunsch/ Zwang, die Droge zu nehmen, fortgesetzter Konsum trotz Wahrnehmung der negativen Folgen (zum Beispiel Führerscheinentzug) und Vernachlässi- gung von Aktivitäten (zum Beispiel Sportverein). In meinen Augen ist aber jeder dieser Punkte ein Warnzeichen. Betroffene sollten nicht warten, bis sie tatsächlich süchtig sind, sondern ihren Konsum schon vorher drosseln oder sogar einstellen. An wen wende ich mich, wenn ich Hilfe benötige? Dr. Lins: Erste Anlaufstelle kann die hausärztliche Praxis sein, von wo Sie dann beispielsweise zu ei- nem Psychiater oder einer Suchtmedizinerin über- wiesen werden. Wenn Sie einer Person in Ihrem Umfeld helfen möchten, dann sprechen Sie sie möglichst empathisch an: Bitte keine Vorwürfe und keine Belehrungen! Versuchen Sie vielmehr gemeinsam herauszufinden, warum die Person Cannabis konsumiert. Vielleicht leidet sie unter konkreten anderen Problemen, die sie mit der Dro- ge zu betäuben versucht. Das ist auch unser Ansatz in der Drogensubstitution: das Warum ergründen, den körperlichen Entzug begleiten und Strategien entwickeln, wie die eigentlichen Probleme anders bewältigt werden können. Ein Verbot hilft hier nicht – wir brauchen bessere Hilfsangebote und müssen neue Wege gehen. | 21 Sprechstunde

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