Gesundheit erlangen - Frühling 2023

Brustkrebs Wie eine Ärztin zur Patientin wurde Tiergestützte Therapie Wie heilsam sind Schaf, Pferd und Co.? Den Regenbogen essen Gesund Kochen für Kinder und Jugendliche ■ multimodale Schmerztherapie ■ psychologische Bewältigungsstrategien ■ Schmerzmanagement rund um OPs Schmerzen bewält igen Das kostenlose Magazin des Uniklinikums Erlangen | www.gesundheit-erlangen.com | Frühling 2023 Teil 1 unserer Sportserie: AUSDAUER

Kostenlose KlinikLinie zum Uniklinikum Erlangen Neben den regulären Stadtbuslinien (289, 290, 293) gibt es eine extra Buslinie, die KlinikLinie 299 mit Kleinbussen. Die City-Sprinter bieten insgesamt je 14 Sitz- und 10 Stehplätze sowie einen Rollstuhlplatz und sind somit barrierefrei. KOSTENLOS Der Linienverlauf beginnt und endet am Bus- bahnhof Erlangen (hinter dem Hauptbahnhof Erlangen). Verkehrszeiten der KlinikLinie 299 ■ Montag bis Freitag: 5.00 bis 20.00 Uhr ■ Samstag: 9.00 bis 20.00 Uhr ■ Sonn- und Feiertage: 10.00 bis 16.00 Uhr jeweils im 10-Minuten-Takt

Vom Teufe ls- in den Enge lskreis Wenn Sie, wie ich, hin und wieder Migräne haben, wissen Sie, wie schön es ist, wenn der Schmerz nachlässt. Oder Sie erinnern sich an den Moment, in dem sich die quälende Nackenverspannung unter einem Wärmekissen löste oder in dem Ihnen ein Medikament die Schmerzen nach einer OP nahm. Möglicherweise haben Sie sogar schon mal selbst eine Schmerzpumpe gedrückt (S. 16). Vielleicht gehören Sie aber auch zu jenen Menschen, die Schmerzen fast täglich begleiten – vielleicht schon seit Monaten oder gar Jahren. In diesem Fall hat sich der Schmerz von seiner Ursache entkoppelt – er besteht chronisch fort und hält sich selbst aufrecht. Je vehementer Sie ihn loswerden wollen, desto belastender wird er. Die negativen Gedanken kreisen, die Stimmung ist gedrückt, der soziale Rückzug hat begonnen, der Kampf gegen das Schmerzmonster scheint aussichtlos. In solchen Fällen vermittelt das Schmerzzentrum des Uniklinikums Erlangen seinen Patientinnen und Patienten im Rahmen einer multimodalen Therapie, dass wirklich jeder etwas gegen seine Beschwerden tun kann. Dass das möglich ist, hat auch die 43-jährige Patientin erlebt, die aufgrund ihrer Multiplen Sklerose jahrelang unter starken Nerven- und Muskelschmerzen litt (S. 8). Was zählt, ist die innere Haltung: Es gilt, das Kämpfen gegen den Schmerz sein zu lassen und die Realität erst einmal so anzunehmen, wie sie ist. Akzeptieren hat dabei nichts mit Resignieren zu tun. Niemand muss seine Schmerzen gut finden! Aber nur durch Annehmen des Ist-Zustandes kann – wie Oberärztin Dr. Britta Fraunberger sagt – aus dem Teufelskreis des Schmerzes ein „Engelskreis“ werden: Mit kleinen Schritten und Erfolgserlebnissen wird das eigene Leben langsam zurückgewonnen – der Blick auf das gerichtet, was Freude und Sinn stiftet, was gut und möglich ist (nicht unmöglich). Viele psychologische Strategien und Übungen helfen Schmerzbetroffenen dabei, ihre Aufmerksamkeit und ihre Gedanken in eine nützliche Richtung zu lenken (S. 14). In diesem Sinne wünsche ich Ihnen hilfreiche Erkenntnisse und immer wieder den Mut und die Offenheit, neue Wege zu gehen. Credo der Ge lassenhei t Dieser wahre und immer wieder schöne Spruch gi lt für Schmerzzustände ganz besonders: „Gi b mir die Ge lassenhei t, Dinge anzunehmen, die ich nicht ändern kann. Gi b mir den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann. Und gi b mir die Weishei t, das eine vom anderen zu unterscheiden.“ Chefredakteurin von „Gesundheit erlangen“ Editorial | 3

3 6 Keine Angst vor der Brustuntersuchung Neue Abteilung: Mikrobiomik 7 Girls’ und Boys’Day am Uniklinikum Kampf gegen Krebs von Bayern aus Editorial NEUES AUS DEM UNIKLINIKUM 8 14 Schmerzen auf die Rückbank Psychologische Schmerztherapie 16 „Sie müssen nicht alles aushalten“ Schmerzmanagement nach Operationen TITEL „Ich habe erst mal geweint“ Multimodal gegen chronische Schmerzen REPORTAGE Das Tier in dir Auf der Erlanger Umweltstation Jugendfarm treffen Menschen auf tierische Therapeuten MEDIZIN 26 Sprechstunde Belastender Zyklus: Umgang mit PMDS 30 Medien App-Entwicklung: ParkinsonGo 32 Mittel der Wahl Capsaicin 33 Kleine Sp(r)itze – Kolumne Wurmt Sie das? MENSCHEN 34 Meine Geschichte „So schwach wollte ich mich nie sehen“ – von der Ärztin zur Krebspatientin 38 Was macht eigentlich ... ... eine Logopädin in der HNO-Klinik des Uniklinikums Erlangen? 20 SCHMERZEN LOSWERDEN Im Schmerzzentrum des Uniklinikums Erlangen steht Menschen mit chronischen Schmerzen ein multi- professionelles Team zur Seite. 8–19 34 ÄRZTIN UND PATIENTIN Dr. Katharina Heller hatte Brustkrebs. Was ihr half und wie die Krankheit den Umgang mit ihren eigenen Patientinnen veränderte. 4 | Themen dieser Ausgabe

MENSCHEN 42 Zwei Seiten von Fachzahnärztin PD Dr. Mayte Buchbender 44 Meine Gesundheit Augenärztin PD Dr. Dr. Bettina Hohberger ERNÄHRUNG 46 Iss den Regenbogen! Kochen in der Kinderonkologie KOPFSACHE 50 ZwangHAFT Zwangshandlungen und -gedanken loswerden ERFORSCHT UND ENTDECKT 45 Trotz Gefäßfehler: Fee läuft dem Schicksal davon 55 Leibniz-Preis für Prof. Schett AKTIV LEBEN 56 Die Sportpille Mit LOW-HIIT zu mehr Ausdauer ZUM SCHLUSS 60 Ab aufs Rad! 61 Rätsel | Gewinnspiel 62 Vorschau | Impressum Video Weiterführende Informationen Kontaktaufnahme Persönlicher Kontakt zur Redaktion THERAPIE MIT TIEREN Schaf, Esel und Co. helfen Psychiatriepatientinnen und -patienten dabei, wieder Vertrauen zu fassen und im Hier und Jetzt bei sich anzukommen. 20 46 Teil 1 unserer Sportserie ISS DEN REGENBOGEN Immer wieder freitags erwartet die krebskranken Kinder und Jugendlichen in der Erlanger Kinderonkologie ein bunter Mittagstisch. | 5 Themen dieser Ausgabe

Frauen, die noch wenig Erfahrung mit der Brustuntersuchung haben, wissen oft nicht, was auf sie zukommt: Tut die Mammografie weh? Wann brauche ich welche Untersuchungsmethode? Was sieht die Ärztin bzw. der Arzt dann auf der Aufnahme? Das Radiologische Institut des Uniklinikums Erlangen will Abhilfe schaffen und Patientinnen die Angst vor Mammografie, Brust-CT und -MRT, Ultraschall, Biopsie und Tomosynthese nehmen. Auf seiner Website informiert der Bereich Gynäkologische Radiologie und Multimodale Mammadiagnostik über verschiedene Diagnosemethoden. Seit Kurzem sind dort fünf Erklärvideos eingebunden, in denen die Radiologin PD Dr. Sabine Ohlmeyer den Ablauf der einzelnen Verfahren erläutert. Kurzvideos erklären unterschiedliche Diagnoseverfahren Keine Angst vor der Brustuntersuchung Gynäkologische Radiologie und Multimodale Mammadiagnostik www.uker.de/brustuntersuchung Start zum 1. Januar 2023 Mit Beginn des Jahres 2023 erhielt das Uniklinikum Erlangen eine weitere (Forschungs-)Einrichtung: die Mi- krobiomische Abteilung. Geleitet wird sie von Prof. Dr. Stephan P. Rosshart, der vom Uniklinikum Freiburg nach Erlangen wechselte. Die neue Einrichtung widmet sich dem Mikrobiom – der Gesamtheit aller Mikroorganismen, die den Körper eines Menschen oder eines Tieres besiedeln. Dazu gehören u. a. Bakterien, Viren und Pilze. Prof. Rosshart und sein Team erforschen künftig, welchen Einfluss das Mikrobiom auf die menschliche Gesundheit und auf die Entstehung von Krankheiten hat. Dass Mikroorganismen physiologische Prozesse in vielfältiger Weise steuern, ist bereits heute unumstritten. Doch wie sieht dieser Einfluss konkret aus – etwa bei Krebs, Infektionen, Allergien, Autoimmunerkrankungen, neurologischen oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen? Dies gilt es nun herauszufinden und daraus neue Therapien abzuleiten. Neue Abteilung: Mikrobiomik Prof. Dr. Stephan P. Rosshart 6 | Neues aus dem Uniklinikum

Bundesweiter Zukunftstag für Mädchen und Jungen am 27. April 2023 Wäre ein Praktikum oder eine Ausbildung in einem Krankenhaus etwas für mich? Welche Berufe gibt’s da eigentlich? Girls’ und Boys’Day bieten Mädchen und Jungen Orientierung im weiten Feld der Karriereoptionen. Auch das Uniklinikum Erlangen nimmt am Aktionstag teil und lädt Interessierte ab 14 Jahren am Donnerstag, 27. April 2023, in seine Räume ein. Girls’ und Boys’Day wollen den Jugendlichen Berufsfelder näherbringen, die das jeweilige Geschlecht unterdurchschnittlich oft wählt. Bei Jungen sind das z. B. Girls’ und Boys’Day am Uniklinikum Pflege, Pharmazie oder Ergotherapie, bei Mädchen MINT-Fächer wie Informatik, Chemie oder Bauingenieurwesen. Das Uniklinikum Erlangen begrüßt deshalb die Mädchen in seinem Medizinischen Zentrum für Informations- und Kommunikationstechnik, wo sie den Beruf der Fachinformatikerin – Systeminte- gration kennenlernen, und die Jungen im Pflegedienst, wo sie gipsen, „reanimieren“ und Vitalzeichen messen dürfen. Die Plätze sind begrenzt; eine Anmeldung ist zwingend erforderlich. Anmeldung Girls’Day: www.girls-day.de Anmeldung Boys’Day: www.boys-day.de Uniklinikum Erlangen ist jetzt Teil des Nationalen Centrums für Tumorerkrankungen Der Verbund der vier Uniklinik-Standorte Würzburg, Erlangen, Regensburg und Augsburg, kurz WERA, ist nun offizieller Standort des Nationalen Centrums für Tumorerkrankungen (NCT). „Wir freuen uns über die Auszeichnung“, sagte Prof. Dr. Dr. h. c. Heinrich Iro, Ärztlicher Direktor des Uniklinikums Erlangen, nach Bekanntgabe durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung. „Das Uniklinikum Erlangen hat den Anspruch, seinen an Krebs erkrankten Patientinnen und Patienten die bestmögliche Diagnostik und Versorgung zu bieten. Nun gehören wir zum NCT WERA des Deutschen Krebsforschungszentrums. Das Kampf gegen Krebs von Bayern aus garantiert einen optimalen, standortübergreifenden Austausch von Krebsforscherinnen und -forschern, Ärztinnen und Ärzten und kommt letztlich der Versorgung von onkologischen Patientinnen und Patienten in der Region und weit darüber hinaus zugute.“ Neues aus dem Uniklinikum | 7

„Ich habe erst mal geweint“ 8 | Titel Im Wald kommt Sandra Lorenz wieder in Balance. Bis heute macht sie in der Natur kleine Achtsamkeitsübungen, die die Aufmerksamkeit vom Schmerz weglenken. „Grün entspannt“, sagt sie.

TITEL Bei chronischen Schmerzen leidet nicht nur der Körper. Soll eine Behandlung wirken, muss sie auch Psyche und Sozialleben mit einbeziehen. Dank einer multimodalen Therapie entriss Patientin Sandra Lorenz dem Schmerz das Steuer und lenkt nun wieder selbst. VON FRANZISKA MÄNNEL Wenn Sandra Lorenz* vor einem sitzt, merkt man ihr nichts an. Die 43-Jährige ist freundlich, wirkt aufgeschlossen und entspannt. „Dir geht’s doch gut“, sagen ihre Eltern dann, wenn sie bei ihnen zu Besuch ist. Sie sehen nicht die Nervenschmerzen, die „extrem eklig“ sind, wie Sandra Lorenz sagt. Sie registrieren nicht die Muskelverspannungen, das oberflächliche Brennen auf der Haut, die Schmerzen vom linken Auge bis in die linken Zehen. Sandra Lorenz hat Multiple Sklerose (MS) – eine chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems. Was sie auch hat, sind Glaubenssätze: Sei stark. Sei leistungsfähig. Funktioniere. Die Diagnose bekam Sandra Lorenz 2014. Weil ihre angegriffenen Nervenbahnen die Muskeln nicht mehr richtig ansteuerten, entwickelte sich eine Spastik in der linken Körperhälfte – die Muskeln waren permanent verkrampft und steif. Zeitweise konnte Sandra Lorenz vor Schmerzen weder sitzen noch liegen noch schlafen. Längere Flugreisen, die in ihrem Beruf als Produktmanagerin eigentlich dazugehörten, wurden unmöglich. Sie musste Kinobesuche absagen, das Fahrradfahren aufgeben, sich bei Familienfeiern ausklinken. „Es waren fünf intensive Jahre, in denen die akuten Schmerzen schleichend in chronische übergingen“, erzählt sie. „Ich hatte keine Werkzeuge, um damit umzugehen, und keinen Arzt, der mir welche gab. Keinen, der das ganzheitlich sah und mir nicht nur sagte, dass ich meine Muskeln dehnen solle.“ → | 9 Titel

Fortsetzung von S. 9 Sich verstanden fühlen 2020 zog Sandra Lorenz von Schwaben nach Erlangen und stieß auf das Angebot des Schmerzzentrums des hiesigen Uniklinikums. Im Vorgespräch erklärte ihr das Behandlungsteam das Konzept der multimodalen Schmerztherapie. „Das sprach mich sofort an, und ich war offen für alles“, erinnert sich Sandra Lorenz. „Ich hatte plötzlich Menschen vor mir, die sich mit Schmerzen auskannten, die mich verstanden und mir erklärten, dass ich selbst etwas tun kann. Danach habe ich im Auto erst mal geweint.“ Durch die Coronapandemie verzögert, begann im November 2021 endlich die fünfwöchige tagesklinische Schmerztherapie. Diese sah vor, dass sich eine Gruppe aus acht Patientinnen und Patienten täglich von 8.00 bis 16.30 Uhr im Schmerzzentrum des Uniklinikums Erlangen traf; die Abende und Wochenenden durften zu Hause verbracht werden. „Unser Programm richtet sich an Menschen mit chronischen Schmerzen. Viele leiden schon jahrelang“, erklärt Oberarzt Dr. Norbert Grießinger. „Bei diesen Patientinnen und Patienten gibt es in der Regel nicht die eine Ursache für die Beschwerden. Stattdessen hat sich der Schmerz verselbstständigt. Die Betroffenen befinden sich in einem Teufelskreis aus körperlichen, psychischen und sozialen Faktoren, die alle zusammen Schmerzen erzeugen und aufrechterhalten.“ Warum das al les? Schmerzen können auf Krankhei ten hinweisen, aber auch auf Stress, Anspannung oder ungünst iges Verhalten. „Kommt dir ein Schmerz, so halte st i l l, und frage, was er von dir wi l l“, schrieb deshalb schon der Dichter Emmanuel Gei bel im 18. Jahrhundert. Stationäre Variante Die Behandlung chronischer Schmerzen ist am Uniklinikum Erlangen nicht nur tagesklinisch, sondern auch stationär möglich (drei Wochen). Davon profitieren z. B. Menschen mit starken körperlichen oder psychischen Beeinträchtigungen, die kein tägliches Pendeln ins Krankenhaus erlauben. Die Anmeldung läuft über das Schmerzzentrum. Dr. Norbert Grießinger und Dr. Britta Fraunberger erläutern während der multimodalen Therapie u. a. die Hintergründe zu Schmerzentstehung und -chronifizierung, zu Medikamenten, TENS-Therapie, Naturheilkunde und anderen Verfahren. Außerdem passen sie die Einnahme von Schmerzmitteln an. 10 | Titel

Expertin für den eigenen Schmerz Weil das chronifizierte Schmerzgeschehen multifaktoriell ist, sollte auch die Behandlung aus verschiedenen Bausteinen bestehen. Schmerzmittel allein sind nicht die Lösung. „Unser multimodales Konzept adressiert deshalb Körper, Seele und soziales Umfeld. Es soll die Lebensqualität insgesamt verbessern und die gesunden Anteile stärken. Das erreichen wir mit ärztlichen, psychologischen, bewegungs- und entspannungstherapeutischen und medikamentösen Mitteln“, zählt Norbert Grießinger auf. Seine Kollegin, Oberärztin Dr. Britta Fraunberger, ergänzt: „Für viele sind wir der letzte Rettungsanker. Wir versuchen trotzdem, mit den Patienten realistische Ziele festzulegen. Wenn jemand sagt ,Ich möchte für immer von all meinen Schmerzen befreit werden‘, wird das zwangsläufig zu Enttäuschung führen. Hilfreicher wäre: ,Ich möchte wieder öfter Dinge unternehmen, die mir Spaß machen. Ich will wieder arbeiten, in meinen Sportverein oder mit dem Hund einen Kilometer laufen.‘“ Die Teilnehmenden sollen zu Expertinnen und Experten für sich und ihren Schmerz werden und lernen, sich selbst etwas Gutes zu tun. Das habe den besten Langzeiteffekt. „Massagen oder andere passive Anwendungen gibt es deshalb bei uns nicht“, betont Dr. Fraunberger. Neu denken, neu handeln Stattdessen startet ein Tag im Gruppenprogramm mit medizinischer Trainingstherapie. „Manche sollen dabei vor allem Kraft und Ausdauer trainieren, bei anderen steht die Beweglichkeit im Vordergrund, oder sie üben, ihre Angst vor falschen Bewegungen abzubauen“, erklärt Britta Fraunberger. „Beim Gerätetraining oder bei der Gymnastik hatte ich keine Schmerzen“, berichtet Patientin Sandra Lorenz. Auch Nordic Walking gefiel ihr. „Viele waren vor der Therapie in einer Art Starre und kamen durch das Programm langsam da raus. Es tat gut, mit seinen Problemen nicht allein zu sein und sich auszutauschen.“ Vorher hatte sie sich meist abends fürs Fitnessstudio aufgerafft. → Team gegen Schmerzen Das Schmerzzentrum des Uniklinikums Erlangen bietet neben seinem Fünf-Wochen-Programm u. a. auch Kopfschmerz- und Seniorengruppen, eine Gruppe bei somatoformen Schmerzen und eine für Kinder und Jugendliche an. Ärztinnen und Ärzte, Psychologinnen und Psychologen, Pflegefachkräfte sowie Physio- und Sporttherapeutinnen und -therapeuten arbeiten hier zusammen. Sprecher des interdisziplinären Zentrums sind Prof. Dr. Roland C. E. Francis, neuer Direktor der Anästhesiologischen Klinik, und Prof. Dr. Dr. h. c. Stefan Schwab, Direktor der Neurologischen Klinik. Prof. Dr. Roland C. E. Francis leitet seit Oktober 2022 die Anästhesiologische Klinik und ist Sprecher des Schmerzzentrums. | 11 Titel

Fortsetzung von S. 11 „Nach der Arbeit war ich dafür aber eigentlich schon zu k. o. Und je kaputter ich war, desto stärker wurden die Schmerzen.“ Wie viele andere Betroffene profitierte auch Sandra Lorenz davon, ihre Gewohnheiten zu hinterfragen und neue zu entwickeln. Jede gewonnene Erkenntnis, jede nützliche Erfahrung schrieb die Patientin auf ein kleines Merkkärtchen. So entstand mit der Zeit eine prall gefüllte Erste-Hilfe-Box, die Sandra Lorenz lange Zeit immer bei sich trug. „Gleiche jede aktivierende Tätigkeit mit einer entspannenden aus“ steht zum Beispiel auf einem Kärtchen, „Gehe weniger perfektionistisch an alle Aufgaben heran“ und „Sprich mit deinen Mitmenschen ehrlich über Schmerz und Wohlbefinden“. Sie erläutert: „Ich habe erkannt, dass es nichts bringt, wenn ich vor meinem Mann oder anderen so tue, als ob alles O. K. ist, wenn ich eigentlich Schmerzen habe. Diese Schauspielerei führt nur dazu, dass sich mir gegenüber falsche Erwartungen entwickeln.“ In Einzelgesprächen mit dem leitenden Psychologen Peter Mattenklodt (s. auch S. 14) deckte sie Stück für Stück negative Denkmuster auf und legte sich Alternativen zurecht, die sich besser anfühlten. Spannungen lösen Fühlen und spüren, den Körper wahrnehmen – darum geht es auch in den Übungsverfahren, die Fachpflegekraft Claudia Hafner anleitet. Dazu zählt die Progressive Muskelentspannung (PME). „Wenn ich mich hinlege, mich auf die einzelnen Muskeln konzentriere, sie anspanne und wieder entspanne, hilft mir das am meisten“, so Sandra Lorenz. „Dank PME habe ich das erste Mal seit Langem wieder eine Tiefenentspannung erlebt.“ Ein weiteres Verfahren ist die Eutonie. Claudia Hafner hat dafür extra eine spezielle Weiterbildung gemacht. Sie erklärt: „Eutonie soll die Spannung im Körper regulieren. Da chronische Schmerzen an sich schon zu einer Spannungs- erhöhung in der Muskulatur führen – der Körper versucht, sich zu schützen –, wirkt die Methode bei unseren Teilnehmerinnen und Teilnehmern vor allem entspannend. Außerdem werden die Körperwahrnehmung und die Akzeptanz eigener Grenzen geschult.“ Mit einem Bambusstab, einem mit Kastanien gefüllten Kissen oder einem weichen Ball gehen die Teilnehmenden in Kontakt mit ihrem Körper – liegen z. B. mit einer Schulter auf dem Kastanienkissen, nehmen die DruckSandra Lorenz liest die Merkkärtchen aus ihrer „Schmerzfrei-Erste-Hilfe-Box“. „Investiere deine Energie nur in Dinge, die sich ändern lassen“ steht z. B. auf einem. 12 | Titel

punkte wahr und spüren schließlich, wie der Rücken gelöst zu Boden sinkt, wenn das Kissen entfernt wird. „Schmerzpatientinnen und -patienten registrieren oft nur noch, was sich nicht gut anfühlt. Oder sie spüren sich gar nicht“, weiß Claudia Hafner. „Dank Eutonie erleben sie, dass es auch neutrale oder angenehme Empfindungen gibt.“ Menschen mit der Überzeugung „Viel hilft viel“ dürfen sich der Idee öffnen, dass auch sanfte Berührungen wirksam und wohltuend sein können und das Nervensystem harmonisieren. Claudia Hafner und Peter Mattenklodt trainieren mit ihren Patientinnen und Patienten auch die Fähigkeit, Dinge, Gedanken, Gefühle und Körperempfindungen – auch Schmerzen – wahr- und anzunehmen, wie sie sind. Kein Bewerten, kein krampfhaftes Verändernwollen – der Kern von Achtsamkeit. Im Wald ertasten die Teilnehmenden Baumrinde,atmendenDuft vonHarzundKiefernnadeln, kreieren Kunstwerke aus Moos und Steinen, erleben mit allen Sinnen „und bücken sich plötzlich voller Freude nach einem Zapfen, obwohl sie vielleicht dachten, dass sie so eine Bewegung gar nicht mehr machen können“, schildert Claudia Hafner. Achtsamkeit sei theoretisch schwer zu vermitteln. Man müsse erleben, was sie mit einem macht. Deutliche Besserung Sandra Lorenz’ Beispiel zeigt, dass sich eine Therapie lohnt – auch nach vielen quälenden Jahren, nach Rückschlägen und selbst bei stärksten Schmerzen: Als die MS-Patientin 2020 ihren Schmerzfragebogen ausfüllte, gab sie auf einer Skala von 0 (kein Schmerz) bis 10 (schlimmster vorstellbarer Schmerz) eine Schmerzstärke von 6 bis 9 an. Zwei Jahre später, nach abgeschlossener Behandlung, stand auf derselben Skala eine 2 bis 6. Bei ihrer Arbeit und in der Freizeit fühlte sie sich 50 Prozent weniger beeinträchtigt. Kamen vorher auf eine gute, schmerzfreie Woche zwei schlechte, standen nach dem Gruppenprogramm einer schlechten Woche drei gute gegenüber. Mittlerweile hat Sandra Lorenz den Job gewechselt und den Druck rausgenommen; sie arbeitet weiterhin in Vollzeit, aber nicht mehr als Führungskraft. Sie sorgt für ein sinnvolles Maß an Aktivität, aber auch für Pausen, macht weiter Atem- und Entspannungsübungen. Sie ist nicht mehr so streng mit sich selbst. Nach allem sagt Sandra Lorenz heute: „Ich kann selbst viel mehr tun, als ich früher dachte. Ich empfinde wieder Freude und bin auf dem Weg zu einem guten Leben.“ *Name von der Redaktion geändert Fachpflegekraft Claudia Hafner leitet eine Patientin bei einer Eutonie-Übung mit einem Softball an. Schmerzzentrum Telefon: 09131 85-32558 E-Mail: schmerzzentrum@uk-erlangen.de www.schmerzzentrum.uk-erlangen.de Schmerzkompass – Tipps zur Selbsthilfe www.uker.de/schmerzkompass | 13 Titel

Schmerzen auf die Rückbank PSYCHOLOGISCHE SCHMERZTHERAPIE Menschen mit chronischen Schmerzen können lernen, mit ihrem Leiden umzugehen. Welche mentalen Strategien es dafür gibt und welche Rolle das Schmerzgedächtnis spielt. VON ALESSA SAILER Bei Menschen mit chronischen Schmerzen bestimmt es den ganzen Tag: das Monster Schmerz. „Es begleitet die Betroffenen ständig und gibt die Richtung vor – so, als würde das Monster im Auto am Steuer sitzen“, erklärt Peter Mattenklodt, leitender Psychologe im Schmerzzentrum des Uniklinikums Erlangen. Deshalb ist es für Menschen, die ständig Schmerzen haben, essenziell, sich mit ihren Beschwerden mental auseinanderzusetzen. „Ganz wichtig ist: Es darf nicht der Anspruch sein, die Schmerzen komplett loszuwerden, denn das ist bei chronischen Beschwerden in der Regel nicht möglich. Für Betroffene ist es oft hilfreicher, ihre Schmerzen zu akzeptieren und zu lernen, so gut wie möglich mit ihnen zu leben“, betont Peter Mattenklodt. Der Psychologe und sein Team helfen Patientinnen und Patienten dabei, die individuell passenden Strategien dafür zu finden. „Wir zeigen ihnen das gesamte Spektrum der Entspannungs- und Atemtechniken, zum Beispiel Achtsamkeitsübungen, Traumreisen und Progressive Muskelentspannung“, erläutert er. Aber auch Ablenkung kann guttun. „Dabei ist es egal, ob das ein Memoryspiel mit dem Enkelkind ist, ein Film oder ein Gespräch. Untersuchungen haben gezeigt, dass bei Schmerzgeplagten, die sich ablenken, keine Schmerzaktivität im Hirn entsteht“, merkt der Psychologe an. Peter Mattenklodt ist leitender Psychologe im Schmerzzentrum des Uniklinikums Erlangen. Was ist das Schmerzgedächtnis? Bestehen Schmerzen längere Zeit oder sind sie sehr stark, kann das dazu führen, dass Schmerzreize aus dem Körper mit der Zeit immer leichter ins Gehirn weitergeleitet werden und dort eine stärkere Reaktion hervorrufen. Das Gehirn „lernt“ den Schmerz, und wir reagieren immer sensibler auf den gleichen Schmerzreiz. Der Schmerz erhält sich also selbst aufrecht und die Schmerzschwelle sinkt. Diese Anpassungen im Schmerzverarbeitungssystem von Rückenmark und Gehirn nennt man Schmerzgedächtnis. Nach heutigem Wissensstand lässt es sich nicht vollständig löschen. Betroffene können aber herausfinden, welche Einstellungen ihren Schmerz günstig beeinflussen, damit das Gehirn wieder „umlernt“. Titel 14 |

Hilfreiche Sätze Doch wie gehen Menschen mit chronischen Schmerzen um, bevor sie professionelle Hilfe suchen? Peter Mattenklodt: „Der eine will durchhalten, keine Schwäche zeigen und ist deshalb zum Beispiel immer zu lange im Garten aktiv. Damit füttert er aber sein Schmerzgedächtnis (s. Kasten S. 14), und das Gehirn reagiert immer schneller auf immer kleinere Schmerzreize. Die andere hingegen katastrophisiert und denkt ‚Wenn ich mich jetzt bücke, wird der Schmerz ganz schlimm‘ oder ‚So schaffe ich meine Arbeit bald nicht mehr‘.“ Wichtig sei es deshalb, herauszufinden, was einem selbst guttut, wenn der Schmerz auftritt. Ziehe ich mich zurück, mache ich eine Fantasiereise, gehe ich spazieren oder rufe ich einen lieben Menschen an? „Hier kommt auch die sogenannte Selbstwirksamkeit ins Spiel“, sagt Peter Mattenklodt. „Das heißt, Betroffene sollen lernen, davon überzeugt zu sein, des Schmerzes Herr werden zu können – das Monster sozusagen vom Fahrersitz auf die Rückbank zu bugsieren. Es darf mitfahren, aber nicht lenken. Dabei hilft es, sich mit Sätzen wie ‚In ein paar Stunden ist es wieder besser‘ oder ‚Denk dran, was du alles schon geschafft hast‘ an die eigene Stärke zu erinnern. Am besten schreiben sich die Patientinnen und Patienten ihren hilfreichen Satz auf und rufen ihn sich immer wieder ins Gedächtnis.“ Positive Gedanken und Gefühle wirken sich nämlich auf die Schmerzverarbeitung aus: Sie verringern die Schmerzintensität. Deswegen ist es auch so wichtig, aus dem Karussell der negativen Gedanken auszubrechen, denn Letztere verstärken die Schmerzwahrnehmung und die Schmerzen werden schlimmer. Das richtige Pacing Eine Balance zwischen Aktivität und Ruhe zu schaffen, ist ebenfalls wichtig bei der Schmerzbewältigung. „Wir nennen das Pacing“, erklärt Peter Mattenklodt. „Dabei geht es um das bewusste Anpassen körperlicher Aktivität an die eigene Leistungsfähigkeit. Wer sich immer wieder körperlich belastet, bis es gar nicht mehr geht, erlebt meist nur noch mehr Frust und bekommt das Gefühl, vom Schmerz bestimmt zu werden.“ Das Geheimnis sei also, das richtige Maß zu finden und Pausen zu machen, bevor der Schmerz einen dazu zwingt. „Natürlich kostet es viel Kraft und auch Mut, mit dem Schmerz umzugehen“, räumt Peter Mattenklodt ein, „aber mit dem richtigen Handwerkszeug lässt sich das Leben Schritt für Schritt zurückerobern. Zögern Sie also nicht, sich Hilfe zu holen!“ Zu viel Fürsorge und Ent lastung … … von nahestehenden Personen („Leg dich ins Bett, ich erledige das“) erhöhen auf Dauer das Risiko, dass Schmerzen chronisch werden. Lenken Angehörige die Schmerzgeplagten hingegen einfühlsam ab und motivieren sie zu gemeinsamen Aktivitäten, hi lft dies laut Studien dabei, dass sich die Schmerzen weniger im Leben breitmachen. Psychologische Schmerztherapie hilft dabei, ■ den Teufelskreis aus Schmerz und immer neuen Einschränkungen zu durchbrechen und sich das Leben zurückzuerobern. ■ mehr Angenehmes zu erleben und so die Stimmung zu beeinflussen. ■ über die eigenen Gedanken Einfluss auf die Schmerzverarbeitung zu nehmen. ■ durch regelmäßiges Entspannungstraining die Schmerzschwelle wieder anzuheben. | 15 Titel

„Sie müssen nicht alles aushalten“ SCHMERZMANAGEMENT NACH OPERATIONEN Starke Schmerzen nach einer OP oder aufgrund einer Tumorerkrankung in Schach zu halten, darauf ist der Akutschmerzdienst der Anästhesiologischen Klinik spezialisiert. Wie ein gutes Schmerzmanagement gelingt und wie Patientinnen und Patienten selbst Einfluss nehmen können. VON ALESSA SAILER 1989 kam am Uniklinikum Erlangen die erste Schmerzpumpe zum Einsatz, damals in der Kinderonkologie. „Das war zu der Zeit etwas ganz Neues“, sagt Dieter Märkert, Bereichsleitung Pflegedienst des Akutschmerzdienstes (ASD) der Anästhesiologischen Klinik des Uniklinikums Erlangen. „In Deutschland zählten wir damit zu den Pionieren der Schmerztherapie. Bis dahin waren nämlich Schmerzinfusionen der Goldstandard.“ Während das Schmerzmittel bei der Infusion kontinuierlich ins Blut fließt – unabhängig davon, wie stark die Beschwerden tatsächlich sind und ob die Dosis gerade benötigt wird –, können Schmerzgeplagte mit der Pumpe die Medikamentengabe mittels Drücken selbst bestimmen. Das ASD-Team kennt sich mit Schmerzen, etwa nach operativen Eingriffen oder aufgrund von Tumorerkrankungen, besonders gut aus. „Wir arbeiten eng mit den Pflegefachkräften der Stationen zusammen, die sich dort um die schmerztherapeutische Einstellung der Patientinnen und Patienten kümmern. Wir stehen aber bei Bedarf immer konsiliarisch zur Seite – zum Beispiel, wenn jemand trotz der verordneten Medikamente Schmerzen hat oder die Wirkstoffe nicht gut verträgt“, sagt Dieter Märkert. Der Akutschmerzdienst ist ein Service innerhalb des Uniklinikums Erlangen, den alle Einrichtungen im Haus in Anspruch nehmen können. Die Ärztinnen und Ärzte des ASD empfehlen bei Bedarf (alternative) schmerztherapeutische Maßnahmen – dem Patienten mit dem offenen Bein ebenso wie der Dame mit dem neuen Kniegelenk und dem peingeplagten Jugendlichen nach der Trichterbrust-OP (s. S. 19). Dieter Märkert und sein Pflegeteam statten die Betroffenen dann beispielsweise mit einer Dieter Märkert ist Fachpfleger für Anästhesie und Intensivpflege und hat sich zur algesiologischen Fachassistenz und Pain Nurse weitergebildet. Hier zeigt er den Drücker einer Schmerzpumpe. 16 | Titel

Schmerzpumpe aus und kommen mindestens zweimal täglich zur Überwachung und Dokumentation der Schmerzintensität sowie möglicher Nebenwirkungen ans Bett. Dafür sind sie die meiste Zeit des Tages in den Klinikgebäuden unterwegs. „Bei Menschen mit starken Tumorschmerzen, die sich zum Beispiel in unserer Ambulanz vorstellen, und anderen Patientinnen und Patienten in der letzten Lebensphase arbeiten wir auch mit der Palliativmedizinischen Abteilung zusammen“, so der erfahrene Fachpfleger. „Oft nehmen die Kolleginnen und Kollegen die Person auf Station auf, und wir begleiten sie schmerztherapeutisch.“ Pumpe, Katheter oder PDA? Die Schmerzpumpe ist ein gängiges Mittel zur Versorgung von Menschen mit akuten Schmerzen. „Bei größeren OPs im Bauch- oder Brustbereich oder nach Unfällen sind vergleichsweise starke Schmerzen zu erwarten. Deswegen planen wir dafür in der Regel bereits vor dem Eingriff ein, dass die Patientin oder der Patient eine Pumpe bekommt“, erklärt Dr. Wolfgang Böswald, Oberarzt der Anästhesiologie und des ASD. Der Vorteil: → Möglichkeiten der Schmerzlinderung Bei akuten Schmerzen ist die patientenkontrollierte Analgesie sehr effizient. „Sie ermöglicht eine individuelle, an die persönlichen Bedürfnisse angepasste Schmerzmittelgabe“, sagt Prof. Dr. Roland C. E. Francis, Direktor der Anästhesiologie. „Ein gutes Schmerzmanagement trägt nachweislich dazu bei, Stress vor und nach der OP zu reduzieren und erleichtert eine schnelle Genesung.“ Gängige Möglichkeiten der Schmerzlinderung am Uniklinikum Erlangen sind: ■ Schmerzpumpe (s. Artikel) ■ Schmerzkatheter und PDA (s. Artikel) ■ Transkutane elektrische Nervenstimulation (TENS) Dafür werden zwei Elektroden auf die Haut geklebt, und der Stromreiz wird an einem Handgerät reguliert. Am Uniklinikum Erlangen wird TENS postoperativ und z. B. bei Rückenschmerzen angewendet. ■ Laserakupunktur Dabei wird mittels eines Laserstabs kurzwelliges Infrarotlicht auf die Haut aufgebracht. Diese Softakupunktur wird beispielsweise in der Kinder- und Jugendklinik eingesetzt. Der Vorteil im Gegensatz zu Akupunkturnadeln: Die Haut wird nicht verletzt. ■ Wärme- und Kälteanwendungen Der Laserstab wird auf bestimmte Akupunkturmeridiane aufgesetzt; das kurzwellige Licht soll die entsprechenden Areale stimulieren. Die Elektroden des TENS-Geräts werden auf die Schmerzareale aufgeklebt. | 17 Titel

Gut zu wissen: Schmerzmittel Sie sollten eine therapeutische Säule von vielen sein. In der Behandlung akuter Beschwerden spielen sie eine größere Rolle als bei chronischen Schmerzen, bei denen Medikamente nur bedingt wirksam sind. Interessante Fakten: ■ Koffein kann bei Kopfschmerzen helfen – als Kaffee oder Koffeintablette. ■ Grapefruit(saft) erhöht das Risiko für Nebenwirkungen bei Opioiden und anderen Schmerzmitteln. ■ Mittel wie Ibuprofen, Diclofenac und Etori- coxib sollten so selten und so niedrig dosiert wie möglich eingenommen werden – jedoch in einer effektiv wirkenden Einzeldosis. Faustregel: Nicht mehr als 10 Tage im Monat, nicht mehr als 3 Tage am Stück. ■ Metamizol (Novaminsulfon/Novalgin): Wer in Zusammenhang mit einer Einnahme Halsschmerzen oder Fieber bekommt, könnte unter einer seltenen Agranulozytose leiden, einer schweren Störung der Blutbildung, die behandelt werden muss. ■ Legt man sich nach der Einnahme einer Schmerztablette auf die rechte Seite, wirkt sie zehnmal schneller als auf der linken und etwa doppelt so schnell wie im Stehen. Denn: Rechts liegend rutscht das Mittel besonders steil durch den Magen-Darm-Trakt und erreicht so in kürzerer Zeit den Zwölffingerdarm, wo es ins Blut aufgenommen wird. ■ Vor einem Partyabend oder einem anstrengenden Marathon vorsorglich eine Schmerztablette zu nehmen, bringt nichts. Sie wirkt erst dann, wenn tatsächlich Schmerzen bestehen und belastet ansonsten nur den Organismus. Fortsetzung von S. 17 „Der oder die Betroffene kann die Schmerzmittelgabe selbst steuern.“ Die Pumpe enthält meist Morphin oder Hydromorphon, beides Opioide. Durch Drücken des Knopfes wird eine vorher festgelegte Menge des Medikaments direkt in die Vene abgegeben. Die Wirkung setzt dann schnell ein. Damit sich niemand selbst überdosiert, ist eine „Sperre“ eingebaut: „Wir stellen ein bestimmtes Zeitintervall ein, in dem kein Opioid fließen darf“, erläutert Dieter Märkert. „Drückt die Patientin oder der Patient innerhalb dieses Fensters erneut, wird trotzdem kein Wirkstoff abgegeben.“ Um die Opioiddosis möglichst gering zu halten, kombinieren die Schmerzexpertinnen und -experten des ASD sie in der Regel mit anderen Wirkstoffen, etwa Paracetamol oder Novalgin (s. Kasten). „Eine andere Form der Schmerzlinderung ist der Schmerzkatheter. Dabei erhält die Person ein Medikament über einen dünnen Schlauch – im Gegensatz zur Pumpe fließt es hier allerdings kontinuierlich und nicht bei Bedarf“, so Dr. Böswald. Wo der Schmerzkatheter angelegt wird, ist abhängig davon, welche Körperregion betäubt werden soll. So kann der Katheter etwa im Nervengeflecht 18 | Titel

eines Arms oder Beins eingebracht werden (Plexusanästhesie). In manchen Fällen ist die Periduralanästhesie (PDA) eine Option. Sie wird gern bei Frauen während der Geburt eingesetzt, aber auch bei Menschen mit anderen akuten Schmerzen. Je nach Einstichstelle betäubt die PDA die Beine oder auch Becken, Bauch und Brustkorb. Bei einer PDA wird die Signalübertragung der Rückenmarksnerven durch Einspritzen eines Wirkstoffs unterbunden und Nervensignale gelangen nicht mehr zum Gehirn. Durchbeißen oder drücken? Doch wie viel Schmerz darf sein? „Generell gilt, dass die Beschwerden auf einer Skala von null bis zehn im Idealfall nicht höher als drei bis vier in Ruhe und bei Belastung maximal bei fünf liegen sollten“, weiß Dieter Märkert. „Alles darüber sollten wir behandeln – Patientinnen und Patienten müssen wirklich nicht alles aushalten!“ Deswegen überprüft das ASD-Team auch regelmäßig die Schmerzintensität: Ist die Schmerzpumpe noch nötig? Muss das Zeitintervall verringert oder die Abgabemenge pro Drückvorgang angepasst werden? „Wir arbeiten dabei mit Selbsteinschätzungsbögen und bei Kindern und kognitiv Eingeschränkten zusätzlich mit einer Fremdeinschätzung, um einen möglichst aussagekräftigen Eindruck zu erhalten“, so der Fachkrankenpfleger. Dieter Märkert holt heute die Schmerzpumpe von Silas P. ab. Der 16-Jährige wurde vor zwei Tagen operiert, weil er seit seiner Geburt an einer sogenannten Trichterbrust litt: Seine Brustwand war nach innen verformt, ähnlich einem Trichter. Seine Schmerzen stuft der junge Patient aktuell lediglich bei eins bis zwei ein. „Wegen meiner Erkrankung taten mir oft Brust und Rücken weh. Außerdem war ich beim Atmen eingeschränkt“, berichtet Silas P. Bereits vor der Operation war klar, dass er im Anschluss eine Schmerzpumpe bekommt, um seine Beschwerden selbstständig in Schach halten zu können. „Schon allein die Tatsache, dass ich wusste, ich kann das Schmerzmittel selbst kontrollieren, hat mir Sicherheit gegeben. Tatsächlich wollte ich ganz lange bewusst keine OP, weil ich Angst vor den Schmerzen danach hatte. Im Nachhinein bin ich froh, dass ich mich für den Eingriff entschieden habe“, fasst der Jugendliche zusammen. Silas P. brauchte die Schmerzpumpe (Gerät unten) nach seiner Trichterbrust-OP nur wenige Tage. Akut oder chronisch? Akute Schmerzen haben eine Warn- und Schutzfunktion. Sie dauern wenige Sekunden bis mehrere Wochen an und haben einen klaren Auslöser – etwa eine Hüft-OP. Behandelt wird die Schmerzursache. Im Gegensatz dazu sind Beschwerden chronisch, sobald sie über Monate oder sogar Jahre hinweg auftreten. Die Warnfunktion des Schmerzes ist nicht mehr gegeben. Behandelt wird nicht die Ursache, sondern der Schmerz selbst. Die Übergänge sind fließend. Tumorschmerzen lassen sich nicht klar in eine der beiden Kategorien einordnen. | 19 Titel

Das Tier in dir Reportage 20 | Auge in Auge: Schafe sind sehr sanft und sozial. Sie können u. a. Glück, Langeweile, Angst und Wut empfinden. Die Tiere merken sich die Gesichter von mindestens 50 Artgenossen und 10 Menschen für zwei Jahre oder länger.

THERAPIE MIT TIEREN In der Ruhe des Waldes warten tierische Therapeuten auf menschlichen Besuch. Hier, auf der Umweltstation Jugendfarm, finden Begegnungen statt, die Lebenswege verändern können. VON FRANZISKA MÄNNEL Auf einem Kärtchen notiert Patientin Maria Pohl* ihre Ziele für den heutigen Vormittag: Sie möchte sich entspannen, vielleicht etwas Neues ausprobieren. Wenn ihre Gedanken hin zu ihrem Bruder und ihremVater driften, sei sie oft angespannt, berichtet die junge Frau. Fachärztin Dr. Judith Walloch von der Psychiatrischen und Psychotherapeutischen Klinik des Uniklinikums Erlangen schlägt eine „tierische“ Achtsamkeitsübung vor. Sie führt Maria Pohl an der Feuerstelle vorbei, an der gerade eine Grundschulklasse verschiedene Baumblätter studiert. Vorbei am Hühnerstall und an den Kaninchen, die zwischen Freigehege und Schutzhütte hin und her hoppeln. Schließlich betreten Judith Walloch und ihre Patientin das Areal für die erste Übung: Hier steht Greta – ein weißes Schaf mit schwarzem Gesicht und ebenso schwarzen Ohren. „Versuchen Sie einfach, drei Minuten lang im Moment zu sein. Wenn Sie merken, dass Sie gedanklich wieder bei Ihrem Bruder landen, holen Sie sich zurück ins Hier und Jetzt“, instruiert Judith Walloch. „Die Zeit läuft“, sagt sie und startet ihre Handystoppuhr. Ruhig steht die Patientin nun neben Greta und streichelt sie vorsichtig an Kopf und Rücken. Begegnungen wie Medizin Das Schaf steht still und genießt. In einigen Metern Abstand geht Judith Walloch neben einem Haufen zersägter Birkenstämme in die Hocke und beobachtet die Szene. Schafe haben einen ruhigen und friedvollen Charakter, weshalb sie sich gut für die tiergestützte Therapie eignen. Aber auch andere Haustiere erlauben heilsame Erfahrungen. Um diese erlebbar zu machen, nimmt Dr. Walloch ihre erwachsenen Patientinnen und Patienten → Biophi l ie . . beschrei bt das Bedürfnis des Menschen, sich mi t anderen Formen des Lebens (Tiere, Natur) zu verbinden. Schon Babys interessieren sich mehr für Tiere als für leblose Dinge. Achtsam sein: Drei Minuten lang im Augenblick verweilen und das weiche Schaffell spüren, mehr nicht. Dr. Walloch stoppt die Zeit. Viele Menschen sind im Umgang mit Tieren achtsamer und steuern ihre Körpersprache bewusster. | 21 Reportage

Fortsetzung von S. 21 regelmäßig mit auf die Umweltstation Jugendfarm im Erlanger Meilwald. Hier freuen sich neben Schafen auch Ziegen, Esel, Ponys, Kaninchen und Hühner über Gesellschaft. „Wir machen dieses freiwillige Angebot allen Patientinnen und Patienten unserer psychiatrischen Institutsambulanz, und es kommt sehr gut an“, sagt Dr. Walloch und betont: „Ein Tier kann ähnlich gut wirken wie Antidepressiva oder Blutdrucksenker oder den Effekt dieser Medikamente unterstützen.“ Tiere als Türöffner Die drei Minuten mit Greta sind um. „Es war schön, das Schaf zu streicheln“, resümiert Maria Pohl. „Ich habe mich ganz darauf konzentriert. Seit ich die Tiertherapie mache, spüre ich die unterschiedlichen Fellarten ganz extrem. Schaf, Esel, Hund – alle sind unterschiedlich.“ Ob Depressionen, Ängste, Traumata, Zwangsstörungen, Demenz oder Schizophrenie – die tiergestützte Therapie kann bei allen psychischen Beschwerden eingesetzt werden. „Tiere fordern uns auf, hier und jetzt präsent zu sein. Ein Pferd wendet sich zum Beispiel oft ab, wenn es merkt, dass sein Gegenüber nicht bei der Sache ist. So ein großes Tier zu führen, wie wir das hier manchmal im Rahmen von Spaziergängen machen, stärkt Selbstwirksamkeit und Vertrauen, und ich kann dabei zum Beispiel üben, Grenzen zu setzen“, erklärt Judith Walloch. „Die Tiere spiegeln mir meinen inneren Zustand“, hatte eine Teilnehmerin der Therapiegruppe einmal gesagt. Menschen mit Haustieren und Forschende beobachten, dass etwa Hunde eine Situation verlassen, wenn Ärger in der Luft liegt, und sich ihren Besitzern zuwenden, wenn diese Trost brauchen. Vierbeinige Begleiter können den Tag strukturieren und motivieren, etwa zu Bewegung an der frischen Luft. Außerdem minimieren sie Stress, senken den Puls und verbessern die Stimmung in einer Gruppe. Demenzkranken nehmen Tiere die Unruhe, bringen sie zum Lächeln und machen sie wieder zugänglicher. „Gerade für Menschen, die Traumatisches erlebt haben, die depressiv sind oder Schwierigkeiten haben, sich mit Worten auszudrücken, öffnen Tiere Türen“, erläutert Dr. Walloch. Sie streicht über Oles Ohren. Liegend lehnt der Schafbock an einem Zaun und erinnert mit seinem weißen Kopf und den großen schwarzen Ringen um die Augen etwas an einen Panda. „Tiere erlauben eine nonverbale Kontaktaufnahme, lassen sich berühren und stellen so Nähe und Bindung her. Sie lassen uns das → Wünsche und Ziele: Was sich die Teilnehmenden von den Tierbegegnungen erhoffen, schreiben sie vorher auf. Danach wird ausgewertet, wie es lief. Patientenstimmen: „Hi lfreich war die Erfahrung, dass ein großes Tier meinem Wi l len fo lgt.“ „Mein Zie l: Vertrauen zu mir durch Vertrauen durch die Tiere.“ „Diese Art von Therapie kann man gut ins Leben übertragen.“ „Wenn ich mich auf das Tier konzentriere, kann ich kurzzei t ig al le Sorgen und Probleme vergessen.“ 22 | Reportage

| 23 Ponys, Esel, Ziegen, Hühner, Kaninchen, Katzen – auf der Umweltstation finden alle einen tierischen Vertrauten. Hunde und Schnecken In der Erlanger Psychiatrie kommen gelegentlich auch Therapiehunde und Achatschnecken zum Einsatz. Hunde spüren Stimmungen und verbessern die Gruppenatmosphäre. Die großen Achatschnecken eignen sich gut für Beobachtungsübungen, denn auch sie strecken den Kopf nur aus dem Haus, wenn sie sich in einer ruhigen und sicheren Umgebung wähnen. Reportage

24 | Fortsetzung von S. 22 Leben spüren“, sagt die Fachärztin und lächelt, während sie Ole betrachtet. Der Unterkiefer des Schafes bewegt sich rhythmisch im Kreis, während seine Zähne frische Brennnesseln zermalmen. Tiere berühren unsere Seele und können Emotionen oder Handlungen auslösen, die im Umgang mit Menschen manchmal nicht möglich sind. Einem Tier gegenüber zeigen sich Reaktionen oft ganz intuitiv, spontan und ungefiltert. „Es kann absolute Freude auslösen, wenn eine Katze aus freien Stücken zu mir kommt oder mir ein Kaninchen aus der Hand frisst“, sagt Judith Walloch. Ebenso unmittelbar können sich aber auch Enttäuschung oder Ärger zeigen, wenn der Tierkontakt nicht so läuft wie erhofft. Auch hieraus gewinnen Therapeutinnen und Therapeuten wichtige Erkenntnisse. Selbst etwas geben „So, jetzt gehen wir mal rüber zu den Ponys“, richtet sich Dr. Walloch an ihre Patientin. Interessant ist, wer sich auf der Jugendfarm welches tierische Gegenüber aussucht: Scheut jemand Herausforderungen und wählt deshalb ein besonders folgsames Tier? Oder möchte die Person mit einem weniger kooperativen Esel Mut beweisen? Maria Pohl soll sich nun für eines der Pferde entscheiden: die besonnene Jerma, den eher frechen Guus oder den aufmerksamen Fengur. Die zurückhaltende junge Frau wählt Jerma. Judith Walloch führt das Pony an einem Strick aus dem eingezäunten Bereich hinaus auf den Vorplatz. Der Kopf des hellbraunen Tieres reicht der Patientin bis zur Schulter. Die Ärztin, die selbst ein Pferd hat, demonstriert nun, wie die Mähne gebürstet und das Fell gestriegelt wird. Behutsam streicht Maria Pohl mit einer Bürste über Jermas Flanke und Hüfte. „Gut so“, bekräftigt sie die Therapeutin. Dann entfernt sie sich einige Meter und lässt die Patientin einen Augenblick mit dem Pony allein. Abseits des Geschehens erklärt Judith Walloch: „Wenn ich ein Tier striegele, streichle oder füttere, kann ich selbst etwas geben. Ich erkenne, dass ich nicht nur bedürftig bin, sondern auch fürsorglich sein kann.“ Dann wendet sie sich an Maria Pohl: „Von hier aus kann ich sehen, dass Jerma die Augen geschlossen hat und die Berührung richtig genießt. Ihre Unterlippe zittert leicht – das macht sie immer, wenn sie total entspannt ist.“ Schließlich erläutert Dr. Walloch noch Ganz nah: Es ist wohltuend und therapeutisch wertvoll, nicht nur bedürftig zu sein, sondern auch etwas geben zu können, z. B. eine entspannende Striegelmassage. Gemeinsam anpacken: Eine hält, eine kratzt – im Team ist es oft einfacher, das Bein des Ponys anzuheben und seine Hufe zu putzen. Reportage

das Putzen der Hufe: wie man zuerst mit der Hand am Bein des Pferdes hinabfährt, ihm das Kommando „Huf“ gibt, das Bein abhebt und dann den Huf mit einem Auskratzer von Schmutz und Steinen befreit. Als der Fuß bei Maria Pohl partout nicht abheben will, hilft ihr Judith Walloch. „Zack! Da haben wir das Bein. Jetzt können Sie halten und ich kratze. Dann wechseln wir.“ Maria Pohl, die eigentlich immer nervös ist, wenn sie neue Aufgaben bewältigen soll, kommt am Ende der Einheit zu dem Schluss: „Ich war ruhig, weil das Pferd ruhig war.“ Von der Farm ins Leben „Die Patientinnen und Patienten erlangen durch die Therapie neues Selbstbewusstsein, bauen Ängste ab, finden Ablenkung, Entspannung, aber auch Sinn. Manche erkennen, wie gut ihnen ein Tag in der Natur und mit Tieren tut, und sie begeben sich danach öfter in solche Situationen. Andere schaffen sich sogar selbst ein Tier an“, fasst Judith Walloch zusammen. Nach den Tierbegegnungen gilt es, die gemachten Erfahrungen aufs Leben anzuwenden. Die positiven Erlebnisse, die Maria Pohl jetzt in der nachträglichen Reflexion noch einmal auf ein Kärtchen schreibt, darf sie sich nun zu Hause an den Kühlschrank oder an die Pinnwand heften. „Damit Sie sich an den heutigen Tag erinnern und daran, wie Sie bestimmte Situationen gemeistert haben“, ermutigt sie Dr. Walloch. Nächsten Montag will Maria Pohl wieder mit in den Meilwald kommen, um Ole, Greta und Jerma zu begegnen – und ein Stück weit auch sich selbst. *Name von der Redaktion geändert Fachärztin Dr. Judith Walloch (im Bild) entwickelte das Jugendfarm-Angebot „Kontakt und Begegnung mit Tieren und der Natur“ zusammen mit Ergotherapeutin Maria Feuerstake von der Psychiatrie des Uniklinikums Erlangen. Unterstützt werden die beiden von Fachpflegekraft Sandra Wagner. Soziale Kompetenz Die Gruppentherapie für Psychiatriepatientinnen und -patienten des Uniklinikums Erlangen findet seit 2017 auf der Jugendfarm statt. Mit dabei sind im Durchschnitt fünf Personen. So sind auch Übungen in Kleingruppen möglich, die die soziale Kompetenz schulen. Gutscheine gewinnen Esel-Workshop, Lagerfeuerabend, achtsame Entdeckungstour, Pony-Kurs oder Generat ionen-Café 60+: Das Jugendfarm-Programm ist bunt. Wir verlosen zwei Gutscheine à 25 Euro (S. 61). Reportage | 25

Wenn der Zyklus unglücklich macht 26 | Medizin

SPRECHSTUNDE Manche Frauen haben vor der Periode nicht nur körperliche Beschwerden wie Bauchkrämpfe oder ein Ziehen in der Brust, sondern sind zusätzlich ängstlich, depressiv oder extrem gereizt. Was hinter der prämenstruellen dysphorischen Störung (PMDS) steckt, erklärt Dr. Sophia Antoniadis. INTERVIEW VON ALESSA SAILER Medizin | 27

Frau Dr. Antoniadis, wie viele Frauen haben eigentlich kurz vor Eintreten ihrer Periode körperliche oder seelische Beschwerden? Ich würde sagen, etwa die Hälfte der Frauen bemerkt die Hormonschwankung innerhalb ihres Zyklus und nimmt kurz vor der Monatsblutung z. B. Spannungsgefühle in der Brust, Bauchkrämpfe, Gewichtszunahme, unreine Haut, Kopfschmerzen, Müdigkeit oder Kreislaufprobleme wahr. Für viele gehören diese Beschwerden zur Periode dazu und sie würden sie nicht gleich dem prämenstruellen Syndrom (PMS) zuordnen. Von PMS sprechen wir, wenn die Frauen aufgrund der Symptome in ihrem Leben eingeschränkt sind, zum Beispiel regelmäßig Schmerztabletten nehmen oder sich krankmelden müssen. Was unterscheidet PMS von der prämenstruellen dysphorischen Störung, also PMDS? Bei PMDS kommt zu den körperlichen Beschwerden eine psychische Komponente. Das können zum Beispiel Schlafstörungen, Niedergeschlagen- heit, Angstzustände, Konzentrationsschwierigkeiten oder depressive Verstimmungen sein, aber auch Wutausbrüche oder eine Kombination daraus. Heißt das, wer vor der Periode gereizt ist, hat PMDS? Nein, nur etwa zwei bis acht Prozent der Frauen im gebärfähigen Alter sind vom PMDS betroffen. Die Symptome sind bei PMDS-Betroffenen deutlich stärker ausgeprägt als bei anderen Frauen vor der Periode. Oft fühlen sich die Patientinnen von ihren Gefühlen übermannt, so als könnten sie sich selbst nicht mehr kontrollieren. Das ist keine bloße Gereiztheit mehr, wie sie viele von den Tagen vor der Periode kennen. Woher wissen Ärztinnen und Ärzte, dass betroffene Frauen an PMDS leiden und nicht an einer psychischen Erkrankung wie einer Depression oder einer Angststörung? Gynäkologinnen und Gynäkologen arbeiten bei der Anamnese mit Fragebögen und – ganz wichtig – mit einem Zyklustagebuch. Die Frauen sollen dort eintragen, an welchen Tagen sie bestimmte Beschwerden haben und in welcher Intensität. Anhand dessen lässt sich deutlich ablesen, ob sie regelmäßig zum Ende des Zyklus auftreten oder über den ganzen Monat hinweg. Bei PMDS treten die Beschwerden ausschließlich einige Tage vor der Blutung auf und verschwinden mit Einsetzen der Menstruation. Das bedeutet, PMDS wird anhand von Angaben diagnostiziert, die die betroffene Frau macht? Genau, die Diagnose wird nicht anhand von Blutwerten oder Ähnlichem gestellt. Ist der Zyklus nicht regelmäßig, ist zusätzlich eine Hormonbasisanalyse empfehlenswert. Was sind die Ursachen von PMDS? Ähnlich wie bei PMS wird vermutet, dass eine Dysbalance zwischen den Hormonen im zentralen Nervensystem und den Sexualhormonen den Stimmungsumschwung auslöst. Weil Frauen mit PMDS eine höhere Hormonsensitivität aufweisen, reagieren sie stärker auf das HormonungleichgeWei l Frauen mit PMDS eine höhere Hormonsensitivität aufweisen, reagieren sie stärker auf das Hormonungleichgewicht als andere. Dr. Sophia Antoniadis Dr. Sophia Antoniadis ist Oberärztin an der Frauenklinik des Uniklinikums Erlangen und Koordinatorin des hiesigen Endometriosezentrums. 28 | Medizin

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