Gesundheit erlangen - Herbst 2023

| 35 Medizin KOLUMNE – KLEINE SP[R]ITZE Ärzte recherchieren, in der Schule anrufen, den Urlaub organisieren, Einkäufe planen, die kranke Mutter besuchen – alles keine große Sache. Oder? VON FRANZISKA MÄNNEL Kognitive „Kleinigkeiten“ „Nein, das ist Mental Load – da denkst du jetzt selbst dran“, rief letztens eine Kollegin einem Kollegen hinterher, nachdem der gesagt hatte: „Erinner mich noch mal dran.“ Großes Thema, dachte ich, und sehr selbstfürsorglich von ihr, schließlich hat sie aktuell beruflich und privat schon genug um die Ohren (bzw. zwischen den Ohren, nämlich im Kopf). Eine kurze Büroumfrage ergab, dass der Begriff „Mental Load“ aber bei Weitem nicht allen bekannt ist. Während die einen nur mit den Schultern zuckten, dachten die anderen spontan an den Namen einer Band und wieder andere an Techniken, mit denen sich die Psyche (energetisch) aufladen lässt. Jemand erklärte richtig: „Ich höre das öfter von meiner Frau: Es sind die Sachen, die man den ganzen Tag mit sich rumträgt. Es ist auch das Mitdenken für andere.“ Ein Beispiel: Das Kind wird zu einem Geburtstag eingeladen. Papa freut sich. Bei Mama ploppt eine To-do-Liste auf: Familienkalender checken und ggf. umorganisieren, Geschenk besorgen (Was mag das befreundete Kind? Was haben wir letztes Jahr geschenkt? Brauchen wir Geschenkpapier?), Bringen und Abholen regeln, Erlaubnis für die Trampolinhalle ausfüllen, Wechselsachen mitgeben … All das ist Teil ihrer Mental Load – ihrer unsichtbaren Verantwortung. Wie das Beispiel verdeutlicht, fällt der Begriff oft in Zusammenhang mit Geschlechterrollen und der gerechten Aufteilung von alltäglichen (Haushalts-)Aufgaben. Daneben gibt es Mental Load auch im beruflichen Kontext. Das Konzept umfasst also die gesamte psychische Arbeit, die eine Person in ihrem Leben bewältigen muss – alles, was es zu planen, zu koordinieren und zu priorisieren gilt. All die offenen Tabs im Gehirn. Frauen sind hierdurch nachweislich mehr belastet – weil sie zusätzlich zum Job meist auch das Beziehungs- bzw. Familienleben organisieren. Ihnen fallen diese kognitiven Aufgaben wie selbstverständlich zu; gewürdigt werden sie selten. „Ist ja toll, dass sich deine Frau Rezepte überlegt, an den Einkauf denkt und kocht“ ist ein sehr unwahrscheinlicher Satz. „Ist ja toll, dass sich dein Mann Rezepte überlegt, an den Einkauf denkt und kocht“ ein wahrscheinlicher. „Nicht der Rede wert“, wenn sie das macht, „besonders fürsorglich“, wenn er es macht. Doch ein einkaufslistenschreibender Mann muss im Jahr 2023 ebenso wenig bejubelt werden wie eine Frau, die einen Siphon abmontiert oder den Reifendruck ihres Autos überprüft. Sich informieren, mitdenken, erinnern, Beziehungen pflegen – das ist größtenteils noch immer die kognitive Sorgearbeit von Frauen. Die vielen kognitiven „Kleinigkeiten“ („das bisschen Haushalt“) können sich zu einer Last summieren, die erschlägt und erschöpft. Doch es ist schwer, Nein zu sagen und andere zu enttäuschen – angesichts von Verhaltensweisen, die seit vielen Jahrzehnten gesellschaftlich so erwartet werden, paradoxerweise auch von den Frauen selbst, die das „SichKümmern“ unterbewusst verinnerlicht haben und in vorauseilendem Gehorsam noch immer erfüllen. Weil man geistige Arbeit nicht sieht, hat sie in der Gesellschaft nicht den gleichen Stellenwert wie andere Tätigkeiten. Deshalb sollten wir Mental Load sichtbar machen. Für den häuslichen Bereich geht das z. B. mit einem Test der Initiative Equal Care (s. u.). „Du denkst da jetzt selbst dran“ – der Satz meiner Kollegin – war jedenfalls ein super Anfang. Was halten Sie vom Konzept Mental Load? Wie und wo begegnet es Ihnen? E-Mail: franziska.maennel@uk-erlangen.de Mental-Load-Test www.mental-load-test.org

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