Gesundheit erlangen - Herbst 2023

Das kostenlose Magazin des Uniklinikums Erlangen | www.gesundheit-erlangen.com | Herbst 2023 Alles über Zucker Ist er so schlecht wie sein Ruf? Wiege der Arzneien Ein Besuch in der Uniklinikumsapotheke Prokrastination Was gegen das ständige Aufschieben hilft ■ Von Arthrose bis Arthritis – was hilft wann? ■ Karpaltunnelsyndrom minimalinvasiv operieren ■ Schnelle Hilfe bei Nervenverletzungen der Hand Eine Handvoll Gesundheit Teil 3 unserer Sportserie: Spezial – Hände und Finger

. . WISSENSCHAFTSSHOWS MITMACH-EXPERIMENTE & VIELES MEHR

| 3 Es gibt Dinge, die kann ich gar nicht so weit wegschieben, wie sie mir unangenehm sind. Denn leider reicht mein Arm nicht bis zum Mond. Dazu gehören die Steuererklärung, Finanzthemen, Versicherungen. Wenn es sein müsste, würde ich das Dreifache dessen, was ich jährlich vom Finanzamt zurückbekomme, jemandem bezahlen, der mir die Steuererklärung macht – nur, damit ich sie los bin! Dass das keinen Sinn ergibt, weiß ich – genauso wie Tausende Menschen wissen, dass es unsinnig ist, die Küchenschränke innen auf Hochglanz zu polieren, während nebenan unbearbeitete Briefe und Unterlagen höhenmäßig dem Shanghai Tower nahekommen. In seinem Interview über Prokrastination (S. 49) – das Aufschieben unangenehmer Pflichten – spricht Prof. Dr. Johannes Kornhuber von „großen Aufgaben, die unscharf umrissen sind“, und davon, dass ihr „Erfolg nicht garantiert ist“. Der Direktor der Psychiatrischen und Psychotherapeutischen Klinik des Uniklinikums Erlangen erklärt, warum es ungünstigere Ausweichmanöver gibt als das Putzen, wie wir die Prokrastination mit „Aufgabenhäppchen“ bezwingen und warum „eine Nacht darüber schlafen“ auch vorteilhaft sein kann. Wer allerdings nächtelang wach liegt und To-dos wälzt, der hat wahrscheinlich eine sehr hohe Mental Load. Vor allem berufstätige Mütter können sich oft mit diesen unsichtbaren geisMentale Last(er) Editorial Was wird denn hier gebaut? Der Forschungscampus Nord zwischen den Kopfkliniken und dem Internistischen Zentrum des Uniklinikums Erlangen wächst und wächst. Was dort bereits entstanden ist und was noch kommt, haben wir für Sie auf S. 7 zusammengestellt. Chefredakteurin von „Gesundheit erlangen“ tigen Koordinierungsprozessen identifizieren. Das sind etwa Frauen, die seelenruhig in der Tür stehen, während sie erzählen, dass sie heute Morgen vor der Arbeit noch kurz mit dem Anwalt telefoniert haben wegen der Probleme beim Hausbau, dass der Mann auf Geschäftsreise ist, sie heute noch einen Kindergeburtstag mit 20 Gästen vorbereiten und sich um Geflüchtete kümmern müssen, und dass eines ihrer zwei Kinder gestern Blut gehustet hat, woraufhin sie um zwei Uhr nachts aussagekräftige Fotos an eine befreundete Ärztin schickten. Wir greifen das Thema Mental Load diesmal in unserer Kolumne auf (S. 35), wobei wir ihm wohl ein ganzes Heft widmen könnten. Unsere Übungen auf S. 56 schlagen schließlich den perfekten Bogen vom Geist zum Körper, denn sie fordern die grauen Zellen ebenso wie die Finger. Nachdem Sie in dieser Ausgabe viel über die Hände erfahren haben, dürfen Sie zum Schluss Ihre eigenen Finger einmal ganz gezielt bewegen – voller Konzentration und ohne Gedanken an die nächsten To-dos. Also: Daumen hoch, wenn Sie sich nicht davor drücken und es einfach mal versuchen! Ihre

4 | Themen dieser Ausgabe INS FINALE GEKOCHT Beruflich röntgt Regina Murphy Kinder und Jugendliche. In ihrer Freizeit ist sie leidenschaftliche Köchin. Ihr Talent brachte sie sogar ins Fernsehen. SCHMERZHAFTE ENGE Immer mehr alltägliche Handgriffe wurden für Renate Hänfling zur Herausforderung – bis zu ihrer erfolgreichen Hand-OP. 3 Editorial NEUES AUS DEM UNIKLINIKUM 6 Nachts im Uniklinikum 7 Der Forschungscampus Nord wächst TITEL 8 Wenn das Gelenk streikt Diagnose und Therapie bei Arthrose 10 Hand eingeschlafen, Patientin wach OP beim Karpaltunnelsyndrom 14 Auf den Nerv gefühlt Nervenchirurgie nach Handverletzungen 18 Die Entzündung im Griff Behandlung und Erforschung der Arthritis REPORTAGE 22 Die Wiege der Arzneien Ein Besuch in den Herstellungsbereichen der Apotheke des Uniklinikums Erlangen MEDIZIN 28 Gewebe auf Abwegen Endometriose erkennen und behandeln 32 Sprechstunde Die Gürtelroseimpfung im Visier 34 Mittel der Wahl Fenchelhonig 35 Kleine Sp(r)itze – Kolumne Mental Load oder kognitive „Kleinigkeiten“? MENSCHEN 36 Meine Geschichte Von der Krebspatientin zur Ärztin 40 Zwei Seiten der Medizinischen Technologin Regina Murphy 42 Meine Gesundheit Pflegedienstleitung Helga Bieberstein 40 10–13

| 5 Themen dieser Ausgabe Video Weiterführende Informationen Kontaktaufnahme Persönlicher Kontakt zur Redaktion ERNÄHRUNG 44 Süße Kraft, die Schlimmes schafft? Die Wahrheit über Zucker KOPFSACHE 48 Mach ich morgen! Prokrastination – und wie man die Aufschieberitis stoppt ERFORSCHT UND ENTDECKT 43 Mitmachen beim „Lauf gegen Krebs“ 52 Palliativstation zieht um 53 Bunter Blickfang: bemalte Klinikmauer 55 Einfach mal übers Sterben reden AKTIV LEBEN 56 Finger, fertig, los! Übungen für Hände und Geist ZUM SCHLUSS 60 In diesem Augenblick 61 Rätsel | Gewinnspiel 62 Vorschau | Impressum FINGER, FERTIG, LOS! Diese Übungen fordern die Finger und die grauen Zellen. Nicht verzagen – mit der Zeit klappt die AugeHand-Koordination immer besser. ARZNEIMITTELHERSTELLUNG Die Uniklinikumsapotheke produziert zahlreiche Medikamente selbst – v. a. patientenindividuelle Zubereitungen wie Chemotherapeutika, Frühchen- Ernährungsbeutel und Schmerzmittel. 22 56 Teil 3 unserer Sportserie

6 | Neues aus dem Uniklinikum Buchung der Führungstickets unter www.uker.de/lndw Bei der Langen Nacht der Wissenschaften am 21. Oktober hinter die Kulissen blicken Wissenschaftsfreundinnen und -freunde aufgepasst: Am Samstag, 21. Oktober 2023, können Interessierte jeden Alters bei der 11. Langen Nacht der Wissenschaften im Raum Erlangen, Fürth und Nürnberg in Einrichtungen und Unternehmen Neues entdecken und vieles selbst ausprobieren. Auch das Uniklinikum Erlangen bietet zusammen mit der Medizinischen Fakultät der FAU von 17.00 bis 24.00 Uhr ein spannendes Programm, u. a. mit 60 Infoständen und ca. 30 Vorträgen. Um 18.00 Uhr präsentieren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen im Rahmen eines Science Slams unter dem Motto „Zukunftsdiagnose: High-tech meets Medicine“ anschaulich ihre Forschung zur Gesundheitsversorgung von morgen. Die Mitarbeitenden der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgischen Klinik erläutern, wie sie mithilfe eines OP-Mikroskops feinste Rekonstruktionen durchführen, und laden zum Mitmachen an 3-D-gedruckten Lehrmodellen ein. Nachtschwärmerinnen und -schwärmer erfahren außerdem, wie im Labor der Plastisch- und Handchirurgischen Klinik Gewebe gezüchtet wird. Auch neun spannende Führungen bietet das Uniklinikum dieses Jahr an: So zeigt die Apotheke bei einem Rundgang durch ihre hochmoderne Logistik u. a., wie die automatisierte Nachts im Uniklinikum Arzneimittelversorgung mit Kommissionierautomaten funktioniert. Wer schon immer einmal wissen wollte, wie eine Strahlentherapie abläuft, kann seine Fragen bei der Besichtigung des Linearbeschleunigers in der Strahlenklinik loswerden. Und wie wär’s im Anschluss mit einer Stippvisite im begehbaren Prostatamodell? Wer sich nach den Programmpunkten erholen will, kann sich gegen eine kleine Spende von angehenden Masseurinnen und medizinischen Bademeistern den Rücken massieren lassen, um danach z. B. Wissenswertes rund um das Thema Organspende und -transplantation zu erfahren. Für das leibliche Wohl sorgen zahlreiche Foodtrucks auf der Piazetta. Eintrittskarten für 19,50 (Erwachsene mit max. vier Kindern unter 15 Jahren), 16,50 (mit einem Abo der Nürnberger Nachrichten) bzw. 12 Euro (ermäßigt) sind ab 12. September 2023 an vielen Vorverkaufsstellen der Region erhältlich. Für Kurzentschlossene gibt es eine Abendkasse.

| 7 Neues aus dem Uniklinikum Wer am 13. Juli 2023 in die Baugrube nördlich des Internistischen Zentrums des Uniklinikums Erlangen blickte, fragte sich vielleicht, was dort entsteht. Mit vielen Ehrengästen fand an diesem Tag der feierliche Spatenstich für das CITABLE (Center for Immunotherapy, Biophysics & Digital Medicine) statt – auch Translational Research Center II (TRC II) genannt. Das neue Forschungsgebäude des Deutschen Zentrums Immuntherapie wird sich direkt an das 2014 eröffnete TRC I anschließen und sich baulich auch mit dem Internistischen Zentrum verbinden. Im CITABLE entwickeln Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Immunmedizin, Biophysik und Digitaler Medizin ab 2025 Diagnostikverfahren und Therapien gegen Entzündungen und Krebs. Im Frühjahr 2023 bewilligte der Wissenschaftsrat einen weiteren Neubau auf dem Forschungscampus Nord. Dort soll bis 2028 auch das CARE-MED (Center for AI-based Real-time Medical Diagnostics and Therapy, TRC III) in die Höhe wachsen. Das Gebäude ist derzeit noch in Planung – genau wie die Ausgestaltung des Erinnerungs- und Zukunftsortes HuPfla. Schwerpunkte des TRC III werden chronisch-entzündliche, degenerative und onkologische Erkrankungen sein, zu denen mithilfe künstlicher Intelligenz und Medizintechnik geforscht wird. Im Oktober 2022 hatte in direkter Nachbarschaft bereits das CESAR (Center of Personalized Medicine & Research, TRC IV) Richtfest gefeiert. In diesem werden künftig MitarbeiSpatenstich für das CITABLE (TRC II) erfolgt Der Forschungscampus Nord wächst tende des Humangenetischen Instituts und der Stammzellbiologischen Abteilung des Uniklinikums Erlangen patientennah arbeiten und forschen. Der wachsende Forschungscampus Nord stärkt die Verbindung von Uniklinikum Erlangen, FAU und außeruniversitären Partnerinnen und Partnern. So befindet sich auf dem Gelände auch das Max-Planck-Zentrum für Physik und Medizin (MPZPM). Patientinnen und Patienten profitieren von den Einrichtungen, die in den Neubauten angesiedelt sein werden, weil sie medizinische Forschung unmittelbar in die klinische Anwendung überführen. Translational: von der Forschung zur Versorgung Der Forschungscampus Nord schließt im Westen an die Kopfkliniken und südlich an das Internistische Zentrum an. Das TRC III wurde im Rahmen einer Machbarkeitsstudie auf dem Plan visualisiert. Beim Bau sind geringfügige Abweichungen möglich. Spatenstich für das CITABLE (TRC II) im Juli 2023 5,9% 5,9% 5,9% 5,9% 2,35% 2,2% 12% 5,9% 11% ca. 7% ca. 2% ca. 5% Höhe: 13.00 m ca. 9.3 m Krone Ø: ca. 6.5 m 7.00 m Höhe: Krone Ø: ca. 7.8 m Höhe: Krone Ø: 13.00 m INZ 12,86 28,60 12,90 26,30 Skywalk TRC I Skywalk TRC IV MPZPM HuPfla TRC IV CESAR TRC III CAREMED TRC I TRC II CITABLE Parkhaus Internistisches Zentrum

8 | Titel Die Hand ist einer der wichtigsten Körperteile und hat einen komplizierten anatomischen Aufbau. 27 Knochen sorgen mit 36 Gelenken und 39 Muskeln sowie zahlreichen straffen Bändern und Sehnen in jeder Hand für die richtige Motorik. Mit der Hand können wir schwere Lasten heben, präzise einen Stift übers Papier führen und ein Haustier streicheln. Schmerzen unsere Hände oder sind sie unARTHROSE Ist die stoßdämpfende Knorpelschicht im Hand- oder in einem Fingergelenk abgenutzt, entstehen oft nicht nur Schmerzen, sondern auch Bewegungseinschränkungen. Doch wie wird der Verschleiß erkannt und behandelt? VON ALESSA SAILER Wenn das Gelenk streikt beweglich, wirkt sich das enorm auf unser Leben aus: Selbst einfache Handgriffe, etwa das Schließen eines Reißverschlusses oder das Greifen einer Flasche, sind dann oft nur noch eingeschränkt möglich. Eine Ursache für die Beschwerden kann schlichtweg die Abnutzung des Knorpels in einem oder mehreren Gelenken sein. Medizinerinnen und Mediziner sprechen von Arthrose. Kommt es aufgrund eines Speichenbruchs zu leichten Verschiebungen des Knochens, stößt die Elle oft an die Handwurzelknochen an. In der Folge kann sich eine Arthrose entwickeln. Abnutzung oder Entzündung? Schmerzen im Finger- oder Handgelenk sind nicht zwingend auf Abnutzung, also auf Arthrose zurückzuführen. Auch eine entzündliche Arthritis verursacht Schmerzen. Deshalb arbeiten die Handchirurginnen und -chirurgen eng mit den Kolleginnen und Kollegen der Medizin 3 zusammen. „Wir überweisen unsere Patientinnen und Patienten, wenn wir merken, dass wir für die Beschwerden die falschen Ansprechpartner sind“, sagt Prof. Horch.

| 9 Titel „Ein Gelenk besteht aus zwei Knochen, die jeweils mit einer spiegelglatten Oberfläche aus Knorpel versehen sind, und der sogenannten Gelenkschmiere. Diese lässt die Knochen bei Bewegung sanft übereinander gleiten“, erklärt Prof. Dr. Dr. h. c. Raymund E. Horch, Direktor der Plastisch- und Handchirurgischen Klinik des Uniklinikums Erlangen. „Im Lauf der Jahrzehnte nimmt die Knorpelschicht jedoch immer weiter ab und es entstehen Schmerzen bei Bewegung und Belastung.“ Menschen in handwerklichen Berufen sind besonders betroffen, da sie ihre Hand- und Fingergelenke stark be- und überlasten. „Aber auch Verletzungen an den Gelenken erhöhen den Verschleiß“, so Prof. Horch. „Stellen Sie sich das vor wie bei einer Teflonpfanne: Die Beschichtung lässt Ihr Bratgut nicht anbrennen. Wird sie allerdings mit einer Metallgabel angeraut, können Sie noch so viel Öl verwenden – Ihr Schnitzel wird anbrennen. Das Gleiche passiert im Gelenk: Bei Brüchen treten feine Risse im Knorpel auf, die sich nicht selbst reparieren. Die Oberfläche wird rau und verursacht Schmerzen bei Belastung.“ Bei Frauen ist am häufigsten das Daumensattelgelenk von Arthrose betroffen, bei Männern hingegen belegt das Handgelenk Platz eins. Es folgen bei beiden Geschlechtern die Fingergelenke. „Es ist nicht vollständig geklärt, ob Frauen wegen hormoneller Faktoren häufiger von Arthrose des Daumensattelgelenks betroffen sind, oder ob sie einfach mehr mit den Händen arbeiten. Männer kommen hingegen meist mit Handgelenksverletzungen vom Sport zu uns – nach dem Tennis-, Handball- oder Volleyballspielen“, sagt der Klinikdirektor. Wichtig sei bei Schmerzen in den Finger- oder Handgelenken, die Ursache abzuklären. „Wir untersuchen, ob die Beschwerden verschleißbedingt sind. Liegt eine Ar- throse vor, ist zunächst einmal Schonung und Kühlen angesagt, um die begleitende Entzündung im Gelenk abklingen zu lassen, die von der Reibung der Knochen aufeinander hervorgerufen wird“, erklärt Prof. Horch. „Das ist ganz wichtig, denn oft wird aus Unwissenheit sofort eine Physiotherapie verschrieben. Die sollte aber erst erfolgen, wenn die Entzündung verschwunden ist.“ Ist jedoch eine chronische Entzündung (Arthritis) die Ursache der Schmerzen, überweisen Prof. Horch und sein Team an die Kolleginnen und Kollegen der Medizinischen Klinik 3 – Rheumatologie und Immunologie des Uniklinikums Erlangen (s. Kasten, s. S. 18–21). Extreme Belastung vermeiden Je nach Stadium ist die Behandlung mit Schmerzmedikamenten und -gels angebracht – aber auch Entlastungsoperationen sind möglich. Das Pro- blem bei Arthrose: Während der Knorpel schwindet, wuchert der Knochen teilweise und verursacht so weitere Schmerzen. „Diese Verknöcherungen tragen wir dann im Rahmen einer OP ab“, so der Handchirurg. Grundsätzlich sind auch Gelenkversteifungen möglich: Durch die Ruhigstellung des schmerzenden Gelenks treten dann keine Schmerzen mehr auf. Soll die Beweglichkeit erhalten bleiben, kommen – je nach Stadium und Stärke der Schmerzen – Prothesen für die Hand- oder Fingergelenke infrage. Diese halten sogar noch länger als beispielsweise Hüftimplantate. „Besonders in den Fingergelenken ist das allerdings oft schwierig umzusetzen“, gesteht Prof. Horch, „denn der Bandapparat muss dafür noch intakt sein. Sonst hat das neue Gelenk keine Stabilität.“ Wichtig sei, mit jeder Patientin und jedem Patienten gemeinsam eine individuell passende Lösung zu finden. Einer Arthrose vorbeugen könne man vor allem mit dem Verzicht auf bestimmte Sportarten: „Egal ob Volleyball, Handball, Klettern oder Squash – wer seine Gelenke extremen Kräften aussetzt, vergrößert das Risiko für eine Arthrose“, verdeutlicht Prof. Horch. Plastisch- und Handchirurgische Klinik Telefon: 09131 85-33277

10 | Titel Hand eingeschlafen, Patientin wach „Das geht seit 30 Jahren so“, seufzt Renate Hänfling. „Besonders nachts sind mir immer wieder die Hände eingeschlafen. Aber diese Taubheit hat auch im Alltag gestört – zum Beispiel beim Schreiben und Autofahren.“ Immer öfter fiel der heute 81-Jährigen der Kaffeefilter aus den Händen, die Ohrringe ließen sich nicht mehr anlegen, die Blusenknöpfe nicht mehr schließen. Irgendwie arrangierte sie sich mit den Beschwerden, die die Medizin Karpaltunnelsyndrom nennt. „Ich kenne eine ehemalige Schreibmaschinenkraft“, sagt Renate Hänfling, „die hat sich deswegen dreimal operieren lassen. Aber es kam immer wieder. Das hat mich auch zögern lassen.“ Früher tippte Renate Hänfling beruflich selbst unzählige Arztbriefe ab. Problematische Engstelle Der Mittelarmnerv (Nervus medianus) passiert zusammen mit mehreren Sehnen den Karpaltunnel an der Innenseite des Handgelenks. Hat der Nerv dort zu wenig Platz, weil er z. B. durch entzündete, geschwollene Sehnenscheiden eingeengt wird, kann das ein Karpaltunnelsyndrom auslösen. Die Symptome sind Kribbeln, Taubheit und Schmerzen in Daumen, Zeige- und Mittelfinger, und mit der Zeit auch ein Kraftverlust in der Hand. Denn die Muskulatur des Daumenballens bildet sich in einem späten Stadium der Erkrankung allmählich zurück. „Das Karpaltunnelsyndrom ist das häufigste Nervenkompressionssyndrom des Menschen“, erklärt Prof. Dr. Dr. h. c. Raymund E. Horch, Direktor der Plastisch- und Handchirurgischen Klinik des Uniklinikums Erlangen. „Es ist oft so wie bei Frau Hänfling: Die Patientinnen und Patienten wachen nachts auf und müssen sich die eingeschlafenen Hände ausschütteln. Frauen betrifft das wesentlich häufiger als Männer – vermutlich weil ihr Karpaltunnel von Natur aus einen kleineren Querschnitt hat. Aber vielleicht auch, weil sie insgesamt mehr mit den Händen machen.“ Bei Schwangeren können vermehrte Flüssigkeitsansammlungen dazu führen, dass es im Karpaltunnel eng wird und Missempfindungen auftreten. KARPALTUNNELSYNDROM Sport, Handarbeiten oder eine Schwangerschaft können den Mittelarmnerven im Handgelenk in Bedrängnis bringen. In hart- näckigen Fällen operieren die Erlanger Handchirurginnen und -chirurgen mit einer speziellen Technik. VON FRANZISKA MÄNNEL Die Patientinnen und Patienten wachen oft nachts auf und müssen sich die eingeschlafenen Hände ausschütteln. Prof. Dr. Dr. h. c. Raymund E. Horch

| 11 Titel Der Karpaltunnel ist ein von Knochen und Bindegewebe eingefasster Durchgang für Nerven und Sehnen, die vom Unterarm zur Hand verlaufen. Überspannt wird der Tunnel vom Karpalband. Während einer OP wird dieses unter Kamerakontrolle vorsichtig durchtrennt. Das entlastet den Nervus medianus. Diese verschwinden nach der Schwangerschaft aber oft von selbst. Andere Betroffene beobachten über Jahre ein Kommen und Gehen der Beschwerden. Sportlerinnen und körperlich Arbeitende, deren Handgelenke immer wieder stark belastet sind, werden häufiger zu Patientinnen und Patienten. „Ganz typisch sind zum Beispiel Radfahrer, die sich stundenlang auf ihren Lenker aufstützen“, sagt Prof. Horch. Es kann helfen, Fehlbelastungen zu vermeiden und nachts eine spezielle, gepolsterte Schiene zu tragen, die die Hand ruhigstellt. Entzündungshemmende Medikamente werden zwar oft eingenommen, wirken aber laut der aktuellen Datenlage nicht besser als ein Placebo. → Karpalband Nervus medianus

12 |Titel Fortsetzung von S. 11 Auch der Lebensgefährte von Renate Hänfling war Karpaltunnelpatient. „Er hat sich nach jahrelangen Problemen am Uniklinikum operieren lassen – beide Seiten – und alles ging sehr gut vonstatten. Er ist sehr zufrieden“, berichtet die Seniorin. Da habe sie noch einmal über ihre eigene Be- handlung nachgedacht. Den finalen Anstoß gab schließlich ihr Neurologe: Zur Verlaufskontrolle schickte dieser regelmäßig schwache Stromimpulse durch ihren linken Mittelarmnerven und maß, wie schnell er die Signale weiterleitete. „Vom Handgelenk über den Karpaltunnel bis zum Daumenballen sollte das nicht länger als 4,2 Millisekunden dauern“, erklärt Prof. Horch. „Ist die Nervenleitgeschwindigkeit niedriger, deutet das darauf hin, dass der Nerv Schaden nimmt. Dann sollte man über einen chirurgischen Eingriff nachdenken. Der lohnt sich auch noch im höheren Alter.“ Renate Hänflings Nerv schaffte 7,9 Millisekunden – war also viel zu träge. Im Sommer 2023 operierte Prof. Horch ihre linke Hand. Schonender Eingriff „Minimalinvasiv“, betont der Handchirurg, der das OP-Verfahren selbst mitentwickelt hat und seit 20 Jahren in Erlangen durchführt. Nur sehr wenige Kliniken in Deutschland bieten eine minimalinvasive Operation des Karpaltunnels an; die meisten operieren offen – machen also an der Handinnenfläche einen etwa vier Zentimeter langen Schnitt. Der endoskopische Zugang, den die Erlanger Handchirurginnen und -chirurgen in der HandgelenksNach dem Fädenziehen untersucht Prof. Horch die Beweglichkeit und das Gefühl in Renate Hänflings Hand. Die OP ist 14 Tage her.

| 13 Titel Dank der minimalinvasiven Technik sind die Patienten schneller wieder fit, nachträgliche Schmerzen sind seltener. Prof. Dr. Dr. h. c. Raymund E. Horch beugefalte setzen, misst nicht einmal einen Zentimeter. „Wir haben Patienten, die sich eine Seite offen und eine minimalinvasiv operieren lassen haben und die den Unterschied spüren konnten“, berichtet Raymund Horch. Er erklärt: „Unserer Erfahrung nach ist dank des sehr kleinen Schnitts das Risiko für Komplikationen während, aber auch nach der OP geringer. Die Patienten sind schneller wieder fit, nachträgliche Schmerzen sind seltener.“ Mithilfe eines Endoskops und eines modernen Kamerasystems blickt der Operateur ins Innere der Hand, ohne diese öffnen zu müssen. Immer unter Sichtkontrolle durchtrennt er das sogenannte Karpalband, das sich quer über den Karpaltunnel spannt. Dadurch bekommen die durch den Tunnel laufenden Strukturen sofort mehr Spielraum. „Es ist wichtig, das komplette Band zu erwischen“, betont Prof. Horch. „Wenn irgendwo ein Rest bleibt, wirkt der wie ein Bindfaden und schnürt den Nerven umso mehr ein.“ Deshalb wird mit dem Endo- skop immer noch einmal nachkontrolliert. Raymund Horch und sein Team führen den Karpaltunneleingriff ambulant unter lokaler Betäubung durch. „Das dauert keine zehn Minuten“, sagt der Klinikdirektor. Bis heute hat er selbst über 1.500 solcher Operationen vorgenommen. „Ich hätte das schon früher machen lassen sollen. Dass es so gut wird, hätte ich nie gedacht“, freut sich Renate Hänfling zwei Wochen nach ihrem Eingriff. „Ich wache nachts nicht mehr wegen tauber Finger auf, habe ein sehr gutes Gefühl in der Hand und eine gute Griffkraft. Ich würde die rechte Seite auch machen lassen, wenn die irgendwann schlechter wird.“ Mehr Lebensqualität: Ihre Ohrringe kann Renate Hänfling jetzt wieder ohne Probleme selbst anlegen. Die Kraft in der linken Hand ist zurück. Plastisch- und Handchirurgische Klinik Telefon: 09131 85-33277 Video: Minimalinvasive Karpaltunnel-OP www.gesundheit-erlangen.com

Titel 14 | Prof. Horch zeigt am Modell den Nerven des kleinen Fingers, der bei seinem Patienten verletzt wurde.

| 15 Titel Prof. Dr. Matthias May erinnert sich noch genau an den 9. April 2023. Er machte gerade Urlaub in Frankreich. Der leitende Oberarzt am Radiologischen Institut des Uniklinikums Erlangen brachte an diesem Tag einen Müllbeutel zu einem öffentlichen Container. „Weil der aber schon voll war, stopfte ich die Tüte hinein“, erinnert sich Prof. May. Zu diesem Zeitpunkt wusste er allerdings nicht, dass sich darin die Scherben einer Glasvase befanden. „Da spritzte mir auch schon das Blut entgegen, weil ich mir offenbar die Arterie am linken kleinen Finger durchtrennt hatte. Ich hatte sofort kein Gefühl mehr in der Außenseite meiner Hand.“ Dem Mediziner war gleich klar, dass ein Nerv verletzt worden war. In der Notaufnahme eines südfranzösischen Krankenhauses wurde Matthias Mays Finger trotz seiner geschilderten Gefühlsbeschwerden sofort genäht, sein Nerv wurde nicht wieder zusammengefügt. Zwei Tage später, zu Hause angekommen, ließ er sich am Uniklinikum Erlangen untersuchen: „Die Oberärztin sagte deutlich, dass die Naht noch mal aufgemacht und der Nerv gerichtet werden muss“, berichtet Prof. May. Noch in derselben Woche operierte ihn Prof. Dr. Dr. h. c. Raymund E. Horch, Direktor der Plastisch- und Handchirurgischen Klinik. Schnell handeln „Verletzte Nerven sollten so schnell wie möglich wieder zusammengefügt werden“, betont Prof. Horch. „Je länger man die Nervenenden sich selbst überlässt, desto mehr sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass das Gefühl wiederkommt. Das Risiko für Auf den Nerv gefühlt NERVENCHIRURGIE Sind die feinen Nervenstrukturen der Hand verletzt, erfordert das eine besonders präzise Reparatur, um Beweglichkeit und Gefühl wiederherzustellen. VON ALESSA SAILER sogenannte Neurome steigt hingegen.“ Diese knotenartigen Gebilde entstehen, weil die Nervenfasern zwar wachsen, sie aber keine sinnvolle Verbindung zu einem anderen Nervenende finden. Dahinter steckt die „Wallersche Degeneration“: Nach etwa drei Wochen fängt der Nerv an, auszusprossen. Bindegewebe setzt sich um die Wunde; die Nervenenden stoßen an das Gewebe und wachsen ungerichtet – ein Neurom entsteht. → Von dem Unfall im Frühjahr 2023 zeugen die Narben am Finger und am Arm. Aus Letzterem wurde die „Venenhülle“ für den durchtrennten Nerv entnommen.

16 | Titel erst gemerkt, wie oft ich den kleinen Finger tatsächlich nutze“, stellt der Radiologe fest. „Ich bin Linkshänder – beim Schreiben stütze ich mich also auf der verletzten Handaußenseite auf. Aber auch beim Tippen am Computer nutze ich natürlich den kleinen Finger.“ Auch bei seiner Arbeit mit Patientinnen und Patienten ist Fingerspitzengefühl gefragt, denn als interventioneller Radiologe arbeitet Prof. May oft mit Kathetern – dünnen Schläuchen, die z. B. in ein Gefäß eingeführt werden, um einen Nierentumor mittels Hitze oder Kälte zu zerstören. Zum Glück ist er bei dieser Tätigkeit nicht mehr eingeschränkt: Zur Demonstration schiebt Matthias May den Katheter mühelos zwischen den Fingern seiner linken Hand hindurch. Fortsetzung von S. 15 Die Wucherungen lassen sich nicht einfach entfernen – daher haben Betroffene meist ein Leben lang mit blitzartigen Schmerzen zu kämpfen, wenn die ehemals verletzte Stelle berührt wird. Damit die beiden „losen“ Nervenenden bei Matthias May ohne Umwege wieder zueinanderfinden konnten, entnahm Prof. Horch seinem Patienten ein etwa 1,5 Zentimenter langes Venenstück aus dem Unterarm. „Damit haben wir den genähten Nerv quasi ummantelt“, erklärt der Handchirurg, „damit sein Wachstum nicht von anderem Gewebe um die Verletzung herum blockiert wird und sich keine Neurome bilden.“ Ob die Beweglichkeit der Finger zurückkommt, hängt vor allem davon ab, wie sehr die Bänder und Sehnen in Mitleidenschaft gezogen wurden. „Matthias May hatte Glück im Unglück, weil seine Beugesehne noch intakt war“, so der Operateur. Deshalb kann der Radiologe seinen kleinen Finger nun, fast vier Monate nach dem Unfall, wieder normal bewegen. Jedoch ist das Gefühl noch nicht vollständig wiedergekommen. „Teilweise kribbelt es noch, wenn ich auf die Narbe drücke“, sagt Matthias May, „aber sonst fühlt es sich gut an.“ Er weiß, dass er Geduld braucht, da Nerven maximal einen Millimeter pro Tag wachsen. Weil das Gefühl bereits nach und nach zurückkommt, ist seine Prognose allerdings sehr gut. „Nach dieser Verletzung habe ich Patient Matthias May demonstriert, wie er einen Katheter zwischen den Fingern hindurchgleiten lassen kann. Reparatursystem Im Unterschied zu den Nerven in Gehirn und Rückenmark (zentrales Nervensystem) können sich die Nervenzellen außerhalb davon (peripheres Nervensystem) nach Schädigungen regenerieren. Ein Nerv im peripheren Nervensystem kann einen Millimeter pro Tag wachsen.

| 17 Titel Sprechstunde für periphere Nervenschädigungen Telefon: 09131 85-36330 www.uker.de/hp-nerven-sprechstunde „Verletzungen der Nerven sind nicht vergleichbar mit denen von Blutgefäßen“, betont Prof. Horch. „Das Zusammennähen allein reicht für eine Signalübertragung nicht aus. Während Blutgefäße wie physikalische Leitungen funktionieren – wir verbinden sie und sofort fließt wieder Blut –, bedarf es bei Nervenschädigungen mehr Geduld. Mit einer OP bereiten wir die Basis für das Nachwachsen, danach ist allerdings der Körper gefragt, um die Durchtrennung selbst zu reparieren.“ Erfahrung und Präzision Die Nervenchirurgie der Hand ist ein Fachgebiet, das viel Erfahrung und Präzision erfordert – ebenso wie eine entsprechende technische Ausstattung. Die Strukturen sind sehr fein, sodass im OP mindestens eine Lupenbrille mit etwa 4,5-facher Vergrößerung verwendet wird. Prof. Horch und sein Team arbeiten oft sogar mit einem speziellen Mikroskop, das auch kleinste Nerven 40-fach vergrößert darstellt. Ein solches Gerät besitzen nur wenige Einrichtungen. Am Uniklinikum arbeiten z. B. auch die Hals-Nasen-Ohren-Klinik – Kopf- und Halschirurgie sowie die Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgische Klinik damit, etwa um die kleinen Strukturen im Ohr zu operieren oder feinste Rekonstruktionen durchzuführen. „Die Fäden, die wir verwenden, sind mit bloßem Auge nur schwer zu erkennen, so dünn sind sie“, sagt der Klinikdirektor. Physiotherapie zur Mobilisierung Nach einer Nervenoperation erhalten die Patientinnen und Patienten in der Regel Physiotherapie, die sie nach etwa ein bis zwei Wochen Schonung beginnen können. „Krankengymnastik ist besonders nach größeren Verletzungen sehr wichtig, um die Beweglichkeit zurückzubekommen“, so Prof. Horch. Denn: Nicht alle Patientinnen und Patienten haben sich vergleichsweise kleine Schnitte wie Matthias May zugezogen, sondern sich manchmal auch großflächig in die Hand gesägt oder geschnitten. Entsprechend sind auch mehr Muskeln, Bänder und Sehnen beteiligt, die zunächst wieder mobilisiert werden müssen. „Wir sind hier für alle Fälle gut ausgerüstet und können selbst komplexeste Verletzungen wieder richten, damit die Patientinnen und Patienten wieder arbeiten gehen und in ihren Alltag zurückkehren können“, sagt Prof. Horch.

18 |Titel Die Entzündung im Griff ARTHRITIS Entzündete, steife Gelenke – vor allem in den Händen – schränken die Lebensqualität stark ein. Welche Therapien es gibt und wie eine Ärztin und eine Forscherin die Erkrankung künftig noch schneller entdecken wollen. VON FRANZISKA MÄNNEL Mit einem Vigorimeter lassen sich Hand- und Fingerkraft bestimmen. Ein Druckmesser (Manometer) ist über einen Schlauch mit einem birnenförmigen Ball verbunden. Dieser wird mit der ganzen Hand oder mit einzelnen Fingern zusammengedrückt – das Manometer zeigt den jeweiligen Wert an.

| 19 Titel „Wenn jemand sich den Hosenknopf nicht mehr zumachen, das Besteck nicht mehr halten oder nicht mehr Fahrrad fahren kann, weil das Bremsen nicht mehr geht, dann ist das schon ein großer Einschnitt“, sagt Dr. Sara Bayat, Assistenzärztin in der Medizinischen Klinik 3 – Rheumatologie und Immunologie des Uniklinikums Erlangen. Dr. Bayat und ihre ärztlichen Kolleginnen und Kollegen sehen regelmäßig Menschen, die über schmerzende Hand- oder Fingergelenke klagen. „Wir klären dann zuerst, ob es entzündlich ist“, sagt sie. Falls ja, ist die Medizin 3 des Uniklinikums Erlangen die richtige Anlaufstelle. Doch schmerzende Hände können z. B. auch von einer Arthrose (S. 8) oder einem Karpaltunnelsyndrom (S. 10) herrühren; auch mehrere Erkrankungen gleichzeitig sind denkbar. Am häufigsten: rheumatoide Arthritis Die häufigste Form der Gelenkentzündung ist die rheumatoide Arthritis (RA). Sie basiert auf einer Autoimmunreaktion: Das Immunsystem attackiert den eigenen Körper und schädigt dabei Sehnen, Muskeln, Gelenke und sogar die inneren Organe. „Wir fragen nach der Art des Schmerzes, nach Schwäche und Müdigkeit und schauen, ob die Gelenke der Hand gerötet, warm, steif oder geschwollen sind, das Handgelenk verdreht ist oder die Beugesehnen der Finger verkürzt sind“, erläutert Dr. Bayat. Auch die anderen Gelenke sieht sich die junge Ärztin genau an – insgesamt 78 verschiedene. Schulter, Ellenbogen, Hüfte, Knie und Fußgelenke sind ebenfalls oft von einer RA betroffen. Mit speziellen Griffen ertastet Sara Bayat Schwellungen in den Gelenken. „Schmerzt es, wenn ich auf ein Gelenk drücke, ist das ein Grund, es weiter zu untersuchen. Die Anzahl der betroffenen Gelenke lässt mich abschätzen, wie aktiv die Krankheit ist.“ Die chronisch verlaufende RA tritt typischerweise symmetrisch auf, also auf der linken und rechten Körperseite gleichzeitig. Besonders häufig beginnt die Krankheit in den Grundgelenken der Finger und Zehen. Die Psoriasis-Arthritis (PSA) hingegen, bei der neben entzündeten Gelenken auch eine Schuppenflechte (Psoriasis) vorliegt, ist → „Eine entzündlich bedingte Knochenzerstörung und angeschwollene Weichteile sprechen für eine Arthritis, eine degenerative Abnutzung und Knochenneubildungen für Arthrose“, sagt Dr. Sara Bayat, die hier eine Patientin per Ultraschall untersucht (oben) und den Status der Fingergrundgelenke ermittelt (unten). Arthritis vs. Arthrose Menschen mit rheumatoider Arthritis haben oft am Morgen steife Finger. „Durch Bewegung wird es besser. Das dauert aber schon mal 45 bis 60 Minuten“, weiß Dr. Sara Bayat. Anders bei Arthrose: Hier verschlimmert Bewegung die Schmerzen.

Titel 20 | Fortsetzung von S. 19 eher asymmetrisch. Ein weiterer Unterschied: Während bei der RA oft alle fünf Fingergrundgelenke einer Hand betroffen sind, verläuft die PSA häufig strahlenförmig entlang eines Fingers. Zudem können bei der PSA auch Sehnenansätze und die Wirbelsäule betroffen sein, dazu kommen eventuell entzündliche Darm- oder Augenerkrankungen. „Wir raten allen, die eine Schuppenflechte und parallel Gelenkbeschwerden haben, sich von einer Rheumatologin auf Psoriasis-Arthritis untersuchen zu lassen. Oft werden die Gelenkschmerzen leider als Arthrose fehlinterpretiert“, sagt Sara Bayat. Wurde eine Patientin oder ein Patient zu den Symp- tomen befragt und körperlich untersucht, schließen sich Ultraschall-, Röntgen- oder MRT-Aufnahmen an, später auch Blutanalysen. „Im Labor bestimmen wir unter anderem den Rheumafaktor und spezielle Antikörper, die für die vermutete Arthritisform typisch sind“, erklärt Dr. Bayat. Manchmal ist die Krankheit auch noch nicht richtig ausgebrochen, im Blut aber schon sichtbar. Diese Risikopatientinnen und -patienten werden engmaschig beobachtet. „Bei einer Arthritis dürfen wir keine Zeit verlieren. Die Therapie sollte so schnell wie möglich starten“, betont die Internistin, „denn wenn Sehnen und Gelenke erst einmal zerstört sind, ist das unwiderruflich.“ Wer unterstützend etwas tun will, sollte gesund und ballaststoffreich essen, nicht rauchen, sich viel bewegen und gegebenenfalls Gewicht reduzieren, um die (anderen) Gelenke zu entlasten. Behandlung der rheumatoiden Arthritis Bei Fingerschmerzen und -steifigkeit prüft Sara Bayat in einem ersten Schritt, ob gängige entzündungshemmende Schmerzmittel eine Besserung bringen. Steht die Diagnose RA fest, versucht die Ärztin das Immunsystem so zu modulieren, dass es aufhört, zu kämpfen. Mittel der ersten Wahl ist hierbei niedrig dosiertes Methotrexat – so empfehlen es deutsche und internationale Fachgesellschaften. Das Medikament wird als Tablette eingenommen oder unter die Haut gespritzt. Die entBei einer Arthritis dürfen wir keine Zeit verlieren. Die Therapie sollte so schnell wie möglich starten. Dr. Sara Bayat Moberg-Pick-up-Test: Wie schnell können Sie diese zwölf Gegenstände zurück in die Dose legen? PD Dr. Anna-Maria Liphardt misst die Fingerkraft ihrer Patientin.

| 21 Titel Hochschulambulanz der Medizin 3 Telefon: 09131 85-34742 E-Mail: m3hsa@uk-erlangen.de AG von PD Dr. Anna-Maria Liphardt www.uker.de/m3-liphardt zündliche Erkrankung führt dazu, dass die Knochendichte abnimmt und Sehnen und Muskeln geschädigt werden. Methotrexat soll das verhindern und diese Strukturen schützen. „Zu Beginn und bei Krankheitsschüben geben wir auch Kortikosteroide, umgangssprachlich Kortison. Eine Dauerlösung sind diese Entzündungshemmer aber nicht, weil sie auf lange Sicht das Risiko für Infektionen, Bluthochdruck, Herzinsuffizienz, Diabetes, Magengeschwüre und Osteoporose erhöhen“, erläutert Dr. Bayat. Schlägt Methotrexat nicht wie gewünscht an, kommen zusätzlich Biologika infrage – bestimmte biotechnologisch hergestellte Medikamente, die als Infusion, Spritze oder Tablette verabreicht werden. „Insgesamt braucht es frühzeitig ein gutes Monitoring der Krankheitsaktivität“, macht Sara Bayat deutlich. „Die Therapie muss immer wieder individuell angepasst werden. Und auch wenn die Medikamente vielleicht irgendwann wieder abgesetzt werden können, empfehlen wir, weiter regelmäßig zum Rheumatologen zu gehen.“ Handfeste Forschung PD Dr. Anna-Maria Liphardt ist Sportwissenschaftlerin und forscht zu rheumatisch-entzündlichen Gelenkserkrankungen. Einer ihrer Schwerpunkte sind Bewegungseinschränkungen der Hand. Dr. Liphardt arbeitet mit Ärztin Dr. Bayat zusammen, die wiede- rum als Clinician Scientist (klinische Forscherin) die Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Patientenversorgung bildet. Die beiden Frauen tauschen sich regelmäßig darüber aus, welche Symptome Menschen mit entzündlichen Gelenkerkrankungen haben und welche Funktionseinbußen sie erleiden, speziell in den Händen. „Wir fragen die Betroffenen etwa: Wie schwer ist es für Sie, eine Flasche aufzuschrauben oder ein Glas Wasser zu halten? Die Antworten sind natürlich sehr subjektiv, und manche Veränderungen können wir damit gar nicht erfassen. Deshalb ergänzen wir die Fragebögen durch Fingerfertigkeitstests und Messungen der Griffkraft“, erklärt Dr. Liphardt. Zusätzlich untersucht ihre Arbeitsgruppe die Krankheitsaktivität per Ultraschall, MRT und CT, macht Blut- und Urintests. Mittels optischer Sensoren wollen die Forschenden zudem ermitteln, inwiefern sich eine Hand mit Arthritis anders bewegt als eine gesunde. Dr. Liphardt: „All das wollen wir zusammenführen und klären, wie Veränderungen der Handfunktion mit der Entzündungsaktivität und mit strukturellen Gelenksveränderungen zusammenhängen. Können wir anhand von Bewegungsmustern der Hand die Krankheitsaktivität vorhersagen? Ist es möglich, Schäden anhand von Funktionseinschränkungen frühzeitig zu prognostizieren?“ In einer Forschungsarbeit wies die AG um Anna-Maria Liphardt z. B. nach, dass die Handfunktion bei Psoriasis eingeschränkt ist, und dass sie bei Psoriasis-Arthritis im Alter schneller verloren geht als bei rheumatoider Arthritis. Im Sonderforschungsbereich „EmpkinS“ untersucht aktuell ein multidisziplinäres Team, zu dem auch Dr. Liphardts AG gehört, neue Diagnostik- und Therapieoptionen. „Berührungslose Sensoren, die zum Beispiel mit Radar- oder Kameratechnik arbeiten, könnten irgendwann die Bewegungen von Patienten erfassen – am Bett, am Arbeitsplatz oder zu Hause. Ziel ist es, die gewonnenen Bewegungsdaten mit den biomedizinischen Prozessen im Körperinneren zusammenzuführen und eine Entzündung früh zu erkennen.“ Stoffwechselerkrankungen wie Gicht, eine Bindegewebsentzündung oder eine durch Zecken verursachte Borreliose können ursächlich für Hand- und Fingerschmerzen sein. Der häufigste Grund für Gelenkentzündungen sind allerdings Autoimmunreaktionen.

22 | Reportage Höchste Qualitätsstandards Alle Herstellungsbereiche in der uniklinikumseigenen Apotheke folgen dem GMP-Standard (Good Manufacturing Practice = gute Herstellungspraxis), also strengen Richtlinien zur Qualitätssicherung der Produktionsabläufe und -umgebung bei der Zubereitung von Arzneimitteln.

| 23 Reportage Die Wiege der Arzneien Die Patientinnen und Patienten des Uniklinikums Erlangen werden während ihres Aufenthalts von der hauseigenen Apotheke mit Medikamenten versorgt. Doch nicht immer sind die notwendigen Arzneien im Handel erhältlich: entweder, weil die verfügbare Wirkstoffdosis nicht passt, Präparate aktuell nicht lieferbar sind oder weil die Medizin individuell zusammengestellt werden muss. Deshalb produziert die Apotheke in der Palmsanlage z. B. Salben, Kapseln, Fiebersäfte und Chemotherapie- sowie Ernährungsbeutel für die intravenöse Anwendung selbst. Die Redaktion von „Gesundheit erlangen“ war einen Vormittag lang vor Ort. Dr. Ilona Seemann, Apothekerin und Leiterin der Parenteraliaherstellung, öffnet eine der blauen Türen im ersten Stock. Dort, im sogenannten endsterilisierten Bereich, bereiten Pharmazeutisch-Technische Assistentinnen und Assistenten (PTAs) Infusions- und Injektionslösungen (= Parenteralia) zu. „Endsterilisiert bedeutet, dass die Arzneien nach der Herstellung sterilisiert werden. Dazu gehören etwa Schmerzmittel für die Intensivstationen und Blutstiller, die nach einer großen OP verabreicht werden“, erklärt Ilona Seemann. „Anstatt auf Station verschiedene Ampullen anbrechen und auf eine entsprechende Dosierung achten zu müssen, erhält das Pflegepersonal von uns ein verabreichungsfertiges Präparat.“ Alle Herstellungsstätten der Apotheke sind Reinräume, die u. a. mit speziellen Luftpartikelfiltern ausgestattet sind (s. Kasten auf S. 25). „Wir arbeiten unter streng kontrollierten Bedingungen und tragen Kleidung, die der jeweiligen Reinraumklasse entspricht“, betont die Apothekerin. Heute läuft die Produktion der blutungsstillenden Tranexamsäure in 100-Milliliter-Glasflaschen. Die zuständige PTA hat bereits die benötigten Ingredienzien in den Vorbereitungsraum geschleust und sich reinraumkonform eingekleidet: mit Haube und Mundschutz, weißem Kittel und Handschuhen. „Als Nächstes wiegt die PTA gemäß dem Herstellungsprotokoll, also dem Rezept, alle Bestandteile ab“, erläutert Dr. Seemann. Ihre Kollegin gibt die Inhaltsstoffe in einen 100-Liter-Ansatzkessel aus Edelstahl. „Unsere Grundzutat ist Wasser für Injektionszwecke, das wir aus vollentsalztem Wasser durch Destillation noch weiter aufreinigen“, sagt Ilona Seemann und deutet auf eine Rohrleitung, die von der Aufbereitungsanlage nebenan durch die Wand bis zum Kesselanschluss führt. Dort werden die Substanzen verrührt, ein Fühler überprüft dabei u. a. die Temperatur. Die Apothekerin nimmt eine kleine Probe des Ansatzes heraus und ermittelt u. a. Dichte und pH-Wert. „In-Prozess-Kontrollen sind bei der Arzneimittelherstellung sehr wichtig. Erst wenn die Freigabe von einer Apothekerin oder einem Apotheker erteilt ist, darf das Präparat abgefüllt werden.“ Automatische Abfüllstation Ein paar Schritte weiter wartet schon die automatische Abfüllstraße, wo frisch gespülte Fläschchen → ARZNEIMITTELHERSTELLUNG Die Apotheke des Uniklinikums Erlangen produziert nicht nur in Zeiten von Lieferschwierigkeiten selbst Medikamente – auch spezielle, teils patientenindividuelle Zubereitungen wie Schmerzmittel, Immuntherapien und Ernährungsbeutel für Frühchen sind Teil des Tagesgeschäfts. Ein Besuch. VON ALESSA SAILER

24 | Reportage Je nach Lagerbestand und Bedarf auf den Stationen produziert das Apothekenteam Parenteralia z. B. im Dreimonatsrhythmus. Manche Präparate reichen aber auch für ein ganzes Jahr. Fortsetzung von S. 23 auf einem Band zunächst mit Stickstoff befüllt werden. „Er verdrängt den Sauerstoff aus dem Gefäß, der den Abbau bestimmter Substanzen fördern würde“, erklärt Ilona Seemann. Eine drehkreuzartige Scheibe befördert die Flasche unter die Abfüllnadel, durch die die Tranexamsäurelösung aus dem Kessel in das Gefäß gelangt. Eine Drehung weiter presst die Anlage einen Stopfen auf die Flasche, der erst angedrückt wird und danach eine Kappe übergestülpt bekommt. Schließlich biegt die Maschine diese um den Flaschenhals, um den Inhalt luftdicht zu verschließen, und das Gefäß fährt über ein Förderband auf einen Drehteller. Die PTA lädt nun einen Metallwagen mit Fläschchen voll und schiebt ihn in den Autoklaven, der den Blutungsstiller schließlich 20 Minuten bei 121 Grad mit einem Wasser-Dampf-Gemisch sterilisiert. Manuelle Prüfung Wieder in weißer Bereichs- statt in Reinraumkleidung holt die PTA die endsterilisierten Flaschen auf der anderen Seite wieder heraus. Nach dem Abkühlen folgt die Sichtprüfung jedes einzelnen Gefäßes auf eventuelle Partikel. Dazu dunkelt die PTA den Raum ab und zieht den schwarzen Vorhang um den Arbeitsplatz zu. Sie greift zum ersten Gefäß mit Tranexamsäure, stellt es auf den Kopf und schaut es durch das beleuchtete Vergrößerungsglas hindurch genau an. „Wäre hier auch nur ein einziger Partikel sichtbar, müsste die Flasche verworfen werden, weil sie unseren Qualitätsansprüchen nicht genügt. Hier passt aber alles“, gibt Ilona Seemann grünes Licht. 35.000 … … Flaschen mit nicht-sterilen Arzneimitteln stellt die Apotheke jedes Jahr her. Dazu zählen sowohl individuelle Rezepturen als auch in größeren Chargen produzierte Arzneien.

| 25 Reportage Bei der manuellen Sichtkontrolle überprüft die PTA die endsterilisierten Arzneien auf Partikel, die mit dem bloßen Auge nicht erkennbar wären. In der Abteilung nebenan arbeitet unterdessen Martin Baier, Leiter der nicht-sterilen Herstellung. „Wir produzieren hier beispielsweise speziell zusammengesetzte Cremes und Salben für die Hautklinik, Fiebersäfte für Kinder und Kapseln für verschiedene Einrichtungen“, zählt der Apotheker auf. „Am häufigsten bekommen wir Anforderungen von der Kinder- und Jugendklinik.“ Markus Brix, Pharmazeut im Praktikum, bereitet für die Einrichtung heute zwei Flaschen Flecainid zu – ein Mittel gegen Herzrhythmusstörungen. Da die im Handel erhältlichen Tabletten für Kinder viel zu hoch dosiert sind und diese sie obendrein nur schwer schlucken können, zerstößt der angehende Apotheker zunächst die auf dem Herstellungsprotokoll vermerkte Menge des Wirkstoffs mithilfe eines Mörsers. Langsam gibt er nun portionsweise das Suspensionsmittel hinzu und vermengt es immer wieder gleichmäßig mit dem Pulver. Ein sanfter Kirschgeruch liegt in der Luft, als Markus Brix schließlich die benötigte Menge der süßen Flüssigkeit aufgefüllt hat. Mit einem Kunststoffspatel schabt er säuberlich die weißliche, puddingartige Arznei aus der Reinraumklassen Die Reinraumklassen reichen von A bis D, wobei A die reinste Umgebung ist – ohne Partikel und Keime. Diese Klasse gilt an den Werkbänken des Aseptischen Zubereitungszentrums (AZZ), B im Raum hinter den Bänken, C im endsterilisierten Abfüll- bzw. im Vorbereitungsbereich des AZZ und D z. B. in der nicht-sterilen Herstellung. Schale, um sie in zwei braune Glasfläschchen zu geben und mit einem Schraubdeckel zu verschließen. „Jetzt kontrolliere ich, ob die Angaben auf dem Etikett mit der Vorgabe übereinstimmen und ob die Konsistenz stimmt“, sagt Herstellungsleiter Martin Baier. Er nimmt die Flaschen zur Hand und unterschreibt das Herstellungsprotokoll. „Die Suspension entspricht den Vorgaben und kann so an die Station geliefert werden.“ Unabhängig dank Eigenherstellung Etwa 1.200 Anforderungen für Individualrezepturen – etwa für Antiepileptika, Blutdrucksenker oder Schmerzmittel – erhält Martin Baiers Team pro Jahr aus dem gesamten Uniklinikum. „Neben den Einzelherstellungen der Rezeptur produzieren wir aber auch größere Mengen als Defektur im Voraus, zum Beispiel Mundspüllösungen für Menschen, die wegen ihrer Krebstherapie unter Mundschleimhautentzündungen leiden“, erläutert der Apotheker. „Vergleichbare Lösungen wären im Handel viel teurer.“ Etwa 250 Chargen nicht-steriler Cremes, Kapseln, Suspensionen und mehr →

26 | Medizin Fortsetzung von S. 25 stellen er und sein Team jährlich her. Während der Coronapandemie wurden zusätzlich noch ca. 21.000 Flaschen Desinfektionsmittel hergestellt und abgefüllt, da nahezu nichts mehr auf dem freien Markt verfügbar war. „Lieferschwierigkeiten können wir grundsätzlich gut abpuffern, sofern die benötigten Zutaten noch erhältlich sind. So haben wir zeitweise auch Ibuprofen- und Paracetamolsäfte selbst produziert. Bis vor Kurzem war außerdem das Antibiotikum Amoxicillin schwer lieferbar. Auch das konnten wir kurzfristig selbst herstellen“, berichtet Martin Baier. Aseptische Zubereitung Im obersten Stockwerk der Apotheke angekommen, erläutert PTA Julia Rahn, dass die Zubereitungen im aseptischen Bereich in der höchsten Reinraumklasse erfolgen. Deshalb tragen die Kolleginnen und Kollegen dort neben Mundschutz, zwei Paar Handschuhen und Reinraumzwischenbekleidung einen speziellen, an die Raumfahrt erinnernden Ganzkörperanzug, sodass nur noch die Augenpartie sichtbar ist. „Wir arbeiten immer in Zweierteams: Eine Person reicht an, die andere stellt her. So ist außerdem das Vier-Augen-Prinzip gewährleistet. Damit garantieren wir, dass jede Komponente in der richtigen Dosis zugegeben wurde und das Produkt mit der Anforderung übereinstimmt“, sagt Julia Rahn und deutet durch die Scheibe des Aseptischen Zubereitungszentrums (AZZ). Auf der anderen Seite stellen die zwei PTAs gleich ein Antikörpermedikament gegen die Autoimmunerkrankung Lupus erythematodes her. „Auch hier gelangen die Ausgangsstoffe zuerst über eine Schleuse ins AZZ, ebenso wie das Personal.“ Julia Rahn deutet auf die blauen Der Pharmazeut im Praktikum Markus Brix zermörsert große Tabletten zu feinem Pulver und verrührt sie so lange mit einer gesüßten Suspensionsgrundlage zu einer Paste, bis alles homogen ist. Das Fruchtaroma soll Kindern das Schlucken der Arznei angenehmer machen. Reportage

Medizin | 27 Video: Wie arbeiten PTAs in der Apotheke des Uniklinikums Erlangen? www.gesundheit-erlangen.com Schütten, in denen bereits die benötigten Fertigarzneimittel liegen. Die zureichende PTA stellt nun der herstellenden Kollegin an der Werkbank Glasfläschchen, Spritzen und einen mit durchsichtiger Flüssigkeit gefüllten Kunststoffbeutel auf der Arbeitsfläche an der Werkbank bereit. Ihre Kollegin greift das Fläschchen und sticht mit einem sogenannten Spike durch den Deckel. „Das ist ein Entnahmesystem, das den Druck in der Flasche ausgleicht, wenn die Flüssigkeit entnommen wird – das gleiche Prinzip wie beim Trinken aus einer Glasflasche: Da muss man auch immer wieder Luft reinlassen“, erläutert Julia Rahn. Auf den Spike dreht die PTA eine Spritze, sie kippt das Fläschchen auf den Kopf und zieht das benötigte Volumen auf. Anschließend schraubt sie die Spritze vom Spike, klopft mit dem Finger Luftbläschen heraus und zeigt ihrer Kollegin die Menge der Flüssigkeit. Beide schauen zuerst auf die Spritze, dann auf das Herstellungsprotokoll, die zureichende PTA nickt. „Alles in Ordnung. Jetzt gibt sie den Wirkstoff in den Beutel mit der Trägerflüssigkeit, in dem Fall Kochsalzlösung“, kommentiert Julia Rahn die Geschehnisse hinter der Scheibe. „Am Ende kontrolliert das Zweierteam noch mal, ob alle Bestandteile der Rezeptur hinzugegeben wurden und das Etikett mit der Anforderung übereinstimmt. Schließlich wird das Produkt noch verschweißt, damit es sicher zur Patientin oder zum Patienten gelangt“, sagt Julia Rahn. Kontrollblick: Passt alles? Die herstellende PTA (l.) trägt zusätzlich sterile Handschuhe und Armstulpen. Jede Viertelstunde desinfizieren beide PTAs im AZZ ihre Handschuhe, jede halbe Stunde wechseln sie sie. Kieser Erlangen Carl-Thiersch-Straße 2 | Telefon (09131) 610 18 40 | kieser-training.de KRAFTIMMER EIN STÜCK STÄRKER. JETZT PERSÖNLICHEN STARTTERMIN VEREINBAREN Anzeige Reportage

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