Gesundheit erlangen - Frühling 2023

ZWÄNGE Sie waschen sich die Hände wund, treten nicht auf Fugen, kontrollieren immer und immer wieder, ob alle Stecker herausgezogen wurden, oder fürchten, anderen etwas anzutun. Zwangsstörungen sind extrem belastend und erfordern vor allem eines ... INTERVIEW VON FRANZISKA MÄNNEL Herr Prof. Kornhuber, was kennzeichnet eine krankhafte Zwangsstörung? Unter Zwangsstörungen verstehen wir Gedanken, Impulse oder Handlungen, die ablaufen beziehungsweise ausgeführt werden, ohne dass die betroffene Person das möchte. Sie will also etwas Bestimmtes nicht denken oder eine bestimmte Sache nicht tun, verspürt aber den inneren Zwang, es trotzdem machen zu müssen. Frauen und Männer sind gleich häufig davon betroffen. Meist tritt die Erkrankung erstmalig im jüngeren Erwachsenenalter auf. Welche Beispiele gibt es? Häufig sind Wasch- und Kontrollzwänge. Eine Person wäscht sich zum Beispiel unzählige Male am Tag die Hände, obwohl die Haut schon ganz wund ist. Die Zähne werden ex- trem lange geputzt, oder das Duschen muss nach den immer gleichen strikten Regeln ablaufen. Das kann dermaßen viel Zeit beanspruchen, dass es die gesamte Lebensführung stört. Steht eine Person, die übertrieben reinlich ist, automatisch im Verdacht, eine Zwangsstörung zu haben? Eben nicht. Es geht darum, was der Mensch denkt, während er die Handlung ausführt: Der Zahnarzt, der sich mehrmals am Tag die Hände wäscht und desinfiziert, findet das sinnvoll. Bei einer Zwangsstörung führt jemand etwas aber nur deshalb durch, weil er sich eine psychische Entlastung davon verspricht. Ängste – etwa vor der Kontamination mit Schmutz oder Keimen – und Druck sollen nachlassen. Aber die Entlastung ist dann nicht von Dauer. Genau. Die Person spürt durch die Zwangshandlung zwar eine kurze Erleichterung, muss ihr Ritual aber bald wiederholen. Das Ganze kann sich aber auch nur im Kopf abspielen – als Zwangsgedanken? Ja, und das sind meist furchtbare Gedanken – oft über tabuisierte Themen wie Gewalt oder Sexualität. Eine Mutter kann zum Beispiel den Gedanken haben, ihr Kind mit einem Messer zu verletzen. Andere denken daran, dass sie eine andere Person unsittlich berühren könnten. Das wird natürlich als sehr quälend empfunden, sodass dem schlimmen Gedanken ein neutralisierender entgegengesetzt wird. Die Mutter fängt dann also beispielsweise an, eine Rechenaufgabe zu lösen, die sie ablenkt. Könnte es denn sein, dass diese zwanghaften Gedanken in die Tat umgesetzt werden? Sie werden es nicht, aber genau davor haben die Betroffenen Angst. Sie versuchen deshalb, die Gedanken zu verdrängen. Sie wissen: „So etwas darf man nicht mal denken.“ Aber allein der Gedanke bedeutet absolut nicht, dass jemand etwas will oder gar umsetzen wird. Das zeigt ja auch die eigene erschrockene Reaktion auf die gedanklichen Bilder. → Prof. Dr. Johannes Kornhuber beschäftigt sich wissenschaftlich und in seiner Klinik u. a. mit Denkfehlern und Metakogni- tionen – also mit dem Nachdenken über das Denken. Gedanken . … sind nur Gedanken – keine Wünsche, Absichtserklärungen oder Vorhaben! | 51 Kopfsache

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