Gesundheit erlangen - Frühling 2024

| 51 Kopfsache KOPFSACHE Manche Menschen stehen ständig unter Strom. Während sie eine Idee haben, kommt ihnen schon die nächste. Was sie nicht fasziniert, wird oft schnell vergessen. Ihre Aufmerksamkeitsspanne dauert mitunter nicht viel länger, als diese vier Buchstaben auszusprechen: ADHS. VON FRANZISKA MÄNNEL Als Ende 2023 die ARD-Doku „Hirschhausen und ADHS“ mit Dr. Eckart von Hirschhausen ausgestrahlt wurde, lief das E-Mail-Postfach von Dr. Tanja Richter-Schmidinger zeitweise über. „Es gab immer mal wieder solche Anstürme – je nachdem, was im Fernsehen oder auf Social Media so los war. Zeiten ohne Anmeldungen bei uns gab es nie“, sagt sie. Die Psychologin leitet an der Psychiatrischen und Psychotherapeutischen Klinik des Uniklinikums Erlangen die Sprechstunde für ADHS. Das H ergänzt das Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom (ADS) noch um den Faktor Hyperaktivität und kennzeichnet damit die Aufmerksamkeits-DefizitHyperaktivitäts-Störung. „Während sich ADHS durch permanente Rastlosigkeit auszeichnet, vergisst man sich mit ADS sozusagen gedankenverloren auf der Couch“, so beschreibt es Tanja RichterSchmidinger. ADHS ist eine neurobiologische Entwicklungsstörung mit genetischen Ursachen, die Männer und Frauen etwa gleich häufig betrifft. „Damit wird man geboren“, betont die Psychologin. „Es kann aber sein, dass es erst später auffällt, weil sich zum Beispiel die Lebensumstände verändert haben und sie nicht mehr so ADHS-freundlich sind. Die Annahme, dass sich ADHS ,auswächst‘, ist falsch.“ Wenn der Bürojob krank macht Menschen mit ADHS haben oft viele Gedanken gleichzeitig und können sich schlecht auf einen konzentrieren. Sie sind leicht ablenkbar, ungeduldig und schnell gelangweilt, suchen immer wieder neue Kicks. Ihre Stimmung kann stark schwanken. Viele rauchen, neigen zu anderen Süchten oder machen Extremsport. Gleichzeitig fühlen sie sich oft von Reizen überflutet und erschöpft. „Wenn ich acht Stunden am Stück in einem Büro arbeiten muss, werde ich depressiv“, berichtet ADHS-Patient Julian Vetten. „Bei meinem ersten Job war das so. Ich hatte ständig Bauchweh und eine schlechte Stimmung.“ Als freier Journalist reiste er dann nach Israel, in die Ukraine und nach Syrien, um aus Krisengebieten zu berichten. Er veranstaltete in Berlin und Hamburg dreitägige Partys, ging ohne Seil klettern. „Bei ADHS ist der Dopaminspiegel dauerhaft zu niedrig“, weiß Julian Vetten heute. Dieser Botenstoffmangel im Gehirn führt immer wieder zu Handlungen, die Dopamin freisetzen und so stimulieren und belohnen. „Die Diagnose war deshalb erleichternd für mich.“ In der Erlanger Psychiatrie → Die Hauptmerkmale von ADHS ■ Unaufmerksamkeit: ablenkbar, unkonzen- triert, vergesslich in Bezug auf Alltägliches ■ Hyperaktivität: innerlich und/oder äußerlich permanent in Bewegung, unruhig Dazu kommen weitere Kriterien, z. B. Impul- sivität – also unüberlegte Handlungen oder teils sehr emotionale Reaktionen –, Proble- me mit dem Zeitmanagement, Stimmungs- schwankungen oder das Gefühl, dass alles schnell langweilig wird. Dafür sind Menschen mit ADHS oft sehr kreativ, sie denken unkon- ventionell, können gut improvisieren, sind vielseitig interessiert, ehrlich und mitreißend.

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