Gesundheit erlangen - Winter 2020/2021

11 Titel „Ich habe jahrelang Arbeit im Übermaß geleistet. Wertge- schätzt wurde das nicht.“ „Starke Männer machen keine Entspannungsübungen. Das ist eine Illusion.“ rapie, dann müsse er zurück zur Arbeit. Die Firma über seine psychischen Probleme informieren? Das würde er kein zweites Mal tun. Zu groß die Stig- matisierung. Zu groß der Stress, den ihm dieser Gedanke bereitet. Doch er begin- ne zu begreifen, warum berufli- che Anerkennung für ihn so es- senziell ist: Schon als Kind muss- te Dietmar Teichmann in der Fir- ma seiner Eltern mithelfen. Erfolg, Effizienz und Perfektion – das waren die Werte, die ihm Mutter und Vater vermittelten. Und es wurden seine eige- nen. „Wir haben oft diskutiert, und es ging immer darum, recht zu haben, den eigenen Standpunkt zu verteidigen.“ Seine Schwester tue sich deshalb heute extrem schwer mit Entscheidungen. „Sie kann keine Fliese aussuchen. Solche Angst hat sie, einen Fehler zu machen.“ In der Therapie darf der Depressionspatient nun seine Einstellungen und seine Erwartungen an sich und andere einmal kritisch hinterfragen und überlegen, wo es Raum gibt für Veränderung. Wie verhält sich der Vertriebler im Streit mit Kolle- gen und Vorgesetzten? Welche Rolle spielen seine familiär einge- übten Muster dabei? Wie bleibt er in beruflichen Diskussionen gelassener? Die Therapiebausteine: Depressionsgruppe, Ge- sprächstherapie, soziales Kompetenztraining, Er- gotherapie, Progressive Muskelrelaxation, Autoge- nes Training, Sport, Bewegung und Medikamente. Schon seit vier, fünf Jahren nimmt Dietmar Teich- mann immer wieder Antidepressiva ein. „Um aus den tiefsten Tälern wieder rauszukommen“, wie er sagt. Die Erlanger Ärzte haben ihn nun medika- mentös anders eingestellt; auch neue Blutdruck- senker wurden ihm verordnet. „Die tägliche Nor- dic-Walking-Gruppe habe ich noch kein einziges Mal versäumt, seit ich hier bin“, sagt Dietmar Teich- mann ein bisschen stolz. Früher sei er öfter schwim- men gegangen, doch der Sport schlafe irgendwie immer wieder ein. Dass regelmäßige Bewegung seinen Bluthochdruck und sein Übergewicht sen- ken und seine Stimmung heben würde, das weiß der Depressionspatient. „Ehr- lich gesagt bin ich einfach zu faul“, gesteht er. Dass er außer- halb der Erlanger Psychiatrie weiter Entspannungsverfahren praktizieren wird, hält Dietmar Teichmann für un- wahrscheinlich. „Starke Männer machen keine Ent- spannungsübungen. Das ist eine Illusion.“ Aber was heißt es eigentlich für ihn, männlich zu sein? Und wohin führt ihn diese Vorstellung? Was macht im Leben wirklich glücklich? Worüber defi- niert er seinen Wert als Mensch? Wohin bringen ihn Perfektionismus und das Streben, immer alles richtig zu machen? „Ich bin in der Therapie dank- bar für jeden Schritt nach vorn. Und weil ich nur wenige Wochen Zeit habe, stehen meine Psycho- login und ich auch unter einem gewissen Erfolgs- druck“, sagt der Patient, räus- pert sich und lacht. Er möchte an seinem Verhalten arbeiten und die Behandlung ambulant fortsetzen, wenn es geht. Sich beruflich zu verändern, kommt für ihn nicht (mehr) infrage. „Nicht mit 58. Jetzt heißt es: durchhalten oder aufgeben.“ Wenn er am Lebensende zurückblicken würde: Was war dann wirklich wichtig? Was hat sein Leben rei- cher gemacht? Wofür hätte er gern mehr Zeit ge- habt? Das kann kein Therapeut beantworten. Das kann nur er allein. fm Fragen Sie bei Stress: Was kann schlimmstenfalls passieren? Wäre das wirklich das Ende der Welt?

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