Das kostenlose Magazin des Uniklinikums Erlangen | www.gesundheit-erlangen.com | Herbst 2024 ■ Hilfe aus der Luft: per Hubschrauber zum Uniklinikum Erlangen ■ Schlaganfall: bestens aufgehoben auf der Stroke-Unit ■ Simulation: wie Notfallszenarien realitätsnah geübt werden Im Notfall gut versorgt Kinderwunsch Medizinische Unterstützung fürs Familienglück Kreativität Wann und wie die besten Ideen entstehen Neuro-Intensivstation Patienten und Angehörige im Mittelpunkt
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| 3 Editorial Der Mann liegt am Boden und rührt sich nicht. Vier Medizinstudierende eilen zu ihm. Er sei plötzlich von der Leiter gefallen, sagt eine Mitarbeiterin der Cafeteria, in der gerade Bauarbeiten stattfinden. Sie wisse nicht, was genau passiert sei. Da entdeckt eine der Studentinnen ein Stromkabel, das aus der Zimmerdecke hängt. „Bitte sofort den Strom abstellen“, ruft sie der Cafeteria-Mitarbeiterin zu und beginnt, den Mann neben der Leiter wiederzubeleben. „Das sieht nach Kammerflimmern aus“, sagt der Student, der die Leitung des Rettungsteams übernommen hat, als der Verunfallte mit dem Defibrillator verkabelt ist. Das Team spritzt Medikamente und löst insgesamt drei elek- trische Schocks aus. Sie sollen den normalen Rhythmus des Herzens wiederherstellen. Als das interne Reanimationsteam eintrifft, berichten die Ersthelfenden: „Es war wohl ein strominduzierter Herzstillstand.“ Das Erste-Hilfe-Szenario nach diesem Stromschlag habe ich live miterlebt. Allerdings war es nur eine Übung, ein Kurs im Simulations- und Trainingszentrum (STZ) der Anästhesiologie. Nur wer solche Notfälle trainiert, wer viel Erfahrung sammelt, bekommt irgendwann Routine. Aber auch eingespieltes Verhalten darf niemals auf „Autopilot“ laufen, das vermitteln die STZ-Kursleiterinnen und -leiter den Teilnehmenden immer und immer wieder. Ein „Das haben wir schon immer so gemacht“ gilt nicht, wenn es Das Gewohnte hinterfragen Chefredakteurin von „Gesundheit erlangen“ keine klare und plausible Begründung dafür gibt. Auch in kreativen Prozessen, sei es in der Kunst oder in der Wissenschaft, kommen wir mit dem Altbewährten und Gewohnten nicht weiter, wenn wir wirklich etwas Neuartiges, Innovatives erschaffen wollen. Auch hier geht es darum, etablierte Annahmen zu hinterfragen und alternative Lösungen für alltägliche Probleme zu finden. Der Psychiater und Psychotherapeut Prof. Dr. Johannes Kornhuber hat sich eingehend mit den Voraussetzungen für Kreativität beschäftigt (s. S. 50). Michaela Biet, die wir auf S. 42 vorstellen, ist zum Beispiel überaus kreativ. Ihr gestalterisches Geschick bringt sie in zwei sehr unterschiedlichen Welten ein: in der Medizin und in der Kunst. Denn zum einen fertigt sie Epithesen für Menschen, die beispielsweise wegen eines Tumors ihre Nase oder ihr Ohr verloren haben; zum anderen stellt sie massive Skulpturen aus Stein und Metall her, die man vielerorts im öffentlichen Raum findet. Ich wünsche Ihnen nun viel Spaß beim Lesen dieser Ausgabe und einen gesunden und vielleicht auch kreativen Herbst. Haben Sie schon Ideen, was Sie mit ihm anfangen werden? Gehen nützt dem Geist Laufen Sie beim Telefonieren auch manchmal hin und her? Das ist gar keine schlechte Idee, denn Studien zufolge ist das Gehirn im Gehen einfach mehr „auf Zack“ als im Sitzen. Was das kreative Denken noch fördert, lesen Sie im Interview mit Prof. Kornhuber (S. 50), der übrigens täglich seine Schritte zählt.
4 | Themen dieser Ausgabe KINDERWUNSCH Wenn eine Schwangerschaft nicht auf natürlichem Weg eintritt, kann die moderne Reproduktionsmedizin helfen. Was für wen infrage kommt, erklärt PD Dr. Laura Lotz. HELIKOPTERRETTUNG Vom Notruf bis zur Versorgung im Schockraum: Wann kommen Patientinnen und Patienten per Hubschrauber ans Uniklinikum? 3 Editorial NEUES AUS DEM UNIKLINIKUM 6 Weltweit erster mobiler C-Bogen 7 Gel statt Schock | Bühne frei für die Wissenschaft TITEL 8 Time is Brain Schnelle Hilfe bei Schlaganfall 12 Rettung aus der Luft Per Helikopter zum Uniklinikum Erlangen 16 Was würde Sully tun? Training für den medizinischen Ernstfall FEATURE 20 Im Herzen der Intensivmedizin Besuch auf der Neuro-Intensivstation MEDIZIN 26 Sprechstunde Wie der Kinderwunsch sich doch noch erfüllt 30 Die Wegbegleiterinnen Patientenlotsinnen am Uniklinikum Erlangen 32 Medizin gestern und heute Von der Eisernen Lunge zur modernen Beatmung 34 Medien Im Herbst aktiv bleiben 36 Mittel der Wahl Ingwer 37 Kleine Sp[r]itze – Kolumne Mit Gurren und Murren MENSCHEN 38 Meine Geschichte CAR-T-Zellen retten weltweit erstes Kind mit Lupus 42 Zwei Seiten von Epithetikerin Michaela Biet 44 Aus dem Medizinkästchen Klinikseelsorgerin Kathrin Kaffenberger 12 26
| 5 Themen dieser Ausgabe Video Weiterführende Informationen Kontaktaufnahme Persönlicher Kontakt zur Redaktion ERNÄHRUNG 46 Herbstleuchten mit Hagebutten Wildrosenfrüchte als Immunbooster 48 Verlockend vielseitig Leckeres mit und aus Kürbis KOPFSACHE 50 Die Gedanken sind frei Beste Bedingungen für kreative Ideen ERFORSCHT UND ENTDECKT 45 Sport hat Anti-Aging-Effekt 55 „Tattoos“ zur Diagnostik | Herzwochen 56 Psoriasis-Tag am Uniklinikum Erlangen 57 Elfter Lauf gegen Krebs AKTIV LEBEN 58 Fit im Rückwärtsgang Was bringt Rückwärtslaufen? ZUM SCHLUSS 60 Überraschende Perspektiven 61 Rätsel | Gewinnspiel 62 Vorschau | Impressum DIE GEDANKEN SIND FREI Das bekannte Volkslied lässt bereits anklingen, was kreative Arbeit braucht. Prof. Kornhuber erklärt im Interview, welche sonstigen Rahmenbedingungen originellen Einfällen zuträglich sind. INTENSIVMEDIZIN HAUTNAH Auf der Neuro-Intensivstation werden Patientinnen und Patienten mit besonderer Hingabe gepflegt. Die Angehörigen dürfen sich dabei gezielt mit einbringen. 20 50
6 | Neues aus dem Uniklinikum Das Uniklinikum Erlangen besitzt das weltweit erste Gerät des Typs CIARTIC Move der Siemens Healthi- neers AG: einen selbstfahrenden, mobilen C-Bogen, der die Bildgebung bei Operationen erheblich erleichtert. CIARTIC Move wurde von Siemens Healthineers gemeinsam mit der Unfallchirurgischen und Orthopädischen Klinik des Uniklinikums Erlangen entwickelt. „Wir hatten das große Privileg, Input aus Anwendersicht zu geben“, erklärt Klinikdirektor Prof. Dr. Mario Perl. „Am Ende ist ein System entstanden, das unsere Anforderungen perfekt erfüllt. Wir sind sehr stolz auf diese Zusammenarbeit.“ CIARTIC Move ermöglicht eine automatisierte intraoperative Röntgenbildgebung in 2-D und 3-D. Dabei kann zunehmend auch Strahlung für die Patientinnen und Patienten und das medizinische Team eingespart werden. Der neue BildAutomatisierung entlastet OP-Teams und macht Eingriffe schneller und präziser Weltweit erster mobiler C-Bogen wandler stellt selbst feinste anatomische Details hochpräzise dar. Dank seines motorisierten Fahrgestells und spezieller Räder lässt er sich frei in beliebige Richtungen bewegen – selbst auf kleinstem Raum. „Außerdem gibt es einen integrierten Assistenten, der beim Positionieren des C-Bogens hilft“, erklärt Prof. Perl. „Das spart im OP-Saal viel Zeit.“ Während frühere C-Bögen manuell und teilweise unter Anstrengung zum OP-Tisch hin- und wieder weggefahren werden mussten, geschieht dies nun auf Knopfdruck wie von selbst. „Wenn ich operiere, kann ich mich so viel besser auf die Patientin oder den Patienten fokussieren“, sagt Mario Perl. Die Operationstechnische Assistentin (OTA) Anna Danisha Jones stimmt zu: „Ich muss nicht mehr ständig am Gerät stehen und habe jetzt während der OP mehr Zeit für andere wichtige Aufgaben.“ Der weltweit erste CIARTIC Move ist jetzt in der Unfallchirurgie-Orthopädie des Uniklinikums Erlangen im Einsatz. Für Klinikdirektor Prof. Dr. Mario Perl (r.), Dr. Johannes Groh (l.) und OTA Anna Danisha Jones bedeutet das eine enorme Arbeitserleichterung – zugunsten der Patientinnen und Patienten.
| 7 Neues aus dem Uniklinikum Ein Herzinfarkt birgt auch langfristig schwerwiegende Gesundheitsrisiken: Etwa die Hälfte der Betroffenen stirbt in der Folge am plötzlichen Herztod, ausgelöst durch Herzrhythmusstörungen. „Das Problem sind die Narben, die bei einem Herzinfarkt gebildet werden“, erklärt Prof. Dr. Felix B. Engel von der Nephropathologischen Abteilung des Uniklinikums Erlangen. „Sie leiten elektrische Signale schlechter als gesundes Gewebe, was dazu führt, dass die Herzmuskelzellen nicht mehr effizient miteinander kommunizieren und aus dem Takt geraten.“ Die bislang wirksamste Therapie zur Vorbeugung des plötzlichen Herztods sind implantierbare Defibrillatoren (ICDs). Sie erkennen Herzrhythmusstörungen und geben einen Schock an das Herz ab, um den Sinusrhythmus wiederherzustellen. Allerdings schädigt der häufige Einsatz von ICDs das Herz weiter. Die Forschenden um Prof. Engel vom Uniklinikum Erlangen, von der FAU ErlangenNürnberg und der Universität Bonn haben nun ein sogenanntes Hydrogel entwickelt, das aus Kollagen und der elektrisch leitenden Substanz PEDOT:PSS besteht. Das Gel wird direkt in das Narbengewebe des Herzens injiziert. Dadurch wird das Gewebe gewissermaßen elektrifiziert und die Herzmuskelzellen können wieder besser miteinander kommunizieren. Erste Freuen Sie sich auf einen Abend voller unterhaltsamer Einblicke in die Wissenschaft: Am Dienstag, 24. September 2024, findet im E-Werk, Fuchsenwiese 1 in Erlangen, von 18.00 bis 21.00 Uhr ein Science-Slam der neu gegründeten klinischen Forschungsgruppe KFO5024 statt. Forschende des Uniklinikums Erlangen und der FAU Erlangen-Nürnberg lassen das Publikum hinter die Kulissen eines Forschungslabors blicken und präsentieren dabei verschiedene Themen rund um die Erlanger Forschende entwickeln Alternative zu ICDs nach Herzinfarkt Einladung zum Science-Slam am Dienstag, 24. September 2024, im E-Werk Gel statt Schock Bühne frei für die Wissenschaft Tickets unter: www.eveeno.com/gb-forinter-scienceslam Versuche im Tiermodell haben gezeigt, dass das entwickelte Hydrogel erfolgreich vor Herzrhythmusstörungen schützt und die energiereichen Schocks von ICDs damit überflüssig machen könnte. Forschung zur Darm-Hirn-Achse und zu Stammzellen – leicht verdaulich und unterhaltsam. Die Plätze sind begrenzt, deshalb ist ein kostenfreies Ticket erforderlich. Die Karten sind ab 10.9.2024 online erhältlich.
8 | Titel „Legen Sie sich nicht noch mal schlafen, wenn Sie plötzlich Seh-, Sprach- oder Gleichgewichtsstörungen an sich beobachten oder Lähmungen feststellen“, sagt der Neurologe und geschäftsführende Oberarzt PD Dr. Stefan Gerner. „Wählen Sie bei diesen Schlaganfallanzeichen die 112 – und zwar lieber einmal zu viel!“ Time is Brain (Zeit ist Gehirn) – so lautet die bewährte Notfall-Formel. Denn mit jeder Minute, in der ein Schlaganfall nicht behandelt wird, sterben Nervenzellen ab und es steigt das Risiko dafür, dass Sprechen, Sehen, Denken und Bewegen langfristig beeinträchtigt bleiben. „Wir sprechen von der Golden Hour. Das ist die erste Stunde nach dem Schlaganfall. Wird in diesem Zeitfenster eine Therapie begonnen, hat die Patientin oder der Patient langfristig die besten Aussichten“, sagt Stefan Gerner, der die StrokeUnit – eine spezielle Schlaganfall-Station – in der Neurologischen Klinik des Uniklinikums Erlangen leitet. Knapp 1.500 Betroffene werden hier jährlich behandelt. Schnell sein – FAST anwenden Mit dem FAST-Test – Face, Arms, Speech, Time – lässt sich zügig abklären, ob es typische Schlaganfallanzeichen gibt (s. Kasten). „Den Test führt üblicherweise der Rettungsdienst durch“, erklärt Dr. Gerner. „Man kann ihn prinzipiell auch zu Hause bei einem Angehörigen machen, dafür gibt es sogar verschiedene Apps. Ich muss aber sagen: Bei einem akuten neurologischen Symptom am besten gleich den Rettungsdienst rufen. Der Schlaganfall ist ein sehr zeitkritisches Krankheitsbild und die oder der Betroffene muss schnell in eine Klinik gebracht werden.“ Prof. Dr. Bernd Kallmünzer, leitender Oberarzt der Neurologie, fügt SCHLAGANFALL Noch immer warten manche Menschen bei akuten neurologischen Symptomen zu lange ab, obwohl sie direkt den Notruf wählen sollten. Doch bei Verdacht auf einen Schlaganfall zählt jede Minute. VON FRANZISKA MÄNNEL Schlaganfall erkennen Face: Sieht das Lächeln normal aus oder hängt ein Mundwinkel nach unten? Dann deutet das auf eine Halbseitenlähmung hin. Arms: Können beide Arme nach vorn gestreckt und die Handflächen nach oben gedreht werden? Wenn eine Seite absinkt, spricht das für eine Lähmung. Speech: Kann ein einfacher Satz nachgesprochen werden? Geht das nicht oder ist die Sprache verwaschen, weist das auf eine Sprachstörung hin. Time: Sofort die 112 wählen und die Symptome schildern! TIME is BRAIN In Zahlen Schlaganfallpatientinnen und -patienten sind meist 60 Jahre alt oder älter. Jährlich trifft es 270.000 Deutsche, bis zu 40 Prozent von ihnen bleiben im Alltag mehr oder weniger beeinträchtigt. Der Schlaganfall ist zudem die dritthäufigste Todesursache in Deutschland. Männer haben ein deutlich höheres Schlaganfallrisiko als Frauen.
| 9 Titel CT. In 80 Prozent der Fälle ist es ein Gefäßverschluss“, erläutert Bernd Kallmünzer, und Dr. Gerner ergänzt: „Mit einer Thrombolysetherapie lösen wir das Gerinnsel im Gehirn medikamentös auf. Weil diese Behandlung aber stark gerinnungshemmend wirkt, müssen wir vorher in jedem Fall eine Blutung ausschließen.“ Ergänzend zu den Medikamenten verwenden Neuroradiologinnen und -radiologen meist auch noch einen Drahtkatheter, den sie durch die Hirngefäße bis zum Gerinnsel vorschieben, um es dann zu entfernen. Das Verfahren heißt Thrombektomie. Wann immer möglich, werden Thrombolyse und Thrombektomie heute kombiniert. Mehrere Tage unter Beobachtung Bei einem schweren Schlaganfall, etwa wenn ein Patient eine Bewusstseinsstörung zeigt oder eine Hirnblutung hat, wird er auf die Neuro-Intensivstation gebracht (s. S. 20), wo er auch beatmet werden kann. Andernfalls bleibt er für zwei bis vier → Im vierten Stock der Kopfkliniken liegt die Schlaganfall-Spezialstation des Uniklinikums Erlangen. PD Dr. Gerner und Prof. Kallmünzer (r.) besprechen sich auf dem Gang mit Kollegin Dr. Lena Mers. Die Station ist als überregionale Stroke-Unit von der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft e. V. (1. Vorsitzender: Prof. Dr. Dr. h. c. Stefan Schwab) und der Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe zertifiziert. hinzu: „Entgegen der landläufigen Meinung sind die meisten Schlaganfälle schmerzlos, im Gegensatz zum akuten Herzinfarkt. Deshalb wird der Schlaganfall oft unterschätzt.“ Eine bestimmte Art der Hirnblutung, eine Form des Schlaganfalls, verursache zwar durchaus starke Kopfschmerzen, sei aber eher selten. „Das Team unserer neurologischen Notaufnahme ist auf Schlaganfälle optimal vorbereitet. Es arbeitet in so einem Fall nach einem strikten, effizienten Schema“, erklärt Prof. Kallmünzer. Zuerst müsse der Schlaganfallverdacht durch eine neurologische Untersuchung bestätigt werden. Ist das erledigt, folgt meist eine Computertomografie (CT). Sie zeigt, welcher Patientengruppe die oder der Betroffene angehört: Handelt es sich um einen ischämischen Schlaganfall – also ein Blutgerinnsel, das die Durchblutung des Gehirns und damit seine Sauerstoffzufuhr unterbricht? Oder ist stattdessen ein Hirngefäß gerissen und verursacht eine Blutung? „Diese Unterscheidung treffen wir mittels
10 | Titel „Manche Patientinnen und Patienten erholen sich schon ein paar Stunden nach der Thrombolyse, bei anderen kann eine monatelange Reha notwendig sein“, erläutert Prof. Kallmünzer. Wichtig ist dem Erlanger Team, dass sehr früh mit einer Mobilisation und Neuro-Rehabilitation begonnen wird. Schon am ersten Tag nach Schlaganfall erfolgt ein Screening auf der Stroke-Unit: Mit dem Physio-, Ergo- und Logopädieteam werden Gehen und Standsicherheit trainiert, es gibt Kraftübungen, Finger- und Feinmotorik- sowie Sprechtraining. Fortsetzung von S. 9 Tage auf der Stroke-Unit. Dort forschen die Ärztinnen und Ärzte nach der Ursache und den Begleiterkrankungen des Schlaganfalls: Müssen Cholesterin, Blutzucker oder Blutdruck medikamentös eingestellt werden? Besteht ein akutes Risiko für das Herz? Gibt es zum Beispiel eine Gefäßengstelle, die operativ versorgt werden muss? „Wir überwachen die Patientinnen und Patienten sehr engmaschig“, betont Dr. Gerner. „Sie sind an ein EKG angeschlossen und alle sechs Stunden führen wir eine klinisch-neurologische Untersuchung durch, weil das Risiko besteht, dass ein erneuter Schlaganfall auftritt oder dass es den Betroffenen schlechter geht. Häufig sehen wir auch Infektionen, Herzrhythmusstörungen oder Herzinfarkte infolge eines Schlaganfalls.“ 14 Bettplätze gibt es auf der Stroke-Unit, rund um die Uhr ist eine Ärztin oder ein Arzt anwesend. Ein eingespieltes Team aus den Bereichen Neurologie sowie u. a. Physiotherapie, Ergotherapie und Logopädie kümmert sich dort um die Betroffenen. „Alles läuft sehr strukturiert ab“, betont Dr. Gerner. Dazu stimmt sich seine Station auch eng mit der Neuroradiologie, der Kardiologie, der Gefäßchirurgie und anderen Disziplinen ab. 70 Prozent aller Schlaganfälle wären vermeidbar. PD Dr. Stefan Gerner Öffentlichkeitsarbeit ist den Erlanger Neurologinnen und Neurologen sehr wichtig. Von Ernährungstipps über das Erkennen von Symptomen bis hin zu Therapie und Reha: Im „Schlaganfallbus“ der Initiative „Herzenssache Lebenszeit“ wird die Bevölkerung jährlich aufgeklärt und sensibilisiert.
| 11 Titel 3 Kriterien für eine bessere Prognose nach Schlaganfall ■ schnell in die Klinik ■ Behandlung in einer zertifizierten Stroke-Unit ■ Rehabilitation absolvieren Das alles wird dann in einer anschließenden stationären Reha oder bei ambulanten Therapeutinnen und Therapeuten fortgeführt. Roter Bus weckt Aufmerksamkeit „Wir wollen ein stärkeres Bewusstsein für den Schlaganfall schaffen: Wie beuge ich vor, wie senke ich mein kardiovaskuläres Risiko, was tue ich im Ernstfall?“, sagt Stefan Gerner. Deshalb nehmen Ärztinnen und Ärzte aus den Bereichen Neurologie, Kardiologie, Anästhesiologie und Gastroenterologie jährlich an der Aktion „Herzenssache Lebenszeit“ teil und klären die Bevölkerung im „Schlaganfallbus“ über präventive Maßnahmen auf. Je mehr Grunderkrankungen vorliegen, umso wahrscheinlicher wird ein Schlaganfall. Nur unter Diabetes zu leiden, ist also weniger gefährlich, als zusätzlich noch Bluthochdruck, Übergewicht und hohe Blutfettwerte zu haben. Der Lebensstil ist eine Stellschraube, an der jeder drehen kann. „Vor allem mit zunehmendem Alter sollte man das tun, denn je älter ein Mensch, umso größer sein Schlaganfallrisiko“, so Prof. Kallmünzer. Alle Patientinnen und Patienten bzw. deren Angehörige erhalten auf der Erlanger Stroke-Unit umfangreiche Hinweise zur Prävention und weiteren Therapie. „Am wichtigsten bleibt dabei das Arzt-Patienten-Gespräch, in dem wir immer auf den Einzelfall eingehen können“, sagt Prof. Kallmünzer. „Vorhofflimmern zum Beispiel erhöht das Risiko für einen Schlaganfall deutlich. Das muss man wissen und sich entsprechend mit Blutverdünnern einstellen lassen. Auch eine verengte Halsschlagader ist ein solcher beeinflussbarer Risikofaktor.“ Dr. Gerner ergänzt: „Eine mediterrane Ernährung, Bewegung, Gewichtsreduktion und der Verzicht aufs Rauchen schützen. 70 Prozent aller Schlaganfälle wären vermeidbar.“ 5 Buchstaben – ein Ziel: STENO Jeder Mensch, der einen Schlaganfall erleidet, sollte schnellstmöglich Hilfe erhalten – egal, ob er in der Stadt nahe einem großen Krankenhaus lebt oder auf dem Land. Um auch Patientinnen und Patienten in ländlicheren Regionen wohnortnah versorgen zu können, gibt es seit 2007 das Schlaganfallnetzwerk mit Telemedizin in Nordbayern (STENO). Mittlerweile gehören 23 Kliniken dazu. Das Uniklinikum Erlangen und die Klinika Nürnberg und Bayreuth sind überregionale Stroke-Units und Beratungszentren für die anderen Partnerkliniken: Mit ihrem Know-how unterstützen sie kleinere Häuser, die zum Beispiel keine eigene Neurologie haben – und zwar telemedizinisch. STENO-Projektleiter Prof. Kallmünzer erklärt: „Meist kommen wir an den anderen Standorten mit Fachärztinnen und -ärzten der Inneren Medizin oder der Notfallmedizin in Kontakt. Sie können ein Telekonsil mit uns anfordern und auf unser Schlaganfall-Wissen zurückgreifen. Wir schauen uns die Patientin oder den Patienten dann per Kamera aus der Ferne an und geben Hinweise zur Untersuchung und zur Therapie. Auch CT- und MRT-Bilder können wir uns mit ansehen.“ Über 3.300 dieser Telekonsile führen die Erlanger Expertinnen und Experten jährlich durch. So erhalten auch diejenigen Betroffenen schnell eine Thrombolyse, die kein speziell ausgebildetes Personal in der Nähe haben. Für Thrombektomien oder neurochirurgische Eingriffe können die Schlaganfall-Patientinnen und -Patienten dann auch in eines der drei großen STENOZentren Erlangen, Nürnberg oder Bayreuth verlegt werden. „Wenn alles schnell geht, ist die Prognose heute nach einem Schlaganfall deutlich besser als vor 20, 30 Jahren“, sagt Prof. Kallmünzer. „Früher hat man einfach abgewartet – heute haben wir wirksame Therapien.“
12 |Titel HELIKOPTERRETTUNG Vom Notruf über den Transport bis zur Versorgung im Schockraum: Wann kommen die Patientinnen und Patienten mit dem Hubschrauber ans Uniklinikum Erlangen und wie geht es da weiter? VON ALESSA SAILER Wenn das laute Surren der Rotorblätter rund um das Uniklinikum Erlangen zu vernehmen ist, recken sich viele Kinderhälse, und Handys werden gezückt: Ein Helikopter nähert sich dem Landeplatz auf dem Chirurgischen Zentrum – mit einem Menschen an Bord, der schnellstmöglich medizinische Hilfe braucht. Doch wie entscheidet sich, wer auf dem Luftweg hierher transportiert wird? Wohin kommt die verletzte oder erkrankte Person nach der Landung am Uniklinikum? Und wer ist noch alles an Bord des Hubschraubers? Dr. Albert Schiele, Oberarzt in der Anästhesiologischen Klinik des Uniklinikums Erlangen, fährt seit 20 Jahren im Notarzteinsatzfahrzeug zu verunfallten Patientinnen und Patienten oder solchen in einer medizinischen Notlage – und zwar in Erlangen, Höchstadt und Herzogenaurach. Auch im Rettungshubschrauber „Christoph 27“ ist er seit 17 Jahren regelmäßig als Flugarzt im Einsatz. Dr. Schiele erklärt: „Wer die 112 wählt, landet zunächst bei der Leitstelle in Nürnberg. Die entscheidet, wer zum Einsatzort gerufen wird: Reicht ein Rettungswagen mit Sanitätern oder wird zusätzlich eine Notärztin benötigt, die separat anfährt?“ Ist kein solches Fahrzeug verfügbar – etwa, weil es anderswo gebraucht wird –, gelangt die Notfallmedizinerin oder der Notfallmediziner im → Rettung aus der Luft Zur Ausstattung des Christoph 27 gehören u. a. Notfallrucksäcke, ein Beatmungsgerät, ein EKG, ein Defibrillator sowie die Krankentrage. In 17 Jahren hat Dr. Albert Schiele über 1.000 Einsätze als Flugarzt absolviert.
| 13 Titel
Titel 14 | Fortsetzung von S. 13 Rettungshubschrauber zum Einsatzort. „Das gilt natürlich auch für unwegsames Gelände, das nicht per Straße erreichbar ist, oder wenn ein Rettungswagen zu lange brauchen würde, um zur Unfallstelle zu gelangen“, sagt Dr. Schiele. Während sich der besetzte Helikopter vom Nürnberger Flughafen aus auf den Weg macht, sucht die Leitstelle ein freies Bett im Umkreis. „Am besten in einem Traumazentrum wie dem Uniklinikum Erlangen“, betont Albert Schiele, der auch mal per Seilwinde zum Unfallopfer gelangt, weil der Hubschrauber nicht in unmittelbarer Umgebung landen kann. Dafür trainieren er und die anderen acht Flugärztinnen und -ärzte aus der Anästhesiologie des Uniklinikums Erlangen sowie die Kolleginnen und Kollegen aus Nürnberg und Fürth, die sich bei den Flugdiensten abwechseln, jedes Jahr direkt in entsprechendem Gelände, etwa in der Fränkischen Schweiz. Nächste Station: Schockraum Ein Rettungshubschrauber hat mindestens drei Personen an Bord: einen Piloten, eine speziell ausgebildete Notfallsanitäterin und einen Notarzt. Manchmal ist zusätzlich ein Luftretter von der Bergwacht Bayern mit dabei, z. B. wenn es um einen Unfall an einem Kletterfelsen geht. „Meist werden die Patientinnen und Patienten vom Team im Rettungswagen erstversorgt, bis ein Notarzt kommt. Dann stabilisieren die Helfenden die verletzte Person so weit, dass sie transportfähig ist, und verladen sie in den Hubschrauber“, erklärt Dr. Schiele den Ablauf. Der Mitarbeiter im Schaltraum Kranke Reisende nach Hause bringen Das Uniklinikum Erlangen bietet dem ADAC einen besonderen Service: Drei Ärztinnen und Ärzte der Anästhesiologischen Klinik beraten den Automobilclub zum einen dazu, ob ein verunfalltes oder schwer erkranktes Mitglied vom Urlaubsland nach Hause transportiert werden sollte und kann; zusammen mit rund 15 weiteren Erlanger Medizinerinnen und Medizinern fliegen sie zum anderen auch selbst von Nürnberg aus in einem speziell umgerüsteten Flugzeug zum ADACMitglied, um es zu einem möglichst heimatnahen Krankenhaus in Deutschland zu bringen. Der Oberarzt und leitende Flugarzt Dr. Michael Meyer kümmert sich seit 15 Jahren um die Gesamtorganisation dieser Flugbewegungen und erklärt: „Der ADAC-Ambulanz-Service nimmt die von Mitgliedern gemeldeten Fälle entgegen, eine oder einer der rund 30 Medizinerinnen und Mediziner in München sichtet sie. Im Anschluss klären wir im Team, ob und wie ein Transport nach Deutschland stattfinden kann.“ Der Hintergrund: Vor allem in außereuropäischen Urlaubsländern, z. B. in Mexiko oder Ägypten, ist die Gesundheitsversorgung deutlich schlechter als hierzulande. Im Ausland stehen oft nicht alle nötigen Geräte und manchmal auch kein vergleichbares medizinisches Know-how zur Verfügung. „Da wir viel flugärztliche Erfahrung haben und gleichzeitig in der Klinik tätig sind, ist das Uniklinikum Erlangen der perfekte Ansprechpartner für den ADAC. Seit rund 15 Jahren beschäftigen wir uns mit dem Ambulanzflugdienst ins Ausland. Die Kooperation zwischen dem Uniklinikum und dem ADAC ist so weltweit einmalig“, betont Dr. Meyer. Er und seine zwei stellvertretenden Flugärztinnen schätzen ein: Ist der Patient stabil genug, um auf einem Linienflug zurückzukehren? Ist der Weg auf der Straße sicherer, weil es dort keine Druckschwankungen gibt? Sollte der Betroffene mit dem ADAC-Ambulanz-Flieger heimkehren? Oder würde ein Transport die Genesung gefährden? „Die meisten Fälle sind intensivpflichtige Patientinnen und Patienten“, sagt Michael Meyer. „Manche werden beatmet und brauchen spezielle Medikamente. An einen besonderen Fall erinnere ich mich: Wir haben eine ECMO, also eine Art Herz- Lungen-Maschine, zu einem Patienten nach Mexiko geflogen – inklusive Kardiotechniker und einem herzchirurgischen Team. Dort wurde die Person an die ECMO angeschlossen und sicher nach Hause geflogen.“ Rund 20 dieser außergewöhnlichen ECMO-Einsätze wurden dank des ADAC-Ambulanz- Service bisher realisiert. Die ADAC-Ambulanz-Jets sind in Nürnberg beheimatet.
| 15 Titel Intensivstationen am Uniklinikum Erlangen Ist nach dem Schockraum – oder im Anschluss an eine Notfall- oder eine geplante OP – eine intensivmedizinische Versorgung nötig, stehen am Uniklinikum Erlangen zahlreiche spezialisierte Intensivstationen zur Verfügung. Der stellvertretende Oberarzt der Anästhesiologie, Dr. Christoph Lamprecht, zählt auf: „Im internistischen Bereich haben wir die Intensivstation in der Medizin 1 für Menschen mit gastrointestinalen oder Lungenbeschwerden, in der Medizin 2 für Herz- und in der Medizin 4 für Nierenprobleme. Auf der Neuro-Intensivstation werden neurologische und neurochirur- gische Patientinnen und Patienten versorgt. Auch in der Kinderklinik und in der HNO-Klinik gibt es jeweils eine Intensivstation.“ Die Interdisziplinäre Operative Intensivstation (IOI) mit den Teilen IOI I und III wird meist vom OP aus belegt, z. B. aus den Bereichen Allgemeinchirurgie, Thorax-, Herz-, Unfall-, Gefäß- sowie Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie. Video: Luftrettung am Uniklinikum Erlangen www.gesundheit-erlangen.com Zwei Landeplätze Der „alte“ Landeplatz in der Ebrardstraße ist nach wie vor wichtig: „Ist die Landeplattform auf dem Chirurgischen Zentrum belegt oder wird sie gewartet, kann der Helikopter trotzdem landen“, betont Flugarzt Albert Schiele. des Landeplatzes am Uniklinikum Erlangen erfährt in der Regel 10 bis 15 Minuten vorher, dass ein Helikopter anfliegt – das passiert durchschnittlich ein- bis zweimal pro Tag. Auf der Plattform angekommen, transportieren Notfallmediziner und Sanitäterin den Patienten in den Aufzug, mit dem es zunächst sieben Stockwerke nach unten geht. Von da aus wird die Person unterirdisch zum nächstgelegenen Schockraum geschoben. „Je nach Krankheitsbild ist das dann in der Chirurgie, wenn es beispielsweise um Brüche oder innere Verletzungen geht, oder im Internistischen Zen- trum, etwa wenn ein Herzinfarkt vorliegt“, so Dr. Schiele. Dort kann die Patientin bzw. der Patient z. B. schnell ins Herzkatheterlabor gebracht werden; bei neurologischen Notfällen wie einem Schlaganfall fliegt der Hubschrauber meist direkt den Landeplatz in der Ebrardstraße an, von wo aus die Betroffenen per Rettungswagen in die Notaufnahme der Kopfkliniken gefahren werden. Zwickau, Gießen, Rostock und andere: Wie die Aufzugtüren am Landeplatz zeigen, wird das Uniklinikum Erlangen auch von Helikoptern angeflogen, die nicht aus der Region stammen. Die Aufkleber werden jeweils aufgebracht, wenn ein Hubschrauber hier das erste Mal landet. „Grundsätzlich steht uns im Hubschrauber dasselbe Equipment zur Verfügung wie im Rettungswagen“, sagt Albert Schiele. „Damit stabilisieren wir die Vitalfunktionen, können aber auch beatmen oder eine Narkose einleiten.“ Der rote „Christoph 27“ mit dem Schriftzug „DRF Luftrettung“ ist von etwa sieben Uhr morgens bis Sonnenuntergang im Einsatz. Das entsprechende Personal hält sich direkt am Albrecht-Dürer-Airport Nürnberg bereit. „Der Intensivtransporthubschrauber ‚Christoph Nürnberg‘ dagegen fliegt Tag und Nacht – was eine Besonderheit in Bayern ist. Er hat aber keine Seilwinde“, erklärt Dr. Schiele. „Er wird wie der ‚Christoph 27‘ nicht nur für die Primärversorgung eingesetzt, sondern auch für Verlegungen zwischen Krankenhäusern.“
3 Minuten und 28 Sekunden. So lange hatte der Pilot Chesley „Sully“ Sullenberger am 15. Januar 2009 Zeit, eine Entscheidung zu treffen und ein Manöver zu fliegen. Kurz nach dem Start in New York war der von ihm gesteuerte, voll besetzte Airbus von Wildgänsen getroffen worden – beide Triebwerke fielen aus. Das Flugzeug begann rasant zu sinken. Sollte der Pilot zum Startflughafen zurückkehren oder eine Ausweichlandebahn ansteuern? Für Sully kam nur noch eines in Betracht: eine Notwasserung auf dem Hudson River, mitten in New York. Sein Manöver rettete alle 150 Passagiere und die gesamte Crew und schrieb Geschichte. „Ich empfehle, sich den sehr guten Film ,Sully‘ mal anzusehen“, sagt Dr. Björn Lütcke, Facharzt für Anästhesiologie und Intensivmedizin. „Er zeigt etwas auf: Hinterher glaubt man oft, man hätte bei einem Notfall genauso gut oder sogar besser reagiert als jemand andeWas würde Sully tun? SIMULATIONEN Im Notfall Ruhe zu bewahren und richtige Entscheidungen zu treffen, kann über Leben und Tod entscheiden. Was hilft: viel Erfahrung und ein offener Umgang mit Fehlern. VON FRANZISKA MÄNNEL Die farbigen Westen geben während der Simulation Struktur und helfen, sich auf spezifische Aufgaben zu fokussieren. Bei einem echten Notfall muss die Person, die das Team führt, diese Rollen klar verteilen. In manchen Krankenhäusern gibt es farbige Markierungen am Bett, die zeigen, wer wo zu stehen hat. 16 | Titel
| 17 Titel res. Aber wenn man tatsächlich selbst in dieser Lage gewesen wäre, hätte man nicht so souverän gehandelt. Man sollte sein eigenes Urteilsvermögen und seine Fähigkeiten in Stresssituationen nie überschätzen.“ Sullys Szenario wurde mehrfach im Flugsimulator nachgestellt. Obwohl die Piloten wussten, was gleich passieren würde, gelang es ihnen in nur 8 von 15 Fällen, an einem Ausweichflughafen zu landen. Dies zeigt die außergewöhnliche Leistung von Chesley Sullenberger und seinem CoPiloten, die unter Zeitdruck bestmöglich handelten. Genau wie in der Luftfahrt werden auch im Simulations- und Trainingszentrum (STZ) der Anästhesiologischen Klinik des Uniklinikums Erlangen brenzlige Situationen geübt. Doch statt Vogelschlag lautet das Szenario hier Stromschlag, statt der Triebwerke fällt hier der Kreislauf eines Menschen aus. Die Palette lebensbedrohlicher Notfälle, die Oberarzt Björn Lütcke und das STZ-Team bereithalten, ist groß. „Pilotinnen und Piloten müssen regelmäßig in den Flugsimulator. Bei uns sollte analog jede Mitarbeiterin und jeder Mitarbeiter der Anästhesiologie einmal im Jahr an einem speziellen Simulatorkurs teilnehmen“, erklärt Dr. Lütcke. Bei diesem Projekt namens „1-1-1“ (ein Mitarbeiter, einmal im Jahr, einen Tag lang) trainieren ärztlichpflegerische Teams gemeinsam für anästhesiologische Zwischenfälle wie diese: Der Rachenraum des Patienten schwillt während einer OP plötzlich bedrohlich an. Er reagiert allergisch auf ein Medikament, es zeigen sich Atemnot und Herzrasen. Er erbricht während der Narkoseeinleitung und Mageninhalt gelangt in die Lunge. Der Blutdruck fällt drastisch ab. Die Atmung wird so flach, dass der Körper nicht mehr gut mit Sauerstoff versorgt wird. Die Liste ließe sich noch lang fortführen. Neben den Anästhesiologie-Beschäftigten können sich auch Ärztinnen und Ärzte anderer Fachrichtungen, Pflegekräfte und Medizinstudierende in den Bereichen Anästhesie, Intensivmedizin und Notfallmanagement im STZ aus- und weiterbilden lassen. „Wir passen die Settings immer an die Zielgruppe an. Je nach Erfahrung der Teilnehmenden steigern wir die Herausforderung. So wird das Lernen hochindividuell“, sagt Björn Lütcke, der Fachkoordinator für die studentische Lehre ist. Vom kritisch kranken Kind über den Bergunfall bis hin zum Fahrradsturz – Björn Lütckes Fallordner ist mehr als gut gefüllt „und sehr oft inspiriert von tatsächlichen Notfällen, die wir selbst miterlebt haben“, erklärt der Facharzt, der aufgrund seiner Tätigkeit in der Erlanger Anästhesiologie auch bei der DRFLuftrettung als Notarzt mitwirkt. Das A und O neben allem Fachwissen sei immer die Kommunikation. Über Berufsgruppen, Hierarchien und Kulturen hinweg müsse die bei einem Notfall optimal laufen. „Hier gibt es oft das meiste Verbesserungspoten- zial“, weiß Björn Lütcke. „Wir schocken. Alle weg vom Bett!“ Im STZ trainiert heute eine Gruppe von vier Medizinstudierenden im zehnten Semester. Erstes Szenario: Herr Müller, stationärer Patient am Uniklinikum Erlangen, klagt plötzlich über Atemnot und Brustschmerzen. Eine Stationsmitarbeiterin alarmiert die Studierenden, die kurz darauf das Patientenzimmer betreten. Farbige Westen kennzeichnen die unterschiedlichen Rollen der Helfenden: Gelb für Teamleader Paul*, Blau für Atemwegsmanager Jonas*, Rot für Kreislaufmanagerin Jule* und Grün für Medikamentenmanagerin Marie*. „Hallo, Herr Müller“, nähert sich der Teamleader mit schnellen Schritten der Simulationspuppe im Bett. „Haben wir eine Atmung?“, fragt er und hält sein Ohr dicht an den Mund des Patienten. Instruktor Dr. Florian Kern, der die Gruppe vom Rand aus beobachtet, gibt die fehlende Info: „Nein, der Patient atmet nicht.“ Jule beginnt sofort mit der Herzdruckmassage – 30 Kompressionen in schnellem Rhythmus –, dann beatmet Jonas je zweimal mit einem Beatmungsbeutel. Marie bringt Kabel und Elektroden, die „Herrn Müller“ auf die Brust geklebt werden, um seinen Herzrhythmus per EKG zu überwachen. Teamleader Paul wählt die interne Notrufnummer und bittet das Reanimationsteam um Unterstützung. Dann weist er Marie an, „Herrn Müller“ Adrenalin zu spritzen. „Warum ist der Patient am Uniklinikum?“, fragt Paul. →
18 |Titel Fortsetzung von S. 17 „Ich glaube, Diabetes und Blutdruck sollten eingestellt werden“, übernimmt eine zweite Instruktorin die Rolle einer Pflegekraft auf Station. „Denkt an die Rhythmusanalyse“, erinnert Kursleiter Florian Kern. „Pulslose ventrikuläre Tachykardie“, beurteilt Paul. „Wir schocken. Alle weg vom Bett!“ Der inte- grierte Defibrillator simuliert einen elektrischen Schock. „Noch mal ein Milligramm Adrenalin geben, bitte!“, weist Paul an. Erneut wird der Herzrhythmus im EKG beurteilt, alle schauen zum Monitor. „Extreme ST-Hebung.“ Paul simuliert einen Anruf im Herzkatheterlabor des Uniklinikums: „Wir brauchen eine Herzkatheteruntersuchung. Verdacht auf Herzinfarkt.“ Das interne Reanimationsteam kommt und übernimmt. „Was war für euch die Herausforderung?“, fragt Instruktor Florian Kern im Anschluss. Tatsächlich hatte „Herr Müller“ einen Herzinfarkt. „Ich war am Anfang etwas verloren, was die Ursache angeht“, gesteht Paul. Kreislaufmanagerin Jule sagt: „Ich fand, wir haben beim Reanimieren gut gezählt und uns beim Drücken gut abgewechselt.“ Dr. Kern kommentiert: „Ja, ihr habt das sehr gut gemacht, die No-Flow-Time war minimal“, sagt er und meint damit die Zeit, in der keine Herzdruckmassage stattfand. „Denkt aber daran, den Brustkorb immer ausreichend zu entlasten. Kompressions- und Entlastungszeit sollten gleich lang sein.“ Und noch eine Sache gibt Florian Kern den Kursteilnehmenden mit auf den Weg: „Erinnert euch an die ClosedLoop-Kommunikation. Sagt nicht: ,Kann jemand bitte Adrenalin spritzen‘, sondern sprecht jemanden direkt an. ,Marie, gib bitte ein Milligramm Adrenalin!‘ Diejenige bestätigt dann kurz, dass und was sie verstanden hat: ein Milligramm Adrenalin. Und sagt, wenn es erledigt ist.“ Die Instruktoren und Dr. Lütcke (l.) in der lockeren Nachbesprechung mit den Medizinstudierenden. Was lief gut? Was lässt sich noch optimieren? Das STZ-Team beherrscht es, einen angstfreien Raum zu schaffen und Feedback wertschätzend und konstruktiv zu vermitteln. Die Helfenden sollten in der Notfallmedizin niemals blind vertrauen, sondern Abläufe lieber einmal mehr hinterfragen. Dr. Björn Lütcke Während des simulierten Notfalls kann Björn Lütcke das Rettungsteam im Nebenraum über mehrere Kameras beobachten. Auch Prüfungen finden so statt. Die Reaktionen der Simulationspuppen lassen sich aus dieser Schaltzentrale heraus oder mithilfe kleiner, tragbarer Steuer-Pads beeinflussen. „Ich kann den Patienten schreien lassen, seinen Herzrhythmus, den Blutdruck, die Sauerstoffsättigung oder sonstige Parameter verändern“, erklärt Dr. Lütcke.
| 19 Titel Fehler prägen sich am besten ein Mit jedem Übungsszenario, das am heutigen Tag folgt, werden die angehenden Ärztinnen und Ärzte sicherer und strukturierter. „Uns ist es wichtig, dass sie Routine gewinnen, dass sich ihnen tief einprägt, was man in Fall X oder Y tut. Auch wir Fachärztinnen und -ärzte lernen dabei jedes Mal wieder mit“, erklärt Instruktorin Dr. Susanne Tröster, die heute parallel eine zweite Gruppe Studierender betreut. „Wenn beim Üben etwas nicht glatt läuft, bleibt das besser im Gehirn, als wenn alles gut klappt. Fehler zu bemerken und sich gegenseitig darauf hinzuweisen, ist ein wichtiges Lernziel. Dabei geht es nicht darum, jemandem etwas anzukreiden, sondern darum, im Sinne des Patienten zu handeln.“ Auch Björn Lütcke betont, wie essenziell eine transparente Fehlerkultur ist: „Das ist ein bisschen wie Laufen lernen: Man steht auf, zieht sich irgendwo hoch und fällt hin. Man muss immer wieder aufstehen, wenn man wirklich sicher laufen will. Wenn Plan A nicht funktioniert, muss ich mir das eingestehen und mir B oder C überlegen. Bei einem medizinischen Notfall sollten alle im Raum alles äußern, was der Rettung dient – egal, ob Oberärztin oder Praktikant. Hierfür braucht es eine vertrauensvolle Atmosphäre. Wir nennen das Speakup-Kultur.“ Und genau die haben die Studierenden heute praktiziert. Björn Lütcke hatte die Gruppe bei „Herzinfarkt-Patient Müller“ beobachtet. Der Oberarzt sagt: „Eventuell hättest du dich als Teamleader noch etwas mehr im Raum positionieren können, Paul – um den Überblick zu haben. Du standest sehr nah am Monitor.“ Kreislaufmanagerin Jule hakt ein: „Ich fand seine Position genau richtig. So hatte ich, wenn ich zu Paul geschaut habe, auch immer gleich den Monitor und die Werte im Blick“, sagt sie. „Okay“, kommentiert Björn Lütcke, „aus deiner Perspektive hat es so gepasst. Dann finde ich es super, dass du mir nicht Recht gibst. Blindes Vertrauen ist in der Notfallmedizin immer fehl am Platz. Auch der Co-Pilot darf dem Piloten widersprechen.“ *Name von der Redaktion geändert Notfall im Krankenhaus Am Uniklinikum Erlangen kommen sehr viele Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen zusammen. Umso wahrscheinlicher ist es, dass hier ein medizinischer Notfall eintritt. Bis das interne Reanimationsteam vor Ort ist, müssen die Anwesenden Erste Hilfe leisten. Auch bei OPs können Komplikationen auftreten – etwa unvorhergesehene Blutungen, verschlossene Atemwege oder Herzrhythmusstörungen. Alle Anästhesistinnen und Anästhesisten werden für solche intraoperativen Notfälle speziell geschult. Notfall unterwegs Anästhesistinnen und Anästhesisten des Uniklinikums Erlangen sind als Notfallmedizinerinnen und -mediziner in Erlangen, Herzogenaurach und Höchstadt unterwegs. Auch bei Hubschraubereinsätzen der Nürnberger Station der DRF-Luftrettung sind sie mit an Bord (s. S. 12). Besonders erfahrene Notärztinnen und -ärzte übernehmen außerdem die medizinische Leitung bei Großunfällen und Katastrophenereignissen. Das Lager des STZ wirkt ein wenig wie die Requisitenkammer eines Theaters. Hier lagern u. a. diverse Erwachsenen- und Säuglingspuppen, spezielle Beatmungstorsos und eine Puppe, deren Pupillen sich verändern können. Leuchten Notärztinnen und -ärzte einem Patienten in die Augen, zeigt ihnen die Reaktion der Pupillen, wie es um das Zentrale Nervensystem steht. Sind sie unterschiedlich groß, kann das zum Beispiel auf eine Hirnblutung hindeuten.
20 | Feature 20 |
| 21 Feature Im Herzen der Intensivmedizin „Mein eigenes Gehirn hat mich fast umgebracht – aber ich habe gewonnen.“ Das steht auf Englisch auf dem T-Shirt von Andreas R. Seine Familie hat es für ihn bedrucken und das Team der Neuro-Intensivstation des Uniklinikums Erlangen darauf unterschreiben lassen. Für die Zeit nach dem Krankenhaus. Jetzt, im Juni 2024, liegt der 29-Jährige noch in seinem Bett, angeschlossen an die Beatmungsmaschine und umgeben von piependen Monitoren, Schläuchen und einem fahrbaren Ständer, der mit verschiedenen Schmerz- und Infusionspumpen bestückt ist. Seit knapp zwei Wochen liegt er hier, wurde ins künstliche Koma versetzt. „Damit sein Gehirn sich erholen kann“, sagt seine jüngere Schwester Jasmin R. Es ist 15.30 Uhr und trubelig in dem Vierbettzimmer, denn auch die anderen Patientinnen und Patienten haben Besuch, die Pflegekräfte laufen von hier nach da und dann ist da noch das Redaktionsteam. „Andreas war gerade unterwegs zu einer Freundin. Er rief mich auf einem Parkplatz an und sagte, ich solle sofort zu ihm kommen, weil es ihm nicht gut geht“, berichtet seine Mutter Kornelia R. Als sie schließlich bei ihm war, lag ihr Sohn bereits im Rettungswagen, ein Mundwinkel hing nach unten. Die Ärztinnen und Ärzte in der Notaufnahme der Erlanger Kopfkliniken bestätigten den Verdacht auf Schlaganfall. Ausgelöst wurde er durch eine Sinusvenenthrombose, also ein Gerinnsel im Gehirn. Die Nacht verbrachte der Industriemeister auf der Stroke-Unit, einer Station speziell für Schlaganfälle; eine baldige Entlassung war geplant. „Wir waren guter Dinge, dass Andreas mit einem blauen Auge davonkommt. Aber dann musste er notoperiert werden, weil sein Hirndruck so hoch war, dass es zu Blutungen im Gehirn kam“, schildert Kornelia R. „Seitdem liegt er auf der Neuro-Intensivstation.“ Der junge Mann, der wohl seit seiner Geburt an einer Gerinnungsstörung leidet, die die Thrombose ausgelöst hat, bekommt täglich Besuch. „Es geht einem natürlich schon ans Herz, das eigene Kind so zu sehen, die eigenen Kräfte lassen irgendwann nach“, berichtet Kornelia R. Das Team der NeuroIntensivstation reduziert aktuell nach und nach die Sedierung von Andreas R., denn er ist stabil und soll in einigen Tagen aufwachen. „Manchmal bewegt er schon seine Hände oder öffnet ganz kurz die Augen“, sagt Jasmin R., und es ist spürbar, wie stolz sie auf die Fortschritte ihres Bruders ist. Erwartet hatte die 27-Jährige, dass sie die Intensivstation nur mit Mundschutz und Haube betreten darf. „Aber alles ist hier so offen, man hat fast das Gefühl, das ist eine normale Station – bis auf das Piepsen, die Monitore und die Schläuche vielleicht.“ Mama Kornelia ergänzt: „Das Team → NEURO-INTENSIVSTATION Nach einer Epilepsie-Operation, einer Tumorentfernung im Kopf oder einer Not-OP aufgrund eines Aneurysmas kommen Patientinnen und Patienten auf die Neuro-Intensivstation. Hier werden sie mit besonders großer Fürsorge gepflegt. Die Angehörigen dürfen sich dabei gezielt mit einbringen. Ein Besuch. VON ALESSA SAILER
22 | Feature Füße massieren, Hände eincremen, umlagern, Fieber messen: Angehörige werden auf der Erlanger Neuro-Intensivstation gezielt mit eingebunden, wenn sie das möchten. Fortsetzung von S. 21 ist spitze. Alle haben sich viel Zeit genommen und jedes Detail erklärt, Pflege, Ärztinnen und Ärzte. Wir dürfen Musik mitbringen, ihm vorlesen, ihn sein Parfüm riechen lassen. Auch besuchen können wir Andreas, wann immer wir wollen. Das ist sehr hilfreich für uns.“ Angehörige dürfen mitpflegen Der Duft von ätherischem Öl zieht durch das Patientenzimmer. Jasmin R. massiert ihrem Bruder die Füße, während Mama Kornelia seine Hand drückt und leise mit ihm spricht. Dass Angehörige bei verschiedenen Pflegetätigkeiten – etwa beim Rasieren oder Kämmen – mithelfen dürfen, wenn sie das möchten, ist ein Element des Konzepts „Angehörigenfreundliche Intensivstation“ (s. Kasten), das in Erlangen aktiv gelebt wird. „Ich finde diese Möglichkeit total gut“, sagt Jasmin R. „Dadurch hat man das Gefühl, etwas Sinnvolles beitragen zu können.“ So hat sie bei ihrem Bruder beispielsweise schon einmal Fieber gemessen, ihre Mutter cremt Andreas R. regelmäßig ein und hilft beim Angehörigenfreundliche Intensivstation Das Team der Neuro-Intensivstation hat auf Grundlage der Guidelines zur Family Centered Care (familienorientierte Betreuung) ein ganzheitliches Angehörigenkonzept implementiert. So haben Angehörige z. B. flexible Besuchszeiten und gelten als ein wichtiger Teil der Therapie. Denn: Nach neuesten Erkenntnissen tragen Angehörige wesentlich zur Genesung bei. Zum Konzept gehört es u. a., proaktive Angehörigengespräche zu führen, Angehörige in pflegerische Maßnahmen einzubeziehen und Kindern den Besuch auf der Intensivstation zu ermöglichen. Dafür erhielt das Team das Zertifikat „Angehörigenfreundliche Intensivstation“ vom Pflege e. V. Kornelia R. spricht ihrem Sohn Mut zu. Wenige Tage später erwachte er aus dem künstlichen Koma und begann eine Reha.
| 23 Feature Etwa 90 Prozent der Angehörigen nehmen das Angebot an, ins Intensivtagebuch zu schreiben. Vorne werden der übliche Tagesablauf und die Geräte neben dem Patientenbett erklärt, im hinteren Teil ist Platz für Einträge von Besuchenden, Pflegefachkräften und Physiotherapeuten. Umlagern. Ganz besonders schätzen die beiden Frauen die offene Kommunikation: „Das Team spricht einem Mut zu, ohne zu viel Fortschritt zu versprechen“, merkt Kornelia R. an, und ihre Tochter ergänzt: „Nach jedem Besuch gehe ich mit einem guten Gefühl nach Hause, weil ich weiß, Andi ist hier gut aufgehoben.“ Auch dass das Stationsteam sie regelmäßig zu einem fest vereinbarten Termin anruft, um etwa zu berichten, wie sich Andreas R.s Zustand über Nacht verändert hat, finden sie entlastend. Pflegefachkraft Jacqueline Mc Farland erklärt: „Die Angehörigen können sich darauf verlassen, dass wir uns melden. Wir nehmen uns die Zeit, um Antworten auf offene Fragen zu geben und auf individuelle Ängste und Wünsche einzugehen. Und dank der fest eingeplanten Telefonate lassen sich Unterbrechungen unseres Arbeitsflusses reduzieren, die sich sonst durch Anrufe der Angehörigen ergeben würden.“ Tagebuch für die Zeit danach Kornelia R. schlägt stolz das reichlich gefüllte Intensivtagebuch ihres Sohnes auf. Sowohl Angehörige als auch Pflegekräfte schreiben hier regelmäßig für „Superman Andi, der hier alle auf Trab hält und kämpft wie ein Löwe“, damit er später besser nachvollziehen kann, was passiert ist, während er im Koma lag. Fachkrankenschwester Lisa schrieb z. B. während einer Nachtschicht: „In Ihren Kopf wurde ein Schlauch gelegt, der dafür sorgt, dass Sie keinen Hirndruck entwickeln. Jede Stunde leuchte ich Ihnen in die Augen, um zu sehen, wie Ihre Pupillen aussehen und reagieren. Alle drei Stunden positioniere ich Sie neu im Bett, damit Sie nirgends Druckstellen bekommen.“ Für Angehörige ist das Tagebuch eine mentale Stütze und dokumentiert gute Wünsche: „30. Geburtstag, EM, London, … alles, was noch ansteht, wird ordentlich gefeiert. […] Bitte kümmer dich jetzt erst mal nur um dich. Alles, was Spaß macht, wird gemacht!“ lautet ein Eintrag. Ein anderer: „Wir alle denken an dich und geben dir Kraft, sodass wir diese Tage gemeinsam überstehen.“ Vorbei an einer grünen Trennwand voll mit Fotos des jungen Patienten mit Freunden und Familie läuft Jasmin R. zur Tür des Stationszimmers. „Der ganze Trubel hier. Andreas denkt bestimmt: ‚Die sind verrückt‘“, sagt sie lachend, dreht sich noch einmal um und bleibt mit offenem Mund stehen. Denn Andreas – es ist trotz Beatmungsschlauch zu erkennen – lächelt, öffnet die Augen und schaut Schwester und Mama für ein paar Sekunden forsch an. Dann dämmert er wieder weg. Jasmin R. strahlt: „Das haben wir bisher nicht erlebt, dass er einen gezielt ansieht. Das heißt wohl, dass er bald aufwacht.“ Intensive Betreuung Tagsüber ist eine Pflegefachkraft für zwei Patientinnen bzw. Patienten zuständig, nachts für drei. „Wir haben hier Zwei- und Vierbettzimmer und zwei Isolationsräume für immunsupprimierte oder ansteckende Patienten“, erläutert Diana Hunsicker, die seit drei Jahren auf der Erlanger NeuroIntensivstation arbeitet und insgesamt 15 Jahre Erfahrung in der Intensivmedizin mitbringt. Sie zeigt auf den „Baum“ neben sich, an dem Medikamenten- und Ernährungspumpen, Beatmungsgerät, Pulsoxymeter zur Messung der Sauerstoffsättigung, Absaugkatheter, Blutdruckmanschette, →
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