Gesundheit erlangen - Herbst 2022

| 29 Medizin KOLUMNE – KLEINE SP[R]ITZE Über Kisten und Kartons am Straßenrand VON ALESSA SAILER Kann das weg oder verschenkst du das? Seit ich vor knapp drei Jahren nach Erlangen zog, fallen mir immer wieder Klappboxen, Körbe oder Kartons mit der Aufschrift „zu verschenken“ auf, die ich auf dem Nachhauseweg oder beim Spazierengehen etwa auf Fenstersimsen, vor Hauseingängen oder auf dem Gehweg stehen sehe. „Das sind sicher Studis, die im Sinne der Nachhaltigkeit nicht mehr Benötigtes denen zur Verfügung stellen, die es vielleicht noch brauchen können“, dachte ich anfangs und linste neugierig in einen der Behälter. Da waren Liebesromane in kyrillischer Schrift, ein Schal mit Farbspritzern, vergilbte Kochlöffel, Benjamin-Blümchen-Kassetten, ein Bildband von Wien mit Kaffeeflecken auf dem Cover (die Wiener Kaffeehäuser halten wohl, was sie versprechen!), das „Große Wörterbuch Deutsch – Jiddisch“, die 256. Auflage des klinischen Wörterbuchs „Pschyrembel“ von 1990, „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“ auf Video, ausgeleierte Haargummis, angeschlagene Blumentöpfe oder gar Unterwäsche zu finden. Mein persönliches Highlight: staubige, zerkratzte „Trinkgläser“. Sie wissen schon, diese Senfgläser, die früher vor allem Familien gesammelt haben, weil die Aufdrucke so lustig waren und die Kinder alle Motive der Serie haben wollten. Jetzt allerdings tanzen da nicht mehr Pumuckl oder Donald Duck auf dem trüben Glas, sondern nur noch farblose, teils abgeblätterte Figuren. Erst neulich lief ich an einem offensichtlichen Haufen Sperrmüll vorbei: vergilbte Matratze, zwei Regale mit Spinnweben zwischen den Einlegeböden und ein Sofa, das seinen Namen einfach nicht mehr verdient hatte. An ihm lehnte ein Pappschild: zu verschenken. Wer würde da nicht sofort mit Pkw-Anhänger vorfahren und dem Prachtexemplar im eigenen Wohnzimmer ein neues Zuhause geben? Ist schließlich nachhaltig! Oder?! Dass Dinge uns zu schade zum Wegwerfen sind, ist ja lobenswert – schließlich heißt das, dass wir den Wert der Gegenstände schätzen. Doch das eigene Gewissen dadurch zu beruhigen, seinen Abfall mit „zu verschenken“ zu kennzeichnen, hilft leider nicht – weder der Umwelt noch Passantinnen und Passanten oder dem Stadtbild. Ganz nach demMotto: „Nur weil mir das Sofa zu schäbig ist, weil der Schaumstoff unter dem zerkratzen Kunstleder hervorschaut, heißt das noch lange nicht, dass es niemand mehr haben will!“ Offenbar stellen manche Menschen ihren Müll aus Faulheit einfach vor die Tür, um sich den Gang zur Tonne hinter dem Haus oder die Fahrt zur Deponie zu sparen. Dabei könnte man – gut erhaltene – Gegenstände auch über Nachbarschaftsportale wie nebenan.de oder Onlineforen verschenken oder gar tauschen: So lägen sie nicht tagelang bei Wind und Wetter draußen. Da bleibt nur zu hoffen, dass der Sperrmüll trotz des Pappschilds am Sofa vielleicht schon bestellt ist und der Hausmeister den Karton nach zwei Regenschauern einfach in die Restmülltonne wirft, weil er das trostlose, mittlerweile aufgequollene Jiddisch-Wörterbuch einfach nicht mehr sehen kann. Denn sowas will niemand mehr geschenkt, das kann wirklich einfach weg. Was halten Sie von Zu-verschenken-Kartons am Straßenrand? E-Mail: alessa.sailer@uk-erlangen.de

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