Gesundheit erlangen - Frühling 2023

Fortsetzung von S. 51 Wie lassen sich Zwangsstörungen behandeln? Bei den Zwangshandlungen zielt die Therapie darauf ab, dass diese unterbleiben. Das heißt: Eine Betroffene muss es aushalten, Oberflächen zu berühren, etwa den Stuhl im Therapieraum, ohne sich sofort die Hände zu waschen. Gedanken sollen zu Ende gedacht werden: Was passiert, wenn das Kind mit dem Messer verletzt wurde? Es liegt da in einer Blutlache. Der Mann ist entsetzt über die abscheuliche Tat. Die Polizei kommt, es gibt einen Gerichtsprozess, die Täterin kommt ins Gefängnis. Es geht also um die Konfrontation. Ja. Es kommt darauf an, nicht auszuweichen oder sich abzulenken, sondern sich negativen Gefühlen auszusetzen. Das ist ein Bestandteil der kognitiven Verhaltenstherapie und nennt sich Exposition. Wenn ich das Waschen unterlasse oder die Gedanken weiterdenke, entsteht Angst. Diese Angst muss ich zulassen und durchleben, um nach einer gewissen Zeit festzustellen, dass sie wieder abflaut und dass gar nichts passiert. Ich habe weder jemanden verletzt, noch hat es mich umgebracht, mich nicht zu waschen. Wenn sich die Betroffenen darauf einlassen, sind Zwangsstörungen gut behandelbar. Je früher etwas unternommen wird, desto besser, denn Zwänge neigen zur Chronifizierung. Am besten ist eine heimatnahe Therapie, damit zu Hause geübt werden kann. Gibt es gegen Zwänge auch Medikamente? Die kognitive Verhaltenstherapie ist der Goldstandard. Sie wird auch in der entsprechenden S3-Leitlinie empfohlen. Wenn die Erkrankung das Leben sehr beeinträchtigt, setzen wir ergänzend dazu auch Antidepressiva ein – und zwar sogenannte SerotoninWiederaufnahmehemmer. Diese müssen länger und höher dosiert eingenommen werden als zum Beispiel bei einer Depression. Wie sollten sich denn die Angehörigen von Betroffenen verhalten? Wir binden sie üblicherweise in die Therapie mit ein. Sie sollten die Zwangshandlungen nicht unterstützen, sondern eher darauf hinwirken, dass sie unterbleiben. Bei bedrohlichen Zwangsgedanken versuchen Angehörige oft intuitiv, die Betroffenen zu beruhigen. Das bedeutet aber Vermeidung statt Exposition: Die oder der Erkrankte muss dann nicht zu Ende denken und wird von außen entlastet. Welche Menschen entwickeln Zwangsstörungen? Was wissen Sie über Risikofaktoren? Es ist eigentlich wie bei jeder Krankheit eine Mischung aus Veranlagung und Umwelteinflüssen. Die Frau mit dem Messerszenario bringt also vielleicht eine gewisse Veranlagung mit. Dazu kommt, dass sie zum Beispiel Ich muss die Angst zulassen, um nach einer gewissen Zei t festzuste l len, dass gar nichts passiert. Prof. Dr. Johannes Kornhuber Auf den zweiten Blick Menschen mit Zwangsstörungen bekommen vielfach erst nach Jahren adäquate Hilfe. Denn oft schämen sie sich selbst in der Therapie, über ihr befremdliches Denken und Tun zu sprechen. Häufig treten Zwangsstörungen gepaart mit Depressionen, Süchten und anderen Angststörungen auf und fallen deshalb manchmal erst auf den zweiten Blick auf. Kopfsache 52 |

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