| 37 Medizin KOLUMNE – KLEINE SP[R]ITZE Manche Nahrungsmittel sind vom Aussterben bedroht – weil sie mit veränderten Ernährungsgewohnheiten nicht mithalten können und weil ihnen die Käufer ausgehen. VON FRANZISKA MÄNNEL „Dauermilch, du dauerst mich!“ Milch und Zucker. Diese zwei Wörter reichen aus, damit viele junge Menschen die Augen aufreißen. Zucker? Ungesund! Kuhmilch – ungesund und unethisch! Kondensmilch enthält oft beides. Damit ist sie der Inbegriff eines Retro-Konsumverhaltens, dem immer mehr Jüngere abschwören. Zumindest gilt das für die Millenials (ab 1981) und noch mehr für die Generation Z (ab 1997). Einer 2024 veröffentlichten Studie des Marktforschungsinstituts Consumer Panel Services GfK zufolge könnte die Kondensmilch und auch die artverwandte Kaffeesahne deshalb bald aussterben. Weil nämlich nur noch Wiederaufbauerinnen und Babyboomer sie kaufen und weil mit diesen Generationen auch der dickflüssige Kaffeezusatz verschwinden könnte. Neben dem Filterkaffee war die Kondensmilch jahrzehntelang wohl beinahe in jedem Haushalt zu finden. Sie verbreitete Gemütlichkeit, stand für Pragmatismus und Beständigkeit, war sie doch ursprünglich, Mitte des 19. Jahrhunderts, als haltbare Milchvariante für Soldaten und Seefahrer entwickelt worden. Eine alles überdauernde, cremige Flüssigkeit, die ohne Kühlschrank auskam. Eine zuverlässige Alternative, wenn es keine Frischmilch gab. Doch heute gewinnt man mit tierischem Fett und Zucker keinen KlimaBlumentopf mehr und überzeugt auch keinen Ernährungsdoc. Deshalb stehen Kaffeesahne und Kondensmilch immer seltener auf unseren Tischen. Und findet der suchende Blick die kleine Dose oder Glasflasche eines Tages gar nicht mehr, heißt das, dass auch unsere Großeltern oder Eltern nicht mehr mit am Tisch sitzen. Stattdessen nimmt die Nostalgie Platz, die Erinnerung an Omas warme Küche, in der man stets wusste: Alles ist wie immer, alles hat hier seinen Platz, ich muss mich für nichts entscheiden, denn alles steht schon fest. Jetzt sind die Zeiten andere, die Multimilchgesellschaft ist längst da. Die Kondensmilch geht unter. Und wir treiben in einem Meer aus Milchalternativen. Rette sich, wer kann – in den sicheren Hafermilchhafen. Von flüssig noch kurz zu fluffig: Wussten Sie, dass ausgerechnet ein Zahnarzt die Zuckerwatte erfand? Die klebrige Süßigkeit erinnert an Kindheit, Volksfeste und eine Zeit, in der einem gesunde Zähne und ein angemessenes Körpergewicht noch herzlich egal waren. Hauptsache süß! Ich meine: geschmolzener, gefärbter, zu wolkigen Schwaden verwirbelter und wieder eingefangener Zucker! Zuckerwatte wollte aber auch nie etwas anderes sein – nicht vollwertig, nicht nahrhaft, nicht ansatzweise gesund. Zumindest diese Ehrlichkeit muss man ihr zugutehalten. Anders bei diversen Schokoriegeln, die „extra viel Milch und Kalzium“ versprechen. Die einzige Mission der Zuckerwatte ist es, Hände, Haare und Gesichter von Millionen Kindern zu verkleben und ihnen dann das Dopamin durch den Kopf zu jagen. Die süße Watte wird wohl so bald nicht verschwinden. Denn jedes neue Kind wird sie aufs Neue lieben. Die Kondensmilch hingegen ist ein Auslaufmodell. Ich werde ihr Schicksal weiterverfolgen – zum Beispiel, wenn ich demnächst bei meiner Oma wieder meine Packung Hafermilch neben ihr Kännchen mit Kondensmilch stelle. Die in den 1920erJahren Geborene wird ihr kulinarisches Erbe weiter hochhalten und nie zulassen, dass ihr etwas anderes als Kondensmilch in den Kaffee kommt. Erführe sie, wie schlecht es um die alte Dame der Milchgetränke steht und welche Zukunft ihr vorausgesagt wird (nämlich keine), würde meine Oma wohl sagen: „Dauermilch, du dauerst mich!“ Trinken Sie (noch) Kondensmilch oder Kaffeesahne? Wie finden Sie den Hafermilch-Hype? franziska.maennel@uk-erlangen.de
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