Gesundheit erlangen - Sommer 2022

| 51 Aber manche Dinge können wir einfach nicht kon- trollieren. Prof. Kornhuber: Genau. Ich kann nur kontrollieren, was in meinem Einflussbereich liegt. Ich kann zum Beispiel für Kriegsopfer spenden oder Geflüchtete aufnehmen. Aber es gibt auch immer das Unveränderliche. Und wenn ich erkenne, dass ich ein Problem nicht beeinflussen kann, hilft nur radikale Akzeptanz – die Dinge so anzunehmen, wie sie sind. Das hat schon der Philosoph Seneca vor 2.000 Jahren gewusst. Aber oft wollen wir etwas einfach nicht annehmen und kämpfen weiter dagegen an. Prof. Kornhuber: Ja, aber diese Zeit, in der ich mich aufreibe, fehlt mir doch am Ende des Lebens. Die verbringe ich doch besser mit guten Gesprächen, mit der Pflege meiner Beziehungen und Hobbys. Ich kann mich in dieser Zeit ummeine Gesundheit kümmern, ausreichend schlafen, zur Vorsorge gehen oder Sport treiben. Zurück zu den Denkfehlern: Welchen fallen wir denn noch zum Opfer? Prof. Kornhuber: Wenn heute ein Terroranschlag verübt wird, dann bekommen wir das mit. Wenn keiner passiert – wenn also alles gut ist –, dann fällt uns das nicht auf. Das Positive, die Abwesenheit des Schlechten, sehen wir nicht. Das nennen wir Feature-Positive-Effekt. Außerdem gibt es den Bestätigungsfehler: Wir konsumieren immer nur die Nachrichten, die unsere eigenen Annahmen und Einstellungen bestätigen. So, wie Menschen, die Corona leugnen, ganz gezielt nur die Kanäle nutzen, die ihre Weltsicht widerspiegeln… Prof. Kornhuber: Das wäre ein Beispiel. Dazu kommt der Verfügbarkeitsfehler. Das heißt: Man berücksichtigt nicht die gesamte Fülle an Nachrichten, sondern nur das, was man kürzlich gelesen hat und was noch im Gedächtnis präsent ist. Basierend darauf fällt man sein Urteil. Weiterhin gibt es die Fokussierungsillusion: Wenn ich mich einmal auf etwas eingeschossen habe und intensiv darüber nachdenke, kommt es mir unheimlich wichtig vor. Aber die Welt ist groß, und nichts ist so wichtig, wie es scheint, während ich darüber nachdenke. Ab wann ist denn psychologische oder ärztliche Hilfe ratsam? Prof. Kornhuber: Wenn jemand selbst oder die Umgebung darunter leidet. Es kann zum Beispiel eine Beziehung sehr belasten, wenn die Partnerin oder der Partner immer nur negative Gedanken äußert. Und was können wir selbst tun, um wieder zufriedener und positiver auf die Welt zu blicken? Prof. Kornhuber: Das eine ist die schon erwähnte radikale Akzeptanz, wenn ich erkenne, dass ich die Realität nicht verändern kann. Außerdem empfehlen wir unseren Patientinnen und Patienten ein Positiv-Tagebuch. Jeden Tag schreibe ich da drei Dinge rein, für die ich dankbar bin. Das hilft, die Blickrichtung zu ändern. Auch ganz wichtig ist die Werteaffirmation: Ich mache mir bewusst, wofür ich stehe und wie ich mein Leben gestalten will. Dabei sehe ich mir alle meine Rollen an: Was möchte ich als Angestellte, als Lebenspartner, als Kind oder Elternteil? Vielleicht ist es mir besonders wichtig, mich um meine Kinder zu kümmern, meine Arbeit gewissenhaft zu erledigen oder mich fit zu halten. Das aufzuschreiben, hilft enorm, sich auf das wirklich Wichtige zu konzentrieren. Und Katastrophenmeldungen bringen uns dann nicht mehr aus der Ruhe? Prof. Kornhuber: Mithilfe eines Wertekompasses können wir neue Gewohnheiten entwickeln – uns zum Beispiel mehr um unsere Beziehungen kümmern oder Sport treiben. Schlechte Gewohnheiten, wie das permanente Nachrichtenlesen am Smartphone, geraten dann automatisch in den Hintergrund. So finden wir wieder mehr Sicherheit in uns selbst, auch wenn die Welt da draußen unkontrollierbar ist. Kopfsache

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