52 | Kopfsache Fortsetzung von S. 51 Punkt ist das kreative Produkt, das von einem selbst und von anderen beurteilt wird. Was würden Sie jemandem raten, der gern kreativer wäre? Bei Aktivitäten mit einer niedrigen Denkbelastung fällt einem mehr ein. Das kann zum Beispiel ein ruhiger Spaziergang sein, bei dem man die Gedanken fließen lässt, eine Autofahrt auf einer bekannten Strecke oder einfach nur Duschen. Das Gehirn ist dann frei, zu assoziieren und Ideen zu entwickeln. Man sollte auch Tagträume und unbewusstes Denken nutzen und ausreichend viel schlafen. Dazu kommen Gespräche mit anderen über das, was einen interessiert. Wichtig sind auch Notizen. Ich kenne keinen Künstler oder Wissenschaftler, der sich keine Notizen macht. So war es zum Beispiel auch bei Darwin oder Beethoven. Besser als Notieren ist sogar Diktieren, weil das Verschriftlichen schon wieder so lange dauert, dass eine Bewertung hinzukommen kann und man etwas dann gar nicht erst aufschreibt. Zu hohe Ansprüche und Kritik behindern also die Kreativität. Ganz genau. Man sollte also zum Beispiel für ein Brainstorming nicht folgende Anweisung geben: Bitte generiert möglichst viele gute Ideen! Stattdessen: Bitte generiert möglichst viele Ideen – egal was! Es hilft, eine Umgebung zu schaffen, in der andere nicht kritisieren dürfen. Steve Jobs, der ehemalige Chef von Apple, hat eingeführt, dass eine Idee immer weiterentwickelt wird, anstatt etwas gegen sie zu sagen. Bewertungen würden andere sonst daran hindern, sich einzubringen. Diese Freiheit ist eine wichtige Voraussetzung, um kreativ arbeiten zu können. Berufene Professorinnen und Professoren sind ja zum Beispiel auch frei in Forschung und Lehre. Noch mal zum Brainstorming: Hier gilt also „viel hilft viel“? Ja. Denn was nützt kreatives Potenzial, wenn kein Produkt entsteht? Kreativschaffende müssen möglichst viel produzieren, dann ist mit höherer Wahrscheinlichkeit auch eine Spitzenleistung dabei. Inwiefern kann Kreativität heilsam sein? Die Kunsttherapie ist ein wichtiger Baustein im multimodalen Therapiekonzept. Sie fördert es, konzentriert bei sich zu sein, in einen Flow zu kommen, Grübeln zu beenden. Außerdem bekommt man positive Rückmeldungen von anderen: Das ist ja ein wunderschönes Bild geworden! Obwohl man selbst denkt, man könne nichts. Durch künstlerische Arbeit lassen sich aber auch Emotionen ausdrücken, die sprachlich nicht transportiert werden können. Und was vermag Kreativität darüber hinaus, gerade was eingefahrene Denkmuster betrifft? Im Leben geht es ja ständig um kreative Lösungen – jedes Mal, wenn ich vor einem Problem stehe, oder jedes Mal, wenn mich eine bestimmte Strategie zu einem Misserfolg führt. Wir wissen beispielsweise, dass suizidale Krisen eher bei Menschen entstehen, die weniger gut in der Lage sind, kreativ an Probleme heranzugehen. Insofern sind kreative Problemlösestrategien auch in der Psychotherapie sehr wichtig. Es gibt ja auch die Vorstellung, dass Genie und Wahnsinn zusammenhängen. Man muss aber keine psychische Störung haben, um kreativ zu sein. Da Vinci, Michelangelo, BeetFreiheit ist eine wichtige Voraussetzung, um kreativ arbeiten zu können. Prof. Dr. Johannes Kornhuber
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