Gesundheit erlangen - Frühling 2023

KOLUMNE – KLEINE SP[R]ITZE Seit Anfang 2023 dürfen Nahrungsmittel zwei neue Insektenarten enthalten. Warum man das eklig finden kann – oder eben nicht. VON FRANZISKA MÄNNEL Wurmt Sie das? „Grillen?“ Diese Frage zielt nicht mehr nur darauf ab, ob jemand Lust auf gebratene Würstchen hat. Gemeint sein könnte auch: Möchtest du ein paar Heuschrecken knabbern? Der 2020 verstorbene Survivalexperte Rüdiger Nehberg würde freudig „Ja!“ rufen. Denn der oft als „Insektenfresser“ verspottete Abenteurer wusste schon vor Jahrzehnten: Heuschrecken, Käfer und Würmer können energiespendende Nahrungsquellen sein, wenn es an die letzten Reserven geht. Von der Güte des Mehlwurms (Tenebrio molitor) war Nehberg schon überzeugt, lange bevor die EU die getrockneten Larven 2021 als neuartiges Lebensmittel zuließ (neben der Wanderheuschrecke, Locusta migratoria). Nicht auszuschließen, dass der gelernte Bäcker Nehberg sich schon vor 40 Jahren hin und wieder ein Blech MehlwurmMehrkorn backte. Dank einer neuen EU-Verordnung von Januar 2023 sind nun bei uns auch die Hausgrille (Acheta domesticus) und der Getreideschimmelkäfer (Alphitobius diaperinus) als Lebensmittel erlaubt. Vo- raussetzung: Insekten-Ingredienzien müssen klar aufgeführt sein. Wer auf Zutatenlisten die oben genannten lateinischen Begriffe findet, kann selbst entscheiden, ob das Produkt im Einkaufswagen landen soll.Was die BILD-Zeitung als „Dschungelprüfung“ bezeichnete, ist jedenfalls in Afrika, Asien, Südamerika und Australien schon lange normal: gekochte Termiten in Nigeria, frittierte Bambuswürmer in Thailand, schokolierte Heuschrecken in Mexiko. Das zeigt: Ekel ist zu großen Teilen nicht naturgegeben, sondern kulturell vermittelt. Ein Baby, das noch nichts weiß von europäischen Essgewohnheiten, steckt sich einen vorbeikrabbelnden Wurm neugierig in den Mund. Erst im Lauf der Kleinkindjahre entwickelt es ein Gefühl dafür, was als widerlich gilt. Vielleicht gehören dazu später auch folgende Erkenntnisse: Billigwurst mit versteckten Zusätzen stellt die eigentliche „Dschungelprüfung“ dar. Und: Wer Lebensmittel mit Karmin/E 102 (z. B. rote Gummiwürmchen) oder mit Schellack/E 904 (z. B. überzogene Schokobonbons) konsumiert, hat längst Insekten gegessen – nämlich Läuse bzw. deren Ausscheidungen. Krabbeln wird auf unseren Tellern jedenfalls nichts: Die neuen Lebensmittel dürfen nur gefroren, getrocknet, als Paste oder pulverisiert in Umlauf gebracht werden. Und: Sie stammen nicht aus Hinterhofmülleimern, sondern aus streng kontrollierter Zucht. Am Ende bleibt es trotzdemmeist der Kopf, der uns bestimmte Nahrungsmittel ablehnen lässt – auch wenn Nährstoffgehalt (Insekten und Würmer sind protein-, vitamin- und ballaststoffreich), Geschmack (nussig, bohnenartig, wie gebratene Hähnchenhaut) und der Umweltaspekt (Insekten sind viel klimafreundlicher als Fleisch) positiver zu bewerten sind als bei anderen, vertrauten Nahrungsmitteln. Streng vegan und vegetarisch lebende Menschen wird das natürlich nicht überzeugen – Schimmelkäfer sind schließlich auch nur Lebewesen. Trendbewusste wiederum könnten sich mit dem in westlichen Ländern neuen Ernährungsstil schmücken und der nächsten Dinnerparty-Einladung hinterherschicken: „Ich bin entomophagisch (ich esse Insekten).“ Sprich: „Wir können Grillen grillen!“ Ein 100-Gramm-Getreideriegel darf neuerdings z. B. 25 Gramm Getreideschimmelkäfer enthalten, 15 Gramm Mehlwürmer oder 3 Gramm Hausgrillen. Eklig oder fortschrittlich: Würden Sie Insekten essen? E-Mail: franziska.maennel@uk-erlangen.de | 33 Medizin

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