Gesundheit erlangen - Herbst 2022

■ Volkskrankheit Parodontitis ■ Zahnreinigung – so gehts richtig ■ Hilfe bei abgebrochenen Zähnen Ungestört arbeiten Strategien für weniger Ablenkung Herzmedizin Ein Tag im Erlanger Herzkatheterlabor Lebergesundheit Von Fettleber bis Hepatitis Gesunde Zähne Das kostenlose Magazin des Uniklinikums Erlangen | ER | www.gesundheit-erlangen.com | Herbst 2022

Kostenlose KlinikLinie zum Uniklinikum Erlangen Neben den regulären Stadtbuslinien (289, 290, 293) gibt es seit Januar 2021 eine extra Buslinie, die KlinikLinie 299 mit Kleinbussen. Die City-Sprinter bieten insgesamt je 14 Sitz- und 10 Stehplätze sowie einen Rollstuhlplatz und sind somit barrierefrei. seit 1.1.2022 kostenlos Der Linienverlauf beginnt und endet am Bus- bahnhof Erlangen (hinter dem Hauptbahnhof Erlangen). Verkehrszeiten der KlinikLinie 299 ■ Montag bis Freitag: 5.00 bis 20.00 Uhr ■ Samstag: 9.00 bis 20.00 Uhr ■ Sonn- und Feiertage: 10.00 bis 16.00 Uhr jeweils im 10-Minuten-Takt

| 3 „Zähne zusammenbeißen und durch!“ In stressigen Phasen ist das mehr als nur eine Redewendung. Denn: Unter Druck und Anspannung pressen wir unsere Zähne tatsächlich fest aufeinander – häufig im Schlaf, manchmal sogar unbewusst während der Arbeit. Die Folgen: Kieferprobleme, verspannte Kaumuskeln, Kopf-, Nacken- und sogar Rückenschmerzen. Ebenso können die Zähne unter Dauerdruck empfindlich werden, wie auch ich feststellen musste: Wochenlang hatte ich die von meinem Zahnarzt verordnete Aufbissschiene nachts nicht mehr konsequent getragen. Mit schlechtem Gewissen und unerklärlichen Zahnschmerzen saß ich nun zerknirscht auf seinem Behandlungsstuhl. „Ich kaue seit Tagen nur noch rechts“, gab ich zu. Nach eingehender Untersuchung erklärte mir der Arzt: „Der Zahn hat nichts und sieht gut aus – bis auf die Kauflächen, die schon deutlich abgeschliffen sind. Es wäre gut, wenn Sie Ihre Schiene tragen würden. Und sorgen Sie ein bisschen für Entspannung“, wandte er sich an mein schlechtes Gewissen und mich. Seitdem greife ich abends wieder zur bezaubernden „Schieni“, und siehe da: Die Schmerzen sind weg. Für mich funktionierte diese Lösung. Aber schmerzempfindliche Zähne können viele Ursachen haben – darunter Karies, Parodontitis, die falsche Putztechnik, Rauchen oder Grunderkrankungen, die auf den ersten Blick gar nichts mit dem Gebiss zu tun haben. In unserem Schwerpunkt (S. 8–15) stellen wir Ihnen ein paar Zusammenhänge zwischen den Zähnen und dem restlichen Körper vor, erklären, wie eine professionelle Zahnreinigung abläuft, und wa- rum es ratsam ist, eine Zahnrettungsbox griffbereit zu haben. Welche Herausforderungen eine Zahnmedizinische Fachangestellte am Uniklinikum Erlangen täglich meistert, lesen Sie auf Seite 36. Auch mit den restlichen Themen dieser Herbstausgabe wünsche ich Ihnen viel Spaß. Kurze Erinnerung, falls Sie auch zu den Knirschenden gehören: Nehmen Sie beim Lesen die Zähne auseinander und lassen Sie Ihren Kiefer ganz locker und entspannt. Lockerlassen Editorial Der Glückl iche Die Geschichte, die mich diesmal am meisten beeindruckt hat, ist die von Fe l ix (S. 30): Das kleine Kämpferherz, die Zuversicht der Eltern, die Leistung von Pflege- und Ärzteteam - al l das wirkt noch immer nach. Franziska Männel, Chefredakteurin von „Gesundheit erlangen“

4 | WUNDERORGAN Prof. Dr. Jürgen Siebler erläutert, warum die Fettleber zur wahren Volkskrankheit geworden ist und was Hepatitis auslösen kann. MIT BISS Zähne sollten nicht in erster Linie schön sein, sondern gesund. Wie sie das lange bleiben, erfahren Sie in dieser Ausgabe. Themen dieser Ausgabe 3 Editorial NEUES AUS DEM UNIKLINIKUM 6 Herzwochen 2022 Röntgen gegen Arthrose 7 Bluttest für Parkinson Berufswelt des Uniklinikums kennenlernen TITEL 8 „Wir erhalten fast alles“ Zahnheilkunde am Uniklinikum Erlangen 10 Eine Tasche voller Bakterien Behandlung bei Parodontitis 12 Gut zur Lücke Die richtige Zahnpflege 14 Wenn der Zahn SOS schreit Bei Zahnunfällen gut reagieren REPORTAGE 16 Sprengstoff im Herzen Ein Tag im Erlanger Herzkatheterlabor MEDIZIN 22 Sprechstunde Alarm in der Leber 26 Medien Hilfreiches für Frauen 28 Mittel der Wahl Wegwarte 29 Kleine Sp(r)itze – Kolumne Karton „zu verschenken“ MENSCHEN 30 Meine Geschichte Was Frühchen Felix gerettet hat 36 Was macht eigentlich ... ... eine Zahnmedizinische Fachangestellte? 40 Zwei Seiten von Informatiker René Kraus 22 8–15

| 5 Themen dieser Ausgabe Video Weiterführende Informationen Kontaktaufnahme Persönlicher Kontakt zur Redaktion ERNÄHRUNG 42 Mund auf! Lauch – vielseitige Powerstange 44 Gesund genießen Buntes Herbstrisotto 46 Essen gegen die Entzündung Ernährung bei rheumatoider Arthritis KOPFSACHE 48 Störung ist Standard Kniffe für konzentrierteres Arbeiten ERFORSCHT UND ENTDECKT 52 vhs Erlangen: Programm im Herbst 2022 53 Frauenselbsthilfe Krebs wird 25 54 Neues Selbsthilfeportal des BZKF Gesundheitsratgeber von Philipp Lahm MEINE GESUNDHEIT 55 Kardiologe Prof. Dr. Stephan Achenbach AKTIV LEBEN 56 Ab in den Matsch Faszination Mud Run ZUM SCHLUSS 60 Wenn der Gong ertönt 61 Rätsel | Gewinnspiel 62 Vorschau | Impressum KONZENTRATION, BITTE! Prof. Dr. Johannes Kornhuber erklärt, warum wir heute ständig abgelenkt sind und wie die Ivy-LeeMethode für mehr Fokus sorgt. 48 TEAM MIT HERZ Die Redaktion von „Gesundheit erlangen“ war dabei, als Stents gesetzt und Defibrillatoren implantiert wurden. 16

6 | Neues aus dem Uniklinikum „Turbulenzen imHerz–Vorhofflimmern“–so lautet das Thema der diesjährigen Herzwochen der Deutschen Herzstiftung e. V. Auch die Medizinische Klinik 2 – Kardiologie und Angiologie des Uniklinikums Erlangen nimmt an der Programmreihe teil und bietet u. a. einen Kongress für Patientinnen und Patienten an. Er findet am Dienstag, 22. November 2022, von 18.00 bis 20.00 Uhr in den Hörsälen Medizin im Ulmenweg 18 in Erlangen statt und ist kostenlos. Interessierte erfahren von Klinikdirektor Prof. Dr. Stephan Achenbach, Oberarzt Dr. Lars Anneken und Assistenzärztin Dr. Julia Eckstein, was Vorhofflimmern ist, wie es entsteht und wie es sich bemerkbar macht. Zudem stellen die Ärztinnen und Ärzte die Behandlungsmöglichkeiten Kardioversion und Ablation vor und erklären, welche Medikamente gegen die Herzrhythmusstörung helfen. Auch auf das Thema Blutverdünnung bei Vorhofflimmern wird eingegangen. Abhängig von den dann gültigen Coronamaßnahmen findet die Veranstaltung ggf. online statt. Informationen dazu gibt es vorher unter www.uk-erlangen.de Zwei Erlanger Forschende fanden Gründe für schmerzlindernden Effekt Patientenkongress zum Thema Vorhofflimmern Einmal beim Tennis umgeknickt, 20 Jahre später ist sie da – die Sprunggelenksarthrose. Die Knorpelabnutzung tritt fast immer in Zusammenhang mit einer früheren Verletzung und einer entsprechenden Fehlstellung auf, etwa nach einem Außenbandriss. Das betroffene Gelenk schmerzt, wird steif und schwillt an. Niedrig dosierte Röntgenstrahlung (low-dose radiothe- rapy, LD-RT, auch Röntgenreizbestrahlung) kann die Schmerzen bei Fuß- und Sprunggelenksarthrose lindern. Dr. Lisa Deloch und Dr. Thomas Weissmann von der Strahlenklinik des Uniklinikums Erlangen haben nun die molekularbiologischen Gründe für diese positive Wirkung gefunden: Die Forschenden konnten zum einen eine systemische Modulation des Immunsystems Röntgen gegen Arthrose im Sprunggelenk Herzwochen 2022 am Uniklinikum infolge der LD-RT nachweisen, zum anderen eine generelle Abnahme entzündlicher Botenstoffe. Dies könnte die Erklärung dafür sein, warum Patientinnen und Patienten nach der Röntgenbestrahlung, die auch in der Strahlenklinik des Uniklinikums Erlangen angeboten wird, weniger Schmerzen empfinden. Für ihre Arbeit wurden die beiden Erlanger Forschenden mit dem diesjährigen Günther-von-Pannewitz-Preis ausgezeichnet. Medizin 2 des Uniklinikums Erlangen www.medizin2.uk-erlangen.de Herzwochen der Deutschen Herzstiftung e. V. (Infos ab Mitte Oktober) www.bit.ly/3vfxVdv Hochschulambulanz der Strahlenklinik Telefon: 09131 85-34080 www.strahlenklinik.uk-erlangen.de

| 7 Neues aus dem Uniklinikum Forschende fanden Methode zum Aufspüren typischer Eiweißveränderungen Berufswelt und Gebäudetechnik des Uniklinikums Erlangen kennenlernen Bisher beruht die Parkinson-Diagnostik vor allem auf den typischen Bewegungsstörungen wie Muskelversteifung und Zittern. Die Krankheit beginnt aber bereits Jahre, bevor diese Symptome auftreten. Bisher gibt es weder Blutwerte noch bildgebende Untersuchungen für eine gesicherte Diagnose oder zur Früherkennung. Einem Team aus Erlanger und Kieler Forschenden gelang es nun, einen biochemischen, blutbasierten Parkinsontest zu entwickeln. In Erlangen beteiligt waren Prof. Dr. Friederike Zunke, stv. Leiterin der Molekular-Neurologischen Abteilung des Uniklinikums Erlangen, PD Dr. Philipp Arnold und PD Dr. Wei Bluttest für Parkinson entwickelt Xiang, wissenschaftliche Mitarbeiter am Institut für Anatomie der FAU ErlangenNürnberg bzw. in der Molekularen Neurologie des Uniklinikums Erlangen. Die neue Methode beruht auf drei Schritten: Nach der Blutabnahme wird die Blutprobe so aufgereinigt, dass Mikrovesikel isoliert werden können, also kleine Abschnürungen, die von Zellen abgegeben werden, und die Proteine der ursprünglichen Zellen enthalten. In diesen isolierten Nervenzell-Mikrovesikeln wird anschließend gezielt nach dem Protein gesucht, das die Erkrankung verursacht. Das hilft nun bei der Suche nach möglichen frühen Interventionen. Am Sonntag, 16. Oktober 2022, von 10.00 bis 14.00 Uhr findet am Uniklinikum Erlangen (Palmeria, Ulmenweg 18) wieder der Tag der Ausbildung statt. Besucherinnen und Besucher erwarten Präsentationen, Mitmachaktionen und Führungen zu den verschiedenenAusbildungsberufen, die am Uniklinikum angeboten werden. Ein Foodtruck sorgt für das leibliche Wohl. Am Tag der Gebäudetechnik am Sonntag, 30. Oktober 2022, lädt das Uniklinikum Fachkräfte, Azubis und technisch Interessierte in seine Unterwelt ein: Das Dezernat Gebäudewirtschaft ermöglicht von 10.00 bis 15.00 Uhr Einblicke in die komplexe und sonst nicht öffentlich sichtbare Techniklandschaft des Uniklinikums. Es warten Informationsstände und Führungen in den Bereichen der medizinischen Gase, der Sanitär-, Heizungs-, Kälte- und Lüftungstechnik, der Elektrotechnik sowie der Fördertechnik. Eine Anmeldung ist erforderlich. Ausbildung und „Unterwelt“ Weitere Veranstaltungsinformationen Tag der Ausbildung: www.uker.de/tda (ab Mitte September) Tag der Gebäudetechnik: www.uker.de/tdg (ab Oktober)

8 | Titel „Manche Patientinnen und Patienten möchten sich einfach mal an einem Uniklinikum beraten lassen; einige kommen regelmäßig zur Kontrolle, andere als Notfälle“, sagt Prof. Dr. Kerstin Galler, Direktorin der Zahnklinik 1 – Zahnerhaltung und Parodontologie des Uniklinikums Erlangen. Hat jemand Schmerzen, darf sie oder er auch ohne Termin auf dem Erlanger Behandlungsstuhl Platz nehmen. Für Zahnschmerzen gibt es laut Prof. Galler zwei große Ursachen: „Erstens: Entzündungen des Zahnweichgewebes, also der Pulpa, meist ausgelöst durch Karies. Zweitens: parodontale Entzündungen in Zahnfleischtaschen.“ Und wie lange sollte man diese Schmerzen beobachten, in der Hoffnung, dass sie von selbst wieder verschwinden? „Maximal ein oder zwei Tage – dann ab zur Zahnärztin!“, rät Prof. Galler. Unter Druck Neben dem klassischen Zahnweh kommen auch Überempfindlichkeiten häufig vor. „Wenn Sie zum Beispiel auf eine Breze beißen und Ihnen plötzlich ein scharfer Schmerz durch den Zahn schießt“, sagt die Expertin, „kann das daran liegen, dass die Zahnoberfläche übersensibel ist – beispielsweise weil Sie Ihre Zähne nachts oder GESUNDE ZÄHNE Ein Zahn, den früher schnell die Zange packte, kann heute oft noch viele Jahre im Gebiss bleiben. Was Zahnschmerzen verursacht und wie die Erlanger Zahnkliniken Abhilfe schaffen – ein Überblick. VON FRANZISKA MÄNNEL „Wir erhalten fast alles“ „In der Zahnerhaltung geht es nicht in erster Linie um ästhetische Korrekturen, sondern um die Gesundheit im gesamten Mundraum“, sagt Prof. Galler. Die Zahnmedizinische Fachangestellte Melanie Beck bereitet das Dental-Mikroskop vor: Damit können Zahnärztinnen und -ärzte noch präziser arbeiten als mit Licht und Lupe – etwa bei Wurzelkanalbehandlungen.

| 9 Titel auch unter Arbeitsstress stark aufeinanderpressen. Auch bei Jugendlichen beobachten wir schon Abriebspuren. Eventuell liegt sogar Dentin frei – die weiche Schicht direkt unter dem Zahnschmelz –, und die Nerven werden stimuliert.“ Auch zu festes Aufdrücken beim Zähneputzen, die falsche Putztechnik und stark scheuernde Zahnpasten können Dentin freilegen – an den Oberflächen, aber auch an den Zahnhälsen. Diese reagieren dann nicht nur auf Druck empfindlich, sondern auch auf Kaltes und Heißes. Entlastung bieten u. a.Aufbissschienen, die auch Kerstin Galler immer häufiger verordnen muss. Alle unter einem Dach Prof. Gallers Team forscht nach Schmerzursachen, kümmert sich um Prophylaxe, bekämpft Entzündungen, schient gelockerte Zähne, macht Füllungen und ästhetische Korrekturen. Der Vorteil in Erlangen: Alle zahnärztlichen Fächer – Zahnerhaltung und Parodontologie, Zahnärztliche Prothetik und Kieferorthopädie – sind unter einem Dach in der Glückstraße untergebracht; im selben Gebäude sitzt auch die MundKiefer- und Gesichtschirurgische Klinik (MKGChirurgie). „Wir arbeiten eng zusammen und betreuen die Patientinnen und Patienten gemeinsam“, sagt Kerstin Galler und gibt ein Beispiel: „Wir sehen immer mehr Kinder mit Schmelzbildungsstörungen – einer Erkrankung der Zahnhartsubstanz mit bräunlichen oder cremefarbenen Flecken auf den Backenzähnen. Die behandeln wir zusammen mit der Kieferorthopädie, weil unter anderem entschieden werden muss, ob Zähne entfernt und die Lücken kieferorthopädisch geschlossen werden sollen, oder ob wir erst mal eine Füllung machen.“ Sind die Zähne von Erwachsenen irreparabel defekt, holt die Zahnerhaltung die Prothetik mit ins Boot, denn: Was früher durch herausnehmbare Zahnprothesen ersetzt wurde, kann heute oft als biokompatibles Implantat im Kieferknochen verankert werden. Die Schnittstellen zur MKG-Chirurgie liegen u. a. in der Krebsvorsorge: „Jede zahnärztliche Untersuchung beinhaltet die genaue Inspektion von Mundschleimhaut, Zunge und Gaumen. Wenn wir irgendwo Veränderungen feststellen, entscheiden wir mit der MKG-Chirurgie, ob eine Biopsie genommen werden und auf Tumorzellen untersucht werden soll“, erklärt Prof. Galler. Behandlung durch Studierende Dem Menschen auf dem Behandlungsstuhl ein gutes Gefühl zu geben, das will gelernt sein. Deshalb sind in Erlangen pro Semester etwa 200 Zahnmedizinstudierende im klinischen Einsatz. Teilkrone, Zahnreinigung, Wurzelkanalbehandlung – nachdem sie an Phantomköpfen geübt haben, dürfen die künftigen Zahnärztinnen und -ärzte ab dem siebten Semester echten Patientinnen und Patienten helfen. „Zuvor wird natürlich die Eignung der Studierenden überprüft, und der Kurs läuft immer unter ärztlicher Supervision“, betont Prof. Galler. „Ein Termin dauert bei uns zwar etwas länger, aber dafür werden Sie durch die Studierenden menschlich wie fachlich sehr gut betreut.“ Im Studierendenkurs werden Sie menschl ich wie fachl ich sehr gut betreut. Prof. Dr. Kerstin Galler Prof. Dr. Kerstin Galler leitet seit Oktober 2021 die Zahnerhaltung des Uniklinikums Erlangen. Sie forscht u. a. intensiv zur Zahnpulpa, dem Zahnweichgewebe. Prof. Galler und ihre Mitarbeitenden „erhalten heute fast alles – wenn der Patient mit dranbleibt“, wie die Klinikdirektorin sagt.„Auch wenn die Implantologie heute unverzichtbare Dienste leistet – die besten Zähne sind die eigenen.“ Wieder weiß Ist ein Zahn z. B. nach einer Wurzelbehandlung verfärbt, kann die Zahnärztin ihn von innen mit einem Bleichmittel füllen und gleichmäßig wieder aufhellen.

10 | Titel PARODONTITIS Eine Zahnbettentzündung betrifft nicht nur den Mund, sondern den ganzen Organismus. Wie Parodontitis entsteht und wie sie behandelt wird. VON FRANZISKA MÄNNEL Eine Tasche voller Bakterien fernte Beläge (Plaques) und eine fortschreitende Entzündung dringen bis in das Zahnbett vor – also in das Gewebe und den Knochen, der den Zahn hält. Das geschundene Zahnfleisch zieht sich zurück, löst sich vom Zahn und bildet Zahnfleischtaschen, die immer tiefer werden. Sie sind der ideale Rückzugsort für weitere Bakterien. Auch der Kieferknochen wird nach und nach abgebaut. So kann es passieren, dass sich Zähne verschieben, sie beim Kauen schmerzen oder sich schlimmstenfalls aus ihrem Halteapparat lösen. Erste Hinweise auf die Erkrankung können Zahnfleischbluten, schmerzempfindliches Zahnfleisch, „lange“ Zahnhälse und Mundgeruch sein. Die Hauptursache: unzureichende Mundhygiene. Vor allem die Reinigung der Zahnzwischenräume wird häufig vernachlässigt. Parodontitis ist eine der häufigsten chronisch-entzündlichen Erkrankungen des Menschen: Von leichteren Formen ist schätzungsweise mehr als Was als Grundschulkind noch aufregend ist, klingt mit Mitte 40 einfach nur beängstigend: Zähne werden locker und drohen auszufallen. Hauptgrund dafür, dass Zähne ihren Halt verlieren, ist Parodontitis –eine chronische Entzündung des Zahnhalteapparats. „Zahnverlust ist aber fast immer vermeidbar“, beruhigt Prof. Dr. Kerstin Galler, Direktorin der Zahnklinik 1 – Zahnerhaltung und Parodontologie des Uniklinikums Erlangen. „Die Heilungschancen sind allerdings umso besser, je früher wir die Parodontitisbehandlung starten.“ Tiefe Taschen Eine Zahnfleischentzündung (Gingivitis) mit empfindlichem, gerötetem Zahnfleisch, das beim Zähneputzen auch mal blutet, ist zunächst kein Grund zu großer Sorge. Denn eine Gingivitis, hervorgerufen durch bakterielle Zahnbeläge, klingt bei gründlicher Mundhygiene meist zügig wieder ab. Bei Parodontitis – auch Parodontose genannt – ist das Problem ernster: Nicht entIn den Zahnfleischtaschen bilden sich Plaques, die die Zahnbürste gar nicht mehr erreichen kann. Feste Ablagerungen oberhalb des Zahnfleischrands heißen Zahnstein, diejenigen unterhalb nennt man Konkremente.

| 11 Titel die halbe Weltbevölkerung betroffen. „Das liegt aber vor allem daran, dass die Menschen immer älter werden“, erklärt Kerstin Galler. „Die Kurve der Erkrankungsfälle steigt mit dem Alter an. Drei Viertel der Über-65-Jährigen haben eine behandlungsbedürftige Parodontitis.“ In schlechter Gesellschaft Die Zahnbettentzündung tritt oft gemeinsam mit anderen chronisch-entzündlichen Erkrankungen auf, bei denen die Immunantwort gestört ist – zum Beispiel bei Darmerkrankungen und rheumatoider Arthritis. Auch bei Diabetes gibt es Wechselwirkungen: Wer zuckerkrank ist, hat ein dreimal höheres Risiko, Parodontitis zu entwickeln. Andersherum beeinflusst die Mundgesundheit den Diabetes: Wird die Parodontitis behandelt, sinkt in der Regel auch der Langzeitblutzuckerwert. Ebenso steigt durch die Zahnbettentzündung das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. „Besonders gefährdet ist außerdem das Zahnfleisch von Raucherinnen und Rauchern“, warnt Prof. Galler. „Deshalb ist die Rauchentwöhnung ein essenzieller Schritt in der Parodontitisprävention und -behandlung.“ In der Diagnostik folgen Zahnärztinnen wie Prof. Galler einem festen Schema: Zunächst werden die Zähne professionell gereinigt (s. S. 13). „Erst danach können wir die Lage im Mund objektiv beurteilen“, erklärt die Klinikdirektorin. Ein bis zwei Wochen später, wenn die Zahnhälse nicht mehr so empfindlich sind, untersucht sie das gesamte Gebiss auf Zahnfleischtaschen, Zahnfleischrückgang, Zahnstein, lockere Zähne und freiliegende Wurzeln. Dazu nutzt sie eine dünne Sonde mit abgerundeter Spitze und millimetergenauer Messskala, mit der sie die Taschentiefe bestimmt: Ab vier Millimetern besteht Parodontitisverdacht. Zum Schluss wird noch ein Röntgenbild des Kiefers gemacht, anhand dessen sich der Zustand des Knochens beurteilen lässt. Diese strukturierte Erfassung nennt sich Parodontaler Screening Index – PSI. Auf diesen haben alle gesetzlich Versicherten alle zwei Jahre Anspruch. A und O: Mundhygiene Die Therapie orientiert sich dann am Schweregrad der Parodontitis. „Freiliegende Wurzeloberflächen säubern Zahnklinik 1 des Uniklinikums Erlangen Allgemeinsprechstunde Telefon: 09131 85-33632 www.zahnerhaltung.uk-erlangen.de Wie Sie vorbeugen ■ zweimal täglich: ▪ Zähne putzen, je zwei bis drei Minuten ▪ Zahnseide/Interdentalbürstchen verwenden ■ ein-/zweimal jährlich: professionelle Zahnreinigung ■ einmal jährlich: zahnärztlicher Kontrolltermin ■ gesunde Ernährung: wenig Zucker, viel frisches Gemüse und Obst ■ nicht rauchen wir mit Hand- und Ultraschallinstrumenten und manchmal mit einem Pulverstrahl“, erklärt Prof. Galler. „Antibiotika gegen die Bakterien setzen wir nur äußerst selten ein, weil wir Nebenwirkungen und Resistenzbildungen vermeiden wollen.Mit sehr guter Mundhygiene ist meist schon viel gewonnen.“ Deshalb leitet das Erlanger Team alle Patientinnen und Patienten darin an, ihre Zahnoberflächen und -zwischenräume akribisch zu säubern. Nur selten müssen Knochen und Gewebe um einen bereits gelockerten Zahn mit Ersatzmaterialien rekonstruiert oder gar Zähne entfernt werden. „Wir wollen einen Zahn immer so lange wie möglich erhalten“, betont Kerstin Galler. „Wenn er voreilig gezogen und ein Implantat in ohnehin entzündetes Gewebe gesetzt wird, kommen wir schnell von der Parodontitis zur Periimplantitis – einer Entzündung rund umdas Implantat. Diese Situation ist dann noch schwerer beherrschbar.“ Um es gar nicht erst so weit kommen zu lassen, sollten ein paar einfache Grundregeln beachtet werden (s. Kasten).

12 | Titel ZAHNPFLEGE Warum es nicht zwingend die elektrische Zahnbürste sein muss, wer von einer professionellen Zahnreinigung profitiert und warum Zahnseide eher etwas für Jüngere ist. VON FRANZISKA MÄNNEL 1,6 Millionen Schwingungen pro Sekunde – das schafft keine Hand. Wen wundert es da, dass Schallzahnbürsten als das Mittel der Wahl für perfekt saubere Zähne gelten? Prof. Dr. Kerstin Galler, Direktorin der Zahnklinik 1 – Zahnerhaltung und Parodontologie des Uniklinikums Erlangen, sieht das differenzierter: „Elektrische und Schallzahnbürsten putzen in kürzerer Zeit effektiver. Per se die beste Option sind sie aber nicht“, sagt sie. „Wenn jemand es nämlich richtig macht, erzielt sie oder er auch mit der Handzahnbürste sehr gute Ergebnisse. Es kommt immer auf die manuelle Geschicklichkeit und die Putztechnik an.“ Zweimal täglich für drei Minuten sollte mindestens gereinigt werden. „Abends vor dem Zubettgehen ist das besonders wichtig, weil sich im Schlaf der Speichelfluss vermindert und Bakterien weniger gut weggespült werden“, erklärt Prof. Galler. In jedem Fall rät die Expertin zu einer Zahnpasta mit Fluorid – es legt sich wie ein Gut zur Lücke schützender Film über den Zahnschmelz. „Erwachsene und Jugendliche sollten nach dem Putzen am besten nur ausspucken, ohne auszuspülen – so leibt das Fluorid noch länger in der Mundhöhle.“ Stark schmirgelnd Zurückhaltung ist hingegen bei sehr abrasiven Zahnpasten geboten, da sie Zahnschmelz und Zahnbein (Dentin) „abschmirgeln“. Die Abrasivität wird mit dem RDA-Wert angegeben (Relative Dentin-Abrasion). Laut der Website CodeCheck ist der RDA-Wert aber auf 70 Prozent der Zahnpasten gar nicht angegeben und muss beim Hersteller erfragt werden. „Vor allem Weißmacher-Cremes arbeiten mit großen scheuernden Putzkörperchen und sind für den täglichen Gebrauch nicht zu empfehlen, gerade bei empfindlichen Zahnhälsen oder wenn jemand beim Putzen fest aufdrückt“, sagt Kerstin Galler. In Zahlen heißt das: Ein RDA-Wert Kontraprodukti v WeißmacherCremes rauen durch ihre aggressi ven Putzkörperchen die Zahnoberfläche an – so setzen sich schnel ler wieder Verfärbungen fest.

| 13 Titel zwischen 35 und 60 – bei unempfindlichen Zähnen bis 80 – ist für jeden Tag geeignet, aber über 80 sollte er besser nicht liegen. Schwarzes Dreieck Nun beginnt das Putzen – links Schäume, rechts Schäume, und dazwischen Zwischenräume. Und eben diese Zahnzwischenräume brauchen besondere Pflege, denn in ihnen finden erst Speisereste und später Bakterien ein unerreichbares Versteck. „Ältere Menschen haben häufig parodontale Veränderungen (s. S. 11), ihr Zahnfleisch ist bereits zurückgegangen. Das zeigt sich in Form eines kleinen schwarzen Dreiecks zwischen zwei benachbarten Zähnen und dem Zahnfleisch“, erklärt Prof. Galler. „Ihnen empfehle ich zur Reinigung der Zahn- zwischenräume Interdentalbürstchen. Dünne Zahnseide würde die Flächen gar nicht mehr richtig erreichen.“ Ist der Draht verbogen, gehört das Bürstchen in den Müll. Wer die Metallvariante gar nicht mag, für den sind eventuell Dentalsticks aus Silikon die bessere Wahl. Blutet es beim Säubern der Zwischenräume, kann das auf entzündetes Zahnfleisch hindeuten oder aber auf die falsche Handhabung des „Werkzeugs“ – die Zahnärztin kann beraten. Professionelles Putzkommando Grundsätzlich empfiehlt Prof. Galler, ein- bis zweimal im Jahr eine professionelle Zahnreinigung durchführen zu lassen. Unter bestimmten Voraussetzungen, etwa wenn jemand besonders zu Parodontitis oder Karies neigt, können auch drei bis vier Reinigungen pro Jahr sinnvoll sein. In der Erlanger Zahnklinik 1 übernehmen meist Zahnmedizinstudierende die PZR, wie die Behandlung abgekürzt heißt. „Unsere Studierenden machen das sehr gründlich, immer unter Aufsicht einer Zahnärztin oder eines Zahnarztes, und nehmen sich sehr viel Zeit“, versichert die Klinikdirektorin. Mit verschiedenen Instrumenten – Scaler, Küretten und Ultraschallgerät – befreien sie die Zahnoberflächen und -zwischenräume von weichen Prof. Galler bespricht mit einer Patientin deren Röntgenbild und erklärt ihr die nächsten Behandlungsschritte. Mit Polierbürstchen und -paste werden die Zähne am Ende der professionellen Zahnreinigung wieder geglättet. Plaques und festem Zahnstein. Auch unterhalb des Zahnfleischsaums wird vorsichtig gearbeitet. Entscheidend ist die anschließende Politur der Zähne: Dank ihr werden die zuvor aufgerauten Oberflächen wieder glatt, sodass Bakterien regelrecht an ihnen abrutschen. Ein Fluoridlack oder -gel versiegelt abschließend die Zähne und schützt sie vor Karies. „Die professionelle Zahnreinigung müssen Sie zwar selbst zahlen, aber sie ist immer eine Investition in Ihre Gesundheit“, betont Kerstin Galler.

Titel 14 | ZAHNTRAUMATA Was es bei Zahnunfällen zu beachten gibt, warum eine SOS-Box Erste Hilfe leisten kann und wie unterschiedlichste Zahnverletzungen erfolgreich behandelt werden können. VON ALESSA SAILER Ein ungünstiger Zusammenprall auf dem Schulhof oder beimMannschaftssport und schon ist es passiert: Ein Zahn ist abgebrochen, hängt schief und ist nicht mehr fest im Kiefer verankert oder wurde sogar komplett ausgeschlagen. Am häufigsten sind davon die oberen Schneidezähne betroffen. „Es gibt drei Altersphasen, in denen Zahnunfälle amhäufigsten passieren“,weiß Prof. Dr. Kerstin Galler, Direktorin der Zahnklinik 1 – Zahnerhaltung und Parodontologie des Uniklinikums Erlangen. „Mit etwa drei bis vier Jahren, wenn Kinder zu toben beginnen; mit zehn bis zwölf, wenn es auf dem Pausenhof oder beim Sport zu Stößen beim Spielen kommt, und zwischen 16 und 20 Jahren, wenn junge Erwachsene sich ausprobieren und waghalsig sind.“ Oft kommen dentale Traumata, so werden Zahnverletzungen in der Zahnmedizin genannt, bei Verkehrsunfällen oder aktiven bzw. Kontaktsportarten vor, also beispielsweise beimMountainbiken, Inlineskaten, Fußballspielen oder beim Rugby. Erste Hilfe leisten Was aber ist bei einem Zahnunfall als Erstes zu tun? Wie bei allen Notfällen heißt es auch hier: Ruhe bewahren! Der Mund sollte von außen gekühlt und die Blutung gestoppt werden. Ist die Patientin bzw. der Patient erstversorgt, gilt die Aufmerksamkeit unbedingt dem verlorenen Wenn der Zahn SOS schreit oder abgebrochenen Zahn. „Beim Transport ist allerdings einiges zu beachten“, sagt Prof. Galler. „Fassen Sie den Zahn an der Krone und nicht an der Wurzel an, denn dort sitzen empfindliche Zellen. Sind diese intakt, können wir den Zahn in der Regel wieder ins Gebiss einsetzen. Deswegen sollte er auch nicht gesäubert oder desinfiziert werden.“ Im Idealfall ist eine Zahnrettungsbox griffbereit. Diese enthält ein spezielles NährmeHäufiger als gedacht Etwa jedes dritte Kind hat einen Zahnunfal l. Bei Jugendl ichen und Erwachsenen ist jedes vierte Gebiss betroffen. Eine SOSBox leistet Erste Hilfe bei Zahnunfällen.

| 15 Titel Wussten Sie schon? Der Zahnschmelz ist das härteste Material im menschl ichen Körper. dium, in dem die empfindlichen Zellen bis zu 48 Stunden erhalten bleiben. Ist keine SOS-Box parat, kann der Zahn auch in kalter H-Milch (nicht in pflanzlichen Milchalternativen!) gelagert werden– allerdings nur für ein bis zwei Stunden. Das Einlegen in Kochsalzlösung oder das Einwickeln in Frischhaltefolie sind ebenfalls kurzfristige Aufbewahrungsmöglichkeiten, bis die zahnärztliche Praxis oder Klinik aufgesucht werden kann. „Hauptsache, Sie lassen den Zahn nicht austrocknen“, betont die Klinikdirektorin. Wasser ist für den Zahntransport übrigens nicht geeignet, da die Zellen auf der Zahnwurzel sonst Schaden nehmen. In der Wangentasche sollten Zähne nur im absoluten Notfall aufbewahrt werden – etwa nach einem Fahrradsturz im Wald –, da besonders bei Kindern die Gefahr besteht, dass der Zahn verschluckt wird. Kleben und schienen Und wie können Zahnärztinnen und -ärzte verunfallte Zähne retten? Zunächst werden zwei Arten von dentalen Traumata unterschieden: Frakturen und Dislokationen. Bei einer Dislokation hat der verunfallte Zahn seine Position verBürgervorlesung von Prof. Galler „Zahnunfall – was nun?“ ist in der Mediathek abrufbar: www.fau.tv/clip/id/41487 ändert, wurde entweder gelockert, in den Kiefer hineingedrückt, oder der Zahn hat sich zur Seite, nach vorn oder hinten verschoben. Kerstin Galler: „Dabei kann es zu Blutungen kommen, weil der Zahnhalteapparat verletzt ist.“ Medizinerinnen und Mediziner bringen die betroffenen Zähne wieder in die richtige Position, im Anschluss werden ggf. Schienen auf der Zahnoberfläche angebracht – ähnlich wie bei Knochenbrüchen. „Bei Zahnfrakturen handelt es sich um Brüche des Zahnhartgewebes, die sich meist leicht behandeln lassen. Brechen beispielsweise nur kleinere Stücke des Zahnschmelzes ab, können wir diese Stellen glätten oder mit einem Füllmaterial reparieren“, erklärt die Klinikdirektorin. Betrifft ein Bruch allerdings das Zahninnere, etwa das Zahnbein (Dentin) oder den Nervenstrang (Pulpa), können Bakterien eindringen. „Um das zu vermeiden, decken wir zunächst die Wunde mit einem speziellen Material ab, bringen das lose Zahnstück wieder an oder füllen mit biokompatiblen Substanzen wieder auf“, schildert Kerstin Galler das Vorgehen. Eine Wurzelfraktur klingt für Laiinnen und Laien zwar nach einer komplizierten Verletzung, allerdings heilt sie oft problemlos ab – sofern keine Bakterien über das Zahnfleisch in den Zahnhalteapparat gelangen –, denn sie kann ebenfalls geschient werden. Damit es gar nicht erst so weit kommt, rät Prof. Galler Sportlerinnen und Sportlern zu einem speziellen Zahnschutz. „Gerade bei Kontaktsportarten wie Eishockey oder American Football ist er empfehlenswert. Besonders geeignet sind individuell angefertigte Exemplare, denn diese werden nur auf eine Zahnreihe aufgesetzt und müssen nicht durch Zusammenbeißen in Position gehalten werden“, so Prof. Galler.

16 | Reportage KARDIOLOGIE Im Erlanger Herzkatheterlabor werden Patientinnen und Patienten von einem eingespielten Team versorgt, das immer auf alles vorbereitet ist. Die „Gesundheit-erlangen“-Redaktion war einen Vormittag lang vor Ort. VON FRANZISKA MÄNNEL Sprengstoff im Herzen

| 17 Reportage „Ganz gleich, was kommt, wir sind vorbereitet“, sagt Prof. Dr. Stephan Achenbach, Direktor der Medizinischen Klinik 2 – Kardiologie und Angiologie des Uniklinikums Erlangen. 15 Eingriffe stehen heute auf dem Plan seines Herzkatheterlabors. „Dazu können noch fünf Notfälle reinkommen – Herzinfarkte, reanimationspflichtige Patienten – oder aber keiner. Wir sind auf alles eingestellt“, erklärt der Kardiologe routiniert, während er die Wochenübersicht durchblättert. Prof. Achenbachs erster Patient heute ist ein älterer Mann, der einen schwierigen Eingriff am Herzen hinter sich hat und zwei Tage auf der kardiologischen Intensivstation verbrachte. „Bei ihm war ein Herzkranzgefäß eingerissen. Das haben wir mit einem Stent, also einer kleinen Gefäßstütze, abgedichtet“, erklärt Stephan Achenbach. „Jetzt schauen wir, ob noch alles in Ordnung ist.“ Über die Leiste des 78-Jährigen führt der Kardiologe einen 2 Millimeter dünnen Katheter – einen biegsamen, hohlen Plastikschlauch – in die Oberschenkelarterie ein und schiebt ihn, geführt von einem Draht, zu den Koronargefäßen vor. „Alles okay, Herr Buchner*?“, fragt Prof. Achenbach den grauhaarigen Mann, der dank Beruhigungsmittel leicht dösend vor ihm liegt. „Es wird nicht lange dauern, Sie haben es gleich geschafft.“ Röntgenstrahlen durchleuchten das Herz, und über den Katheter spritzt der Kardiologe ein Kontrastmittel ein. Auf dem großen Monitor vor ihm werden Schwarz auf Grau die Blutgefäße sichtbar. Das Herz schlägt während dieser Koronarangiografie gleichmäßig weiter. Die ehemals eingerissene Herzkranzarterie ist noch immer stabil. „Das sieht gut aus, Herr Buchner. Sie können gleich auf die Normalstation“, erklärt Prof. Achenbach. Nach weniger als zehn Minuten ist die Kontrolle beendet. → In Erlangen zu Hause, in der Welt bekannt: Prof. Achenbach gehört dem Vorstand der European Society of Cardiology an und wurde kürzlich in den Vorstand der Deutschen Herzstiftung gewählt. Er gilt als international renommierter Experte der bildgebenden Herzdiagnostik und der Interventionellen Kardiologie. Niemand muss vor einem Herzkathetereingriff Angst haben, maximal Respekt. Prof. Dr. Stephan Achenbach Fall 1: Stentkontrolle bei einem 78-Jährigen

18 | Reportage Bild unten: Medizinische Fachangestellte, Ärztinnen und Ärzte arbeiten im Herzkatheterlabor als eingeschworenes Team. MFA Uyen Höh und Dr. Lars Anneken begutachten den Defibrilla- tor (Nahaufnahme oben links), der gleich implantiert wird. Wie im Cockpit Maximale Sicherheit: Vor jedem Eingriff geht das Team eine Checkl iste durch: Wurde die Person auf dem Behandlungstisch korrekt aufgeklärt? Nimmt sie Blutverdünner? Läuft der Zugang? Stehen Notfal lmedikamente und Defibri l lator bereit?

| 19 Reportage Schritte. „Der Patient hat von uns Schmerzmittel bekommen, ein Antibiotikum, um das Infektionsrisiko zu senken, lokale Betäubung und das Narkosemittel Propofol“, erklärt Uyen Höh. Nach etwa einer halben Stunde ist der „Defi“ unter der Haut. „Jetzt simulieren wir eine Herzrhythmusstörung“, sagt Lars Anneken, „und prüfen, ob das Gerät tut, was es soll.“ Ein externer Support-Techniker steht am Programmiersystem für den S-ICD. Er gibt das Zeichen: „Achtung, ich induziere Kammerflimmern.“ Doch auch nach mehreren Versuchen lässt sich bei dem jungen Mann keine Rhythmusstörung provozieren. „Dann lösen wir jetzt einen Schock aus“, entscheidet Dr. Anneken. Der Techniker drückt auf den Knopf, setzt das Herz unter Strom. Er meldet: „Die Messwerte sind gut, das Maximum an Energie kommt an.“ Der Defi arbeitet und kann bei Arhythmie oder Herzstillstand den Herzschlag wieder aktivieren oder normalisieren. Nachdem die Schnitte vernäht sind, wird der Patient in den abgedunkelten Aufwachbereich geschoben. In der nächsten Stunde ertönt an seinem Bettplatz mehrmals ein Alarm. Uyen Höh beruhigt: „77 zu 45 – der Blutdruck ist niedrig, aber für ihn noch akzeptabel“, sagt sie, während sie die Elektroden auf der Brust des 26-Jährigen überprüft. Er hat den Kopf zur Seite gedreht und schläft. Nun ist es wieder ruhig um ihn herum. → Fortsetzung von S. 17 Jetzt wartet eine unangenehme Aufgabe auf den Chef: Vier Patientinnen und Patienten sollten heute per Katheter neue Aortenklappen bekommen. Weil aber momentan viel Anästhesieper- sonal coronabedingt ausfällt, können zwei der vier terminierten „TAVIs“ (Transcatheter Aortic Valve Implantation) heute nicht stattfinden. „Die schlechte Nachricht muss ich jetzt den Patientinnen überbringen“, sagt Prof. Achenbach mitfühlend und etwas niedergeschlagen. „Sie haben teilweise sechs Monate auf diesen Termin gewartet, sind aufgeregt und wollen es hinter sich bringen.“ Später wird der Klinikdirektor berichten, dass eine der beiden Über-80-Jährigen in Tränen ausbrach, als sie von der Verschiebung erfuhr. Fall 2: Defibrillator mit 26 Währenddessen nebenan, im zweiten von drei Eingriffsräumen: Einem schwer kranken 26-Jährigen wird ein S-ICD eingesetzt – ein subkutan implantierbarer Kardioverter-Defibrillator. Oberarzt Dr. Lars Anneken erklärt: „Der Patient leidet an einer seltenen Störung der Blutbildung. Dadurch ist er seit seiner Geburt auf Bluttransfusionen angewiesen. Sein Körper ist deshalb übervoll mit Eisen. Leber und Herz sind vergrößert, und er hat Herzrhythmusstörungen. Eines Tages könnten die tödlich sein.“ Der acht Zentimeter große Defibrillator, den Dr. Anneken und Dr. Thomas Weißfloch gleich einsetzen, soll künftig jedes Mal elektrische Impulse abgeben, wenn das Herz aus dem Takt gerät. Die Kardiologen setzen zwei kleine Schnitte: Den Impulsgeber des Defibrillators implantieren sie seitlich in die linke Brust, seine Elektrode parallel zum Brustbein. „Bei diesem Gerät bleiben das Herz und seine Gefäße unberührt. So ist der Patient besser vor Komplikationen und Infektionen geschützt“, erklärt Dr. Anneken. Uyen Höh, leitende Medizinische Fachangestellte (MFA), und ihre Kolleginnen reichen den Ärzten während des Eingriffs Instrumente wie Skalpell und Schere, überwachen Blutdruck und Sauerstoffsättigung des Patienten und dokumentieren die OP- Die häufigsten Eingriffe im Erlanger Herzkatheterlabor ■ Diagnostik an Herz und umliegenden Gefäßen ■ Aufdehnung verengter oder verschlossener Herzkranzgefäße, etwa bei koronarer Herzkrankheit oder Herzinfarkt ■ Eingriffe an verengten oder undichten Herzklappen ■ Korrektur von Herzrhythmusstörungen mit Herzschrittmachern, Defibrillatoren oder Ablationen (Verödung von Gewebe)

Reportage 20 | „Sie sind ja aus der Werbebranche, Herr Werner*“, richtet sich Prof. Achenbach an den Mann vor ihm auf dem Behandlungstisch. „Wir haben heute auch ein Kommunikationsteam da, das eine Reportage macht. Ist das okay für Sie?“ Der weißhaarige Mann Anfang 70 antwortet: „Ja, ist in Ordnung.“ Stephan Achenbach bereitet eine Stentimplantation vor, so wie er das pro Jahr etwa 400- bis 500mal tut. Insgesamt führt sein Team ca. 1.500 solcher Eingriffe jährlich durch. Der Herzspezialist hält den Stent in die Höhe – das winzig kleine metallene Gittergerüst, das verengte Blutgefäße stützen und offenhalten kann. Es ist aufgefädelt auf einen feinen Ballon, den der Herzmediziner gleich unmittelbar in der Engstelle aufblasen wird, um den Stent zu entfalten. „Entfaltet können Sie sich die Gefäßstütze vorstellen wie die Feder eines Kugelschreibers“, veranschaulicht es der Kardiologe. Wenig später hält er eine Spritze mit der Aufschrift „Nitro“ in der Hand. „Nitroglycerin – das ist exakt dasselbe wie in Dynamit!“ Sprengstoff im Herzen also – nur dass die chemische Verbindung hier nicht zu Explosionen führt. Stattdessen wandelt sie der Körper in Stickstoffmonoxid um, das die Gefäße weitet und den Blutdruck senkt. „Gehts, Herr Werner?“ Der Patient bejaht. Drei Studierende betreten den Raum, um vom Klinikdirektor zu lernen. „Gehen Sie über die Arteria femoralis oder Fall 3: „Wie die Feder eines Kugelschreibers“ Flexibel reagieren Die drei Eingriffsräume des Erlanger Herzkatheterlabors werden parallel betrieben. Wird ein Notfall angekündigt, z. B. ein akuter Herzinfarkt, blockiert das Team sofort die als Nächstes frei werdende Angiografieanlage und bereitet alles für die Akutversorgung vor. radialis?“, fragt eine Studentin. „Radialis“, entgegnet Stephan Achenbach. Er favorisiere das Handgelenk als Zugang, wenn es irgendwie möglich ist. In der verengten Kranzarterie angekommen, dehnt Prof. Achenbach Ballon und Stent auf. Immer deutlicher wird die Gitterstruktur des Metalls im Röntgenbild erkennbar. Werbefachmann Werner hat jetzt insgesamt drei Gefäßstützen in der Brust, die offenhalten, was von allein nicht mehr offenbleibt. So dringen sauerstoffreiches Blut und Nährstoffe auch weiterhin gut zu seinem Herzmuskel durch. Stephan Achenbach lässt die nächste Patientin ins Katheterlabor einbestellen, die er zusammen mit Oberärztin Dr. Monique Tröbs behandeln wird. „Das kann jetzt ein bisschen komplizierter werden“, sagt er ruhig. Aber er hat sein Team, und sein Team hat ihn. „Alle vertrauen sich blind.“ Dass Monique Tröbs als Oberärztin in seinem Herzkatheterlabor arbeitet, darauf ist Prof. Achenbach stolz: „Es gibt leider immer noch zu wenige Frauen in der Interventionellen Kardiologie. Nacht- und Rufdienste sind schwierig, wenn man Kinder hat.“ Monique Tröbs erläutert die Vorteile der Erlanger Kardiologie: „Hier kann ich Teilzeit arbeiten und pünktlich gehen, um meine Tochter aus Fortsetzung von S. 19 Vom Bi ld zur Intervention Dank modernster Diagnost ik wie der Herz-CT (Bi ldgebung) wissen Ärzt innen und Ärzte oft schon vorher ganz genau, was sie erwartet. So können sie Kathetereingriffe opt imal planen und umsetzen (Intervent ion).

| 21 Reportage Oberärztin Dr. Monique Tröbs erklärt ihrer Patientin, dass sie nicht spüren wird, wie der Herzkatheter ihre Blutgefäße passiert. dem Kindergarten abzuholen. Es gibt keine ‚Ellenbogen‘-Mentalität. Ich glaube, auch allgemein bessert sich die Situation für Frauen in der Medizin“, sagt sie noch, bevor sie wieder im Eingriffsraum verschwindet und dort mit ihrem Chef die folgende Prozedur bespricht. Über zehn Herzpatientinnen und -patienten werden heute noch planmäßig versorgt – zusätzlich vielleicht einige Herzinfarkte oder andere Notfälle. Und während sich das „Gesundheit-erlangen“- Bilderserie und Video zu diesem Artikel www.gesundheit-erlangen.com Medizin 2 des Uniklinikums Erlangen www.medizin2.uk-erlangen.de Das ganze Interview mit Dr. Monique Tröbs: Ärztinnen im Herzkatheterlabor www.gesundheit-erlangen.com Seit 2013 mit an Bord: Oberärztin Dr. Monique Tröbs Team gegen Mittag langsam verabschiedet, bleibt die Chest Pain Unit („Brustschmerzeinheit“) der Medizin 2, zu der auch das Herzkatheterlabor gehört, weiter im Dienst. „Wir sind rund um die Uhr einsatzbereit“, betont Prof. Achenbach. „Und es es gibt wohl keinen sichereren Ort als das Herzkatheterlabor.“ *Alle Namen von Patientinnen und Patienten von der Redaktion geändert

Alarm in der Leber 22 | Medizin

| 23 Ohne Leber können wir nicht leben. Welche Aufgaben übernimmt das Organ eigentlich? Die Leber ist das größte Stoffwechselorgan des Körpers, es reinigt beispielsweise unser Blut. Das funktioniert so: Nach dem Essen gelangen die Nährstoffe in den Dünndarm, wo sie aufgenommen und in den Blutkreislauf geleitet werden. Durch die Pfortader kommt das Blut dann in die Leber, die es beispielsweise von Giften oder Medikamentenrückständen befreit. Die Leber produziert aber auch wichtige Eiweißstoffe und den Gallensaft, den sie über kleine Gänge in die Gallenblase und den Dünndarm transportiert. Viele Betroffene merken sehr spät oder gar nicht, dass sie eine Lebererkrankung haben. Warum? Das liegt an den unspezifischen Symptomen, die mit Lebererkrankungen einhergehen: etwa Müdigkeit, Abgeschlagenheit und/oder Konzentrationsschwierigkeiten. Unspezifisch bedeutet, dass wir den Beschwerden keine eindeutige Ursache zuordnen können. Erst, wenn die Leber anschwillt – was äußerst selten vorkommt –, spüren Patientinnen und Patienten einen Schmerz im rechten Oberbauch. Das ist darauf zurückzuführen, dass die Leber nur an ihrer äußeren Hülle, der Leberkapsel, Nervenenden besitzt. Wie merke ich denn dann, dass meine Leber nicht mehr richtig arbeitet? Bei den meisten Patientinnen und Patienten findet man das nur durch Zufall heraus. Sie gehen in die hausärztliche Praxis und lassen sich dort beispielsweise Blut abnehmen. Dabei fallen dann erhöhte Leberwerte auf, aus denen wir schließen können, inwiefern die Organfunktion eingeschränkt ist. Wie viele Deutsche sind von Lebererkrankungen betroffen? Man geht aktuell von knapp fünf Millionen Menschen aus. Die meisten von ihnen haben eine Fettleber, die mittlerweile zu einer wahren Volkskrankheit geworden ist. Dabei lagert das Organ Fett ein, das dort nicht hingehört, teilweise vergrößert die Leber dabei ihr Volumen. Das können wir zum Beispiel bei einer Tastuntersuchung oder im Ultraschall einfach feststellen. Wie entsteht die Fettlebererkrankung? Entgegen der Annahme, dass allein zu viel Fett aus unserer Nahrung zu einer Fettleber führt, sind es schlicht die Kalorien, die wir aufnehmen, aber nicht verbrennen – allen voran die Kohlenhydrate. Auch regelmäßiger Alkoholkonsum und zu wenig Bewegung begünstigen eine Fettleber. Deshalb erkranken auch so viele Menschen aus Industrienationen daran. Vor allem in den USA und China steigt die Zahl der Betroffenen stetig weiter an. Aber eben leider auch in Deutschland. Die Fettleber kann zu einer Leberentzündung führen, einer sogenannten Hepatitis; außerdem finden Umbauprozesse imOrgan statt, sodass sich Bindegewebszellen in der Leber festsetzen. Es kommt bei fortbestehender, chronischer Entzündung zur → SPRECHSTUNDE „Gesundheit erlangen“ hat mit dem Gastroenterologen und Leberspezialisten Prof. Dr. Jürgen Siebler über die Volkskrankheit Fettleber, über Hepatitis und Risikofaktoren für Lebererkrankungen gesprochen. VON ALESSA SAILER Prof. Dr. Jürgen Siebler ist leitender Oberarzt in der Medizinischen Klinik 1 – Gastroenterologie, Pneumologie und Endokrinologie des Uniklinikums Erlangen. Seit 2011 hat er die Professur für Hepatologie an der FAU ErlangenNürnberg inne. Medizin

24 | Medizin Fortsetzung von S. 23 Bildung von Narbengewebe, das nennen wir Fibrose. Diese mündet im schlimmsten Fall in eine Leberzirrhose, bei der die Struktur der Leber durch die Bildung bindegewebiger Knoten weitgehend zerstört ist. Kann man die Fettleber noch aufhalten oder rückgängig machen? Grundsätzlich haben Fettlebererkrankte eine gute Prognose: Das Fortschreiten lässt sich verlangsamen, indem Betroffene Risikofaktoren ausschalten, also auf überflüssige Kalorien und größere Mengen Alkohol verzichten. Sobald die Leber das Zirrhosestadium erreicht hat, lässt sich die Krankheit aber nicht mehr einfach umkehren. Das liegt daran, dass sich das entstandene Bindegewebe nicht mehr abbauen lässt. Wenn die Zellen bei der Zirrhose nahezu komplett zerstört sind, hilft eigentlich bloß noch eine Lebertransplantation. Dabei kann sich die Leber doch selbst regenerieren. Das stimmt. Allerdings haben im Zirrhosestadium so viele Umbaumaßnahmen der Zellen stattgefunden, dass das Organ seine Regenerationsfähigkeit verloren hat. Apropos Leberentzündung: Welche Arten gibt es? Wir unterscheiden grundsätzlich zwischen akuter und chronischer Hepatitis. Über die chronische Form haben wir schon gesprochen. Sie liegt vor, wenn die Entzündung länger als sechs Monate andauert. Zahlreiche Ursachen für eine akute Leberentzündung können eine chronische Verlaufsform bewirken. Neben dem regelmäßigen Konsum von Alkohol sind hier bestimmte virale Erreger, die Autoimmunhepatitis und die Hepatitis aufgrund einer nichtalkoholischen Fettleber zu nennen. Kann die Leber auch ganz schnell innerhalb weniger Tage zerstört werden? Ja, wir sprechen dann vom akuten Leberversagen. Das kommt erfreulicherweise nicht häufig vor. Als Ursachen kommen Medikamente infrage, allen voran Paracetamol. Auch das Toxin des Knollenblätterpilzes führt zu einer Zerstörung der Leberzellen. Nicht selten kann Betroffenen dann nur eine umgehende Lebertransplantation das Leben retten. Das Tückische dabei: Die Symptome sind unspezifisch und deuten zunächst nicht auf die Schwere der Erkrankung hin. Die Patientinnen und Patienten nehmen eine zunehmende Abgeschlagenheit wahr, es entwickelt sich im Verlauf eine Gelbfärbung des Augenweiß und der Haut. In der Medizin nennen wir das Ikterus. Durch die Bestimmung der Blutwerte offenbaren sich dann Ausmaß und Schwere der Leberschädigung. Was ist mit den von Viren ausgelösten Hepatitisformen? Dazu zählen Hepatitis A bis E. Während die Hepatitisviren A und E vorwiegend durch verunreinigte Nahrungsmitteln oder Wasser übertragen werden, steckt man sich mit Hepatitis B, C und D vorwiegend durch Blut und/oder Sexualkontakte an bzw. Gesunde Leber Fett leber Leberfibrose Leberzirrhose

| 25 Medizin Anzeige bei Drogenabhängigen durch kontaminierte Kanülen. Gegen die Typen A und B gibt es sehr wirksame Impfstoffe, die häufig in Kombination gegeben werden. Empfohlen wird die Hepatitis-A-Impfung vor allem Reisenden, gegen Hepatitis B wird in der Regel bereits bei Kleinkindern geimpft. Wer im Gesundheitswesen beschäftigt ist, sollte die Immunisierung auf jeden Fall vorweisen können. Wie sieht es mit der Behandlung aus? Hepatitis A heilt in der Regel sehr schnell und ohne Medikamente aus. Am meisten getan hat sich bei der Therapie von Hepatitis C. In den 1990erJahren wurde die Erkrankung über Monate mit Interferon behandelt, was viele Nebenwirkungen mit sich brachte, aber nur eine Erfolgschance von 20 bis 50 Prozent hatte. Heute reichen in der Regel zwei Wirkstoffe aus, die gut verträglich sind – nach acht bis zwölf Wochen sind die Patientinnen und Patienten mit einer 90-prozentigen Wahrscheinlichkeit wieder gesund. Sprechstunde für Lebererkrankungen in der Medizin 1 E-Mail: med1-hochschulambulanz@uk-erlangen.de Telefon: 09131 85-35270 (Mo. bis Fr. 12.30–14.00 Uhr) www.leberzentrum.uk-erlangen.de Wunderorgan Leber Gesunden können bis zu 75 Prozent des Lebergewebes entfernt werden, etwa nach einem Unfall oder wenn Krebszellen aus anderen Organen in der Leber Metastasen gebildet haben. In der Regel wachsen die Zellen geordnet wieder nach. Prof. Siebler: „Die Leberzellen wissen ganz genau, wann Schluss ist mit der Zellteilung.“ Wie das Filterorgan das zustande bringt, ist bis heute unklar – obwohl bereits im antiken Griechenland bekannt war, dass die Leber sich selbst regeneriert: Das zeigt die Sage um Prometheus, der den Göttern des Olymp das Feuer raubte und zur Strafe von Zeus im Kaukasus festgekettet wurde; dort fraß ein Adler jeden Tag an Prometheus’ stets nachwachsender Leber.

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