Gesundheit erlangen - Winter 2024/25

Das kostenlose Magazin des Uniklinikums Erlangen | www.gesundheit-erlangen.com | Winter 2024/25 ■ Checkpoint-Inhibitoren, CAR-T-Zellen und spezielle Impfungen gegen Krebs ■ Neue Hilfe bei Autoimmunerkrankungen Innovation Immuntherapie Eisbaden Ist eiskaltes Wasser gesund oder gefährlich? Neues Kniegelenk Wieder beweglich dank Mako-Roboter-OP Wau-Effekt Ein Therapiehund hilft kranken Kindern

Gemeinsam und gezielt gegen Entzündungen und Krebs

| 3 Editorial Mit gleich zwei Paar dicken Socken steige ich in die senkrechte kupferfarbene Röhre, aus der kalter weißer Nebel herauswabert. „Rein mit Ihnen“, feuert mich die Mitarbeiterin an. „Drei Minuten bleiben Sie jetzt da drin, das schaffen fast alle“, sagt sie. Sind fast alle auch solche Frostbeulen wie ich? Na ja, was sind schon drei Minuten. Drei Minuten bei minus 140 Grad. In Unterwäsche. „Eine Minute haben Sie schon.“ Meine Oberschenkel und Arminnenseiten brennen vor Kälte, innerlich zittere ich. Oder auch äußerlich? Ich konzentriere mich aufs Atmen. „Gleich anderthalb Minuten.“ Ich fühle mich wie auf einer Eisscholle im Baikalsee. Nur dass ich die falsche Kleidung dabeihabe (nämlich keine). „Waren Sie schon mal hier drin?“, lenke ich ab. Die Frau am Kontrollregler sagt: „Natürlich.“ Zwei Minuten, zwei Drittel geschafft. Ich stelle mir das versprochene Wärmegefühl vor, das man nach dieser Ganzkörperkältetherapie in der sogenannten Kryosauna haben soll. „Noch 30 Sekunden.“ Langsam denke ich, ich könnte es vielleicht doch überleben. Und stopp! Ich darf raus. Die Haut ist leicht gerötet, alles fühlt sich stark durchblutet an, Wärme kehrt in meinen Körper zurück. Mein Blutdruck ist ganz leicht gestiegen. Wieder in meine Daunenjacke gepackt laufe ich schließlich zurück zu meinem Arbeitsplatz. Die fünf Grad Außentemperatur, die mich heute Morgen noch frösteln ließen, kommen mir jetzt etwas lächerlich vor. Kalt ist nicht gleich kalt Chefredakteurin von „Gesundheit erlangen“ Ich denke an kalte Flussbadeaktionen im Sommer auf Korsika und daran, dass Kälte nicht gleich Kälte ist. Denn im Verhältnis zu einem zwölf Grad kalten Gebirgsfluss fühlt sich die Kryosauna mit minus 140 Grad dann doch wieder nicht so eisig an. Woran das liegt und welche gesundheitlichen Effekte Kälte haben kann, das habe ich im Gespräch mit dem Kardiologen Prof. Dr. Stephan Achenbach und dem Rehamediziner Dr. Christoph Bleh erfahren (s. S. 56). Ob Kältetherapien wirklich das Immunsystem stärken, lässt sich nicht zweifelsfrei beantworten; dazu gibt es bislang zu wenige aussagekräftige Studien. In unserem Titel (ab S. 8) widmen wir uns diesmal aber inno- vativen Therapien, die das eigene Immunsystem dabei unterstützen, schwere Entzündungen und Krebs zu bekämpfen. Dazu gehören Checkpoint-Inhibitoren, CAR-T-Zellen und spezielle Impfungen. Mehrere Patientinnen und Patienten des Uniklinikums Erlangen berichten in diesem Zusammenhang, wie sie dank Immuntherapien ihre Erkrankungen in den Griff bekommen haben. Ich wünsche Ihnen viel Freude beim Lesen, einen gesunden Jahreswechsel und dass Sie der Winter nicht kalt erwischt! Wau-Effekt Wie Therapiehund Bailey mit Kindern agiert und ihnen zu neuem Selbst- bewusstsein verhilft, ist eines meiner Highlights in dieser Ausgabe. Mehr auf Seite 22.

4 | Themen dieser Ausgabe FIT DANK KÜNSTLICHEM KNIE Silke Koch hatte aufgrund von Arthrose jahrelang Knieschmerzen – bis sie sich ein künstliches Gelenk einsetzen ließ. Warum die roboterassistierte OP viele Vorteile bringt. 3 Editorial NEUES AUS DEM UNIKLINIKUM 6 Neue Ausbildungsstation eingerichtet 7 Max-Planck-Zentrum für Physik und Medizin eröffnet TITEL 8 Schlagkräftige Antwort Überblick über Immuntherapien 10 Die Bremse lösen Checkpoint-Inhibitoren gegen Krebs 14 Zwei gegen einen CAR-T-Zellen und Impfung kombiniert 18 Brille fürs Immunsystem CAR-T-Zell-Patientinnen und -Patienten berichten FEATURE 22 Therapie mit Wau-Effekt Hund Bailey besucht kranke Kinder MEDIZIN 28 Sprechstunde Wie gefährlich ist ein Kloß im Hals? 32 Lastenräder für Herzkinder Mehr Freiheit im Alltag für betroffene Familien 34 Medizin gestern und heute Hebammen im Wandel der Zeit 36 Mittel der Wahl Honig 37 Kleine Sp[r]itze – Kolumne Dauermilch, du dauerst mich! PATIENTEN-STECKBRIEFE Sie alle hatten schwere Autoimmun- erkrankungen, sie alle bekamen CAR-TZellen. Vier Patientinnen und Patienten berichten, wie es ihnen heute geht. 18 38

| 5 Themen dieser Ausgabe Video Weiterführende Informationen Kontaktaufnahme Persönlicher Kontakt zur Redaktion MENSCHEN 38 Meine Geschichte Neustart fürs Knie dank Mako-Roboter 42 Zwei Seiten von Kinder- und Jugendpsychiater Dr. Martin Diruf 44 Aus dem Medizinkästchen Neurochirurg Prof. Dr. Oliver Schnell ERNÄHRUNG 46 Köstlichkeit aus der Dunkelheit Wintergemüse Chicorée KOPFSACHE 48 Mut zum Nein Selbstbewusst eigene Grenzen ziehen ERFORSCHT UND ENTDECKT 45 KI erkennt Bauchspeicheldrüsentumoren 53 Medizinpreis für Online-Training bei Parkinson 54 Neue Professur Nanooptische Bildgebung 55 Vorschau: Gesundheitsmesse Bamberg 2025 AKTIV LEBEN 56 Eiskalter Kick Wie Eisbaden auf die Gesundheit wirkt ZUM SCHLUSS 60 Mal ganz entspannt 61 Rätsel | Gewinnspiel 62 Vorschau | Impressum EISKALTER KICK Einige Menschen schwören auf ein Bad in eisigem Wasser – sogar im Winter. Zwei Experten erklären, welche Risiken das Kaltwasserschwimmen hat und was die bessere Alternative ist. THERAPEUT AUF VIER PFOTEN Labrador-Retriever Bailey besucht regelmäßig Patientinnen und Patienten der Kinderklinik. Dank ihm machen die Kinder und Jugendlichen in vielen Bereichen Fortschritte. 22 56

6 | Neues aus dem Uniklinikum Patientin Dolores O. gibt eine „Eins plus“ für die neue Ausbildungsstation der Medizinischen Klinik 4 – Nephrologie und Hypertensiologie des Uniklinikums Erlangen. „Die Auszubildenden sind so freundlich. Ich kann so viele Fragen stellen, wie ich will – sie beantworten alle.“ Nach einer Pilotphase wurde die neue Ausbildungsstation nun offiziell eröffnet. Hier lernen Azubis der generalistischen Pflegeausbildung, was Pflege bedeutet – von Planung und Organisation bis hin zu Blutdruckmessen, Wiegen, Verbandswechsel und Körperpflege. „Der Bereich steht Azubis vom ersten bis zum dritten Lehrjahr offen“, erklärt die stellvertretende Stationsleitung Isabell Neue Ausbildungsstation ermöglicht patientennahes Lernen Mittendrin statt nur dabei Glaser. Ziel ist es, Auszubildende schnell selbstständig arbeiten zu lassen. Isabell Glaser: „Sie sollen nicht mit uns Pflegefachpersonen mitlaufen, sondern: Wir laufen mit ihnen mit! Sie sind die Ansprechpersonen für die Patientinnen und Patienten. Sie planen die Pflegemaßnahmen. Sie entscheiden, ob eine Ärztin oder ein Arzt hinzugezogen wird.“ Die Azubis arbeiten dabei jederzeit unter Aufsicht. „Wir stehen hier wirklich im Vordergrund“, sagt Maria Grazia Montorro. Die Auszubildende hat nach eigener Aussage „noch nirgends so viel gelernt wie hier“. Sie betont: „Wir lernen hier nicht nur hin und wieder etwas, sondern jeden Tag.“ Maria Grazia Montorro misst den Blutzucker ihrer Patientin. Praxisanleiterin Isabell Glaser beobachtet alles. Die Auszubildenden Anastasia Batanin (l.) und Maria Grazia Montorro haben sich dank intensiver Betreuung auf der Ausbildungsstation schon gut eingearbeitet. Anastasia Batanin platziert unter Aufsicht von Pflegefachkraft Andreas Bauer den Fingerclip für die Sauerstoffmessung. Reiner Schrüfer, Pflegedirektor des Uniklinikums Erlangen, hat die Ausbildungsstation im Beisein des Teams eröffnet.

| 7 Neues aus dem Uniklinikum Das Max-Planck-Zentrum für Physik und Medizin (MPZPM) auf dem Erlanger Forschungscampus Nord wurde im September 2024 mit einem Festakt offiziell eröffnet. Der Höhepunkt der Feierlichkeiten war die symbolische Schlüsselübergabe an die beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Das MPZPM bringt die Expertise des Max-Planck-Instituts für die Physik des Lichts, der FAU Erlangen-Nürnberg und des Uniklinikums Erlangen zusammen. Dabei liegt der Fokus auf der Untersuchung physikalischer Prozesse in Zellen und Geweben, die bei der Entstehung und Behandlung von Krankheiten eine Rolle spielen. Sprecher des neuen Zentrums ist Prof. Dr. Jochen Guck. Das MPZPM bietet auf 6.000 Quadratmetern Platz für Max-Planck-Zentrum für Physik und Medizin feierlich eröffnet Für die Medizin von morgen Mit der symbolischen Schlüsselübergabe beginnt im MPZPM eine neue Ära der Forschung zur Verbesserung von Diagnostik und Therapie. 180 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die gemeinsam u. a. an Tumoren forschen. Dank der unmittelbaren Nähe zum Uniklinikum Erlangen und seinen translationalen Forschungszentren besteht ein direkter Zugang zu klinischen Proben und aktuellen Fragestellungen der Medizin. Diese enge Verknüpfung zwischen Grundlagenforschung und medizinischer Praxis ist weltweit einzigartig. Das MPZPM soll als internationales Spitzenzentrum fungieren, das die Zusammenarbeit von Physik und Medizin auf ein neues Level hebt. Die gewonnenen Erkenntnisse sollen künftig neue diagnostische und therapeutische Verfahren ermöglichen, insbesondere in der Krebs- und Entzündungsforschung. Der Freistaat Bayern unterstützte das Projekt mit 60 Millionen Euro.

8 | Titel TITEL Immuntherapien sind eine noch junge Waffe der Medizin – insbesondere gegen Krebs und chronisch-entzündliche Erkrankungen. VON FRANZISKA MÄNNEL Schlagkräftige Antwort Der Körper ist eine Festung, die unentwegt von gefährlichen Eindringlingen belagert wird. Einige der Feinde heißen: Viren, Bakterien und Krebszellen. Ständig versuchen die Angreifer, sich im Körper auszubreiten. Doch das Immunsystem besitzt eine Armee aus spezialisierten Zellen, die den Organismus schützen. Bekommen wir Fieber oder eine Entzündung, ist das Ausdruck genau dieser Verteidigungsarbeit unseres Immunsystems. Aber was, wenn diese Abwehr nicht richtig funktioniert? Genau hier treten Immuntherapien auf den Plan: moderne Behandlungsformen, die das Immunsystem aktivieren oder so verändern, dass es Krankheiten wieder aus eigener Kraft bekämpfen kann. Anstatt bösartige Zellen „von außen“ zu attackieren, wie dies zum Beispiel bei einer Chemo- oder Strahlentherapie geschieht, machen Immuntherapien also die eigene Körperabwehr wieder schlagkräftig. Andererseits können sie das Immunsystem aber auch ausbremsen – nämlich immer dann, wenn es unkontrolliert „um sich schießt“ und fälschlicherweise gesunde Bausteine seiner eigenen Körperfestung angreift. Immuntherapien verhelfen dem Immunsystem zu einer normalen, angemessenen Reaktion. Sie wirken bisher zum Beispiel bei bestimmten Krebsarten – etwa Leukämien, Lymphomen, Haut- und Lungenkrebs. Aber auch bei chronisch-entzündlichen und bei Autoimmunerkrankungen hat der Ansatz bereits Erfolge gezeigt – etwa bei rheumatoider Arthri-

| 9 Titel Wichtige Immuntherapien kurz erklärt Checkpoint-Inhibitoren Diese Therapie blockiert bestimmte Proteine, die das Immunsystem daran hindern, Krebszellen anzugreifen. Krebszellen nutzen diese Proteine, um sich zu tarnen und unentdeckt zu bleiben. Durch die Hemmung (Inhibition) dieser sogenannten Checkpoints kann das Immunsystem die Krebszellen erkennen und zerstören. s. S. 10–13 Impfung gegen Krebs Spezielle Impfstoffe zielen darauf ab, körpereigene Immunzellen so zu aktivieren, dass diese Tumorzellen selbstständig bekämpfen. Ein anderer Ansatz kombiniert künstlich hergestellte sogenannte CAR-T-Zellen mit einer Impfung. Diese soll die „CARs“ immer wieder neu aktivieren und auf den Krebs ansetzen. Das Uniklinikum Erlangen leitet dazu aktuell eine weltweit einmalige Studie in Kooperation mit BioNTech. s. S. 14–17 CAR-T-Zell-Therapie Hierbei werden T-Zellen (Immunzellen) genetisch verändert und der oder dem Betroffenen als CAR-T-Zellen wieder zurückgegeben. Diese erkennen und bekämpfen dann Tumorzellen oder solche Immunzellen, die sich bei Autoimmunprozessen gegen körpereigenes Gewebe richten. s. S. 18–21 Zytokine Diese Proteine sind wichtige Signalgeber im Immunsystem. Sie können die Körperabwehr aktivieren und so entweder entzündliche Reaktionen kontrollieren oder Tumorzellen bekämpfen. tis, Schuppenflechte, Colitis ulcerosa und Systemischem Lupus Erythematodes. Verschiedene Arten von Immuntherapien zielen jeweils auf unterschiedliche Mechanismen des Immunsystems ab. Immuntherapien sind eine der spannendsten Entwicklungen der modernen Medizin. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler entwickeln sie beständig weiter, sodass sich immer mehr Krankheiten damit behandeln lassen. Aber nicht alle Patientinnen und Patienten sprechen darauf an. Und auch Immuntherapien können teils erhebliche Nebenwirkungen hervorrufen – etwa kann die Körperabwehr derart überreagieren, dass sich Haut, Gewebe oder innere Organe stark entzünden. Daher braucht es viel Erfahrung und eine engmaschige Betreuung durch das jeweilige ärztliche Team. Im Deutschen Zentrum Immuntherapie (DZI) des Uniklinikums Erlangen werden in Studien regelmäßig neuartige Behandlungen angewendet. Viele Patientinnen und Patienten profitieren so von Therapien, die woanders noch gar nicht verfügbar sind. Deutsches Zentrum Immuntherapie Telefon: 09131 85-44944 E-Mail: dzi-leitung@uk-erlangen.de www.dzi.uk-erlangen.de Digitale Broschüre „Immuntherapien und zielgerichtete Therapien“ www.uker.de/dzi-uebersicht

10 | Titel Die Bremse lösen Unser Immunsystem ist unglaublich stark. So stark, dass der menschliche Organismus immer wieder auf die Pausetaste drücken muss, damit es keine körpereigenen, gesunden Zellen angreift. „Der Krebs nutzt diese natürliche Bremse zur Regulierung unseres Immunsystems aus“, erklärt Prof. Dr. Dr. Manuel Weber, geschäftsführender Oberarzt der Mund-, Kiefer- und Gesichtschi- rurgischen Klinik des Uniklinikums Erlangen. Der Tumor hält die Pausetaste sozusagen gedrückt, um die Abwehrkräfte so sehr zu schwächen, dass er einer Immunantwort entkommt – also überlebt und wachsen kann. Dazu nutzen Krebszellen bestimmte Signalwege im Körper. „Einer dieser Signalwege ist das PD-L1-Protein. Dort setzen die sogenannten Checkpoint-Inhibitoren an, die wir als Immuntherapie bei bestimmten Patientinnen und Patienten einsetzen, die zum Beispiel unter Tumoren in der Mundhöhle leiden“, sagt Prof. Weber. Viele Immunzellen tragen PD-L1 auf ihrer Oberfläche – auch Tumorzellen können das Protein bilden. PD-L1 bindet an den Rezeptor PD-1 auf einer bestimmten Art von Abwehrzellen, den T-Zellen. Dadurch werden die T-Zellen gehemmt und greifen den Tumor nicht mehr an. Checkpoint-Inhibitoren blockieren PD-1 bzw. PD-L1, um diese Bremse zu lösen und die Immunabwehr wieder in Gang zu setzen. Die Standardtherapie bei Tumoren im Kopf-HalsBereich besteht in der Regel aus einer chirurgischen Entfernung sowie einer anschließenden Strahlen- und/oder Chemotherapie. Sind diese Optionen bereits ausgeschöpft und der Krebs kommt zurück, können Checkpoint-Inhibitoren als Anschlussbehandlung im palliativen Setting eingesetzt werden – wenn also keine andere heilende Behandlung mehr möglich ist. „Allerdings wissen wir aus Studien, dass die Folgen einer vorherigen Operation und Bestrahlung nicht optimal für die Gabe einer Immuntherapie sind“, gibt der Experte, der auch im Kopf-Hals-Tumorzentrum des Uniklinikums Erlangen aktiv ist, zu bedenken. Denn: „Wir nehmen bei der OP die Lymphknoten am Hals heraus, da sie oft von Metastasen befallen sind. Die Strahlenbehandlung kann außerdem auch Immunzellen abtöten. Eine Immuntherapie setzt aber genau dort an.“ Aus diesem Grund → CHECKPOINT-INHIBITOREN Die Immuntherapie lockt Krebszellen aus ihrem Versteck. Sie kann unter anderem bei Mundhöhlentumoren eingesetzt werden. VON ALESSA SAILER Einsatzbereich der Checkpoint-Inhibitoren Checkpoint-Inhibitoren werden im Kopf-Hals-Bereich vor allem bei Plattenepithelkarzinomen (Tumoren der Haut bzw. Schleimhaut) eingesetzt, die mit etwa 90 Prozent den größten Teil ausmachen. Die Immuntherapie wird aber z. B. auch bei Lungenkrebs, schwarzem Hautkrebs, Blasen- und Brustkrebs eingesetzt.

| 11 Titel Prof. Dr. Dr. Manuel Weber zeigt am Modell, an welcher Stelle der Kiefer seines Patienten gesplittet werden musste, um an den Tumor in der Mundhöhle zu gelangen.

12 |Titel siko für die Patientinnen und Patienten“, betont Prof. Weber. „Ich hatte wirklich Glück“ Auch Volker R., bei dem 2022 ein Karzinom in der Mundhöhle diagnostiziert wurde, ließ sich in Erlangen Checkpoint-Inhibitoren per Infusion geben, bevor er weiterbehandelt wurde. „Ich hatte wirklich Glück“, sagt der 62-Jährige heute, zwei Jahre nach der Therapie, „denn ich hatte eigentlich keine Beschwerden. Mir war bloß ein vergrößerter Lymphknoten aufgefallen. Bei meinem Arzt in München bekam ich nach einem MRT dann aber Entwarnung und wurde mit Antibiotika heimgeschickt. Meine Tochter, die frisch als ÄrzFortsetzung von S. 10 ist es sinnvoller, die Checkpoint-Inhibitoren vor der klassischen Behandlung zu verabreichen. „Die bisherige Forschung zeigt, dass die Patientinnen und Patienten bei der frühen Gabe deutlich besser darauf ansprechen als im palliativen Setting, für das die Checkpoint-Inhibitoren aktuell zugelassen sind“, erläutert Manuel Weber. Deshalb setzen der Oberarzt und sein Team CheckpointInhibitoren zurzeit nur im Rahmen von Studien und individuellen Heilversuchen ein. „Auf die Immuntherapie folgt immer die Standardbehandlung, wir verzögern auch die Operation nicht. Dadurch entsteht neben den möglichen Nebenwirkungen der Immuntherapie kein zusätzliches RiVolker R. ist seit Abschluss seiner Behandlung Anfang 2023 krebsfrei.

| 13 Titel tin in der Erlanger MKG-Chirurgie angefangen hatte, zeigte meine Bilder trotzdem Professor Weber, um sicherzugehen.“ Der wiederum ordnete ein CT und eine Biopsie an. Das Ergebnis: Krebs. Aufgrund der vielversprechenden Studienergebnisse und weil die Immunzellen in der Gewebeprobe von Volker R. eine ausreichende Menge des Proteins PD-L1 produzierten, schlug Prof. Weber seinem Patienten einen Heilversuch mit Checkpoint-Inhibitoren vor. Die Infusion bekam Volker R. etwa zehn Tage vor seiner Operation. „Die anschließende Chemo habe ich bis auf die Beeinträchtigung meines Geschmackssinns recht gut überstanden. Schlimmer war für mich die psychische Belastung bei der Bestrahlung, da der Kopf dabei fixiert wird. Aber ich hatte mein Mantra: ‚20 Sekunden Therapie ertragen bedeutet 20 Video: Modernste Therapien bei Kopf-Hals-Tumoren www.gesundheit-erlangen.com Stark in der Forschung Die MKG-Chirurgie, die HNO-Klinik und die Strahlenklinik arbeiten in Erlangen gemeinsam an weiteren Forschungsprojekten, etwa im Rahmen der Phase-II-Studie „BelieveIT“ und der Phase-III-Studie „KEYNOTE-689“. Vor der Behandlung wird individuell geprüft, ob die Patientinnen und Patienten in eine passende Studie aufgenommen werden können. Bei „BelieveIT“ wird neben den Checkpoint-Inhibitoren ein weiteres Medikament vor der Standardbehandlung verabreicht. „KEYNOTE-689“ untersucht die Unterschiede zwischen einer Patientengruppe, die einen Checkpoint-Inhibitor als neoadjuvante Therapie, also vor der Standardbehandlung, erhalten hat, und einer Gruppe, die das Medikament als Erhaltungstherapie bekommen hat. Jahre leben.‘“ Heute hat Volker R. alles überstanden. Zwar schmeckt er sauer und salzig noch sehr stark und ein Teil seiner Zunge ist taub; dennoch kann der Geschäftsführer wieder normal schlucken und ist auch beim Sprechen kaum eingeschränkt. „Ich merke eine langsame, aber stetige Verbesserung“, fasst Volker R. zusammen. Zulassung für 2025 erwartet Prof. Weber arbeitet im Kopf-Hals-Tumorzen- trum eng mit den Kolleginnen und Kollegen der Hals-Nasen-Ohren-Klinik – Kopf- und Halschirurgie und der Strahlenklinik des Uniklinikums Erlangen zusammen. So operieren MKG-Chirurginnen und -Chirurgen auch mal in der HNO-Klinik oder umgekehrt, teilweise stehen sie zusammen im OP. „Wir arbeiten zum Beispiel zusammen mit der Strahlenklinik, der HNO-Klinik und der Pathologie an der ImmunBio-KHT-Studie, bei der wir unter anderem das Tumorgewebe und den Speichel der Patientinnen und Patienten vor und nach ihrer Krebstherapie untersuchen. So wollen wir Zusammenhänge aufdecken und die Immuntherapie auf lange Sicht gesehen optimieren“, schildert Prof. Weber. Im Laufe des Jahres 2025 erwartet der Oberarzt die Zulassung der Checkpoint-Inhibitoren als sogenannte neoadjuvante Therapie bei Kopf-Hals-Tumoren, also zur Gabe vor der Standardbehandlung. „Ich bin mir sicher, das Einsatzspektrum der Checkpoint-Inhibitoren wird sich ändern. Aber die chirurgische Entfernung in Kombination mit einer Radiochemotherapie wird es weiterhin geben“, so Manuel Weber.

14 | Als er erkrankte, war Marcel Preis* 21 Jahre alt. Er fiel damit genau in die Altersgruppe von Anfang 20 bis Mitte 40, in der Hodenkrebs am häufigsten vorkommt. Schmerzlose, harte Schwellungen oder Knoten in den Hoden, die man selbst tasten kann, sind die wichtigsten frühen Anzeichen. In einer sächsischen Klinik wurde Marcel Preis direkt nach der Dia- gnose der linke Hoden abgenommen. Anschließend bekam er eine Chemotherapie. Im Jahr darauf habe man ihm dann „einen schönen Reißverschluss verpasst“ – um Metastasen aus dem Bauchraum herauszuoperieren, wie es der Patient bildhaft beschreibt. „Danach hatte er zehn Jahre Ruhe“, rekapituliert Onkologe PD Dr. Fabian Müller, der Marcel Preis heute am Uniklinikum Erlangen betreut. „Ich hatte damals vor der Krebstherapie Spermien einfrieren lassen, weil ich irgendwann Kinder wollte“, sagt der Patient. Die Ruhe vor dem Sturm hielt von 2007 bis 2017. Dann zog ein Hurrikan auf, der sieben Jahre dauern sollte. Der Krebs kam zurück. „Ich habe irgendwann Zwei gegen einen IMMUNTHERAPIE PLUS IMPFUNG Eine Kombination aus künstlich hergestellten Immunzellen und einer speziellen Impfung gibt Krebskranken neue Hoffnung. Die Medizinische Klinik 5 des Uniklinikums Erlangen leitet dazu eine weltweit einmalige Studie. VON FRANZISKA MÄNNEL Die Medizinische Klinik 5 des Uniklinikums Erlangen hat die Erlaubnis, in ihrem eigenen Reinraumlabor CAR-T-Zellen herzustellen. Titel

| 15 Titel aufgehört zu zählen, wie viele Rezidive und wie viele Chemotherapien ich hatte. Es waren unter anderem zwei Hochdosis-Chemos“, berichtet Marcel Preis. Bei einer Hochdosis-Chemotherapie werden zuerst Stammzellen des Patienten gesammelt, weil die Therapie das Knochenmark zerstört. Nach der Chemo werden die Stammzellen zurückgegeben und es können sich im Knochen wieder neue Blut- und Immunzellen bilden. „Diese Hochdosis-Behandlung heilt manche Patienten mit einem solchen Keimzelltumor“, erklärt Dr. Müller von der Medizinischen Klinik 5 – Hämatologie und Internistische Onkologie. „Marcel Preis gehörte leider nicht dazu.“ Ein innovativer Ansatz Immer wieder bekam der junge Mann neue Therapien. „Irgendwann gab es aber keine Möglichkeit mehr, gegen die Krankheit vorzugehen. Der Patient war palliativ, eine heilende Behandlung war nicht mehr möglich“, macht Dr. Müller klar. Doch dann, Anfang 2023, zeigte sich für Marcel Preis mitten im tobenden Sturm seiner Krebserkrankung ein neuer Hoffnungsschimmer. „Meine Frau und ich hatten viel selbst recherchiert“, erinnert sich der heute 39-Jährige. „Ich war in den letzten Jahren bei so vielen Ärzten in verschiedenen Krankenhäusern in Deutschland. Und eines Tages sagte mir jemand, dass es da neue Forschung gibt.“ Und so wurde Marcel Preis am Uniklinikum Erlangen in die Studie BNT211 des Biotechnologieunternehmens BioNTech aufgenommen. Sie erforscht eine völlig neuartige Therapie, die nach Aussage von BioNTech die erste ihrer Art werden könnte. Prof. Dr. Andreas Mackensen, Direktor der Medizinischen Klinik 5, leitet die weltweite Studie. Seine Klinik ist eines von insgesamt acht deutschen Zentren, die teilnehmen. Ansatz der Forschung: Sogenannte CAR-T-Zellen werden mit einer besonderen mRNA-Impfung (CARVac) kombiniert. CAR-T-Zellen sind gentechnisch veränderte eigene Immunzellen einer Patientin bzw. eines Patienten (s. S. 18), die darauf „programmiert“ werden, Tumorzellen zu erkennen und zu zerstören. Die zusätzliche Impfung führt dazu, dass die CAR-T-Zellen länger im Körper zirkulieren und aktiv bleiben. Die Vakzine unterstützt also die Immuntherapie. Ein unverwechselbares Ziel Im Rahmen der Phase-I-Studie BNT211 werden für die betroffenen Patientinnen und Patienten spezielle CAR-T-Zellen hergestellt, die das Tumorprotein Claudin-6 erkennen und angreifen. Dieses Protein ist ein ideales Ziel, „weil es eigentlich nur in der Phase vorkommt, in der der Embryo entsteht, in der wir also nicht mehr sind als ein Zellhaufen“, erklärt Fabian Müller, der die Erlanger CAR-T-Zell-Einheit leitet. „Erwachsene haben das Antigen Claudin-6 nicht mehr. Krebs reguliert es aber unter Umständen wieder hoch. Es ist also ein gut geeignetes krebsspezifisches Ziel, vor allem bei Keimzelltumoren wie bei Herrn Preis, bei Eierstock- und Magenkrebs, seltener auch bei Lungen- und Gebärmutterkrebs.“ Alle genannten sind solide Tumoren. Diese werden von „flüssigem Krebs“ unterschieden, der von Blutzellen abstammt. Bisher war es sehr → Wir verstehen immer besser, wie Immunsystem und Krebs interagieren. Ich glaube, dass es in mittlerer Zukunft eine Reihe neuer Therapien geben wird. PD Dr. Fabian Müller

16 | Titel Fortsetzung von S. 15 schwierig, solide Krebsarten mit CAR-T-Zellen zu bekämpfen, weil sie oft kein spezifisches Angriffsziel bieten, dichtes, schwer erreichbares Gewebe aufweisen und Immunzellen gezielt ausschalten können. Deshalb funktionierten CAR-T-Zellen bisher besser bei Blutkrebs als bei soliden Tumoren. „Aber je mehr wir forschen, desto mehr Targets finden wir – also Oberflächenproteine, die für den jeweiligen Krebs charakteristisch sind und die wir gezielt attackieren können“, betont Dr. Müller. Aktuell steht das Antigen Claudin-6 im Fokus. Um die CAR-T-Zellen daran zu „erinnern“, wie dieser Feind aussieht, bekommen die Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer eine Impfung mit dem Bauplan für Claudin-6. „Wenn wir mit Claudin-6 impfen, werden dann vor allem in der Milz und in den Lymphknoten antigenspezifische CAR-T-Zellen aktiviert: Sie fangen dadurch wieder an, sich zu vermehren, sie gehen zurück in den Tumor und greifen ihn erneut an. Das können wir über mehrere Zyklen machen und damit die CARs am Leben halten. Das funktioniert mittlerweile sehr gut“, so der Onkologe. CAR-T-Zellen attackieren Krebszellen. Bei soliden Tumoren fällt ihnen das nicht so leicht, unter anderem wegen des dichten Tumorgewebes. Was heißt „Krebsimpfung“? Es gibt präventive Impfungen, die vor einer Erkrankung schützen sollen, etwa vor Gebärmutterhalskrebs. Andere werden verabreicht, wenn bereits eine Krebserkrankung besteht. Therapeutische „Krebsimpfungen“ im engeren Sinn regen das Immunsystem an, eigene T-Zellen zu bilden, die bösartige Zellen attackieren. Bei der Kombination aus CAR-T-Zellen und mRNA-Impfung ist der Ansatz anders: Hier werden künstlich erzeugte Immunzellen (CAR-T-Zellen) durch die Vakzine aktiv gehalten. Lange Lebensdauer Bei Leukämie- und Lymphom- patientinnen und -patienten sind die „scharf gestellten“ Immunzellen (CAR-T-Zellen) mitunter fünf bis zehn Jahre später immer noch im Blut nachweisbar.

Eine neue Phase Die besten Erfolge erzielte das Studienteam bisher bei der Krebsart von Marcel Preis – den Hodentumoren –, dicht gefolgt von Eierstock- und Lungenkrebs. „Wir können keine Heilung garantieren“, betont Fabian Müller. „Aber wir sehen ein wirklich anhaltendes Therapieansprechen in Situationen, in denen sonst nichts mehr funktioniert und der Krebs einfach weiterwächst. Mit den Hodentumoren gehen wir deshalb jetzt in die Phase II der Studie, wo es darum geht, die Wirksamkeit zu prüfen“, so der Onkologe weiter. Phase III dient dann der Zulassung der Behandlung. Marcel Preis hatte noch zwei kleine Rezidive in der Lunge, die operativ komplett entfernt werden konnten, zuletzt Ende 2023. Heute, Ende 2024, ist er seit einem Jahr in Komplettremission: Es gibt in seinem Körper aktuell keine Anzeichen einer Krebserkrankung mehr. Angst vor einem Rückfall hatte und hat er nicht. „Ich bin kein Schwarzmaler und konnte das alles immer ganz gut ausblenden“, sagt er. „Ich habe mein Leben lang viel Sport getrieben und hatte deshalb auch gute Reserven, denke ich. Und ich habe mich immer irgendwie beschäftigt und abgelenkt.“ Vor wenigen Jahren, mitten in der Krankheitsphase, baute er mit seiner Frau ein Haus; 2024 wurde er zum zweiten Mal Vater – dank künstlicher Befruchtung. Denn auch 2017, vor den erneuten Chemotherapien, hatte Marcel Preis noch einmal Spermien einfrieren lassen. „Mein Sport sind aktuell meine Kinder und die Arbeiten am Haus“, sagt er und erklärt, dass er gleich noch eine Mauer fertig bauen müsse … *Name von der Redaktion geändert | 17 Titel Marcel Preis bekam in der Medizin 5 des Uniklinikums Erlangen zunächst eine vorbereitende, milde Chemotherapie, anschließend die eigens für ihn produzierten CAR-T-Zellen. Zusätzlich erhielt er alle drei Wochen eine mRNA-Impfung – in die Vene, nicht wie sonst üblich in den Muskel. Die Behandlung vertrug er gut. „Das war kein Vergleich zu meinen Hochdosis-Therapien, wo ich teilweise vier Wochen komplett isoliert im Krankenhaus lag“, urteilt er. Nach der Spritze habe er jedes Mal etwas Fieber und Schüttelfrost bekommen, konnte am nächsten Tag aber immer wieder nach Hause. „Was wir in dieser Phase-I-Studie erforschen, hat noch nie jemand gemacht. Das ist die Idee von BioNTech, und sie sind auch die Ersten, bei denen das erfreulich gut funktioniert“, verdeutlicht Fabian Müller. Mittlerweile haben der Krebsexperte und das europaweite BNT-Studienteam fast 80 Patientinnen und Patienten mit fortgeschrittenen soliden Tumoren therapiert, wobei eine Gruppe nur CAR-TZellen bekam und die andere CAR-T-Zellen und Impfung. „Es ist kein Geheimnis mehr, dass die CAR-T-Zellen durch die Impfung länger präsent bleiben“, sagt Dr. Müller. „Und wir wissen, dass der Tumor dadurch besser auf die Behandlung anspricht.“ Bisherige Erfolge Insgesamt sprechen nach den aktuellen Ergebnissen 50 Prozent der Studienteilnehmenden auf die Kombi-Therapie an. Eine Stabilisierung oder Verkleinerung des Tumors tritt bei 85 Prozent ein. „So etwas gab es bisher bei soliden Tumoren nicht“, betont PD Dr. Fabian Müller. Sprechstunde für CAR-T-Zell-Therapie Telefon: 09131 85-35954 E-Mail: m5-cart@uk-erlangen.de

18 |Titel Welche Symptome hatten Sie im Verlauf Ihrer Erkrankung? Ich hatte überall extreme Wassereinlagerungen, Bluthochdruck, Schmetterlingsausschlag und Hautbeteiligung am ganzen Körper, Atemnot, Nierenversagen, eine ischämische Attacke und litt unter ständiger Erschöpfung. Wie ging es Ihnen mit der Entscheidung für die CAR-T-Zell-Therapie? Ich habe mich über den Vorschlag wirklich sehr gefreut, weil ich gemerkt habe, dass diese Therapie meine letzte Chance auf ein besseres und gesundes Leben ist. Wie haben Sie die Therapie dann erlebt bzw. vertragen? Die Therapie war sehr anstrengend und auch eine große körperliche Herausforderung, aber ich habe sie letztlich sehr gut vertragen. Nach ca. drei Monaten spürte ich eine Verbesserung im Allgemeinbefinden und die Fitness kam langsam wieder zurück. Wie geht es Ihnen heute, zwei Jahre später, und wie sieht Ihr Alltag jetzt aus? Ich fühle mich wieder richtig fit und gesund, bin belastbar und kann meinen Haushalt wieder komplett ohne fremde Hilfe erledigen. Was hat sich in Ihrem Leben durch die Therapie verändert? Ich kann mein Leben heute ganz bewusst genießen und erleben. Ich schätze jetzt erst die ganz kleinen Dinge im Alltag, die früher selbstverständlich waren. Ich darf wieder raus in die Sonne und auch mein Sport mit Radfahren und Schwimmen ist wieder ohne Probleme möglich. Brille fürs Immunsystem CAR-T-ZELL-THERAPIE Dank modifizierter körpereigener Abwehrzellen stehen nun immer mehr Patientinnen und Patienten mit Autoimmunerkrankungen wieder mitten im Leben. Wir stellen den Leidens- und Genesungsweg von vier Menschen vor, die CAR-T-Zellen erhalten haben. VON ALESSA SAILER Die CAR-T-Zell-Therapie ist ursprünglich eine neuartige, zellbasierte Immuntherapie gegen Krebs. 2019 wurden in der Medizinischen Klinik 5 – Hämatologie und Internistische Onkologie des Uniklinikums Erlangen die ersten Patientinnen und Patienten mit Leukämie und Lymphdrüsenkrebs mit CAR-T-Zellen behandelt. Bei dem Verfahren werden den Erkrankten ihre eigenen Immunzellen (T-Zellen) entnommen und dann unter Reinraumbedingungen mit einem chimären Antigenrezeptor (CAR) ausgestattet – einer Art „Brille“ zur Feinderkennung, die dem Immunsystem das Sehen erleichtert. Die veränderten T-Zellen bekommt die oder der Betroffene anschließend zurück. Dank der „CAR-Brille“ erkennen die Immunzellen nun das Antigen CD19 auf der Oberfläche bösartiger Zellen; die CAR-T-Zellen docken dort an und zerstören die Tumorzellen (s. Grafik auf S. 19). Mittlerweile setzen die Erlanger Ärztinnen und Ärzte die Therapie im Rahmen von Studien und individuellen Heilversuchen auch bei Autoimmunerkrankungen wie dem Systemischen Lupus Erythematodes (SLE) und Sklerodermie ein, da CAR-T-Zellen nicht nur Krebszellen angreifen, sondern auch fehlgeleitete Immunzellen, die schädliche Autoantikörper produzieren.

| 19 Titel Claudia Fritsch-Ertl, 35 Jahre, Systemischer Lupus Erythematodes Inwiefern schränkte Sie Ihre Erkrankung ein? Zunächst fiel mir das Treppensteigen schwer und ich hatte wenig Kraft. Schließlich war ich völlig unbeweglich an Beinen, Armen und im Genick. Wie kam es zur Entscheidung für die CAR-T-Zell- Therapie? Nachdem andere Therapien und auch Blutwäschen keine Besserung gebracht hatten, recherchierte mein Mann im Internet. Er stieß auf den Beitrag über den ersten Myositispatienten, der in Erlangen mit CAR-T-Zellen behandelt worden war, und schrieb eine E-Mail ans Uniklinikum. Nach mehreren Gesprächen und Untersuchungen wurde ich tatsächlich in die Studie aufgenommen. Wie haben Sie die Therapie erlebt bzw. vertragen? Die CAR-T-Zellen habe ich sehr gut vertragen. Bei der vorbereitenden Chemo hatte ich auch kaum Probleme. Wie geht es Ihnen jetzt, ein Jahr nach überstandener Behandlung? Ich bin glücklich, dass ich meinen Alltag wieder selbstständig bestreiten kann. Ich spaziere zum Beispiel schon mehrere Kilometer und trainiere das Treppensteigen, die Beweglichkeitseinschränkungen sind deutlich weniger geworden. Und vor Kurzem konnte ich sogar fast alle Medikamente absetzen. Wie hat sich Ihr Leben durch die Therapie verändert? Mein Leben ist wieder lebenswert. CAR-T-Zelle mit künstlichem Antigenrezeptor für CD19 Tumorzelle oder autoreaktive B-Zelle mit Antigen CD19 Eveline Bleyl, 82 Jahre, Myositis

20 | Titel Inwiefern schränkte Sie Ihre Erkrankung ein? Ich hatte geschwollene Hände und Beine und Schmerzen, die von Woche zu Woche schlimmer wurden. Das Gehen wurde zur Qual und vor allem die Ellbogen waren sehr unbeweglich. Wie ging es Ihnen mit der Entscheidung für die CAR-T-Zell-Therapie? Medikamente brachten keine Besserung, und als ich frühzeitig von der Reha entlassen wurde, weil sich mein Zustand dort stetig verschlechterte, sagte ich: „Ja, natürlich mache ich das!“ Ich bin von Natur aus ein positiver Mensch, der immer nach vorn schaut. Deswegen hatte ich die Zuversicht, wieder mehr Lebensqualität zu haben. Da ich der erste Patient mit Sklerodermie war, der in Erlangen die CAR-T-Zell-Therapie bekam, hatte ich zugleich auch die Hoffnung, anderen durch meinen Heilversuch zu helfen. Wie haben Sie die Therapie vertragen? Sowohl die Chemo als auch die CAR-T-Zellen habe ich sehr gut vertragen. Wie geht es Ihnen heute, zwei Jahre danach? Ich habe keine Schmerzen mehr und kann einigermaßen normal laufen. Damit die Finger- gelenke hoffentlich wieder beweglicher werden, mache ich noch Physio- und Ergotherapie. Was hat sich in Ihrem Leben durch die Therapie verändert? Mittlerweile bin ich in Berufsunfähigkeitsrente. Es ist psychisch entlastend, nicht mehr im Berufsleben stehen zu müssen. So kann ich mich besser auf meine Genesung konzentrieren. Mit meinem einjährigen Enkel kann ich jetzt rumtollen, das macht natürlich Spaß. Mein Traum wäre es, ihm mal Skifahren beibringen zu können. Ralf Grebner, 62 Jahre, Sklerodermie Relativ neue Therapie Die weltweit erste Patientin mit Systemischem Lupus Erythematodes, die CAR-T-Zellen gegen ihre Autoimmunerkrankung erhielt, bekam ihre Infusion 2021 – am Uniklinikum Erlangen. Im Sommer 2024 wurde in Erlangen weltweit zum ersten Mal eine Jugendliche mit Lupus erfolgreich mit dieser Immuntherapie behandelt. Damit CART-Zellen bei schweren Autoimmunerkrankungen als Regelversorgung angeboten werden können – so wie es bei einigen Krebsarten bereits der Fall ist –, bedarf es noch weiterer Studien.

| 21 Erfolgsgeschichten der Immuntherapie www.gesundheit-erlangen.com Titel Inwiefern schränkte Sie Ihre Erkrankung ein? Es fing mit der Blaufärbung meiner Finger an, dem sogenannten Raynaud-Syndrom. Meine Beine und Arme taten bei normalen Bewegungen weh, die Finger wurden so dick, dass ein einfacher Faustschluss nicht mehr möglich war. Ich konnte mich trotz Medikamenten immer weniger bewegen; Haarekämmen, Duschen, Laufen und sogar das Sitzen waren für mich eine Qual. Meine Lunge verschlechterte sich immer weiter und auch meine Speiseröhre und mein Herz wurden in Mitleidenschaft gezogen. Ich landete im Rollstuhl und wurde zum Pflegefall. Wie ging es Ihnen mit der Entscheidung für die CAR-T-ZellTherapie? Die Entscheidung fiel mir relativ leicht. Mein Zustand verschlechterte sich so rasant, dass andere Therapien keine wirkliche Option mehr darstellten, denn die Zellen, die gegen meinen Körper arbeiteten, mussten ganz verschwinden. Das konnte man nur mit der CAR-T-Zell-Therapie erreichen. Wie haben Sie die Therapie erlebt bzw. vertragen? Die Therapie an sich empfand ich als schwierig. Die Chemotherapie und auch die Nebenwirkungen der Zellgabe waren nicht angenehm, aber ich wusste, wofür ich es machte. Es war ein Lichtblick nach Monaten voller Schmerzen, und ich bin unendlich dankbar, dass ich die Therapie machen durfte. Wie geht es Ihnen heute und wie sieht Ihr Alltag jetzt aus? Die Therapie ist jetzt vier Monate her und ich habe keinerlei Schmerzen mehr. Ich mache durch die Physio- und Ergotherapie immer größere Fortschritte und kann zum Beispiel wieder selbstständig von der Couch aufstehen. Zu Fuß komme ich jetzt schon 150 bis 200 Meter weit, je nach Tagesverfassung. Das war vor drei Monaten noch völlig undenkbar. Ich brauche natürlich immer noch ein wenig Hilfe im Alltag, aber ich bin auf einem guten Weg, mein Leben wieder selbstständig führen zu können. Was hat sich in Ihrem Leben durch die Therapie verändert? Definitiv der Blickwinkel auf das Leben. Ich bin für jeden Tag dankbar, an dem es mir gut geht, und man schätzt die Dinge, die vorher selbstverständlich waren, auf einmal viel mehr. Mein Ziel ist es, irgendwann wieder aufs Motorrad steigen zu können. Bis dahin bin ich dankbar für jeden Tag, den ich auf dieser Erde erleben darf. Das Uniklinikum Erlangen hat mir mein Leben zurückgegeben. Corinna Suß, 23 Jahre, Sklerodermie und Myositis

22 | Feature Ein Herz und eine Seele: Stephan Eitner und sein dreijähriger Labrador-Retriever

| 23 Feature Therapie mit Wau-Effekt Heute bekommen die bronzenen Schäfchen im Innenhof der Kinder- und Jugendklinik wieder einmal tierischen Besuch: Der dreijährige Rüde Bailey springt fröhlich auf die Tierstatuen zu, gefolgt von Prof. Dr. Stephan Eitner, leitender Oberarzt der Zahnklinik 2 – Zahnärztliche Prothetik des Uniklinikums Erlangen. Stephan Eitner legt seinem Hund ein leichtes Geschirr um. „BRK-Therapiehund Bailey“ steht auf dessen rotem Label. „Jetzt weiß Bailey, dass seine Arbeitszeit beginnt“, erklärt der Mediziner, der regelmäßig mit seinem Vierbeiner hierherkommt, um mit kranken Kindern zu spielen. Denn: Bailey hat im Herbst 2023 seine Ausbildung als geprüfter Therapiehund des Bayerischen Roten Kreuzes mit Bravour abgeschlossen. „Seit dem Frühjahr 2024 treffen wir uns hier regelmäßig mit maximal fünf Kindern, die am Uniklinikum Erlangen behandelt werden und denen die Nähe zu Bailey guttun soll“, erklärt Stephan Eitner. „Bailey ist ein sehr freundlicher und stressresistenter Hund. Vor allem agiert er außergewöhnlich sensibel im Umgang mit kleineren Kindern und kann sich dabei selbst zurücknehmen“, lobt er seinen Rüden. In einem kleinen Rollkoffer transportiert der Hundehalter Baileys Arbeitsutensilien: Spielzeug und Trainingszubehör, mit dem die Kinder Bailey beschäftigen können. THERAPIEHUND Stephan Eitner und sein speziell ausgebildeter Hund Bailey sind ein tierisch erfolgreiches Team. Gemeinsam unterstützen sie vor allem chronisch kranke Kinder. VON KERSTIN BÖNISCH Seine Einsätze für die Kinderklinik absolviert Prof. Eitner in seiner Freizeit und zu 100 Prozent ehrenamtlich, wie er betont. „Von der Erlanger Werbeagentur Schachzug bekommt die Kinderklinik eine zweckgebundene Spende. Dieses Geld geht vollständig an das BRK, das damit dann die Fort- und Ausbildungen für Therapiehunde finanziert“, erklärt er. „Ich möchte einfach die glücklichen Momente, die wir in unserer Familie mit Bailey erleben, an andere Menschen weitergeben und freue mich sehr darüber, wie positiv die kranken Kinder auf unsere Besuche reagieren.“ Angst völlig verloren Emma ist eines dieser Kinder, die seit dem Frühjahr 2024 regelmäßig mit Bailey spielen. Die quirlige Sechsjährige kam zu früh auf die Welt, was ihre Nierenfunktion beeinträchtigte und ihre gesamte Entwicklung verzögerte. „Seit der Geburt waren wir hier immer wieder zu wochenlangen stationären Aufenthalten“, erinnert sich Emmas Mutter Sabrina Mertz. „Inzwischen sind es zum Glück nur noch halbjährliche ambulante Kontrolluntersuchungen im Sozialpädiatrischen Zentrum.“ Zusätzlich kommt Emma mindestens einmal monatlich zur Kinderklinik, um Bailey zu besuchen. „Unsere Tochter ist trotz der vielen →

24 | Feature Bei der ersten Begegnung (Bild links) bot Stephan Eitner Emma den nötigen Rückhalt für die Berührung von Bailey. Inzwischen streichelt sie den Therapiehund allein und völlig angstfrei. Fortsetzung von S. 23 gesundheitlichen Rückschläge und der Schmerzen, die sie erleiden musste, ein sehr aufgewecktes und fröhliches Mädchen“, berichtet Emmas Mutter. „Vor Hunden hatte sie bisher immer eher Angst, weil sie als Vierjährige einmal unerwartet von einem Labrador angesprungen wurde. Trotzdem verlief gleich die erste Begegnung mit Bailey total positiv, und jetzt hängt sogar ein Bild mit seinem Pfotenabdruck in ihrem Zimmer.“ Sprechfähigkeit verbessert Noch mehr überrascht Sabrina Mertz jedoch, wie sehr die Begegnungen mit Bailey die Sprache ihrer Tochter unterstützen. „Emma hat in ihren ersten drei Lebensjahren kaum gesprochen und wenn, dann konnte nur ich verstehen, was sie meinte“, sagt sie. Jetzt hoffen die Eltern, dass ihre Jüngste dank ihrer großen sprachlichen Fortschritte im nächsten Jahr vielleicht sogar keine Förderschule mehr benötigen wird. „Bailey hilft Emma mehr als die Logopädie“, ist die Mutter überzeugt. „Seit sie gemerkt hat, dass der Hund ihre Kommandos nur dann befolgt, wenn er sie versteht, gibt sie sich beim Artikulieren viel mehr Mühe, auch bei der Logopädin.“ Emmas Mutter beschreibt schmunzelnd, wie das Mädchen kürzlich versuchte, die Familienkatze mit den gelernten Kommandos für Bailey zu trainieren. „Sie musste aber einsehen, dass das bei unserer Mieze trotz klarer Befehle und Leckerlis überhaupt nicht funktioniert“, sagt Sabrina Mertz lachend. Die Anfrage, ob Interesse an einer tiergestützten Therapie bestehe, erhielten Emmas Eltern im Herbst 2023 von Marion Müller, langjährige leitende Erzieherin der Kinderklinik, die die Abläufe rund um das Projekt organisiert – so, wie sie sich für alles, was ihren Schützlingen guttun könnte, mit viel Herzblut engagiert. „Marion und ich arbeiten in puncto Therapiehund ganz eng zusammen“, betont Prof. Eitner. „Ohne ihre →

| 25 Feature Fabian ist überrascht und stolz, dass Bailey seinen Handzeichen gehorcht, obwohl er das nötige Kommando „Down!“ nicht artikulieren kann.

26 | Medizin Trotz der ihm eigenen Zurückhaltung lässt Fabian es sich nicht nehmen, Bailey am Ende der Therapieeinheit ein dankbares High five mitzugeben. Fortsetzung von S. 24 Unterstützung könnten Bailey und ich hier nichts ausrichten.“ Etwa 15 Stunden pro Monat wendet der Mediziner für die tiertherapeutischen Begegnungen mit den Kindern auf, inklusive jeweils einer Vor- und Nachbesprechung, um sich über die beteiligten Kinder zu informieren. Down-Syndrom und Leukämie Marion Müller begleitet zahlreiche junge Patientinnen und Patienten mit chronischen Erkrankungen über viele Jahre hinweg. Dazu gehört neben Emma auch Fabian, der mit dem Down-Syndrom und einem schweren Herzfehler zur Welt kam, und dessen Mutter Tanja Haschke Marion Müller ebenfalls die Hundetherapie mit Bailey empfahl. „Wir waren seit seiner Geburt ohnehin ständig hier in der Klinik, und dann kam auch noch die Leukämie dazu“, berichtet Fabians Mutter. Inzwischen hat ihr Sohn den Krebs überstanden und kommt nur noch zur Kontrolle ins Uniklinikum Erlangen – und um Bailey zu treffen. Tanja Haschke hat insgesamt vier Söhne und ist für die besonderen Therapiestunden unglaublich dankbar, weil diese Fabian so viel Freude schenken. „Er ist insgesamt eher vorsichtig und distanziert. Er schaut sich meistens alles lieber von Weitem an, ohne sich selbst zu beteiligen“, erklärt sie. „Obwohl er Feature

Medizin | 27 Video: Therapiehund Bailey im Einsatz www.gesundheit-erlangen.com alles versteht, was gesagt wird, kann er sich sprachlich so gut wie gar nicht ausdrücken.“ Um mehr Nähe zwischen Fabian und Bailey zu schaffen, holte sich Stephan Eitner das pädagogische Plazet von Marion Müller, um ein „Brotzeit-Ritual“ auszuprobieren: „Es gab etwas zu essen und zu trinken und Bailey lag dicht zwischen uns beiden. So kam Fabian automatisch mit Bailey in Kontakt, konnte sein weiches Fell spüren und ihn streicheln. Nach einer Weile hatte er dann auch Lust, mit ihm zu spielen“, erklärt der Hundebesitzer. Inzwischen geht Fabian offen auf den Hund zu und versucht, ihm seine Kommandos direkt verständlich zu machen. Neue Freundschaft Nachdem der junge Patient und sein tierischer Therapeut sich nähergekommen waren, gab es fortan gemeinsame Treffen mit der kleinen Emma, die Fabian inzwischen ebenfalls als Freundin angenommen hat. „Beim letzten Mal hat er sie zur Begrüßung in die Arme genommen und hochgehoben. Solche überschwänglichen Handlungen erleben wir mit ihm sonst nur in unserer Familie“, sagt seine Mutter. „Jetzt spielen die beiden gemeinsam mit Bailey und Fabian vermisst Emma, wenn sie mal nicht dabei sein kann.“ Weil der Junge keine Nässe auf der Haut mag, darf er Bailey seine Leckerlis auf einem speziellen Hundelöffel geben, den Prof. Eitner immer im Gepäck hat. Und auch Tücher zum umgehenden Händetrocknen hat der einfühlsame Therapiehundeführer immer für Fabian parat, falls Baileys Zuneigung doch einmal etwas feuchter ausfällt, als es dem Jungen lieb ist. Bald auch in der Klinik Unangenehme Nässe von oben, sprich Regenschauer, sind auch immer wieder der Grund dafür, dass Treffen mit Bailey im nicht überdachten Hinterhof der Kinderklinik abgesagt werden müssen. „Weil Tiere innerhalb der Klinik bisher nicht gestattet sind, können die Treffen nur draußen stattfinden“, erklärt Stephan Eitner. „Marion Müller und ich sind aber bereits im Gespräch mit unserem Justiziariat, um diese Situation zu verändern und neue vertragliche Grundlagen zwischen dem BRK und dem Uniklinikum zu schaffen.“ Als Therapiehund erhält Bailey jedes Jahr ohnehin spezielle tierärztliche Untersuchungen und Impfungen. „Im Moment sieht es so aus, dass alle rechtlichen Formalitäten bald geregelt sind und wir spätestens Anfang 2025 auch stationär behandelten Kindern und Jugendlichen die Begegnung mit Bailey ermöglichen können“, zeigt sich Prof. Eitner optimistisch. Feature

28 | Medizin Kloß im Hals SPRECHSTUNDE Ein Engegefühl schnürt die Kehle zu, als versperre ein dicker Klumpen den Hals. Was kann das sein, und wie wahrscheinlich ist es, dass etwas Organisches dahintersteckt? HNO-Ärztin Prof. Dr. Anne Schützenberger klärt auf. INTERVIEW VON FRANZISKA MÄNNEL

| 29 Medizin

30 | Medizin Frau Prof. Schützenberger, was hat es mit dem Kloß im Hals auf sich, wie beschreiben Patientinnen und Patienten dieses Gefühl? Zunächst einmal muss man sagen, dass dieses Empfinden, das auch Globusgefühl genannt wird, in bestimmten Situationen etwas ganz Normales ist. Die Patientinnen und Patienten berichten, dass sie ständig oder immer wiederkehrend ein Fremdkörpergefühl im Hals haben. Meist ist es schmerzlos und tritt nur beim Leerschlucken auf, also nicht beim Essen und Trinken. Das klingt nach einem wichtigen Hinweis. Ja, wenn Essen und Trinken keine Probleme machen, wenn es keine Schmerzen und keine Gewichtsabnahme gibt, sind wir Ärztinnen und Ärzte gleich beruhigter, weil das tendenziell eher gegen eine bösartige Erkrankung, also gegen einen Tumor, spricht. Es gibt in der Medizin ja kein „immer“ und kein „nie“ – trotzdem gibt uns eine solche Patientenbeschreibung zunächst eher Entspannung. Was sind aber dann die Ursachen für das Kloßgefühl? Die Ursachen werden viel diskutiert. Zum einen sind da bakterielle oder virale Infekte, die auch den Rachenraum betreffen. Sie können Sekretionsstörungen der kleinen Speicheldrüsen mit sich bringen. Das heißt: Während oder nach dem Infekt fließt weniger Speichel oder seine Konsistenz ist verändert. Die Schleimhaut ist gereizt und trocken. Das kann zu Missempfindungen beim Schlucken führen. Wir alle kennen ja dieses Gefühl bei oder nach einer Erkältung. Oder nach COVID-19. Ja, auch das. Aber auch COVID-19 ist eine Viruserkrankung. Das Kloßgefühl gab es auch schon vor der Coronapandemie, aber eben hervorgerufen durch andere virale Infektionen. Gibt es noch weitere Ursachen? Eine zweite Erklärung ist Reflux, also das Zurückfließen von Magensäure in die Speiseröhre oder den Kehlkopf. Das muss sich nicht zwingend wie Sodbrennen anfühlen, sondern kann eben auch als Fremdkörper wahrgenommen werden – ausgelöst durch einen kontinuierlichen stillen Reflux, der die Schleimhäute dauerhaft reizt. Ein Indiz dafür ist, dass der Kloß im Hals eher morgens auftritt, nachdem die Person lange gelegen hat, wodurch die Säure leichter aufsteigen konnte. Wenn Reflux die Ursache ist, sollte man zuerst die sogenannten Lifestylefaktoren anpassen: zum Beispiel zwei Stunden vor dem Zubettgehen nichts mehr essen, abends nichts Süßes, sehr Fettiges oder Säurehaltiges zu sich nehmen, Übergewicht reduzieren, Stress vermeiden, mit dem Rauchen aufhören. Und wenn das Fremdkörpergefühl eher abends auftritt? Das kommt auf den Einzelfall an. Es kann aber zum Beispiel mit einer Fehlbelastung der Stimme zusammenhängen. Wenn ich also eine Lehrkraft vor mir habe, die den ganzen Tag ihre Stimme strapaziert hat und die sie vielleicht auch falsch belastet, dann würde ich zunächst mal in diese Richtung denken. In einem solchen Fall hilft eine logopädische Therapie, also Stimmtraining. Ein anderer Faktor sind sicher hormonelle Veränderungen – etwa nach der Menopause, wenn die Schleimhäute allgemein trockener werden. Auch Medikamente oder Erkrankungen wie Diabetes können zu einem Kloßgefühl im Hals beitragen. Zusammengefasst sind also meist Infekte, Reflux, Stimmstörungen oder hormonelle Veränderungen schuld. Ja, allerdings kommt jetzt das große Aber: Man hat herausgefunden, dass bei bis zu 96 Prozent der Oberärztin Prof. Dr. Anne Schützenberger ist Fachärztin für HNO-Heilkunde. Sie leitet die Phoniatrie und Pädaudiologie in der Hals-Nasen-Ohren-Klinik – Kopf- und Halschirurgie des Uniklinikums Erlangen.

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