Gesundheit erlangen - Sommer 2022

■ Herzen aus dem 3-D-Drucker ■ Künstliche Intelligenz gegen Krebs ■ Neue Wege in der Demenzdiagnostik Krieg und Krisen Zuversicht in schweren Zeiten Essen fürs Herz Von Schokolade bis Kaffee Mehr als nur erschöpft Leben mit ME/CFS – eine Patientin berichtet Bl ick in die Zukunft Erlangen | ER | www.ge Das kostenlose Magazin des Uni-Klinikums sundheit-erlangen.com | Sommer 2022

| 3 Wie geht es weiter? Was bringt die Zukunft? Welcher Weg ist der beste? Im Kopf das durchzuspielen, was passieren könnte, ist eine zentrale menschliche Fähigkeit. Zukünftiges mental zu simulieren, bestimmt unser Handeln im Hier und Jetzt. So lassen sich auch Forschende, Ärztinnen und Ärzte in Erlangen von ihren Visionen antreiben – von dem, was in der Medizin einmal möglich sein soll. Künstliche Intelligenz (KI) ist ein Bereich, in dem sie die Zukunft vermuten – so auch Dr. Florian Putz von der Strahlenklinik des Uni-Klinikums Erlangen. Der Oberarzt bringt künstlicher Intelligenz bei, Tumoren anhand von Bilddaten zu klassifizieren und vorherzusagen, wie der Krebs auf bestimmte Therapien anspricht (S. 8). KI kann Ärztinnen und Ärzte sinnvoll unterstützen, doch wie jede neue Technologie ruft auch sie Zweifel und Ängste hervor. Dr. Putz erklärt, warum der Nutzen überwiegt. Mit Zukunftsängsten kennt sich auch Psychiater Prof. Dr. Johannes Kornhuber bestens aus, denn seine Patientinnen und Patienten äußern diese immer häufiger. Corona, Krieg, Inflation – die Welt wird vermeintlich immer düsterer. Welche Denkfehler dieser Annahme zugrunde liegen und warum es Anlass zur Zuversicht gibt, erklärt Johannes Kornhuber im Interview (S. 48). Hoffnung muss sich auch Dr. Ute Meck bewahren, die an ME/CFS erkrankt ist und einer ungewissen Zukunft entgegensieht. Uns hat sie ihre Geschichte erzählt (S. 32). Wir haben keine Glaskugel, um die Zukunft vorherzusagen. Doch wir geben Ihnen einen Rat mit auf den Weg, den stoische Philosophen schon vor 2.000 Jahren befolgten und der für immer wahr bleiben wird: Gestalten und verändern Sie, was Sie beeinflussen können, und akzeptieren Sie das, was nicht in Ihrer Macht steht – und Sie werden der Zukunft gelassener begegnen. Und nun wünsche ich Ihnen viel Freude in der Gegenwart und beim Lesen dieser Ausgabe! Balanceakt Zukunft made in Erlangen Editorial Ich freue mich schon darauf, diesen Sommer wieder meine Slackl ine zwischen zwei Bäume zu spannen und mich in Gleichgewicht und Konzentrat ion zu üben. Auf S. 56 lesen Sie mehr zum Trendsport, auf S. 61 können Sie se lbst eine von drei Slackl ines gewinnen! Franziska Männel, Chefredakteurin von „Gesundheit erlangen“

4 | MEHR ALS ERSCHÖPFT Dr. Ute Meck hat eine Stunde in aufrechter Haltung pro Tag, die restliche Zeit liegt sie, abgeschottet von Geräuschen und Licht. 32 Themen dieser Ausgabe 3 Editorial NEUES AUS DEM UNI-KLINIKUM 6 Neuer Leiter der Kinderherzchirurgie Adipositas bewältigen 7 BZKF berät krebskranke Geflüchtete KI erkennt Arthritis TITEL 8 Radiomics in der Strahlentherapie Ich sehe was, was du nicht siehst 12 Künstliche Organe Herzen aus dem 3-D-Drucker 16 Demenz erkennen und behandeln Wie sieht unsere Zukunft aus? FEATURE 18 Polytrauma „Wir forschen, damit Sie überleben“ MEDIZIN 22 Medikamentencheck Pharmazeutische Aufnahme vor der OP 24 Ukraine Hilfe fernab der Heimat 28 Medien Grüner wirds doch! 30 Mittel der Wahl Spitzwegerich 31 Kleine Sp(r)itze – Kolumne Überschätzte Lebensmittel MENSCHEN 32 Meine Geschichte Leben mit ME/CFS 36 Was macht eigentlich ... ... ein Fachinformatiker für Systemintegration? 40 Zwei Seiten von Fachkrankenpfleger Stefan Zierhut

| 5 EIN HERZ WIE GEDRUCKT In der Nephropathologie des Uni-Klinikums Erlangen arbeiten Prof. Engel und sein Team daran, funktionsfähige Organe zu drucken. 12–15 NEGATIVE GEDANKEN Sind die Aussichten ausnahmslos düster, oder müssen wir einfach unsere Perspektive ändern? 48 Themen dieser Ausgabe Video Weiterführende Informationen Kontaktaufnahme Persönlicher Kontakt zur Redaktion ERNÄHRUNG 42 Mund auf! Sanddorn 44 Gesund genießen Homemade Hummus 46 Essen fürs Herz Von Schokolade bis Kaffee KOPFSACHE 48 Corona, Krieg und Katastrophen Wie wir düstere Gedanken loslassen ERFORSCHT UND ENTDECKT 52 Wunsch nach Gendermedizin 53 Chirurgie: Operation Virtuelle Realität HNO-Heilkunde: Therapietreue im Schlaf 54 MRT-Forschung | vhs-Sommerprogramm MEINE GESUNDHEIT 55 Kinderärztin Dr. Chara Gravou-Apostolatou AKTIV LEBEN 56 Slackline Balanceakt im Grünen ZUM SCHLUSS 60 Gemeinsam kreativ 61 Rätsel | Gewinnspiel 62 Impressum | Vorschau

6 | Neues aus dem Uni-Klinikum Erlanger Forschende untersuchen Entzündungen im Fettgewebe Übergewicht und Fettleibigkeit erhöhen das Risiko, an Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und bestimmten Arten von Krebs zu erkranken. Einen Faktor, der möglicherweise die Entstehung von Adipositas begünstigt, haben jetzt Forschende um Dr. Christian Schwartz, Arbeitsgruppenleiter im Mikrobiologischen Institut – Klinische Mikrobiologie, Immunologie und Hygiene des Uni-Klinikums Erlangen, und vom Trinity College Dublin (Irland) entdeckt. Sie untersuchten, wie Immunzellen im Fettgewebe zusammenarbeiten und wie durch eine fehlgesteuerte Immunantwort Entzündungen entstehen, die wiederum zu einer krankhaften Gewichtszunahme führen. Die Arbeit des Konsortiums zeigt, wie das bessere Verständnis für die Mechanismen des Körpers und speziell für die Regulierung von Entzündungen im Fettgewebe hilft, neue Wege zur Bewältigung von Adipositas zu finden. Adipositas bewältigen Herzspezialist wechselt von Oldenburg nach Erlangen Ein Herz für Kinder und Jugendliche: Prof. Dr. Oliver Dewald löst zum 1. Juni 2022 Prof. Dr. Robert Cesnjevar als Leiter der Kinderherzchirurgischen Abteilung des Uni-Klinikums Erlangen ab. Bis zu seinem Wechsel nach Erlangen war Oliver Dewald Direktor der Universitätsklinik für Herzchirurgie am Klinikum OlNeuer Leiter der Kinderherzchirurgie denburg. Seine klinischen Schwerpunkte sind die Weiterentwicklung minimalinvasiver und hybrider OP-Verfahren – etwa im Bereich von Herzklappenrekonstruktionen –, die Korrektur schwerer Herzfehler, die ECMO-Therapie (künstliche Lunge) bei Neugeborenen sowie die herznahe Gefäßchirurgie. In seiner Forschung untersucht der Herzspezialist u. a. die komplexe Anpassung des Herzens an verschiedene Stressfaktoren. Dabei beschäftigt er sich insbesondere mit den Endocannabinoiden – köpereigenen Stoffen, die lebenswichtige Funktionen wie Schlaf, Entzündungen, Schmerz und Blutdruck regulieren. Prof. Dr. Oliver Dewald wurde 1971 in Kroatien geboren und ist Vater von drei Töchtern.

| 7 Neues aus dem Uni-Klinikum Kostenfreier Telefonservice des BZKF hilft Menschen aus der Ukraine Hunderttausende Menschen aus der Ukraine haben ihre Heimat verlassen – darunter auch viele Krebspatientinnen und -patienten. Das BürgerTelefonKrebs des Bayerischen Zentrums für Krebsforschung (BZKF) bietet unkomplizierte und kostenfreie Hilfe: „Wir erhalten derzeit viele Anfragen: von den Patientinnen und Patienten und ihren Angehörigen aus der Ukraine, aber auch von aufnehmenden Familien aus Deutschland“, erklärt Susanne Kagermeier, ausgebildete Krankenpflegerin und Ansprechpartnerin am BürgerTelefonKrebs. „Wir verfolgen laufend die bundesweit einheitlichen Lösungen, um Betroffene zur Weiterbehandlung an passende onkologische Einrichtungen in der Nähe weiterzuleiten.“ Bei vielen Geflüchteten herrsche große Unsicherheit darüber, welchen Anspruch sie auf medizinische Versorgung haben – das Team des kostenlosen Bürgertelefons will ihnen diese Angst nehmen. Beratung für krebskranke Geflüchtete Kostenfreier Service BürgerTelefonKrebs Telefon: 0800 85 100 80 E-Mail: buergertelefon@bzkf.de Das BZKF ist ein Zusammenschluss der sechs bayerischen Universitätsklinika und vereint die onkologischen Kompetenzen an allen Standorten. Erlanger Forschende untersuchen Entzündungen im Fettgewebe Im Rahmen eines Forschungsprojekts des Uni-Klinikums Erlangen und der FAU Erlangen-Nürnberg haben Informatikerinnen und Informatiker zusammen mit Medizinerinnen und Medizinern einem künstlichen neuronalen Netz beigebracht, Formen von Arthritis zu unterscheiden. Die künstliche Intelligenz (KI) lernte an Aufnahmen von Fingerknochen, rheumatoide Arthritis, Psoriasis-Arthritis und gesunde Gelenke auseinanderzuhalten. Die KI bestand den Test: Bei 932 hochaufgelösten CT-Bildern von 611 Patientinnen und Patienten, die vorher von einem Menschen klassifiziert worden waren, fällte das Computerprogramm mit einer Trefferquote von 68 bis 82 Prozent das richtige Urteil. Kombiniert mit den Fähigkeiten einer Rheumatologin oder Künstliche Intelligenz erkennt Arthritis Forschungsverbund MASCARA www.gesundheitsforschung-bmbf.de eines Rheumatologen könnte dies die Diagnostik künftig verbessern und beschleunigen. An dem Projekt beteiligt sind der FAU-Lehrstuhl für Informatik 5 (Mustererkennung) und die Medizinische Klinik 3 – Rheumatologie und Immunologie des Uni-Klinikums Erlangen. Die Erlanger Forschung ist Teil des bundesweiten Verbundprojekts MASCARA (Molekulare Charakterisierung der Remission von Arthritis), das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wird.

8 | Titel RADIOMICS Hunderte diagnostische Bilder von Krebspatientinnen und -patienten werden maschinell nach vorgegebenen Merkmalen durchsucht. Diese verbinden Ärztinnen und Ärzte dann mit klinischen und biologischen Daten. Das Ziel: eine bessere Tumortherapie. VON FRANZISKA MÄNNEL „Wir Menschen sind gut in visueller Wahrnehmung, und wir können Sprache benutzen und verstehen. Wir sind allerdings nicht gut darin, in Hunderten Zahlenwerten Muster und Zusammenhänge zu erkennen – darin sind uns Computer und künstliche Intelligenz weit überlegen“, erklärt Dr. Florian Putz von der Strahlenklinik des Uni-Klinikums Erlangen.Aufnahmen aus der Magnetresonanz- oder der Computertomografie (MRT bzw. CT) etwa sind dem Oberarzt zufolge mehr als nur Bilder: „Sie sind Datenquellen, in denen Muster versteckt sind, die wir mit dem menschlichen Auge gar nicht wahrnehmen können.“ Diese Daten systematisch und automatisiert zu analysieren, ist Aufgabe von Radiomics: Dabei durchforstet ein Computerprogramm radiologische Bilder – etwa CT-Aufnahmen von Hirnmetastasen – nach vorab definierten Merkmalen, sogenannten Features. Die Software überprüft, ob die ausgewählten Merkmale vorkommen, und wenn ja, in welcher Ausprägung: Welches Volumen und welche Oberfläche hat der Tumor? Wie sehr ähnelt seine Form einer Kugel? Wie ist die Dichte der Krebszellen an unterschiedlichen Stellen? Ist die Tumorstruktur eher homogen oder eher heterogen? Wie sensibel reagiert Ich sehe was, was du nicht siehst der Krebs auf ionisierende Strahlung? Daraus können dann medizinische Vorhersagen abgeleitet werden – z. B. ob der Tumor auf eine Bestrahlung ansprechen wird oder ob er ihr gegenüber resistent ist. Bildbasierte Biopsie Computeralgorithmen müssen zunächst mit Hunderten von 3-D-Schnittbildern aus MRT oder CT gefüttert werden, um darin mathematische Muster erkennen zu können. Das alles passiert bisher nur auf Forschungsebene und ist noch keine klinische Realität. Aber es laufen Studien, die belegen sollen, dass Krebspatientinnen und -patienten bei ihrer Therapie tatsächlich von radiomischen Modellen profitieren würden. Dr. Putz erklärt den aktuellen Stand: „Wir haben auf der einen Seite viele Hundert radiomische Daten – also bestimmte Muster und Musterkombinationen. Auf der anderen Seite existieren klinische Informationen darüber, ob ein Tumor in der Vergangenheit zum Beispiel auf eine Behandlung angesprochen hat oder nicht. Diese beiden Seiten bringen wir jetzt zusammen und versuchen, ein Modell zu entwickeln, das künftig allein anhand der Bilddaten vorhersagen kann, ob ein Tumor wie gewünscht → Radio logie und Genomik In der Wortneuschöpfung „Radiomics“ verschme lzen radio logische Bi lddaten (engl. Radio logy) und Methoden, wie sie auch aus strukturierten Genanalysen (engl. Genomics) bekannt sind.

Menschen erkennen in dieser sogenannten Heatmap nur verschiedene bunte Streifen. Ein Computermodell kann daran ablesen, ob Hirn- metastasen nach der Strahlentherapie endgültig zerstört sind oder ob sie wiederkommen werden. | 9 Titel

10 | Titel erklärt: „Unsere Hypothese war, dass wir allein anhand der Bildinformationen, die wir aus MRT-Scans nach der Bestrahlung gewinnen, vorhersagen können, ob die Metastasen wiederkommen. Unser Ergebnis: Das ist mithilfe von rechnergestütztem Lernen tatsächlich möglich!“ Für den klinischen Einsatz hieße das: Patientinnen und Patienten, bei denen die Hirnmetastasen mit hoher Wahrscheinlichkeit zurückkehren, könnten künftig noch einmal nachbehandelt oder engmaschiger untersucht werden. „Dank Radiomics wissen wir sogar genau, wo die Tumoren hinwachsen werden“, ergänzt Dr. Putz. „Dort, wo wir eine höhere Krebszelldichte erwarten, könnten wir dann zum Beispiel vorsorglich eine höhere Strahlendosis abgeben.“ Eine andere Studie mit Erlanger Beteiligung konnte voraussagen, wie stark der Krebs höchstwahrscheinlich von Immunzellen attackiert wird. „Hierzu haben wir biologische Daten aus mikroskopischen Zellanalysen mit Bilddaten kombiniert und daraus unsere Vorhersagen abgeleitet“, erläutert Dr. Putz. „Die klinische Relevanz ist die: ImVorfeld zu wissen, ob der Krebs von Immunzellen angegriffen wird, kann einen Arzt beispielsweise dazu bewegen, anstelle einer Chemo- zuerst eine Immuntherapie zu veranlassen, die den Körper in seinem eigenen Abwehrprozess unterstützt.“ Fortsetzung von S. 8 auf eine Therapie reagiert.“ Vereinfacht gesagt lernt die Software: Muster A steht für einen Behandlungserfolg, Muster B für ein Therapieversagen. Den ganzen Tumor im Blick Bisher werden Tumoren genetisch untersucht, indem Ärztinnen und Ärzte eine Biopsie entnehmen, also Proben aus dem kranken Gewebe – etwa bei Brustkrebs. Je nachdem, wie die Tumorzellen beschaffen sind, wird der Patientin z. B. eine Antihormontherapie oder eine Operation empfohlen. „Das ist bisher der Goldstandard. Aber solche Biopsien sind invasive Eingriffe, die – je nach Lage des Tumors – gar nicht bei jeder Krebsart möglich sind“, sagt Dr. Putz. „Außerdem kann es sein, dass man zwar an einem Punkt Gewebe entnimmt und untersucht, der Tumor aber an einer anderen Stelle ganz anders geartet ist. Daraus zieht man dann vielleicht die falschen Schlüsse.“ Der Vorteil von Radiomics: Sie liefern schnell eine bildbasierte Biopsie –ohne Eingriff und ohne Laboruntersuchung – und haben den gesamten Tumor dreidimensional im Blick. Außerdem erlaubt es diese neue, computerbasierte Methode, das Fortschreiten einer Krebserkrankung besser nachvollziehen zu können. „Eine Biopsie ist dagegen immer nur eine Momentaufnahme“, erklärt Florian Putz. Schneller als die Krankheit Der Oberarzt ist von maschinellem Lernen und künstlicher Intelligenz (KI) fasziniert. Er hat bereits selbst KI-Anwendungen programmiert und ihnen beigebracht, die Grenzen eines Tumors zu erkennen. Sein Team an der Erlanger Strahlenklinik untersuchte kürzlich das Potenzial von Radiomics für Hirnmetastasen nach Strahlentherapie.Die Forschungsfrage lautete: Werden Metastasen durch die ionisierende Strahlung erfolgreich abgetötet oder wachsen sie wieder nach? Florian Putz Dank Radiomics wissen wir sogar genau, wo die Tumoren hinwachsen werden. Dr. Florian Putz Computer verstehen Radiomische Model le funktionieren, sind jedoch häufig so abstrakt, dass der menschl iche Verstand am Ende oft nicht mehr hundertprozentig nachvol lziehen kann, warum speziel le Bi ldeigenschaften mit einem bestimmten Verhalten eines Tumors assozi iert sind.

| 11 Titel In vielen Fällen konnten Forschende aus Erlangen und der ganzen Welt schon zeigen, dass Radiomics-Modelle prinzipiell funktionieren. „Jetzt braucht es aber noch große randomisierte Studien, um das Ganze ‚from bench to bedside‘ zu bringen, das heißt vom Labor oder – in unserem Fall – vom Computer direkt ans Patientenbett. Aber theoretisch wären wir schon heute so weit, Radiomics in der Klinik umzusetzen“, versichert Dr. Putz. Angst vor der Zukunft? Der potenzielle Nutzen von Radiomics sei so groß, dass die Methoden über kurz oder lang Einzug in die Medizin finden werden – da ist sich Florian Putz sicher. Radiomics und KI sollen Ärztinnen und Ärzte nicht ersetzen, „aber die Systeme unterstützen Medizin- expertinnen und -experten und geben ihnen weitere Informationen – als zusätzliche Sicherheit, damit sie nichts übersehen. Es kann nämlich nicht schaden, wenn der Computer nachfragt: ‚Haben Sie eigentlich die Hirnblutung bemerkt?‘“ In Erlangen streben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nun intensiver in Richtung KI und Deep Learning. Denn während bei Radiomics noch ein Mensch bestimmte Bildmerkmale vorab definieren muss, lernen Deep-Learning-Modelle selbst, welche Informationen sie aus CT- und MRT-Bildern herausfiltern müssen und welche ihrer Entscheidungen richtig oder falsch waren. Dank künstlicher Intelligenz wird es möglich, noch mehr Bildmerkmale und noch komplexere Muster zu erfassen. „Außerdem ist KI generalisierbar – was bei uns in der Klinik funktioniert, klappt dann auch woanders“, so Dr. Putz. Dr. Florian Putz ist medizinischer Leiter des Forschungsbereichs Radiomics in der Erlanger Strahlenklinik. Schnittstellen hat er unter anderem mit (Neuro-)Radiologie, Physik, Biologie und Computerwissenschaften. Behandlung von Hirnmetastasen: Von innen (rot) nach außen (blau) wird die geplante Strahlendosis schwächer. Wo genau wie stark bestrahlt werden muss, können künftig radiomische Modelle noch genauer vorhersagen. Die Strahlentherapie bei Krebs ist schon heute Präzisionsmedizin. Radiomics helfen, die Therapie noch exakter an den Einzelfall anzupassen – und der Krankheit sogar mehrere Schritte voraus zu sein. Informationen zu Radiomics und KI in der Erlanger Strahlenklinik www.uker.de/st-ruki

12 | Titel Förderung Das Forschungsprojekt wird von der Manfred-Roth-Stiftung sowie der Forschungsstiftung Medizin am Uni-Kl inikum Erlangen unterstützt.

GEDRUCKTE ORGANE Um dem Mangel an Spenderherzen entgegenzuwirken, arbeiten Erlanger Forschende daran, lebendes Herzgewebe zu drucken. Ein erster Erfolg: Herzmuskelringe und -ventrikel, die sogar pulsieren. VON ALESSA SAILER Es klingt wie in einem Science-Fiction-Film, und doch haben Forschende der Nephropathologischen Abteilung des Uni-Klinikums Erlangen es wahr werden lassen: Sie haben lebendes Herzgewebe gedruckt. Prof. Dr. Felix Engel leitet die Arbeitsgruppe für experimentelle Herz- und Kreislaufforschung und arbeitet mit seinem Doktoranden Tilman Esser seit 2017 an diesem Thema. Der Ausgangspunkt ihres Ansatzes: „Herzerkrankungen zählen zu den häufigsten Todesursachen. Eine Organtransplantation ist zwar eine gute Lösung, aber es gibt leider nicht genügend Spenderorgane. Deswegen haben wir uns mit einer Ersatzlösung auseinandergesetzt: dem 3-DDruck von Herzgewebe“, erläutert Prof. Engel. So einfach, wie sich das anhören mag, ist es aber bei Weitem nicht, denn: Zunächst muss die perfekte Zusammensetzung der „Biotinte“ gefunden werden, sodass sie sich einerseits drucken lässt, andererseits aber auch ein stabiles Gewebe bildet. Außerdem müssen die Zellen permanent am Leben gehalten werden, und die Wissenschaftler müssen herausfinden, wie sich die Strukturen verhalten. „In welches Gefäß drucken wir das Gewebe und wie bewahren wir es auf? Wie sind die Zellen im Gewebe verteilt? Kommunizieren sie mit ihren Nachbarzellen? Welche Pumpleistung hat das 3-D-geHerzen aus dem 3-D-Drucker druckte Herzgewebe?“, nennt Tilman Esser einige Fragen aus der Forschung. Vor rund zwei Jahren druckten er und sein Doktorvater das erste Mal mit menschlichen Zellen, 2021 fand Tilman Esser die optimale Zusammensetzung für seine Biotinte. Wie Grießbrei „Zuerst werden pluripotente Stammzellen im Labor vermehrt, die sich etwa aus menschlichen Hautzellen generieren lassen. Danach machen wir daraus Herzmuskelzellen“, erklärt der Forscher. „Um die geeignete Biotinte zu erhalten, mischen wir diese Zellen anschließend mit Kollagen, Hyaluronsäure und anderen Substanzen. Unsere Biotinte ist sehr flüssig und würde zerlaufen, würden wir sie einfach in eine Petrischale drucken. Da die Biotinte erst mit der Zeit fest wird, behelfen wir uns mit einem sogenannten Stützbad. Stellen Sie sich das vor wie Grießbrei, durch den die Drucknadel sich bewegen kann, der aber das Verlaufen der Biotinte verhindert“, beschreibt Tilman Esser den Vorgang. Nachdem sich das Zellkonstrukt verfestigt hat, entfernt der studierte Molekularmediziner das stützende Gerüst, gibt eine Nährlösung auf das gedruckte Gewebe und stellt es in einen 37 Grad Celsius warmen Inkubationsschrank. Dort bleibt es dann einige Tage, um zu „reifen“. → | 13 Tissue Engineering Die künstl iche Herstel lung von biologischem Ersatzgewebe bzw. die Forschung auf diesem Gebiet wird Tissue Engineering genannt. Titel

Titel 14 | Fortsetzung von S. 13 Zur Optimierung des Druckprozesses und der Zusammensetzung der Tinte haben Prof. Engel und Tilman Esser schon einige Hundert Herzmuskelringe mit knapp 5 Millimetern Durchmesser gedruckt. Vor Kurzem ist es den beiden sogar gelungen, vereinfachte Modelle eines Herzventrikels, also einer Herzkammer, zu drucken – ballonartige Konstrukte, die etwa 15 mal 8 Millimeter messen und aus je ca. 15 Millionen Zellen bestehen. Der Druckprozess selbst dauert nur wenige Minuten. „Das Besondere an unseren 3-D-gedruckten Ringen und Ventrikeln ist, dass sie nach einigen Tagen tatsächlich schlagen – so wie ein echtes Herz“, betont Felix Engel. „Dazu müssen sich die Zellen zunächst an ihre neue Umgebung gewöhnen und mit den benachbarten Zellen Kontakt aufnehmen. Daraufhin gehen sie einen Verbund ein und das Gewebe beginnt, eigenständig zu kontrahieren.“ Pumpkraft untersuchen Die Herzmuskelringe und -ventrikel untersucht Tilman Esser genau, färbt Zellen ein und macht Gewebeschnitte, um mehr über ihre Zusammensetzung zu erfahren. „Wir wollen außerdem he- rausfinden, wie viel Flüssigkeitsvolumen die gedruckte Herzkammer pumpen kann und welche Kraft das Gewebe dabei ausübt.“ Für diese Messung werden die Herzmuskelringe über spezielle, leicht elastische „Pfeiler“ gestülpt. „Auch deshalb bot es sich an, die Zellen in Ringformzu drucken“, so Tilman Esser. Der Reifegrad der aktuell gedruckten Zellstrukturen entspricht etwa dem eines Neugeborenen, doch das wollen die beiden Forscher ändern. Prof. Engel: „Wir haben bewiesen, dass es prinzipiell möglich ist, einen lebenden Ventrikel mit dem 3-D-Drucker herzustellen. Nun streben wir an, Ventrikel zu drucken, die mehr Kraft ausüben als die bisherigen, sodass die Pumpleistung des Gewebes mit der eines echten Herzens mithalten kann.“ Doktorand Tilman Esser ergänzt: „Einer unserer nächsten Schritte wäre dann, mit mehreTilman Esser vermischt die Bestandteile der Biotinte. Anschließend wird sie in eine spezielle Spritze gefüllt und in den 3-D- Drucker eingesetzt. Schicht für Schicht baut der 3-D-Drucker das Gewebe auf, indem er die Biotinte mithilfe von Druckluft kontrolliert aus der Spritze herausdrückt. So lange dauerts Bis aus einer pluripotenten Stammzel le eine druckbare Herzmuskelzel le geworden ist, vergehen ca. zwei bis drei Wochen. Der 3-D-Druck eines Ventrikels dauert wenige Minuten, der eines Herzmuskelrings etwa 30 Sekunden.

| 15 Titel ren Biotinten – also mit verschiedenen Druckerkartuschen – parallel zu drucken. Damit könnten wir die Anatomie und den Aufbau eines natürlichen Herzens besser nachempfinden.“ Der Hintergrund: Nur etwa 30 Prozent unseres Herzens bestehen aus Muskelzellen, die übrigen 70 Prozent machen z. B. Blutgefäß- oder Bindegewebszellen aus. Ein so komplexes Organ wie das Herz mittels 3-D-Druck herzustellen, wäre eine echte Bereicherung für die Medizin: „Diese herzähnlichen Systeme könnten wir dann beispielsweise dazu verwenden, die Wirkung von Medikamenten effizienter zu testen als im Tierversuch“, so Felix Engel. „Kleinere Teile des menschlichen Herzens könnten aber auch schon früher durch gezüchtetes Gewebe unterstützt oder ersetzt werden. Das wäre dann eine Art ‚Herzpflaster‘, das zum Beispiel Patientinnen und Patienten mit schwerer Herzinsuffizienz gute Dienste leisten könnte.“ Weitere Forschung zu Tissue Engineering und 3-D-Druck Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Plastischen und Handchirurgischen Klinik forschen aktuell an der perfekten Zusammensetzung einer Biotinte, um künftig etwa Knochen- oder Muskelersatzgewebe drucken zu können. Außerdem verwenden die Chirurginnen und Chirurgen 3-D-gedruckte Stützgerüste, auf die sie menschliche Zellen geben, und pflanzen diese dann wieder in den Körper ein, sodass sich beispielsweise fehlendes Knochengewebe neu bilden kann. Forscherinnen und Forscher der Erlanger Frauenklinik wollen gedruckte Gerüste mit Ovarialfollikeln (= Eizellen und sie umgebende Hilfszellen) „beladen“, die Patientinnen vor ihrer Krebsbehandlung entnommen wurden. Die Follikel wachsen dann auf dem künstlichen Ovar he- ran und sollen den Frauen nach überstandener Therapie reimplantiert werden, um ihnen so ihre Fruchtbarkeit zurückzugeben. Video: Herzgewebe aus dem 3-D-Drucker www.gesundheit-erlangen.com Herzventrikel im Miniaturformat: Das ballonartige Konstrukt ist in eine rosafarbene Lösung eingelegt, aus der es alle lebenswichtigen Nährstoffe aufnimmt. Das Pulsieren des Ventrikels lässt sich unter dem Mikroskop beobachten.

16 | Titel DEMENZ Blutuntersuchungen, neue Bildgebungsverfahren und Medikamente könnten Diagnostik und Therapie revolutionieren. Doch viele Fragen sind noch offen. VON FRANZISKA MÄNNEL Wie sieht unsere Zukunft aus? Demenz bedroht unsere Zukunft, und zwar doppelt: Einerseits betrifft der kognitive Verfall die eigene, ganz persönliche Zukunft. Andererseits zählt die Alzheimer-Erkrankung zu den größten Herausforderungen, die Gesellschaft und Gesundheitswesen in den kommenden Jahrzehnten bewältigen müssen. „In den nächsten zehn bis fünfzehn Jahren gehen die letzten Babyboomer der 50er- und 60er-Jahre nach und nach in Rente. Das bedeutet: Die Zahl älterer Menschen steigt und damit die Zahl der Demenzkranken“, erklärt Dr. Timo Oberstein, geschäftsführender Oberarzt der Psychiatrischen und Psychotherapeutischen Klinik und Leiter der psychiatrischen Hochschulambulanz des Uni-Klinikums Erlangen. „In der Diagnostik der Alzheimer-Krankheit – der bedeutendsten Form der Demenz – sind wir schon sehr gut“, sagt Timo Oberstein. „Wo es noch Forschung braucht, ist im Bereich der Ursachen. Außerdem müssen wir besser darin werden, den Verlauf der Erkrankung vorherzusagen.“ Jahrzehnte bevor überhaupt Demenzsymptome auffallen, ist das Gehirn bereits verändert: Dort lagern sich Eiweiße ab, die nach und nach Nervenzellen zerstören. Dank des „Erlangen Scores“ – ein Messwert, der sich aus dem Nervenwasser (Liquor) im Rückenmarkskanal gewinnen lässt – wissen Forschende schon bis zu 20 Jahre im Voraus, ob jemand eines Tages dement wird. Wer erste kognitive Veränderungen wahrnimmt, kann sich im Erlanger Labor für Klinische Neurochemie und Neurochemische Demenzdiagnostik untersuchen lassen. Demenz im Blut „Wissenschaftlich ist in den letzten zwei Jahren viel passiert“, berichtet Dr. Oberstein. „Es gibt mittlerweile Hinweise darauf, dass sich die Demenz nicht nur im Nervenwasser, sondern auch im Blut gut nachweisen lässt. Die Möglichkeit, das Blut zu untersuchen, würde die derzeitige Diagnostik radikal verändern, denn das ist ein kleiner und einfacher Eingriff, den wir vielen Menschen anbieten könnten.“ Doch die klinische Umsetzung braucht Zeit. „Ich sehe die Gefahr, dass private Anbieter schon bald damit werben, das Demenzrisiko anhand von Blutproben zu bestimmen. Das wäre zum jetzigen Zeitpunkt aber unseriös. Ich schätze, es wird noch mindestens fünf bis zehn Jahre dauern, bis die blutbasierte Demenzdiagnostik Routine ist“, sagt Dr. Oberstein. Demenz im Bild In den USA ist es schon heute üblich, Patientinnen und Patienten mittels Amyloid-Positronen-Emissions-Tomografie (Amyloid-PET) zu untersuchen. Dabei handelt es sich um ein nuklearmedizinisches

| 17 Titel Dr. Timo Oberstein ist geschäftsführender Oberarzt der Psychiatrie des Uni-Klinikums Erlangen. Er forscht zu Demenz und leitet u. a. die Sprechstunde für Gedächtnisprobleme. Bildgebungsverfahren, das die Eiweißablagerungen (Amyloid-Plaques) im Gehirn sichtbar macht. „Auch in Deutschland wäre die Amyloid-PET künftig eine sinnvolle Ergänzung zur Liquordiagnostik, die bisher noch der Goldstandard ist“, findet Dr. Oberstein. Vorteil der PET: Die Untersuchung ist nicht invasiv und könnte zum Beispiel auch Menschen angeboten werden, denen etwa wegen einer erhöhten Blutungsneigung oder bestimmten Medikamenten kein Nervenwasser entnommen werden kann. Welchen Nutzen die Amyloid-PET für Patientinnen und Patienten tatsächlich bringt, soll u. a. eine neue Erprobungsstudie am Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen in Bonn ab Sommer 2022 herausfinden. Die Ursachen verstehen „Alle Medikamente, die wir aktuell gegen Demenz einsetzen, behandeln die Symptome, nicht die Ursachen“, erklärt Timo Oberstein. Der Grund: Bislang verstehen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nicht genau, was den kognitiven Abbau auslöst. „Wir wissen, dass zwei verschiedene Eiweißablagerungen – Amyloid-Plaques und TauFibrillen – an der Alzheimer-Erkrankung beteiligt sind. Auch Entzündungsprozesse im Gehirn spielen eine Rolle – wir nennen das Neuroinflammation. Wie diese drei Faktoren zusammenspielen, ist aber noch nicht gut genug erforscht.“ Einen Hoffnungsschimmer bot zuletzt der Antikörper Aducanumab, der 2021 in den USA zugelassen wurde. „Es war das erste Medikament überhaupt, das an den Krankheitsmechanismen ansetzte und die Plaques zerstörte“, erklärt Dr. Oberstein, schränkt aber ein: „Die Wirksamkeit von Aducanumab konnte noch nicht hinreichend nachgewiesen werden. Der Hersteller versucht nun, positive Effekte mithilfe einer Phase-IV-Studie zu belegen.“ Ob Aducanumab die klinischen Beschwerden von Menschen mit leichter und mittelschwerer Demenz wirklich zufriedenstellend lindern kann, muss die weitere Forschung zeigen. Ist mein/-e Angehörige/-r dement? Online-Demenztest des bayerischen Demenzregisters digiDEM für eine erste Fremdeinschätzung durch Angehörige: www.bit.ly/3vI3oG3 Sprechstunde für Gedächtnisprobleme am Uni-Klinikum Erlangen Telefon: 09131 85-34597 E-Mail: pia@uk-erlangen.de Heute schon an morgen denken und Demenz vorbeugen ■ regelmäßige Bewegung ■ mediterrane Ernährung mit viel Gemüse und hochwertigen Pflanzenölen ■ Blutdruck und Blutzucker gut einstellen ■ Übergewicht vermeiden ■ Depression und Hörverlust behandeln lassen ■ nicht rauchen ■ immer wieder Neues lernen ■ soziale Kontakte pflegen und das Leben mit Sinn füllen

18 | POLYTRAUMA Ob Menschen schwere Unfälle überleben oder nicht, entscheidet das Schicksal – und das überlegte Vorgehen von Unfallchirurginnen und -chirurgen im OP-Saal. Denn nicht jede Fraktur sollte sofort gerichtet werden. VON FRANZISKA MÄNNEL „Warum fährt der so eine komische Linie?“, dachte Michael Hallers* Freund, als er ihm Mitte April 2022 mit dem Motorrad folgte. „Warum lenkt er jetzt nicht ein?!“ Da zog es Michael Hallers Maschine schon auf die Gegenfahrbahn. Mit hoher Geschwindigkeit streifte er ein Auto, wurde über die Straße ins Gebüsch geschleudert. „Ich weiß noch, dass mein Freund zu mir kam, und dass ein Ehepaar anhielt – sie war Krankenschwester“, berichtet der 73-jährige Verunglückte. „Sie haben versucht, meine Lederkombi aufzuschneiden, ummir einen Zugang zu legen. Ich hatte einen dumpfen Druck auf der Brust, und ich wusste: Mein Oberschenkel ist nicht mehr heil.“ Dass es viel mehr war als nur der Oberschenkel, sollten später der Notarzt und die Unfallchirurginnen und -chirurgen am Uni-Klinikum Erlangen erkennen. What kills first Der Rettungshubschrauber brachte Michael Haller nach Erlangen. Im Schockraum wurde er ins Spiral-CT geschoben, das ihn von Kopf bis Fuß auf Verletzungen scannte. Die FASTSonografie durchsuchte Bauch, Flanken und Becken nach Blutungen. Jeder Notfall erhält einen Score, der die Schwere des Traumas angibt. Ein Polytrauma umfasst mehrere Verletzungen, von denen mindestens eine lebensbedrohlich ist. „Von Polytrauma sprechen wir ab einem Wert von 16. Michael Haller lag bei 33“, erklärt Oberarzt Dr. Johannes Krause von der Unfallchirurgischen und Orthopädischen Klinik des Uni-Klinikums Erlangen. Er operierte den Motorradfahrer sofort nach seiner Einlieferung. Das Ausmaß: Oberschenkelfraktur und Sprunggelenksbruch rechts, aufgerissener Unterschenkel und zertrümmerter Mittelfuß links, drei gebrochene Rippen, gebrochener fünfter Brustwirbel. Tödl iche Folgen Jedes zehnte Unfal lopfer – genauer: 11,4 Prozent – stirbt innerhalb der ersten 30 Tage. Das Polytrauma ist die Haupttodesursache bei Menschen unter 45 Jahren. „Wir forschen, damit Sie überleben“ Unter dem Fluoreszenzmikroskop untersuchen Prof. Kalbitz und ihr Team u. a. Herzgewebe auf entzündliche Veränderungen. Feature

| 19 Traumaimmunologie an der FAU ErlangenNürnberg und Oberärztin der Unfallchirurgie des Uni-Klinikums Erlangen. „Mehrfachverletzungen bringen den gesamten Organismus in Alarmbereitschaft. Das Immunsystem setzt alles auf eine Karte, um das Überleben zu sichern, und es entsteht eine Ganzkörperentzündung“, erklärt Miriam Kalbitz. „Diese Entzündung verstärken wir durch chirurgische Eingriffe möglicherweise noch. Deshalb müssen wir schonend vorgehen und alle OPs so planen, dass sie für den Patienten das beste Ergebnis bringen.“ Denn die Folgen von zu viel „Alarm“ können schwerwiegend sein: Blutvergiftung, Wundinfektion, Organversagen, Tod. → Bei einem Po lytrauma setzt das Immunsystem al les auf eine Karte. Prof. Dr. Miriam Kalbitz Unfallchirurgische Teams gehen nach dem Damage-Control-Prinzip vor und priorisieren das Dringendste. Treat first what kills first – Behandle zuerst das, was als Erstes lebensbedrohlich wird. „Der Bruch im Rücken war zwar instabil, aber der Spinalkanal war nicht verengt und es drohte keine Querschnittslähmung“, erklärt Dr. Krause. „Deshalb konnten wir mit der Wirbelsäule warten und haben in der ersten OP nur die Beine versorgt. Der Oberschenkel war stark verschoben, die Knochenenden ragten in die Weichteile und es entstand ein erheblicher Blutverlust. Auch der Fuß war hochgradig geöffnet.“ Alles auf eine Karte Früher haben Ärztinnen und Ärzte Verletzten viel mehr zugemutet, sie unmittelbar nach einem Unfall in acht- oder zehnstündigen Not-OPs großen Belastungen ausgesetzt. „Heute wissen wir, dass es für die Patientinnen und Patienten besser ist, erst mal nur das zu operieren, was unbedingt sein muss“, sagt Prof. Dr. Miriam Kalbitz, seit 2020 Inhaberin der neuen Professur für Nach Auto- und Motorradunfällen, Bergunglücken oder schweren Stürzen kämpfen die Unfallchirurginnen und -chirurgen um Klinikdirektor Prof. Dr. Mario Perl Tag und Nacht um das Leben der Verletzten. Feature

20 | Fortsetzung von S. 19 „Unfälle sind schicksalhaft, und bei schweren Schädel-Hirn-Traumata oder starkem Blutverlust kommt manchmal schon an der Unfallstelle jede Hilfe zu spät“, sagt Prof. Kalbitz. „Aber wenn jemand die ersten Stunden übersteht, ist es unser Anliegen, das Entzündungsgeschehen – die Inflammation – optimal zu steuern.“ Die Entzündung eindämmen Miriam Kalbitz möchte besser verstehen, wie die Entzündung bei einem Polytrauma abläuft, warum das Immunsystem dabei oft übers Ziel hinausschießt und wie sich Unfallopfer besser erholen. „Wir wissen, dass die entzündlichen Prozesse bei Mehrfachverletzten Herz, Lunge und Nieren angreifen. Je invasiver wir operieren, desto größer der Schaden für die Organe. Sogar eine Bluttransfusion setzt einen inflammatorischen Reiz.“ Aber warum erholt sich der eine von einer systemischen Entzündung und die andere entwickelt einen Infekt und stirbt? Das zu verstehen, ist Aufgabe der Traumaimmunologie. Ihre Forschung dazu möchte Miriam Kalbitz an den OP-Tisch bringen, wo sie auch selbst um das Leben von Schwerverletzten kämpft. „Es ist ein Spagat, einerseits die überschießende Entzündung zu unterdrücken, andererseits aber den Teil des Immunsystems zu erhalten, der beispielsweise vor einer Wundinfektion schützt“, erklärt die Oberärztin. Aktuell untersucht sie u. a. in einem Verbundprojekt der Deutschen Forschungsgemeinschaft, inwiefern Entzündungsmarker im Blut schon früh voraussagen, wie gut jemand ein Trauma überstehen wird. „Ziel soll es sein, OP-Zeitpunkte bestmöglich zu koordinieren. Heruntergebrochen heißt das: Wir forschen, damit Sie nicht an Ihren schweren Verletzungen sterben.“ Die Antwort des Immunsystems Bei Unfallopfern kommt es zu einer überbordenden Entzündung, die Komplikationen nach sich ziehen kann. Die Traumaimmunologie erforscht die zellulären und molekularen Prozesse dahinter und die Schäden, die die Inflammation in den Organen auslöst. Die Forschenden in Erlangen konzentrieren sich vor allem auf die Folgen für Herz und Lunge. Das Wissen über die posttraumatische Entzündung soll das Überleben und den Heilungsprozess von Schwerverletzten verbessern. Wieder auf den Beinen: Michael Haller dreht seine erste Runde im chirurgischen Bettenhaus. Feature

| 21 Anzeige Eins nach dem anderen Michael Haller war bis zu seinem Unfall noch nie ernsthaft krank oder verletzt, das seien alles nur „Micky-Maus-Sachen“ gewesen. Seine Beinoperationen hat er gut weggesteckt. „Da wurde hervorragende chirurgische Arbeit geleistet“, sagt der Patient, der als Selbstständiger im Bereich Medizintechnik arbeitet. „Nach der guten Erfahrung mit den Beinen war ich regelrecht überrascht, dass ich nach der Rücken-OP überhaupt Schmerzen bekam“, berichtet er. „Aber mit einer angepassten Medikation haben wir das in den Griff bekommen.“ Der gebrochene Wirbel wurde mit Unterstützung eines modernen OP-Navigationssystems unter 3-D-Bildgebung versteift. „Das hat uns das Einbringen der Schrauben in diesem schwer einsehbaren Bereich der Wirbelsäule extrem erleichtert“, erklärt Operateur Dr. Krause. „Fünf Tage nach der ersten notfallmäßigen OP konnten wir für den Rücken in Ruhe das ideale Setting schaffen.“ Zehn Tage nach seiner Einlieferung per Helikopter steht Michael Haller auf der unfallchi- rurgischen Station B1-1 das erste Mal aus seinem Bett auf – mit einer großen Orthese am rechten Bein und mit hohem Gehwagen. „Es ist alles gut gelaufen“, sagt Johannes Krause, „und seine Prognose ist gut.Oberschenkel und Rücken werden höchstwahrscheinlich folgenarm abheilen. Dazu kommt, dass er für sein Alter sehr fit ist und sich schneller erholen wird als andere.“ Vielleicht bekommt Michael Haller in den nächsten Tagen noch ein Hauttransplantat für seinen Fuß – je nachdem, wie die Heilung voranschreitet. Jedenfalls möchte er unbedingt wieder aufs Motorrad.„Meins hat einen Totalschaden, die Saison ist gelaufen – das ist mir klar“, gibt er zu. „Aber ich möchte schnellstmöglich wieder zu dem Zustand vor dem Unfalltag zurück, zur vollen Funktionsfähigkeit.“Michael Hallers Frau wird keine Freudensprünge machen, wenn er sich eine neue Maschine kauft. Im August 2022 sind die beiden 50 Jahre verheiratet. „Motorrad fahre ich seit 56 Jahren. Und ich möchte das noch so lange wie möglich tun“, sagt er. * Name von der Redaktion geändert Informationen zur trauma- immunologischen Forschung am Uni-Klinikum Erlangen www.uker.de/uc-ti Feature Expertin und Experte für Polytrauma: Prof. Dr. Miriam Kalbitz und Dr. Johannes Krause

22 | PHARMAZIE Um die Patienten- und die Arzneimitteltherapiesicherheit noch weiter zu steigern, haben die Apotheke und die Chirurgie des Uni-Klinikums Erlangen die Arzneimittelanamnese eingeführt. Vor jeder OP ist nun eine Pharmazeutin als Co-Pilotin mit an Bord. VON BARBARA MESTEL „Morgens schlucke ich eine weiße Pille und abends zwei von den runden.“ Solche Angaben von Patientinnen und Patienten über ihre aktuelle Medikamenteneinnahme sorgen bei Ärztinnen und Ärzten für Stirnrunzeln – und können den Betroffenen sogar gefährlich werden. „Gerade ältere Menschen nehmen oft eine Vielzahl von Tabletten ein, die ihnen in unterschiedlichen Praxen verordnet wurden“, weiß Prof. Dr. Frank Dörje, Chefapotheker des UniKlinikums Erlangen. „Müssen sie dann für eine Operation ins Krankenhaus, kommen weitere Arzneimittel hinzu, und es besteht das Risiko, dass es aufgrund der lückenhaften Angaben zu lebensgefährlichen Wechselwirkungen kommt.“ Um dies zu verhindern, entwickelte Prof. Dörje gemeinsam mit Prof. Dr. Robert Grützmann, Direktor der Chirurgischen Klinik des Uni-Klinikums Erlangen, einen Plan: die Etablierung einer pharmazeutischen Aufnahme. Ausführliches Gespräch Vor anstehenden Operationen war es bereits bisher üblich, dass die Patientin bzw. der Patient ein Aufnahmegespräch mit einer Chirurgin Eine neue Crew für mehr Sicherheit bzw. einem Chirurgen und ein sogenanntes Narkosegespräch mit einer Anästhesistin bzw. einem Anästhesisten führt. In der Chirurgie sind neuerdings auch fünf Pharmazeutinnen mit an Bord. „Wir sind mittlerweile an mehreren Standorten im Chirurgischen Zentrum vor Ort und führen täglich etwa 30 Marina Schmid bespricht mit einer Patientin, die in Kürze operiert wird, alle Medikamente, die diese aktuell einnimmt. „Die Menschen fühlen sich von uns gut betreut und nutzen das persönliche Gespräch, um Rückfragen zu stellen“, freut sich die Apothekerin über das durchweg positive Feedback. Medizin

| 23 Anamnesen durch“, erläutert Apothekerin Julia Reiher. „Jeweils eine von uns nimmt sich einige Tage vor der OP Zeit für ein persönliches Patientengespräch, in dem alle Medikamente ausführlich durchgegangen werden, zum Beispiel eingenommene Tabletten, Tropfen oder benötigte Inhalatoren. Wir fragen außerdem die Einnahme von frei verkäuflichen Präparaten wie Vitaminen oder pflanzlichen Arzneimitteln ab, da auch diese Wechselwirkungen eingehen können.“ Viele Patientinnen und Patienten bringen erfreulicherweise von sich aus einen Medikationsplan mit, in dem alle Wirkstoffe und Dosierungen aufgelistet sind. Sind die Angaben nicht eindeutig oder lückenhaft, halten die Expertinnen des Uni-Klinikums Erlangen ggf. Rücksprache mit der Hausärztin bzw. dem Hausarzt oder den niedergelassenen Fachärztinnen und -ärzten. „Wir rufen in diesen Fällen direkt in den Praxen an“, sagt Apothekerin Marina Schmid. „Uns wird immer sehr bereitwillig weitergeholfen.“ Erleichterung für die Station Auf Basis dieses Anamnesegesprächs und der Laborwerte erstellt die Pharmazeutin eine gründliche Medikationsanalyse. „Zum einen achten wir natürlich auf potenzielle Wechsel- und Nebenwirkungen sowie darauf, dass bestimmte Arzneimittel rechtzeitig vor der OP pausiert werden“, erklärt Marina Schmid. „Zum anderen erfassen wir die einzelnen Medikamente, um die spätere Versorgung auf Station nahtlos sicherzustellen.“ Und dafür sind ihnen insbesondere die Pflegefachkräfte sehr dankbar. „Wir bekommen regelmäßig positives Feedback, weil für die spätere Aufnahme wichtige Fragen bereits im Vorhinein geklärt wurden und das Personal auf der Station dadurch entlastet wird“, freut sich Marina Schmid. Medizin Kurze Wege – enger Austausch Die Entscheidungen, welche Medikamente verordnet oder abgesetzt werden, treffen auf Basis der Medikationsanalyse nach wie vor die Ärztinnen und Ärzte. „Wir dokumentieren konsequent digital, sodass alle Beteiligten jederzeit nachlesen können“, schildert Julia Reiher die Vorgehensweise. „Wenn es zeitlich kritisch wird oder wir ein potenzielles Risiko erkennen, tauschen wir uns allerdings direkt miteinander aus. Inzwischen ist unser Team im Haus gut bekannt und wir profitieren von der räumlichen Nähe.“ Große Wertschätzung „Wir sind sehr dankbar für diese Beratung und Unterstützung, denn gerade bei den Neben- undWechselwirkungen haben die Kolleginnen und Kollegen aus der Apotheke eine sehr große fachliche Expertise“, betont Prof. Grützmann. „Das Geld, das wir in dieses Projekt investieren, ist extrem gut angelegt – die Sicherheit unserer Patientinnen und Patienten steht für uns an oberster Stelle!“ Zusammenarbeit auf Augenhöhe: Apothekerin Julia Reiher bespricht mit ihrem ärztlichen Kollegen Timur Buniatov aus der Chirurgischen Klinik den Medikationsplan eines Patienten und was während der stationären Behandlung beachtet werden muss, damit keine Wechsel- und Nebenwirkungen auftreten.

Medizin Quietschfidel: Diana ist kaum anzumerken, dass sie in letzter Zeit sehr viel durchmachen musste. 24 |

| 25 UKRAINE Die sechsjährige Diana hat einen Hirntumor. Weil das Mädchen mit seiner Mutter und seiner Schwester aus der Ukraine fliehen musste, wird es nun von Ärztinnen und Ärzten in der Erlanger Kinderklinik behandelt. VON ALESSA SAILER Diana sitzt auf einem Gummipferd und hopst lachend den Gang entlang. Als ein Bein des Tieres umknickt und die Sechsjährige damit zu Fall bringt, rückt diese nur schnell ihre Brille zurecht, steht wieder auf und hüpft fröhlich weiter. Nach einem Rückschlag wieder aufzustehen – das ist quasi das Motto der Familie Shutko, die im März 2022 aus der Ukraine nach Deutschland geflohen ist. Noch in ihrem Heimatland bekam Diana 2021 die Diagnose Optikusgliom. Der Hirntumor drückt auf den Sehnerv und führt ohne Behandlung zur Erblindung. Bei der jungen Ukrainerin ist das rechte Auge betroffen, die Sehkraft ist bereits erheblich eingeschränkt. In Sumy, einer Stadt ca. 300 Kilometer östlich von Kiew mit rund 350.000 Einwohnerinnen und Einwohnern, war Diana bereits wegen ihres Tumors in Behandlung, bekam dort regelmäßig Chemotherapie im Krankenhaus. Als sich die kriegerischen Auseinandersetzungen in der Ukraine verschärften, kam es für die Shutkos zum nächsten Tiefpunkt: „Anfang März wurde die Klinik, in der Diana ihre Chemo erhielt, zu einem Militärkrankenhaus umfunktioniert. Ich wusste nicht, wo wir nun die Behandlung meiner Tochter fortführen sollten“, schildert Dianas Mutter Iryna ihre damalige Lage. Sie entschloss sich dazu, mit ihren beiden Töchtern aus der Ukraine zu fliehen, auch wenn dies bedeutete, ihre Eltern und das gemeinsam bewohnte Haus in Sumy zurückzulassen. Dank KIONET in Erlangen Bis die drei Ukrainerinnen mit dem Bus in Würzburg ankamen, dauerte es sieben lange Tage. „Während der Flucht hatte ich wahnsinnige Angst, dass wir krank werden würden, denn es war die ganze Zeit bitterkalt“, erinnert sich Iryna Shutko an die Ereignisse. Dank des Kinderonkologischen Netzwerks Bayern (KIONET), das die Verteilung von bis dato 24 krebskranken Kindern und Jugendlichen mit ihren Angehörigen an die bayerischen Uniklinika in Augsburg, Erlangen, München, Regensburg und Würzburg übernahm, erreichte Familie Shutko am 13. März die Hugenottenstadt. „Aufgrund der sehr guten Zusammenarbeit zwischen den beteiligten Uniklinika konnten alle Kinder nahtlos in die onkologische Versorgung eingebunden werden“, berichtet KIONET-Sprecher Prof. Dr. Markus Metzler, der die Kinderonkologie der Erlanger Kinderklinik leitet. Insgesamt neun schwer kranke ukrainische Kinder und Jugendliche wurden Ende April am Uni-Klinikum Erlangen behandelt. → Hilfe fernab der Heimat Medizin Was ist KIONET? Im Kinderonkologischen Netzwerk Bayern haben sich die sechs Uniklinika des Freistaats zusammengeschlossen: Dank des Verbunds steht erkrankten Kindern und Jugendlichen die gebündelte Expertise aller kinderonkologischen Zentren zur Verfügung. So können die jungen Patientinnen und Patienten überall in Bayern mit innovativen Therapien behandelt werden.

26 | Anja Haeßler (Mitte) und Felicitas Maidhof (r.) vom Klinischen Sozialdienst helfen Iryna Shutko mit der Flut an Dokumenten und erklären, was es alles zu beachten gibt. Nicht nur auf Gummipferden sitzt Diana gern – auch die Schafe im Garten der Kinderklinik haben es der ukrainischen Patientin angetan. Medizin Fortsetzung von S. 25 „Sie und ihre Angehörigen erreichten uns alle schwer traumatisiert und erhalten deshalb zusätzlich eine psychosoziale Betreuung, unter anderem durch unseren Klinischen Sozialdienst“, erklärt Prof. Metzler. Viel spontane Unterstützung Direkt nach ihrer Ankunft kam die 36-jährige Iryna Shutko mit ihren zwei Töchtern bei der Elterninitiative krebskranker Kinder Erlangen unter. Der Verein unterhält schräg gegenüber der Kinderklinik einige Wohnungen, die normalerweise Eltern mit einer weiten Anreise beherbergen, während ihre Kinder am Uni-Klinikum behandelt werden. „Spontan konnten wir dann auch eine Dolmetscherin organisieren und bekamen tatkräftige Unterstützung von zahlreichen amtlichen sowie ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern“, zählt Prof. Metzler auf. „Unsere FSJlerin kaufte zum Beispiel für die Familie ein, und eine Kollegin stattete die Shutkos mit einem ‚Hygiene-Starterkit‘ aus. Auch das Team unseres Klinischen Sozialdiensts und die Psychologinnen und Psychologen haben wirklich wunderbare Arbeit geleistet. Sie waren in dieser Ausnahmesituation besonders gefordert, zumal wir aktuell akuten Personalmangel haben.“ „Wie Oma und Opa“ Mittlerweile wohnt Iryna Shutko mit ihren Töchtern bei einemEhepaar imSüden Erlangens.„Ich bin sehr glücklich, hier zu sein und bei dieser tollen Familie wohnen zu dürfen“, sagt die Ukrainerin und ihre Augen strahlen. „Die beiden sind so hilfsbereit. Sie haben uns bei allem unterstützt, zumBeispiel bei Telefonaten mit den Behörden, und sind bei Fragen immer für uns da. Das ist wie eine neue Familie für mich, wie Oma und Opa für meine Kinder.“Mit ihren Eltern, die noch immer in Sumy leben, telefoniert die junge Mutter täglich. Ihr Haus wollten sie nicht zurücklassen, zu sehr hängen sie doch an den eigenen vier Wänden, die sie selbst aufgebaut haben. Die Entscheidung, ihre Eltern zu verlassen, fiel Iryna Shutko sehr schwer.„Aber für mich stand Dianas Gesundheit an erster Stelle“, betont die Ukrainerin. Kl inischer Sozialdienst Die Aufgaben des Klinischen Sozialdiensts des Uni-Klinikums Erlangen umfassen u. a. die sozialrechtliche Beratung und die psychosoziale Betreuung der Patientinnen bzw. Patienten sowie die Vermittlung von ambulanten und stationären Nachsorgeoptionen.

| 27 Anzeige Medizin Bereits im Herbst soll die Therapie der kleinen Diana abgeschlossen sein. Bis dahin kommt das Mädchen mit seiner Mutter einmal pro Woche zur Kontrolle in die Kinderklinik, alle paar Wochen erhält es die notwendige Chemotherapie. Die Chancen, dass der Tumor nicht weiter wächst, sind gut, „auch wenn die Schädigung des Sehnerven wahrscheinlich nicht umkehrbar ist“, so Prof. Metzler. Iryna Shutko blickt trotzdem positiv in die Zukunft: Sie hat Diana bereits für die Schule in Erlangen angemeldet und wartet nur noch auf den Bescheid. „Diana freut sich schon, mit anderen Kindern in eine Klasse gehen zu können“, lächelt die Mutter. „Sie hat immer so viel Energie und lässt sich von ihrer Krankheit nicht unterkriegen.“ Glücklich blickt sie ihrer Tochter hinterher, der die Strapazen der vergangenen Monate nicht anzusehen sind. Diana nimmt das Gummipferdchen unter den Arm, rennt damit über den Gang, stolpert – und steht tapfer wieder auf. Für mich stand Dianas Gesundhei t an erster Ste l le. Iryna Shutko, Mutter von Diana Auch bei den regelmäßigen Untersuchungen ist die Sechsjährige meist gut drauf. Kinder- und Jugendklinik Kinderonkologie Telefon: 09131 85-33731 www.kinderonkologie.uk-erlangen.de Kinderonkologisches Netzwerk Bayern (KIONET) www.kionet-bayern.de

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