Gesundheit erlangen - Frühling 2022

Kopfsache 40 | KOPFSACHE Nicht nur das Coronavirus kann uns in der Pandemie krank machen. In Zeiten von Kontaktbeschränkungen und Ausgangsverboten nehmen psychische Erkrankungen wie Essstörungen erheblich zu. Was Betroffene und Außenstehende dagegen tun können. VON MARIE GRABER Nach wie vor nimmt die Coronapandemie Einfluss auf unser Leben. Dass sich unser Alltag in vielerlei Hinsicht verändert hat, kann auch die psychische Gesundheit beeinträchtigen. So lässt sich in Untersuchungen des Jahres 2020 im Vergleich zu den Vorjahren ein deutli- cher Anstieg an Ängsten, Depressionen und – damit oftmals einhergehend – Essstörungen erkennen. Denn gerade durch vermehrte oder verminderte Nahrungs- aufnahme versuchen viele, ihre negativen Emotionen zu bewältigen. Auch die Rückfallquote ist in den ver- gangenen Jahren deutlich gestiegen. „Einige unserer Patientinnen und Patienten, die schon einmal vor län- gerer Zeit aufgrund von Magersucht oder Bulimie in Behandlung waren, kommen nun während der Pande- mie wieder, weil sie in alte Verhaltensmuster zurück- fallen. Für 40 bis 50 Prozent der von einer Essstörung betroffenen Personen spielen die pandemiebedingten Einschränkungen eine entscheidende Rolle im Krank- heitsverlauf“, erklärt Dr. Holmer Graap, leitender Psy- chologe in der Psychosomatischen und Psychothera- peutischen Abteilung des Uni-Klinikums Erlangen. Essen als Lebenssinn So erlebt es auch Jana F. (Name von der Redaktion ge - ändert), die zumwiederholten Mal an Bulimie erkrankt ist und seit einigen Wochen am Uni-Klinikum Erlan- gen stationär behandelt wird: „Ich hatte gerade erst wieder angefangen, richtig zu leben. Tanzen gehen, Reisen und Spieleabende mit Freunden haben mir Kraft gegeben. Wegen der Ausgangs- und Kontaktbe- schränkungen ist das alles weggebrochen. Da ich allein lebe und nun einfach keinen Sinn mehr in meinemAll- tag sehe, ist Essen für mich der einzige Grund, mor- gens überhaupt aufzustehen“, berichtet die 36-Jährige. Wenn Essen zum Problem wird Verborgene Symptome Das Hauptproblem der pandemiebedingten Essstörun- gen sieht Holmer Graap darin, dass wegfallende Struk- turen und Sozialkontakte häufig zu einem Rückzugs - verhalten führen. „Die Beschränkungen haben zur Fol- ge, dass Anorexiepatientinnen und -patienten hin und wieder eine Mahlzeit ausfallen lassen–und es niemand bemerkt“, erläutert der Experte. „Wir sehen aber auch, dass manche von denjenigen, die eher zu viel essen, durch erhöhte Vorratshaltung und Hamsterkäufe große Mengen an Nahrungsmitteln zu Hause haben und da- durch leichter in Versuchung kommen, zuzugreifen.“ Auch die Tatsache, dass sich neue Regelungen in Pan- demiezeiten nicht vorhersehen lassen, verstärkt gerade bei Patientinnen und Patienten mit Magersucht oder Bulimie ungesunde Gedanken und Verhaltensweisen.

RkJQdWJsaXNoZXIy ODIyMTAw