Gesundheit Bamberg - Frühling 2020

37 Medizin-Report „Viele Menschen wissen gar nicht, dass man da überhaupt etwas machen kann. Und sie leben jah- relang mit diesen Beeinträchtigungen“, fährt der Experte fort. Schritt eins ist laut Dr. Ludolph oft erst einmal die konservative Therapie – etwa Medika- mente, Physio- und Ergotherapie, zum Beispiel nach einem Schlaganfall oder bei Lähmungen oh- ne erkennbare Ursache. „Da besteht noch die Chance, dass sich die Lähmung spontan zurück- bildet und dass die Funktionalität in die erschlaff- te Gesichtshälfte zurückkehrt“, erklärt der Ober- arzt. In anderen Fällen wird der Gesichtsnerv ganz sicher nie wieder funktionieren – beispielsweise nach einer Hirntumor-OP, wenn der Nervus facia- lis zwangsläufig verletzt werden musste. Dann ist oft ein mikrochirurgischer Eingriff aussichtsreich. Je nachdem, was die Lähmung verursacht, wo sie auftritt und wie stark sie ausgeprägt ist, kommen verschiedene Operationen infrage. So verpflanzen die Plastischen Chirurgen etwa Spendernerven und -muskeln so, dass der Patient seine mimi- schen Muskeln wieder ansteuern und bewegen kann. Dank dieser dynamischen Verfahren wird also die Beweglichkeit des Gesichts „reanimiert“. Ist die dynamische Variante für einen Patienten nicht geeignet, sind auch statische Rekon- struktionen möglich. „So heben wir zum Beispiel ein herunterhängendes Unterlid durch eine Straf- fung zurück in seine Ausgangsposition und fixieren es dort“, erklärt Dr. Ludolph. „Damit kann der Pa- tient sein Auge wieder besser schließen. Oder wir bringen einen erschlafften Mundwinkel auf die Hö- he des anderen Mundwinkels und ‚hängen ihn dort auf‘. Damit ist das Gesicht wieder symmetrischer und der Mund wirkt nicht mehr so verzerrt. Eine aktive Bewegung der operierten Gesichtspartie ist nach einem statischen Verfahren zwar nicht mög- lich, aber wir erreichen trotzdem eine sichtbare Verbesserung.“ Für junge und mittelalte Patienten streben das Team um Klinikdirektor Prof. Dr. Dr. h. c. Raymund E. Horch und Dr. Ludolph meist dy- namische Eingriffe an; für Ältere, die keine großen, INFO Spezialsprechstunde für Lähmungen des Gesichtsnerven und peripherer Nerven Telefon: 09131 85-33277 (Privat- sprechstunde) oder -36330 aufwendigen Operationen möchten, sind manch- mal statische Verfahren geeigneter. „Solange ein Muskel noch intakt ist, können wir ihn in geeigneten Fällen mit einem Spendernerv reaktivieren.“ Dr. Ingo Ludolph Ist der Gesichtsnerv unwiderruflich defekt, zum Beispiel nach einer Hirn-OP, empfehlen die Plasti- schen Chirurgen in der Regel, innerhalb der nächs- ten sechs bis zwölf Monate zu operieren. Denn hier gilt: time is muscle – Zeit ist Muskel. Je länger mit der OP gewartet wird, desto mehr bauen die mimi- schen Muskeln durch die fehlende Nervenstimula- tion ab. „Solange ein Muskel aber noch intakt ist, können wir ihn mit einem gesunden Spendernerv, zum Beispiel aus dem Unterschenkel des Patien- ten, reaktivieren“, erklärt Ingo Ludolph. Dazu nä- hen die Ärzte den entnommenen Spendernerv an einen funktionierenden Nerv auf der gesunden Ge- sichtsseite an, legen das Transplantat unter der Haut quer über das Gesicht zur gelähmten Seite und verbinden es dort mit dem Nerv des mimi- schen Muskels. Lässt sich die lokale Gesichtsmuskulatur nicht mehr stimulieren, können die Ärzte Muskeln aus anderen Körperpartien ins Gesicht verpflanzen. „Dabei verpflanzen wir den Spendermuskel mit dem gesamten Gefäß- und Nervengeflecht, das ihn versorgt“, erläutert Dr. Ludolph das komplexe Ver- fahren des sogenannten freien funktionellen Mus- keltransfers. Welche Methode für welchen Patien- ten am besten geeignet ist, erläutern die Plasti- schen Chirurgen in einer Spezialsprechstunde. fm

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